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Bei der Belagerung der Burg Güssing durch die Türken gab es einen langen Kampf. Vergebens hatte der Feind die auf einem steilen Felsen gelegene Burg bestürmt. Die Tapferkeit der Verteidiger vereitelte jeden Erfolg. Als die Türken endlich erkannten, daß die Burg mit Waffengewalt nicht zu erobern sei, wollten sie die Besatzung durch Aushungerung zur Übergabe zwingen.
Lange dauerte die Belagerung schon, und trotz aller Einschränkung gingen die Lebensmittel in der Burg allmählich zur Neige. Es war den tapferen Verteidigern klar, daß sie sich nicht mehr lange halten konnten. Da wollte es der Burgherr in der äußersten Not noch mit einer List versuchen, um die Belagerer zu täuschen und sie zum Abzug zu veranlassen.
Er ließ den noch vorhandenen bescheidenen Mehlvorrat herbeischaffen, der aber so gering war, daß er kaum ein kleines Körbchen füllte. Bei Nacht stellte man ein großes Mehlfaß auf die äußere Burgmauer, so zwar, daß der Boden des Fasses nach oben zu stehen kam. Darauf schüttete man die geringe Mehlmenge, so daß es den Anschein hatte, als sei das Faß bis über den Rand gefüllt und noch Mehl im Überfluß in der Burg vorhanden. Bei Tagesanbruch ließ der Burgherr den letzten Ochsen, der noch in der Feste am Leben war, hinter der Burgmauer herumtreiben und so heftig mit Knütteln schlagen, daß das schmerzgequälte Vieh unaufhörlich brüllte. Den Belagerern sollte dadurch vorgetäuscht werden, daß noch eine ganze Herde von Schlachtvieh in der Burg vorhanden sei.
Als die Türken das anhaltende Ochsengebrüll hörten und das übervolle Mehlfaß auf der Burgmauer stehen sahen, glaubten sie wirklich, die Belagerten seien mit Vorräten noch im Überfluß versorgt und es sei daher zwecklos, noch länger auf eine Hungersnot in der Burg zu warten. Sie hoben die Belagerung auf und zogen noch am selben Tag eine halbe Stunde vor Mittag von Güssing ab.
Zur Erinnerung an diese Rettung aus der Türkengefahr wurden seit dieser Zeit die Glocken in der alten Pfarrkirche zu Güssing täglich um halb zwölf Uhr geläutet.