Marcus Aurelius Antonius
Des Kaisers Marcus Aurelius Antonius Selbstbetrachtungen
Marcus Aurelius Antonius

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Neuntes Buch.

1.

Wer unrecht handelt, ist gottlos. Denn die Allnatur hat die vernünftigen Wesen füreinander geschaffen, um einander nach Bedürfnis zu nützen, keineswegs aber zu schaden; wer also ihren Willen übertritt, der frevelt offenbar gegen die ewige Gottheit. Auch wer lügt, frevelt gegen dieselbe Gottheit. Denn die Allnatur ist das Reich des Seienden. Das Seiende aber steht mit allem Vorhandenen in engster Verbindung. Ferner wird jene auch die Wahrheit selbst genannt und ist tatsächlich der Urquell alles Wahren. Wer also vorsätzlich lügt, handelt gottlos, insofern er auf betrügerische Weise unrecht handelt; wer es aber unvorsätzlich tut, gleichfalls, insofern er mit der Allnatur nicht im Einklang steht und durch seinen Streit mit der Weltnatur ihre Ordnung stört. Doch auch wider sich selbst streitet ein solcher, indem er sich zum Wahrheitswidrigen hinreißen läßt. Denn er hatte bei seiner Bildung von der Natur Abneigung dagegen erhalten, durch deren Vernachlässigung er nunmehr außerstande ist, das Falsche von dem Wahren zu unterscheiden. Ferner handelt gottlos, wer den sinnlichen Genüssen als Gütern nachjagt, vor den Leiden aber, als vor Übeln, flieht. Denn notwendig kommt ein solcher oft in die Lage, sich über die allwaltende Natur zu beschweren, als teile sie den Lasterhaften und den Rechtschaffenen ihr Los nicht nach Verdienst zu; denn, wie oft leben die Lasterhaften in Sinnenfreuden und verschaffen sich die Möglichkeiten dazu, während die Rechtschaffenen dem Leid und dem anheimfallen, was Leiden schafft. Zudem kann, wer sich vor Leiden fürchtet, auch nicht ohne Furcht in die Zukunft blicken, was schon gottlos ist; und wer Sinnenfreuden nachjagt, wird sich vom Unrechttun nicht fernhalten, und das ist vollends offenbare Gottlosigkeit. Wogegen sich aber die gemeinsame Natur gleichgültig verhält – sie würde aber nicht beides hervorbringen, wenn sie sich nicht gegen beides nach einerlei Regel verhielte – dem gegenüber müssen auch diejenigen, die der Natur folgen wollen, Gleichgültigkeit beweisen. Jeder nun, der gegen Leid und Freude, Tod und Leben, Ehre und Schande, deren sich die Allnatur gleichgültig bedient, sich nicht ebenfalls gleichgültig verhält, der handelt offenbar gottlos. Die gemeinsame Natur aber, sage ich, bedient sich derselben nach einerlei Regel, darunter ist zu verstehen, diese Veränderungen widerfahren der Naturordnung gemäß den jetzt wie den künftig Lebenden nach einerlei Regel, und zwar schon zufolge einer uranfänglichen Bestimmung der Vorsehung, nach der sie schon von Anfang an zu allen möglichen Veränderungen der Dinge den Grund legte, indem sie gewisse Grundstoffe der werdenden Dinge zusammenfaßte und die erzeugenden Kräfte der Substanzen selbst, ihrer Verwandlungen und ihrer derartigen Aufeinanderfolge beschloß.

2.

Das würde der vollkommenste Mensch sein, der aus dem Kreise der Menschen schiede, rein von Lügengerede, von Heuchelei, Üppigkeit und Hoffart. Der zweite Rang, nächst ihm, gebührt dem, der mit Abscheu gegen diese Dinge lieber den Geist aushauchen als in der Bösartigkeit beharren möchte. Oder ziehst du es vor, unter der Schlechtigkeit zu verkommen, und hat dich selbst die Erfahrung noch nicht gelehrt, dieser Pest zu entfliehen? Denn die Verderbnis deiner Denkkraft ist eine Pest und zwar eine noch viel schlimmere als die Verdorbenheit der uns umgebenden Luft und der plötzliche Wechsel des Dunstkreises; denn letzterer ist nur eine Pest für tierische Wesen, insofern sie Tiere sind, jene aber für Menschen, insofern sie Menschen sind.

3.

Verachte den Tod nicht, vielmehr sieh ihm mit Ergebung entgegen, als einem Gliede in der Kette der Veränderungen, die dem Willen der Natur gemäß sind. Denn jung sein und altern, heranwachsen und mannbar werden, Zähne, Bart und graue Haare bekommen, zeugen, schwanger werden und gebären und die anderen Tätigkeiten der Natur, wie sie die verschiedenen Zeiten des Lebens mit sich bringen, sind ja dem Aufgelöstwerden gleichartig. Daher ist es die Sache eines denkenden Menschen, sich gegen den Tod weder hartnäckig noch abstoßend und übermütig zu zeigen, sondern ihm als einer der Naturwirkungen entgegenzusehen. Wie du des Augenblicks harrst, wo das Kindlein aus dem Schoße deiner Gattin hervorgehen soll, ebenso sollst du die Stunde erwarten, da deine Seele aus dieser ihrer Hülle entweichen wird. Willst du aber ein allbekanntes, herzstärkendes Mittel anwenden, so wird der Hinblick auf die Gegenstände, von denen du dich trennen sollst, und auf die Menschen, durch deren Sitten deine Seele nicht mehr verdorben werden wird, dich mit dem Tode vollkommen aussöhnen. Denn du sollst zwar an den Bösen möglichst wenig Anstoß nehmen, vielmehr für sie sorgen und sie mit Sanftmut ertragen, indessen darfst du doch daran denken, daß es nicht eine Trennung von gleichgesinnten Menschen gilt. Dies allein nämlich, wenn irgend etwas, könnte uns anziehen und im Leben festhalten, wenn es uns vergönnt wäre, mit Menschen zusammenzuleben, die sich dieselben Grundsätze angeeignet haben. Nun aber siehst du ja mit eigenen Augen, wieviel Verdruß aus der Menschen Uneinigkeit entspringt, so daß du wohl ausrufen möchtest: Komm doch schneller heran, lieber Tod, damit ich nicht etwa noch meiner selbst vergesse!

4.

Wer sündigt, versündigt sich an sich selbst; begangenes Unrecht fällt auf den Urheber zurück, indem er sich selbst verschlechtert.

5.

Oft tut auch der Unrecht, der nichts tut; wer das Unrecht nicht verbietet, wenn er kann, befiehlt es.

6.

Genug, wenn das jedesmalige Urteil klar, die jedesmalige Tätigkeit gemeinnützig, die jedesmalige Gemütsverfassung mit allem zufrieden ist, was aus natürlichen Ursachen sich ereignet.

7.

Unterdrücke die bloße Einbildung; hemme die Leidenschaft; dämpfe die Begierde; erhalte die königliche Vernunft bei der Herrschaft über sich selbst!

8.

Den vernunftlosen Wesen ist eine Seele, den vernünftigen aber eine denkende Seele zugeteilt, sowie es auch für alle Erdgebilde nur eine Erde gibt und wir alle, die wir sehend und belebt sind, von einem Lichte sehen und eine Luft einatmen.

9.

Alle Dinge, die irgend etwas Gemeinschaftliches haben, streben zur Vereinigung hin. Was von der Erde ist, neigt sich zur Erde, alles Feuchte und gleichermaßen alles Luftige fließt zusammen, so daß es der Gewalt bedarf, um solche Stoffe auseinanderzuhalten. Das Feuer zwar hat vermöge des Elementarfeuers seinen Zug nach oben, aber doch ist es zugleich geneigt, mit jedem hier befindlichen Feuer sich zu entzünden, so daß alle Stoffe, die nur einigermaßen trocken und also weniger mit dem gemischt sind, was der Entzündung wehrt, leicht in Brand geraten. Ebenso nun, oder auch noch mehr, strebt alles, was an der gemeinschaftlichen, vernünftigen Natur teil hat, seinem Ursprunge zu. Denn je mehr ein Wesen über den übrigen die Oberhand behält, um so geneigter ist es auch, mit dem Verwandten sich zu vermengen und zusammenzufließen. Bereits auf der Stufe vernunftloser Wesen finden sich ja Schwärme, Herden, Fütterungsanstalten für die Jungen und sogar gewissermaßen Liebschaften. Denn in ihnen schon wohnen Seelen und findet sich daher auch jener Gemeinschaftstrieb in stärkerem Grade, als er bei Pflanzen, Steinen oder Bäumen vorhanden ist. Bei vernünftigen Wesen aber kommt es zu Staaten, Freundschaften, Familien, gesellschaftlichen Verbindungen und im Kriege selbst zu Bündnissen und Waffenstillständen. Sogar bei noch höheren Wesen findet, trotz ihrer sonstigen Abstände voneinander, doch Einigung statt, wie bei den Gestirnen; und so kann der Aufschwung zum Höheren auch bei sonst getrennten Wesen Sympathie hervorbringen. Betrachte nun den jetzigen Gang der Dinge. Die denkenden Wesen sind es nämlich jetzt allein, die dieses Zueinanderstreben und Zusammenhalten vergessen, und bei ihnen allein ist jenes Zusammenfließen nicht ersichtlich. Und doch – mögen sie sich immerhin fliehen, sie umschließen sich dessenungeachtet Denn die Natur behauptet ihr Herrscherrecht. Gib nur acht und du wirst, was ich sage, bestätigt finden. Denn eher dürfte man ein Erdteilchen treffen, das von keinem andern Erdteilchen berührt wird, als einen Menschen, der von einem anderen Menschen ganz abgeschieden ist.

10.

Alles trägt seine Frucht. Sowohl der Mensch als auch Gott und die Welt bringen Frucht hervor, und zwar ein jegliches zu seiner Zeit. Mag auch der herrschende Sprachgebrauch diesen Ausdruck nur beim Weinstock und bei ähnlichen Gegenständen anwenden – gleichviel. Auch die Vernunft trägt Frucht fürs Ganze und für den einzelnen. Und aus dieser Frucht gehen andere Erzeugnisse derselben Art hervor, wie die Vernunft.

11.

Vermagst du es, so belehre den Fehlenden eines Bessern; wo nicht, so denke daran, daß dir für diesen Fall Nachsicht verliehen ist. Sind doch auch die Götter gegen solche nachsichtig, ja sie sind ihnen sogar zu Gesundheit, Reichtum und Ehre behilflich. So gütig sind sie! Auch dir steht es frei, hierin den Göttern zu gleichen, oder sprich: Wer hindert dich daran?

12.

Arbeite nicht, als wärest du dabei unglücklich, oder um bewundert oder bemitleidet zu werden; wolle vielmehr nur das eine, deine Kraft in Bewegung setzen oder zurückhalten, so wie es das Gemeinwesen erheischt.

13.

Heute bin ich allen Hindernissen entgangen, oder richtiger gesprochen, habe ich alle Bedrängnisse zurückgewiesen; denn sie lagen ja nicht außer mir, sondern in mir, in meinen Vorurteilen.

14.

Alles bleibt dasselbe, alltäglich in Rücksicht auf die Erfahrung, vorüberfliehend hinsichtlich der Zeit, verächtlich hinsichtlich des Stoffs. Alles, was jetzt ist, war ebenso bei denen, die wir beerdigt haben.

15.

Die sinnlichen Gegenstände sind außer uns, einsam stehen sie, sozusagen vor unserer Türe. Sie wissen nichts von sich selbst, urteilen auch nicht über sich. Wer ist es denn, der über sie urteilt? Unsere Vernunft.

16.

Nicht auf Einbildung, sondern auf sein Wirken gründet sich das Wohl und Weh eines vernünftigen, geselligen Wesens, gleichwie auch Tugend und Laster bei ihm nicht auf einem leidenden Zustande, sondern auf Tätigkeit beruhen.

17.

Für den emporgeworfenen Stein ist es ebensowenig ein Übel herabzufallen, wie ein Gut, in die Höhe zu fliegen.Vgl. V 11 I., 20.

18.

Dringe in das Innere der Menschenseelen ein, und du wirst sehen, vor was für Richtern du dich fürchtest, und was für Richter sie über sich selbst sind.

19.

Alles im Verwandlungszustand! Auch du selbst in stetem Wechsel, ja gewissermaßen in zunehmender Verwesung; ebenso die ganze Welt.

20.

Das Vergehen eines andern muß man da lassen, wo es ist.Vgl. VII., 29.

21.

Das Aufhören einer Tätigkeit, der Stillstand der Triebe und Meinungen, schon eine Art von Tod, ist kein Übel. Geh einmal zu deinen verschiedenen Lebensstufen über; du wurdest Kind, Jüngling, Mann, Greis, und es war ja auch jeder Wechsel von diesen ein Tod. Ist das etwas Schreckliches? Denke jetzt an die Zeit zurück, die du noch unter deinem Großvater, nachher unter deiner Mutter und dann unter deinem Vater verlebt hast, und wenn du nun alle Trennungen, Umwandlungen und Auflösungen, die mit dir vorgegangen sind, erwägst, so frage dich selbst: War daran etwas Schreckliches? Ebensowenig wird auch das Aufhören, der Stillstand und die Umwandlung deines ganzen Lebens schrecklich sein.

22.

Forschend wende dich deiner eigenen Seele, der Seele des Weltganzen und deines Nächsten zu: deiner eigenen Seele, um ihr Sinn für Gerechtigkeit einzuflößen, der Seele des Weltganzen, um dich zu erinnern, du seiest ein Teil davon, der Seele deines Nächsten, um zu erkennen, ob derselbe unwissentlich oder wissentlich gehandelt habe, und zugleich zu bedenken, daß sie der deinigen verwandt ist.

23.

Wie du selbst als ein ergänzender Teil zur menschlichen Gesellschaft gehörst, so soll auch jede deiner Handlungen im bürgerlichen Leben eine Ergänzung bilden. Hat eine oder die andere deiner Handlungen keinen näheren oder entfernteren Bezug auf das Ziel des allgemeinen Nutzens, so bringt sie Verwirrung in dein Leben, verhindert seine Einheit und ist von so aufrührerischer Art, wie ein Mensch, der in einer Volksversammlung durch seine einzelne Person die ganze Einstimmigkeit hindert.

24.

Wie Knabenzänkereien und Kinderspiele – so flüchtig sind unsere Lebensgeister, mit Leichnamen belastet. Was ist da die Totenfeier!Da die Menschen nach Sophokles schon auf Erden flüchtige Schatten und Scheingestalten sind, so kann ihr Hingang in das Reich der Schatten, d. h. die Unterwelt, nichts Furchtbares haben. –

25.

Untersuche die Beschaffenheit der ursächlichen Kraft jedes Gegenstandes, denke ihn bei deiner Betrachtung von seinem Stoffe getrennt und bestimme dann die längste Zeit, die er bei seiner eigentümlichen Beschaffenheit vielleicht bestehen kann.

26.

Du hast viel Not und Schmerz ertragen müssen, weil es dir nicht genügte, daß deine Vernunft ihrer Beschaffenheit gemäß handeln sollte. Nun genug hiervon; mißbrauche sie nicht mehr.

27.

Wenn dich jemand schmäht oder haßt oder man aus solch einem Grunde allerlei Gerüchte von dir aussprengt, so tritt den Seelen dieser Leute näher, dringe in ihr Inneres ein und sieh, wie sie geartet sind, und du wirst finden, daß du dich nicht zu beunruhigen brauchst, wenn solche Leute so von dir urteilen. Dennoch aber bist du ihnen Wohlwollen schuldig; denn von Natur sind sie deine Freunde und Nächsten, und auch die Götter sind ihnen in allerlei Weise, zum Beispiel durch TräumeEs war ein Aberglaube der Heiden, daß ihnen bei Krankheiten die Götter im Traume ein Heilmittel offenbarten. und durch Orakelsprüche, zu dem behilflich, woran ihnen so viel gelegen ist.

28.

Aufwärts, niederwärts, alles in der Welt ist in demselben Kreislauf von Jahrhundert zu Jahrhundert. Entweder ist nun die Vernunft des Weltganzen bei jeder Veränderung wirksam, und wenn sie dies ist, so sei dir, was sie hervortreibt, willkommen, oder sie hat sich nur ein für allemal schöpferisch erzeigt, das übrige aber ist, nach einer notwendigen Aufeinanderfolge gewissermaßen eines in dem andern begründet und enthalten; oder das Ganze ist nur ein Gewirr von Atomen oder unteilbaren Teilchen. Kurz, gibt es einen Gott, so steht alles gut; herrscht aber das Ungefähr, so folge du doch keinem blinden Ungefähr. Bald wird die Erde uns alle bedecken; hierauf wird auch sie selbst sich verwandeln und so fort bis ins Unendliche. Denn wer diese übereinander wogenden Fluten von Verwandlungen und Veränderungen mit ihrer reißenden Schnelligkeit erwägt, der wird alles Sterbliche gering achten.

29.

Die Urkraft des Weltganzen ist wie ein gewaltiger Strom, der alles mit sich fortreißt. Wie unbedeutend sind selbst diejenigen Staatsmänner, die die Geschäfte nach den Regeln der Weltweisheit zu lenken wähnen! O Eitelkeit! Was willst du, Mensch? Tue doch, was gerade jetzt die Natur von dir fordert. Wirke, solange du kannst, und blicke nicht um dich, ob's einer auch erfahren wird. Hoffe auch nicht auf einen platonischen Staat,Platos Republik. Dieser Idealstaat sollte die vollkommenste Vereinigung der Menschen unter dem Gesetze der Vernunft sein, worin Sittlichkeit und Glückseligkeit in der vollkommensten Harmonie angetroffen würden. sondern sei zufrieden, wenn es auch nur ein klein wenig vorwärts geht, und halte auch einen solchen kleinen Fortschritt nicht für unbedeutend. Denn wer kann die Grundsätze der Leute ändern? Was ist aber ohne eine Änderung der Grundsätze anders zu erwarten als ein Knechtsdienst unter Seufzen, ein erheuchelter Gehorsam? Und nun komm und sprich mir von einem Alexander, Philipp und Demetrius von Phalerum.Demetrius, geb. 345, ausgezeichnet als Redner, Staatsmann und Philosoph, eine Zeitlang der Abgott der wankelmütigen Athener. Wie steht's damit, ob sie den Willen der Allnatur erkannt haben und ihre eigenen Erzieher geworden sind? Haben sie aber nur eine Schauspielerrolle gespielt, so verdammt mich niemand dazu, sie ihnen nachzuspielen. Die Philosophie lehrt mich Einfachheit und Bescheidenheit; fort mit vornehmtuender Aufgeblasenheit!

30.

Wie von einer Anhöhe aus betrachte die unzähligen Volkshaufen mit ihren unzähligen Religionsgebräuchen, die Seefahrten nach allen Richtungen unter Stürmen und bei ruhiger See und die Verschiedenheiten zwischen den werdenden, mit uns lebenden und dahinschwindenden Wesen. Betrachte auch die Lebensweise, wie sie vormals herrschend war, wie sie nach dir sein wird und wie sie jetzt unter unkultivierten Völkerschaften herrscht. Ferner, wie viele nicht einmal deinen Namen kennen, wie viele ihn gar bald vergessen, wie viele, jetzt vielleicht deine Lobredner, nächstens deinen Tadel anstimmen werden, und wie weder der Nachruhm noch das Ansehen noch sonst etwas von allem, was dazu gehört, Beachtung verdient.

31.

Zeige Gemütsruhe den Dingen gegenüber, die von äußeren Ursachen herkommen, und Gerechtigkeit bei denen, die von deiner eigenen Tatkraft bewirkt werden, das heißt, dein Streben und Tun soll kein anderes Ziel haben als das allgemeine Beste; denn das ist deiner Natur gemäß.

32.

Viele unnötige Anlässe zu deiner Beunruhigung, die nur auf deiner falschen Vorstellung beruhen, kannst du aus dem Weg schaffen und dir selbst unverzüglich einen weiten Spielraum eröffnen; umfasse nur mit deinem Geiste das ganze Weltall, betrachte die ewige Dauer und dann wieder die rasche Verwandlung jedes einzelnen Gegenstandes; welch kurzer Zeitraum liegt zwischen der Entstehung und Auflösung der Geschöpfe; wie unermeßlich ist die Zeit, die ihrer Entstehung voranging, wie unendlich gleicherweise die Zeit, die ihrer Auflösung folgen wird!

33.

Alles, was du siehst, wird sich bald verändern, und die, welche diesen Veränderungen zuschauen, werden selbst auch sehr bald vergehen, und derjenige, der in einem hohen Alter stirbt, wird vor einem Frühverstorbenen nichts voraus haben.

34.

Sieh stets auf die herrschenden Grundsätze der Menschen, auf die Gegenstände ihrer Bemühungen und die Beweggründe ihrer Zuneigung und Wertschätzung, mit einem Wort, suche ihre Gemüter ohne alle Hülle zu erkennen. Wenn sie glauben, durch ihren Tadel zu schaden oder durch ihre Lobpreisungen zu nützen, welch ein Wahn!

35.

Ein Verlust ist weiter nichts als eine Umwandlung, und daran findet die Allnatur Vergnügen, sie, die alles mit so großer Weisheit tut, von Ewigkeit her gleicherweise tat und ins Unendliche so tun wird. Wie kannst du nun sagen, alles, was auch geschehen sei oder immer geschehen werde, sei schlecht und folglich unter so vielen Göttern nie ein Vermögen aufzufinden gewesen, um diese Zustände zu verbessern, vielmehr sei die Welt verdammt, in den Banden unaufhörlicher Übel zu verharren.

36.

Der Stoff jedes Gegenstandes ist Fäulnis: Wasser, Staub, Knochen, Unflat. Die Marmorbrüche sind nur Verhärtungen der Erde, Gold und Silber nur Bodensatz, unsere Kleidung Tierhaare, Purpur Blut, und so verhält sich's mit allem übrigen. Selbst der Lehensgeist gehört in diese Klasse, weil auch er einer steten Umwandlung unterworfen ist.

37.

Genug des elenden Lebens, des Murrens und des lächerlichen Benehmens. Was beunruhigt dich? Was findest du hier so unerhört? Was macht dich ängstlich? Die ursächliche Kraft der Dinge? Beobachte sie nur! Aber vielleicht der Stoff? Besieh ihn nur! Außer diesen aber gibt es ja nichts. Sei also doch endlich einmal argloser und freundlicher gegen die Götter! Ist es ja einerlei, ob du hundert oder nur drei Jahre lang den Lauf der Welt betrachtest.

38.

Hat jemand sich vergangen, so ist das sein Schade; vielleicht aber hat er sich nicht einmal vergangen.Wir sollen also nicht vorschnell über unsere Nebenmenschen urteilen.

39.

Entweder ist ein denkendes Wesen die Urquelle, von der dem ganzen Weltall, als einem Körper, alles zuströmt, und alsdann darf sich der Teil über dasjenige, was zum Nutzen des Ganzen geschieht, nicht beklagen, oder das All ist ein Gewirr von Atomen, eine zufällige Mischung und dann wieder Trennung; wozu dann deine Unruhe? Sprich eben zu deiner Seele: Du bist tot, bist nur Schein und Verwesung, denkst nur wie ein Tier, deinen Hunger zu stillen und deine Bedürfnisse Zu befriedigen.

40.

Entweder vermögen die Götter nichts, oder sie vermögen etwas. Wenn sie nun nichts vermögen, warum betest du? Sind sie aber mächtig, warum flehst du sie nicht, statt um Abwendung dieses oder jenes Übels oder um Verleihung dieses oder jenes Gutes, vielmehr um die Gabe an, nichts von alle dem zu fürchten oder zu begehren oder darüber zu trauern? Denn wenn sie überhaupt den Menschen zu helfen vermögen, so können sie auch dazu verhelfen. Aber vielleicht entgegnest du: Das haben die Götter in meine Macht gestellt. Nun, ist es da nicht besser, das, was in deiner Macht steht, mit Freiheit zu gebrauchen, als zu dem, was nicht in deiner Macht steht, mit sklavischer Erniedrigung dich hinreißen zu lassen? Wer hat dir denn aber gesagt, daß die Götter uns in dem, was von uns abhängt, nicht zu Hilfe kommen? Fange doch nur einmal an, um solche Dinge zu beten, und du wirst sehen. Der fleht: Wie erlange ich doch die Gunst jener Geliebten? Du: Wie entreiße ich mich dem Verlangen danach? Der: Wie fange ich's an, um von jenem Übel frei zu werden? Du: Wie fange ich's an, um der Befreiung davon nicht zu bedürfen? Ein anderer: Was ist zu tun, daß ich mein Söhnchen nicht verliere? Du: Was ist zu tun, daß ich seinen Verlust nicht fürchte? Mit einem Wort: Gib allen deinen Gebeten eine solche Richtung, und du wirst den Erfolg sehen.

41.

Während meiner Krankheit, sagt Epikur, unterhielt ich mich nicht über meine körperlichen Leiden, auch sprach ich nicht mit denen, die mich besuchten, davon; vielmehr setzte ich meine früher angefangenen Naturforschungen fort und beschäftigte mich hauptsächlich mit der Frage, wie die denkende Seele, trotz ihrer Teilnahme an den Empfindungen des Körpers, unerschütterlich bleiben und das ihr eigentümliche Gut bewahren könne. Auch gab ich, fährt er fort, den Ärzten keine Veranlassung, sich damit zu brüsten, als hätten sie Wunder was an mir getan; vielmehr führte ich auch damals ein gutes und heiteres Leben. Tue es ihm nur nach in Krankheitsfällen und in allen Lagen des Lebens. Den Grundsatz haben ja alle Schulen gemein, bei allen möglichen Vorkommnissen der Philosophie nicht untreu zu werden und in das Geschwätz unwissender, der Natur unkundiger Menschen nicht einzustimmen, vielmehr nur auf das, was gerade jetzt zu tun ist, und die zu dessen Ausführung dienlichen Hilfsmittel achtzuhaben.

42.

Sooft du an der Unverschämtheit jemandes Anstoß nimmst, frage dich sogleich: Ist es auch möglich, daß es in der Welt keine unverschämten Leute gibt? Das ist nicht möglich. Verlange also nicht das Unmögliche. Jener ist eben einer von den Unverschämten, die es in der Welt geben muß. Dieselbe Frage sei dir zur Hand hinsichtlich der Schlauköpfe, der Treulosen und jedes Fehlenden. Denn sobald du dich daran erinnerst, daß das Dasein von Leuten dieses Gelichters nun einmal nicht zu verhindern ist, wirst du auch gegen jeden einzelnen derselben milder gesinnt werden. Auch das frommt, wenn man sogleich bedenkt, welche Tugend die Natur dem Menschen diesen Untugenden gegenüber verliehen hat. So verlieh sie ja dem Rücksichtslosen gegenüber, als eine Art Gegengift, die Sanftmut, und wieder einem andern eine andere Gegenkraft, und im ganzen steht es in deiner Gewalt, den Irrenden den rechten Weg zu zeigen. Jeder Fehlende aber irrt, insofern er sein Ziel verfehlt. Und nun, welchen Nachteil hast du dadurch erlitten? Du wirst finden, daß keiner von denen, über die du dich so sehr ereiferst, durch irgendeine seiner Übeltaten deine denkende Seele hat verschlechtern können, vielmehr haben eben in dieser dein Übel und dein Schaden ihren vollen Grund. Wenn aber ein ungebildeter Mensch eben wie ein Ungebildeter sich beträgt, was ist denn Schlimmes oder Seltsames daran? Sieh zu, ob du nicht vielmehr dich selbst deshalb anklagen solltest, daß solch ein fehlerhaftes Benehmen von diesem Menschen dir so unerwartet kam. Gab dir ja doch deine Vernunft Anlaß genug zu dem Gedanken, daß es wahrscheinlich sei, er werde sich so vergehen, und dennoch vergaßest du das und wunderst dich jetzt, daß er sich vergangen hat. Besonders aber, sooft du dich über Treulosigkeit und Undank von jemand zu beschweren hast, richte deinen Blick auf dein eigenes Innere. Denn offenbar liegt hier der Fehler auf deiner Seite, wenn du einem Menschen von dieser Gesinnung zutrautest, daß er sein Wort halten werde, oder wenn du ihm nicht ohne allerlei Nebenabsichten eine Wohltat erzeigtest und nicht vielmehr in dem Gedanken, daß du von deiner Handlung selbst schon alle Frucht eingeerntet habest. Denn was willst du noch weiter, wenn du einem Menschen eine Wohltat erwiesen hast? Genügt es dir nicht, daß du deiner Natur gemäß etwas getan hast, sondern verlangst du noch eine Belohnung dafür? Als ob das Auge dafür, daß es sieht, oder die Füße dafür, daß sie gehen, einen Lohn fordern könnten! Denn wie diese Glieder dazu geschaffen sind, daß sie im Vollzug ihrer natürlichen Verrichtungen ihren Zweck erfüllen, so erfüllt auch der Mensch, zum Wohltun geboren, sooft er eine Wohltat erweist oder etwas für den allgemeinen Nutzen Förderliches leistet, seinen natürlichen Zweck und empfängt damit das Seinige.


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