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Die beiden Berge

José Echegaray

1832-1916

Es war ein Land ohne Namen und ohne bekannte geographische Lage, eines von jenen Ländern, wie sie in den Gedanken der Dichter und Träumer leben. Eine Ebene ohne Grenze, und inmitten dieser Ebene zwei hohe Berge, von denen einer den anderen bei weitem überragte. Der kleinere Berg war ein Wunder an Schönheit und Anmut; und hätten sein Inneres nicht wilde Leidenschaften durchtobt, gleich denen, die das Herz der Menschen vergiften, so hätte er sehr glücklich sein können, denn er war schön wie das Paradies. Von seinem Gipfel senkten sich eine Menge lieblicher, malerischer Abhänge, die wie grüne Flüßchen in die weite Ebene mündeten.

Da waren kristallklare Bächlein, blaue Seen und schäumende Wasserfälle und Blumen und Vögel, so daß es durch das Murmeln der Quellen und den Gesang der Vögel scheinen wollte, als lachte und jubelte der ganze Berg, als seien die hochroten Blumen mit ihren glühenden Farben die Lippen, die sich dem Gesang und der Freude öffneten, und die blauen Blümelein unzählige Augen, die gen Himmel blickten. Der Berg war die lebendige Freude, verkörpert durch grüne Blätter, durch weißen Schaum, durch Duft und Farben.

Wie die Freude, die in den Zweigen tanzt, die im Walde zwischen dem Schatten und dem Licht Verstecken spielt und zu den Wipfeln der Bäume und den Gipfeln der Berge aufsteigt, um die Unendlichkeit zu schauen. Sturm und Getöse ließen von Zeit zu Zeit die Blumen, das Laub und das Wasser erzittern.

Der Berg hätte sehr glücklich sein können. Er war ganz von Liebe durchtränkt. In allen Bäumen saßen versteckte Nester. Auf allen Blüten tummelten sich Schmetterlinge, und sogar in den Kelchen der Blumen baute sich die Liebe ein Heim.

Das Leben pulsierte überall, und während das Wasser leicht und schäumend dahinfloß, durchrieselte der Saft die Stämme der Bäume wie der Strom des Lebens. Weder auf den Felsen, noch in dem Boden, noch in den Pflanzen, noch in den Flüssen, noch in der ganzen Luft war auch nur ein Stäubchen, das nicht köstliche Wärme atmete.

Der Berg hätte also wahrlich sehr glücklich sein müssen und schien es auch zu sein. Keine Klage, kein Schmerzensseufzer, und keine von jenen Pflanzen, deren Schatten tötet.

Aber das alles war nur Schein. Im Innern dieses Berges glühte ein Feuer, versteckt, verräterisch, zerstörend, ein Feuer ohne Flamme, ein Feuer ohne Licht: das Feuer des Neides.

Der kleine Berg war neidisch auf den großen, und während er äußerlich glücklich und lachend erschien durch das Rauschen seiner Wasser und das Zwitschern seiner Vögel, verzehrte er sich innerlich vor Neid. Und warum war er neidisch auf den größeren Berg? Nur weil der höher war als er! Er war nicht schöner, er war nicht fröhlicher, er war nicht glücklicher, aber er war höher.

Er hatte dunkle Wälder, so dunkel, daß sie Furcht einflößten. Er hatte breite Flüsse, so breit, daß sie zuweilen aus ihren Ufern traten und alles zerstörten. Von Zeit zu Zeit umkreisten Adler seinen Gipfel. Aber dafür beherbergte er auch viel weniger Singvögel und Schmetterlinge, als der kleine Berg, und auf dem Rasen seiner Abhänge und zwischen dem Laub seiner Wälder schlichen gefährliche Reptilien umher.

Aber das alles konnte man von weitem, vom kleinen Berge aus nicht sehen. Von dort aus sah man nur, daß er höher war und daß Adler über seinen Gipfeln Kreise zogen, die sich wie herrlich leuchtende Bogen vom Himmel abhoben. So wenigstens erschienen sie den Augen des Neides.

Und die blauen und roten Blumen des kleinen Berges wurden gelb.

Und mit jedem Tage wuchs der Neid des kleinen Berges. Seine unterirdischen Feuer flossen über und drangen bis zum Mittelpunkt der Erde und baten den Genius der Vulkane, er möge dem Berge helfen, daß er größer werde. Und der Genius half ihm und trieb ihn in die Höhe. So wurde der kleine Berg größer und größer, aber noch immer war er nicht zufrieden. Mit seiner Größe wuchs sein Neid mit jedem Tage.

Denn wenn die Gipfel des Berges vor ihm noch längst in Gold getaucht, war er selbst schon in tiefe Nacht gehüllt. Stets deckte der Schatten des großen Berges den kleinen, und das war für diesen eine unerträgliche Demütigung.

Und er wollte wachsen, und er wuchs und wuchs und wurde endlich noch höher als der große Berg. Aber was für Mühen und was für Schmerzen kostete es ihn, so hoch zu werden! Wie wurden seine Abhänge zerklüftet, seine Täler aus den Fugen gerissen, seine Wälder zerstückelt, seine Flüßchen in stürzende Bäche verwandelt!

Jetzt floß das Wasser nicht mehr sanft dahin, sondern brauste so jäh zu Tal, daß der Gipfel des Berges bald ganz dürr und trocken war.

Seine Blumen, die der Neid schon gelb gefärbt, welkten völlig dahin; die Schmetterlinge entflohen. Die Nester fielen aus den Bäumen; die Vögel flogen fort und mit ihnen die Lieder. Kein fröhliches Gezwitscher mehr, nur noch das heisere Krächzen der Raubvögel. Der Berg wurde immer größer, aber auch immer schroffer, und je höher er in den Äther hineinragte, desto jäher floh das Leben in die Abgründe, die die Riesenspalten der verdorrten Klüfte bildeten.

Von weitem sah er viel gewaltiger aus; dafür aber in der Nähe betrachtet unendlich traurig; statt der Täler wilde Bäche, statt der lieblichen Hügel jähe Abhänge.

Die Adler begannen nun auch, seinen Gipfel zu umkreisen, aber dafür mieden all die andern Vögel seine Nähe. Und noch immer war der Neid nicht gesättigt, denn für den Neid gibt es keine Sättigung. Der kleine Berg war jetzt der größere geworden. Wohl überragte er den anderen bei weitem, aber er hatte noch immer nicht genug. Und der neidische Berg – er kann jetzt nicht mehr der kleine heißen, da er riesengroß geworden – wollte noch höher werden und wurde noch höher. Er wurde riesenhaft, ragte in die Wolken, und fast sah es aus, als wolle er den Himmel erklimmen. Aber war er nun glücklicher als damals, da er noch klein war? Nein, er war es nicht.

Seine Gipfel waren nicht mehr freundlich und lachend, nicht mehr, wie einst, von einem grünen Mantel umhüllt, sondern von harten, spitzen Eisnadeln, und seine Abhänge waren mit Schnee bedeckt. Auf den warmen Hauch des Lebens war die kalte Starre des Todes gefolgt.

Er hatte keine lieblichen Täler mehr. In den rauhen Klüften konnte nichts gedeihen. Sie waren wie tiefe Risse, die durch die Klauen eines Ungeheuers entstanden. Es waren in Wahrheit die Tatzenhiebe des Neides.

Keine Wasserfälle, keine Flüsse, lauter Eis. Und da der Fluß sehr groß und breit gewesen, vermochte die Sonne all das Eis nicht zu schmelzen und der Fluß blieb trocken, so daß jedes Wachstum erstarb.

Dürre, Eis, Trockenheit und Schroffheit, ringsumher. Die Blumen waren verwelkt, es flohen die Schmetterlinge, es flohen die Bienen, und der Berg hatte keinen Honig mehr. Die Bäume waren verdorrt, und da die Vögel keine Nester mehr bauen konnten, flogen sie auf und davon; und da war kein Zwitschern mehr.

Nicht einmal die Adler wollten mehr zu den Gipfeln aufsteigen, wozu auch? Um dort oben vor Kälte elend umzukommen? So wurde jener Koloß zu einem eisigen Leichnam, aber noch immer brannte in seinem Innern das verzehrende Feuer ohne Flamme, ohne Licht, das Feuer des Neides, das seine Nahrung stets in sich selber findet und doch niemals gesättigt wird.

Jetzt vermißte der große Berg schmerzlich alles das, was er verloren, und neidete sich selber seinen einstigen Besitz: Täler, Wälder, Schatten und Frische, kristallklare Flüßchen, schäumende Bäche, Blumen, Schmetterlinge, Nester, das süße Gezwitscher der Vögel und die wohlige Wärme. Alles, alles dahin!

Auf den Höhen gibt es keinen Schatten. Der Gesichtskreis erweitert sich, aber die Kälte wird unerträglich.

Die Mächtigsten sind nicht immer die Glücklichsten.


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