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Reinhard Sorge

Der Dichter

Diese Szene gehört zum vierten Akt einer unveröffentlichten Bühnenfassung des Bettlers.

Der Dichter:

Oh, Nacht und Erlebnis! Nachterlebnis! Wie lebe ich dies! ( Kommt nach vorn. Mit fiebernden Gesten) Wohin soll ich gehen? Welche Lande? Welche Meere? Welche Lüfte? Weh! die Felsen! Ohnmacht bin ich vor den Felsen! Was weiter? was ferner? Schicksal um Schicksal auf meinen Schultern! Adler auf meinen Schultern! Krallen in meinen Schultern! Wie soll ich fliehen? Welche Meere? Welche Lüfte?! ( Er hält erschöpft inne) Ohne Menschen, ohne Macht ... Ohnmächtig ... Ohne Antwort, ohne Handdruck! Was soll werden? Alle Wege sind gegangen, aller Trotz ist getrotzt. Weiter treibt es! ( Er ist jetzt am Fenster rechts und öffnet es) Es wird bald Morgen. Wacht auf! Hallo! Auf die Straßen! Ich will an den Ecken stehen und euch zuschauen! Ich will an den Ecken schaudern und euch ergründen. Ho! ich bin mächtig! ohne Menschen! Ohne Länder! Ho! ich kann zwingen! Ja, ich ahne die Macht! Die letzte Macht! Ewige Macht! Stürme um mich, alle Stürme! alles Dunkel! alle Welt! ( Ein Sturmstoß durchs Fenster. Das Licht erlöscht) Auf, ihr Worte! Hollah Worte! Mächtig auf! Auf wimmelnd! Schlagt an die Felsen, fesselt die Meere, schleppt her die Meere! Lockt alle Feuer, ho! in meine Kreise! In meine Kreise – zwing ich das All. ( Sturm durchs Fenster) Her die Menschen, irgend Menschen! Her die Dirnen!

( Die Bühne ist jetzt ganz dunkel, aber links hinten gewahrt man in einem fahlen Schein sechs der Kokotten. Sie liegen im Schlaf der Wollust: der Mund noch geöffnet vom letzten Stöhnen, die Züge erschlafft noch von der letzten Süße, die Arme gelöst noch vom letzten Atem)

Wohlan die Dirnen! im Dirnenschlaf! ( Er neigt sich nieder und flüstert zur ersten) Wache! Erwache aus dir! Bist du sündig? Bist du Mensch? ( Bei der zweiten) Bist du schuldig? Bist du niedrig? ( Bei einer anderen) Bist du verworfen? ( Bei einer vierten) Bist du verdammt? Wacht aus euch auf! Scheut nicht das Wachen! Wacht auf zur Ewigkeit! Seid ihr denn Menschen? Seid ihr denn irdisch? Seid ihr ein Zufall? Was ist Menschen! Was ist Zufall! Ewig seid ihr! Ihr seid EINE EWIGE LUST! ( Die Dirnen erwachen, richten sich auf und erheben sich langsam) Steigt auf aus den Gräbern! Aus euren irdischen Gräbern! Steigt auf in den Himmel!

( Sie haben sich jetzt alle traumhaft erhoben. Während des Folgenden weicht die Hinterwand und man blickt in den Nachthimmel. Man sieht rechts im Hintergrund etwas erhöht – einen rötlichen Feuerschein. Links (Hintergrund) Sterne, aber größer, glühender als gewöhnlich sichtbar. Zwischen ihnen zwei große, glühende Halbmonde, die umeinander kreisen. Sturm)

Der Dichter ( indem er den Dirnen voran nach rechts schreitet und auf unsichtbaren Stufen zum Feuerschein aufklimmt. Die Dirnen folgen ihm im Tanzschritt nach dem Rhythmus seiner Worte):

Tanzende Glieder
Hebt tanzenden Worten
Nach in den Himmel.
Läutert den Schritt –

Schüttelt die Sünde
Euch aus den Locken,
Schüttelt die Spangen
Euch vom Gelenk.

Nackt tanzt gen Anfang
Ewige Wollust!
Tupft eure Sohlen
Auf sternigen Grund!

( Indem sie sich um den Feuerschein aufstellen)

Schart um die Feuer euch,
Düster Zerbrannte!
Weckt euer Grausen!
Weckt euren Trieb!

Fleht an die roten
Ewigen Schwestern,
Folgt eurer Sehnsucht,
Stürzt in die Brunst.

( Die Kokotten versinken)

Der Dichter ( niederblickend):

Die Herzen zischen und die Gier schlägt Blasen,
Toll sieden Schreie in der feurigen Paarung
Ahnung der Allmacht und der Offenbarung ...
Zu Asche fiel, was Zufall euch gesammelt,
Schon formen sich aus Lohe neue Glieder
Der Zeugung Wille, die euch aufwärts stammelt ...

( Riesige schemenhafte Gestalten steigen in einem Kreis aus der Tiefe)

Ihr seid die große Lust von Welt zu Welten,
Ihr wurdet ewig und seid Gott sehr nahe –
Ihr schmückt die Stirne Gottes graus und herrlich ...

– Ein Donnerschlag – Dunkelheit – Der Sturm läßt nach –

( Dann erhellt sich die Bühne ein wenig, man blickt wieder in die Dachkammer. Der Dichter steht in Mitten, den Rumpf hintüber gereckt und die Augen geschlossen; die Arme fest um den Leib geschlungen – – – Erstes Morgendämmern)

Der Dichter ( mählich erwachend):

Du großes Leben! Alle Läuterung!

( Geht langsam und in Gedanken zum Fenster links)

Du meine Macht! Und alle letzte Zuflucht.

*

( Am Fenster)

Der Tag wird grau ... Ihr! ... Glühend mein Phantom
Flog euren Dächern über, bog um Türme –
Gigantisch wob es sich in euren Dunst,
Hob ihn gigantisch und stob auf zum Thron. –
Ihr saht es nicht. Ihr seht mich nicht ... Ich finde
Nicht Antwort! Antwort! Meine Worte sollen
Brausend und flammend durch die Lüfte schlagen,
Herniederfahren, über euch in lohen
Zungen hintanzen, daß ihr endlich mich
Gewahrt. Ihr! Ihr! Bereitet mir die Pfade!
Seht an, ich stürme unter euch, die Fackel
Rot in geschwungener Hand. Man öffne mir
Der Irrenhäuser Tore, daß ich zündend
Des blöden Lachens trübe Spinnennetze
Verwandle in ein glühendes Geäst.
Verworfne Leichen breche man auf! vor mir –
Ich hebe euch aus stinkender Verwesung
Blinkend den Stern, daß ihr zu Boden brecht
Vor Glanz und Glut! Donnernd gewölbte Hallen
Mit finstrem Himmel: schweren Wolkenrauch,
Gepreßt aus Leibern stöhnender Maschinen,
Bestreue meiner Fackel heiliges Blut!
Tut auf! Tut auf! Die stieren Reihen der
Lüstlinge reiht mir auf: der Laster und
Der Lüste schwarze Perlen reiht mir auf;
Ich schmücke euch die Götterbilder, daß
Die Perlen und die Lüste musisch klirren.
Tut auf! Tut auf! Ich will die Bilder gierig recken,
Die Götter türmen – Ewiges Geschlecht –

– Er bricht nieder – Stille –


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