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Vor vielen Jahrhunderten kam ein Mann aus fremden Landen in die Gegend von Wien. Weil ihm das Kahlengebirge mit den Rebenhügeln zu seinen Füßen und dem rauschenden Strom davor so gut gefiel, beschloß er, sich hier niederzulassen. Er hatte als Bergmann in verschiedenen Bergwerken gearbeitet und war fleißig und sparsam gewesen, so daß er auch einiges Geld besaß. Damit erbaute er sich nun ein Häuschen am Hang des Berges und lebte mit seiner jungen Frau, die er vor kurzem geheiratet hatte, glücklich und zufrieden.
Aber die Untätigkeit war nicht nach seinem Geschmack, auch steckte noch immer der alte Bergmann in ihm. Stollen in die Erde graben, nach Erzen suchen, sein Glück probieren, das waren die Gedanken, die ihn fortwährend beschäftigten. »Warum sollten in diesem Berg und seinem blitzenden Gestein keine edlen Erze stecken«, dachte er oft; »wer nichts wagt, gewinnt nichts, nur dem Mutigen wird die Gnade Gottes zuteil.«
So machte er sich denn daran, den Kahlenberg zu begehen. Aber wo sollte er mit dem Graben anfangen, wo hielt sich das Glück verborgen? Während er suchend über den Berg hinblickte, sah er einen Vogel, der immer wieder an die gleiche Stelle flog. Neugierig ging er hin, blickte in das Gebüsch und gewahrte ein leeres Vogelnest. »Sicher sind die Vöglein schon alle ausgeflogen«, rief er, »aber mir soll das ein Zeichen sein; hier will ich mein Werk beginnen. Den Ort aber werde ich die Gnade Gottes nennen, die mich hierher gewiesen hat und mir gewiß auch helfen wird, alle Schwierigkeiten zu überstehen und das ersehnte Glück zu finden.«
Er begann zu graben. Es war eine harte Arbeit, die ihn manchen Schweißtropfen kostete. – Wochen vergingen, schwere Wochen, und er hatte bisher nichts zutage gefördert als Erde und taubes Gestein. Sein Weib wollte schon am Erfolg verzagen und meinte, er solle die vergebliche Arbeit einstellen; es sei nur unnütze Plage. Er aber hoffte auf die Gnade Gottes und ließ sich keine Mühe verdrießen.
Bald wurde in der Umgebung bekannt, daß ein Bergmann auf dem Kahlenberg nach Gold grabe, und etliche Männer boten sich an, mit ihm das Glück zu versuchen. Dankend nahm er ihre Hilfe entgegen, mit erneutem Eifer gruben sie weiter. Obgleich die Arbeit nun schneller vonstatten ging, wollte sich noch immer keine Erzader zeigen. Endlich gaben auch seine Helfer den Glauben an einen Erfolg auf, und einer nach dem anderen blieb aus.
Nur er verlor seine Zuversicht nicht und grub weiter im festen Vertrauen auf die Gnade des Herrn.
Drei Monate waren vergangen, und noch immer arbeitete unser Bergmann in seinem Stollen. Da schien ihm eines Tages, als würde das Gestein immer härter und glänzender, als sehe es ganz anders aus als sonst Aufgeregt nahm er ein Stück zur Hand und betrachtete es im Schein seiner Lampe genauer. Fast konnte er es nicht glauben: er hielt blankes Erz in der Hand, das im Widerschein des Lampenlichtes hell ausstrahlte. Mit freudig pochendem Herzen eilte er ins Freie hinaus und sah hier im Licht der Sonne bestätigt, was er in der Dämmerung des Schachtes noch angezweifelt hatte. Es war wirklich edles, kostbares Metall, was er aus der Tiefe gefördert hatte. Aufatmend sank er in die Knie und dankte der Gnade Gottes, die ihm seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt hatte.
So wurde aus dem armen Bergmann ein reicher Bergwerksbesitzer, dem die Arbeiter von allen Seiten zuströmten, fanden sie doch in dem neuen Bergwerk guten Verdienst. Bald erhoben sich am Fuß des Kahlenbergs viele nette Häuschen, die sich die Bergleute von ihrem ersparten Lohn erbauten. Es entstand die Siedlung Kahlenbergerdorf. Das Glück machte aber den reichgewordenen Bergherrn nicht übermütig. Er blieb ein einfacher Mann wie bisher, ließ an seinem Reichtum auch andere teilnehmen, gab willig den Armen und behandelte seine Arbeiter gütig und gerecht, bis er, von allen geschätzt, sein Haupt zur ewigen Ruhe legte.
Das Bergwerk kam nun an einen anderen Besitzer. Er hatte es um viel Geld erstanden, nun sollte es reichlich Zinsen tragen. Von Milde und Wohltun war keine Rede mehr; die Lohne der Arbeiter wurden herabgesetzt, dafür die Arbeit gesteigert, die Gaben an die Armen hörten auf, eine harte Hand machte sich überall fühlbar.
Eines Abends saß der neue Bergherr im Kreis seiner Bekannten beim Wein. Unter ihnen war auch ein alter Mann, der es noch miterlebt hatte, wie der fremde Bergmann durch rastlosen Fleiß und unermüdliche Ausdauer zu seinem Glück gekommen war. »Dein Vorgänger war ein fleißiger Mann«, sagte der Greis zu dem neuen Bergwerksbesitzer, »und vertraute fest auf die Gnade Gottes.«
»Ach was«, polterte der Angeredete, »Gnad' Gottes her, Gnad' Gottes hin, wenn kein Gold im Berg gewesen wäre, so hätte ihm die ganze Gnad' Gottes nichts geholfen.«
Das waren böse Worte. Erschrocken zuckten die Männer zusammen, bald zog sich einer nach dem andern zurück. Der Bergherr zechte allein weiter und suchte erst spät seine Behausung auf.
Als die Bergleute am nächsten Tag längst in die Schächte eingefahren waren, schlief er noch immer. Fleißig wie sonst verrichteten die Knappen ihre Arbeit, schlugen das Gestein von den Wänden und schleppten es aus dem Berg hinaus. Aber merkwürdig, heute war es nur taubes Gestein, keine Spur eines edlen Erzäderleins zeigte sich, als ob nie ein solches vorhanden gewesen wäre.
Erschrocken rannte einer der Arbeiter zum Bergherrn, um ihm von ihrer fruchtlosen Arbeit zu erzählen. Ungläubig hörte dieser den Bericht, aber eine düstere Ahnung bemächtigte sich seiner. In aller Eile kleidete er sich an und begab sich zum Bergwerk, wo er wirklich alles so fand, wie es ihm der Knappe geschildert hatte. Da fiel im blitzartig das Gespräch ein, das er am Vorabend im Wirtshaus geführt hatte. Mit dem Ruf »Die Gnad' Gottes! An ihr habe ich gezweifelt!« stürzte er tot zu Boden.
Von dieser Zeit an fand man kein edles Erz mehr im Berg. Die Stollen verfielen, die Bergleute wanderten aus, und die wenigen, die im Kahlenbergerdorf zurückblieben, mußten sich mühsam als Weinbauern fortbringen.