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Der Sommer entfaltete sich überfüllt von Licht und Wärme; es schien, daß ein goldener Schleier zwischen dem lichten, blauen Himmel und der glutmüden Erde bebe und sich in tausend Falten breche. In stumpfer Ermattung standen die Bäume, von den heißen Dünsten erschlafft mit gesenkten Blättern; ihre kurzen, durchsichtigen Schatten lagen hilflos in dem staubigen, matten Gras.
In den Zimmern aber war es kühl. Die Lichtreflexe vom Garten schimmerten grünlich auf den Decken und die Gardinen schwankten seltsam lebendig, während alles sonst in gepreßter Ruhe erstarrte, an den Fenstern.
Den weißen Kittel geöffnet, schritt Sarudin langsam von einer Zimmerecke in die andere. Mit besonderer von ihm mühsam herausgearbeiteter Nonchalance rauchte er eine Zigarette, wobei seine großen, weißen Zähne deutlich aus dem Munde hervortraten. Tanarow, ebenfalls schweißdurchnäßt, lag in breiten Reithosen auf dem Divan und sah mit kleinen, schwarzen Aeuglein voll verstohlener Besorgnis auf ihn. Er brauchte fünfzig Rubel erbarmungslos notwendig. Schon zweimal hatte er Sarudin darum gebeten, aber da er nicht wagte, sie zum drittenmal zu fordern, wartete er in Aengsten, bis sich Sarudin selbst daran erinnern würde.
Dieser wußte davon, doch im Laufe des letzten Monats hatte er selbst 700 Rubel verspielt und er ärgerte sich über alles, was mit Schuldenmachen zusammenhing.
– – – Er ist mir ohnedies noch 250 Rubel schuldig, dachte er, und ohne auf Tanarow zu blicken, wurde er bei dem Gedanken über die unvermuteten Ausgaben immer verbissener.
– – – Eigentümlich, wir sind zwar in den besten Beziehungen zu einander, aber er sollte sich doch wirklich schämen. Müßte sich doch wenigstens entschuldigen, daß er mir noch soviel schuldig ist, – – – nein, ich gebe ihm nichts, fügte er mit böser Freude in Gedanken hinzu.
Der Bursche trat herein. Ein winziger sommersprossiger Kerl, mit Federn überdeckt. Krumm und schlapp suchte er seinen Körper in die vorschriftsmäßige Haltung zurechtzurücken und dabei Tanarow ins Auge zu fassen.
»Hochwohlgeboren erlauben zu melden, daß, wie Ihre Hochwohlgeboren Bier verlangt hatten, dieses Bier grade alle ist.«
Mit aufflammender Wut sah Sarudin unwillkürlich Tanarow an.
– – – Na, da haben wir's wieder. Hol ihn der Teufel. Das wird ja schließlich unerträglich. Er weiß doch, daß ich selbst keinen Groschen übrig habe und da läßt er sich noch Bier holen.
»Auch der Wodka wird alle,« fügte der Bursche hinzu.
»Aber scher dich doch zum Teufel ... Was, du mußt doch noch zwei Rubel haben. Kaufe eben, was nötig ist.« Sarudin winkte in wachsendem Zorn dem Burschen, abzutreten.
»Garnichts! ... Nichts ist übrig geblieben.«
»Was heißt das? .. Was lügst du da? ..« schrie ihn Sarudin an und blieb stehen.
»Wie Seine Hochwohlgeboren befohlen haben, der Waschfrau zu bezahlen, so habe ich ihr einen Rubel siebzig Kopeken bezahlt, und dreißig Kopeken habe ich in Ihre Hochwohlgeboren Arbeitszimmer auf den Tisch gelegt.«
»Ach ja,« warf Tanarow, mit geheuchelter Nachlässigkeit ein, während er rot wurde und sich aufregte, »ich habe es ihm gestern gesagt. Weißt du, es war schon peinlich, die ganze Woche lief das Weib mir das Haus ein.«
Rote Flecken erschienen auf den festen, glattrasierten Wangen Sarudins und unter ihrer feinen Haut gerieten die Backenknochen in zitternde Erregung. Schweigend ging er im Zimmer auf und ab. Mit einemmal blieb er neben Tanarow stehen.
»Hör einmal,« sagte er mit seltsam zitternder, scharf verletzender Stimme, »ich möchte dich doch bitten, nicht über mein Geld zu verfügen ..«
Tanarow errötete über und über und geriet in Bewegung.
»Hm, was ist das? ... Diese Kleinigkeiten ...« murmelte er verletzt und zog die Schultern zusammen.
»Dabei handelt es sich garnicht um die Kleinigkeiten,« entgegnete Sarudin ihm mit grausamen Vergnügen, als müßte er sich an ihm rächen. »Nein, um ein Prinzip. Aus welchem Grunde sage bitte, ...«
»Ich ...«
»Nein, ich muß dich ganz entschieden darum bitten,« fiel ihm Sarudin hartnäckig mit demselben niederdrückenden Ton ins Wort. »Und schließlich könntest du dich doch in solchem Fall zunächst einmal an mich wenden. Auf diese Weise, das ist wirklich sehr wenig angenehm.«
Tanarow bewegte hilflos die Lippen und senkte die Augen; er zupfte mit zitternden Fingern an dem Perlmuttermundstück seiner Zigarrenspitze. Sarudin wartete noch eine Weile auf Antwort, dann drehte er sich jäh um und machte sich, mit dem Schlüssel rasselnd, an der Tischschublade zu schaffen.
»Hier, kaufe, was du brauchst!« schrie er den Burschen zornig an und reichte ihm eine Hundertrubelnote. »Zu Befehl,« sagte der Soldat, machte linksum kehrt und ging hinaus.
Langsam und nachdrücklich klapperte Sarudin mit den Schlüsseln an der Schublade und schob sie zu. Tanarow sah verstohlen auf das Fach, in dem die für ihn so notwendigen fünfzig Rubel lagen, begleitete das Schließen der Schublade mit schüchternen Blicken und begann mechanisch eine Zigarette anzuzünden. Er fühlte sich sehr gekränkt, gleichzeitig damit aber fürchtete er, dieser Empfindung Ausdruck zu geben, um Sarudin nicht noch mehr zu erzürnen.
– – – Was machen schon für ihn zwei Rubel aus. Er weiß doch wie notwendig ich das Geld brauche ...
Sarudin ging im Zimmer auf und ab; er zitterte noch vor Aufregung. Aber allmählich begann er sich zu beruhigen und als der Bursche Bier brachte, trank er selbst mit Genuß ein Glas des eisigen, schäumenden Trankes. Plötzlich sagte er ganz ruhig, als ob garnichts vorgefallen wäre, während er die Schnurrbartenden durch die Lippenwinkel zog:
»Gestern war Lyda wieder bei mir! Bruder, das ist ein interessantes Mädchen. Feuer!«
Tanarow schwieg verdrossen. Ohne es zu bemerken, schritt Sarudin weiter langsam durch das Zimmer und seine Augen lächelten belebt den Erinnerungen nach. Sein gesunder, starker Körper war unter der Hitze erschlafft, sodaß glühende, erregende Gedanken die Oberhand gewinnen konnten und ihn fortrissen. Plötzlich lachte er laut, kurz wiehernd auf. Er blieb stehen.
»Weißt du, gestern wollte ich mal, ...« er nannte hier ein sehr eindeutiges Wort, das für die Frau äußerst verletzend ist. »Da ist sie zuerst in die Höhe gegangen, hat sich auf die Hinterfüße gesetzt, weißt du solch ein stolzes Leuchten steigt bei ihr manchmal in die Augen ...«
Tanarow, dessen Leib sich bei diesen Worten rasch und gierig spannte, löste auf seinem Gesicht erzwungen ein klebriges und aufgeregtes Lächeln aus.
»Und dann, ... na, sodaß ich selbst fast in Krämpfe verfiel,« schloß Sarudin, der noch unter der unerträglich scharfen Erinnerung nachzitterte.
»Du hast Schwein, hol's der Kuckuck,« rief neidisch Tanarow.
Plötzlich ertönte von der Straße her die laute Stimme Iwanows: »Ist Sarudin zu Haus? ... Darf man zu Ihnen? ...«
Sarudin erschrak bei dem plötzlichen Anruf und fürchtete, wie stets, daß jemand etwas von seiner Erzählung über Lyda Ssanina gehört hätte.
Aber Iwanow schrie über den Zaun von der Nebengasse her; er war nicht einmal zu sehen.
»Zu Hause, zu Hause,« rief Sarudin durch das Fenster zurück.
Im Vorzimmer ertönten Stimmen und Lachen, als wenn dort eine ganze Volksmenge hineingeströmt wäre.
Iwanow, Nowikow, ein Rittmeister Malinowski, zwei andere Offiziere und Ssanin traten herein.
»Hurra,« brüllte Malinowski, sich schief über die Schwelle schiebend, während über sein dunkelrotes Gesicht mit zitternden, aufgespannten Backen und einem buschigen Schnurrbart, der wie zwei Roggengarben in die Luft starrte, ein grelles Blinken glitt.
»Guten Morgen, Kinder.«
– – – Na, zum Teufel, dachte Sarudin ärgerlich, da geht wieder ein 25-Rubelschein zum Teufel. Aber doch befürchtete er noch mehr, daß irgend jemand denken könnte, er wäre nicht der freigebigste, reichste und kameradschaftlichste Kerl im Regiment. Deshalb rief er mit breitem Lächeln: »Woher kommen Sie in so großer Gesellschaft? ... He, Tscheriepanow, schleife Wodka her und was du sonst noch hast. Laufe in das Kasino und lasse sofort einen Kasten Bier heranschleppen. Wollen Sie Bier, Herrschaften. Es ist doch heiß.«
Als erst Wodka und Bier kamen, wurde der Lärm noch stärker. Man lachte, brüllte in ungezügelter Lustigkeit; alle tranken und lärmten durcheinander. Nur Nowikow blieb trübe gestimmt und sein stets weichliches und bequemes Gesicht war unheilvoll durchleuchtet. Erst gestern hatte er das erfahren, was für ihn bisher unbekannt geblieben war, trotzdem die ganze Stadt bereits über die Affäre tuschelte. Das Gefühl, unerträglich verletzt und in seiner Eifersucht gedemütigt zu sein, hatte ihn im ersten Augenblick betäubt. Es ist nicht möglich, es ist Unsinn, Klatsch ... sein Hirn weigerte sich, das Bild Lydas, in die er so rein und mit Ehrfurcht verliebt war, in widerwärtig schmutzige Nähe zu Sarudin, den er für unendlich niedriger stehend und dümmer hielt als sich, kommen zu lassen.
Doch dann brach tief aus seiner Seele wilde, tierische Eifersucht hervor und begrub alles. Es gab einen Augenblick bitterer Verzweiflung und dann des fürchterlichsten, fast elementaren Hasses gegen Lyda und vor allem gegen Sarudin. Diese Empörung war seiner weichen schlaffen Seele so ungewohnt, daß er für sie nach irgend einem Ausweg suchen mußte, wenn sie ihn nicht ganz zerreiben sollte. Die ganze Nacht hindurch schwankte er auf der krankhaften Grenze zwischen quälerischer Selbstpeinigung und dem vagen Gedanken an Selbstmord. Gegen Morgen war er wie erstarrt und nur das sonderbare, trübe Verlangen, Sarudin zu sehen, vibrierte noch in seinen Empfindungen.
Jetzt, unter den Ausrufen der lärmenden und betrunkenen Stimmen, saß er abseits, trank ganz mechanisch große Massen Bier, und mit jeder Fiber seiner angespannten Empfindlichkeit beobachtete er die Bewegungen Sarudins, wie ein Tier, das im Walde einem anderen entgegenschleicht, schon zum Sprunge gebückt, und sich doch verstellt, als ob es nichts sähe.
Alles, was von Sarudin ausging, stieß mit scharfen Schlägen an eine überreizt zarte Stelle Nowikows, die jetzt sein ganzes Wesen zu bilden schien, alles, sowohl das Lächeln Sarudins, das seine weißen Zähne zeigte, wie seine Schönheit, sein Lachen, seine brutale Stimme.
»Sarudin,« sagte ein langer eckiger Offizier, mit unmäßig langen, am Körper baumelnden Armen. »Ich habe dir ein Buch mitgebracht.« Und durch den wüsten Lärm hindurch hörte Nowikow allein den Namen und die antwortende Stimme Sarudins heraus, als ob alle anderen schwiegen und nur dieser eine redete.
»Welches denn? ...«
»Von Tolstoi ... Ueber Frauen,« gab der dürre Offizier mit Stolz aber deutlich wie beim Dienstrapport zurück.
Auf seinem farblosen schmalen Gesicht stand klar ausgedrückt, daß er sehr befriedigt war, Tolstoi zu lesen und über ihn zu sprechen.
Iwanow fiel dieser stolze und naive Ausdruck sofort auf und er fragte ironisch: »Lesen Sie auch manchmal Tolstoi? ...«
»Von Deutz ist ja unser Tolstoianer,« erklärte der betrunkene Malinowski und lachte auf.
Sarudin nahm die dünne, rote Broschüre zur Hand und blätterte ein paar Seiten um:
»Ist das interessant? ...«
»Na, das wirst du schon merken!« Die Antwort von Deutz' überstürzte sich fast vor Begeisterung. »Das ist ein Kopf, sage ich dir. Da kommt's einem vor, als ob man selber alles wüßte ...«
»Aber wozu ... braucht denn Viktor Sergejewitsch Tolstoi vorzunehmen, wenn seine eigenen Ansichten über Frauen schon völlig feststehen...« sagte Nowikow, nicht laut, ohne daß er dabei die Augen vom Glase abwendete.
»Woraus schließen Sie das? ...« fragte Sarudin, der instinktiv den Angriff spürte, aber ihn noch nicht ganz verstand, vorsichtig.
Nowikow schwieg. Alles riß ihn dazu hin, Sarudin anzubrüllen, ihm ins Gesicht zu schlagen, in dieses prächtige, selbstgefällige Gesicht, ihn zu Boden zu werfen und ihn in einem wilden Ausbruch seines Zornes, der endlich in die Freiheit strömen kann, mit den Füßen zu zerstampfen.
Aber kein Wort kam auf seine Zunge. Unter dem klaren Bewußtsein, daß er garnicht das spräche, worauf es ankomme, litt er nur noch mehr. Er wurde fast zum Wahnsinn getrieben; er lächelte verzerrt; er sagte: »Es genügt, Sie nur anzusehen ... um zu diesem Schluß zu kommen.«
Der eigentümlich tragische Ton seiner Stimme zerschnitt im Augenblick den allgemeinen Lärm und plötzlich verstummte alles, wie vor einem Morde. Iwanow erriet zuerst, um was es sich handelte.
Sarudins Gesicht hatte sich unter den letzten Worten kaum merklich verändert, doch sofort beherrschte er sich wieder, als ob er ein scheues Pferd bestiege, dessen Nervosität er kenne ...
»Nu, ... Herrschaften, Herrschaften, was soll denn hier vorgehen,« rief Iwanow.
»Laß sie, laß sie sich ruhig prügeln,« fiel ihm Ssanin lächelnd ins Wort.
»Mir scheint es garnicht, sondern es ist so,« fuhr Nowikow anstelle Sarudins fort, noch immer nicht den Kopf vom Glase hebend und ohne seinen Tonfall zu ändern.
Aber eine lebendige Wand von schreienden Stimmen, Armbewegungen, lachenden Gesichtern und Zwischenrufen, schob sich zwischen sie.
Sarudin wurde von Deutz und Malinowski zur Seite gedrängt; Nowikow von Iwanow und einem anderen Offizier. Tanarow begann die Gläser zu füllen und irgendwas zu schreien, ohne sich an jemanden direkt zu wenden.
Es entstand eine falsche, gewaltsam fröhliche Erregung, die für einen Augenblick den Streit verwischte. Mit einemmal empfand Nowikow, daß er die Kraft verloren hatte, diesen Zustand fortzusetzen. Er verzog seine Lippen zu einem unsinnigen Lächeln, sah sich nach Iwanow und einem der Offiziere um, die ihn mit Gesprächen festzuhalten versuchten und dachte ratlos:
– – – Was mache ich nur. Zuhauen muß man. Einfach hingehen und in die Schnauze schlagen. Sonst bleibe ich ja in der dümmsten Lage. Alle müssen es verstanden haben, daß ich den Streit suchte ...
Aber statt dessen lauschte er mit gemachtem Interesse auf das, was Iwanow und von Deutz sprachen.
»In seinen Ansichten über die Frau bin ich nicht völlig mit ihm einverstanden,« sprach selbstgefällig der Offizier.
»Die Frau ist zunächst mal ein Weibchen,« erklärte Iwanow. »Unter Männern könnte man vielleicht noch einen auf Tausend finden, der den Namen Mensch verdient. Aber unter den Frauen, nein, unter ihnen gibt es keinen Einzigen. Nacklige, rosige, fette, schwanzlose Affen sind es und weiter nichts.«
»Das ist ja äußerst originell bemerkt; – – « von Deutz kaute sichtbar an dem Vergnügen über Iwanows letzter Phrase.
Nowikow dachte bitter vor sich hin, wie wahr das sei.
»Eh, mein Lieber,« erwiderte Iwanow, seine Hand grade vor der Nase von Deutz schwenkend, »erzählen Sie mal den Leuten: »Ich sage euch: jedes Weib, das einen Mann geil ansieht, treibt in ihrem Herzen schon Unzucht mit ihm.« Erzählen Sie das und die Meisten werden überzeugt sein, eine höchst originelle Sache zu hören.«
Von Deutz lachte mit heiserer Stimme, wie wenn ein Windhund plötzlich anschlägt, und sah Iwanow mißgünstig an. Den Spott verstand er nicht und er war nur neidisch, daß er sich nicht so witzig ausgedrückt hatte. Plötzlich reichte ihm Nowikow die Hand.
»Was denn?« fragte von Deutz verwundert. Neugierig und erwartungsvoll sah er auf die breite Handfläche.
Nowikow gab keine Antwort.
»Wohin?« erkundigte Ssanin sich ebenfalls.
Nowikow schwieg weiter. Er fühlte, daß nur ein Augenblick des Wartens genügen würde, um das Schluchzen, das ihm in der Kehle steckte, ausbrechen und jeden Rückhalt überströmen zu lassen.
Ssanin lächelte ihn ruhig und doch mit ernstem Interesse an: – – – »Ich verstehe, was mit dir ist. Spuck darauf! – – – «
Nowikow schaute mit wehleidigen Augen über ihn hin, seine Lippen zitterten; mit einer verzweifelten Handbewegung, als ob er alles, sich selbst, die Welt, beiseite schieben wollte, ging er fort, ohne weiter Abschied zu nehmen. Der Druck schwerer Ohnmacht, wie bei einem Menschen, der eine Last nicht anheben kann, biß sich in ihm fest und preßte ihn zu Boden. Um sich zu beruhigen, dachte Nowikow: – – – Nun, was schon, was wäre viel damit bewiesen, wenn ich diesem Halunken die Fresse eingeschlagen hätte. Es käme doch nur eine platte Keilerei heraus. Lohnte es sich wirklich, die Hände an ihm dreckig zu machen. – –
Doch das Gefühl unbefriedigter Eifersucht und der eigenen Schwäche verließ ihn nicht. In tiefster Trübsal kam er nach Hause, warf sich mit dem Gesicht in die Kissen und lag so den ganzen Tag über, nur von dem einen Gedanken gequält, daß er nichts tun könne ...
»Los, wollen Sie Macao spielen?« fragte Malinowski.
»Immer hingeschmissen!« erwiderte sofort Iwanow.
Der Bursche stellte den Kartentisch zurecht, und das grüne Tuch lächelte ihnen fröhlich entgegen. Eine konzentrierte Belebung ergriff alle. Malinowski begann, Karten zu geben, wobei seine behaarten Finger hart auf dem Tisch anschlugen. Gewandt zerstoben die bunten Karten in regelmäßigen Kreisen auf der grünen Decke; mit hellem Klang rollten die silbernen Rubel von einem Tableau zum andern und wie gierige Spinnen liefen nach allen Richtungen Finger über das Tuch, die das Geld aufrafften. Nur knappe Worte und eintönige wie auswendig gelernte Ausrufe des Aergers und des Vergnügens waren vernehmbar.
Sarudin hatte offensichtlich ganz besonderes Mißgeschick. Hartnäckig machte er immer wieder den Einsatz von fünfzehn Rubeln und bei jedem Mal wurde er vollständig abgeschlagen. Auf sein hübsches Gesicht traten die roten Flecke gegenstandsloser Erbitterung. Im Laufe des letzten Monats hatte er gegen 700 Rubel verspielt; jetzt fürchtete er sogar, den endgültigen Verlust genau festzustellen. Seine verdrießliche Stimmung teilte sich auch den andern mit. Von Deutz und Malinowski wechselten scharfe Worte miteinander.
Sehr bestimmt, wenn auch zurückhaltend, erklärte von Deutz, voller Verwunderung darüber, daß der betrunkene, ungeschlachte Malinowski sich überhaupt unterstand, mit ihm, dem klugen und distingierten von Deutz zu streiten: »Ich hatte wohl auf die Flügel gesetzt.«
»Was wollen Sie mir einreden?« warf ihm dieser grob entgegen. »Hol's der Teufel. Schlage ich, so sagt man Auf Flügel und wenn ich gebe ...
Von Deutz brauste auf. »Aber erlauben Sie mal.« Sofort, wie immer, wenn er aufgeregt war, wurde seine Aussprache unrussisch und deutsche Laute mengten sich komisch hinein.
»Nichts will ich erlauben. Nehmen Sie das zurück ... nein, bitte, nehmen Sie das zurück.«
»Meine Herren, aber das ist doch, – – wirklich zum Teufel,« schrie Sarudin wütend, die Karten mit Gewalt auf den Tisch werfend.
Aber sogleich erschrak er seines jähen Ausrufs wegen ebenso wie über die betrunkenen, verzerrten Gesichter, Karten und Flaschen, über das ganze Bild eines platten soldatischen Trinkgelages, denn – – in der Tür hatte er plötzlich ein neues Gesicht auftauchen sehen.
Ein hochgewachsener schlanker Mann in einem bequemen, weißen Kostüm hielt verwundert auf der Schwelle an; seine Augen suchten Sarudin. »Ah, Pawl Lwowitsch! Welches Schicksal hat Sie zu uns hergeweht?« rief dieser rot im Gesicht und stürzte ihm eilig entgegen. Der Herr trat unschlüssig tiefer in das Zimmer ein und den Anwesenden fielen sofort seine weißen Stiefel auf, die aus dem Morast von Bierlachen, Korken und zertretenen Zigarrenresten besonders hervorstachen. Er war so weiß, sauber und parfümiert, daß er zwischen den Wolken Tabakdampfes und den betrunkenen, überhitzten Menschen, an eine Lilie im Sumpfe erinnern konnte, wäre er nicht so hilflos dünn, so ausgemergelt gewandt gewesen und hätte er nicht ein so kleines Gesichtchen mit schlechten Zähnen und einem winzigen Schnurrbart gehabt.
»Woher kommen Sie? Haben Sie Pitier schon lange hinter sich?« sagte Sarudin zu ihm mit überflüssiger Eile, wobei er ihm stark die Hand drückte und gleichzeitig wieder ängstlich überlegte, ob es nicht ein faux Pas gewesen wäre, das legere Pitier statt des St. Petersburg zu gebrauchen.
»Ich bin erst gestern angekommen,« antwortete endlich der Weißgekleidete. Seine Stimme war selbstgefällig aber saftlos, wie ein abgeschnürter Hahnenschrei.
»Meine Kameraden,« stellte Sarudin vor. »Von Deutz, Malinowski, Tanarow, die Herren Ssanin, Iwanow. Meine Herren, ... Pawl Lwowitsch Woloschin.«
Woloschin verneigte sich ein wenig.
»Wollen's uns vormerken,« antwortete zum Entsetzen Sarudins der betrunkene Iwanow. »Bitte hier, Pawl Lwowitsch, belieben Sie Bier oder vielleicht Wein.«
Woloschin ließ sich vorsichtig ins Fauteuil nieder; er schimmerte auf dem groben Gummituchüberzug in seinem matten Weiß.
»Ich komme nur auf eine Sekunde mit heran. Bitte, lassen Sie sich nicht stören,« entgegnete er mit leichter Kühle des Unbehagens, indem er die Gesellschaft musterte.
»Aber warum das? ... Ich lasse sofort Weißen bringen. Ich weiß doch, Sie lieben ihn.« Sarudin stürzte ins Vorzimmer. – – – Dieses Luder hatte auch nichts anderes zu tun, als gerade heute hierherzukommen, dachte er wütend, während er dem Burschen befahl, nach Wein zu laufen. – – – Später erzählt dieser Woloschin bei allen Bekannten in Petersburg solchen Unsinn, daß man mich in kein anständiges Haus mehr aufnehmen wird.
Inzwischen fuhr Woloschin fort, ohne es im geringsten zu verbergen, die Gesellschaft zu mustern, wie wenn er sich über alle unendlich erhaben fühlte. Der Blick seiner glasgrauen Aeuglein war voll aufrichtiger Neugier. Besonders der Wuchs, die offenbare Kraft und das Kostüm Ssanins lockten seine Aufmerksamkeit. Das ist ein interessanter Typus; darin liegt Kraft, dachte er mit der starken Zuneigung, die alle schwachen Menschen großen und starken gegenüber empfinden. Er wünschte Ssanin anzusprechen. Aber dieser blickte unbekümmert in den Garten, mit der Brust an das Fensterbrett gelehnt.
Schon das erste Wort seiner Anrede blieb Woloschin in der Kehle stecken; der saftlose, abgeriebene Klang seiner Stimme verletzte ihn selbst.
– – – Die andern, das ist irgend welch' Lumpenpack, dachte er sich.
Sarudin kehrte zurück. Er setzte sich neben Woloschin nieder. Höflich begann er ihn nach Petersburg und nach seiner Fabrik auszufragen, auch um seinen Bekannten verstehen zu geben, welch reicher und bedeutungsvoller Kerl dieser Gast sei.
»Alles nach dem alten Strich, wie Sie sehen,« antwortete nachlässig Woloschin. »Und was machen Sie?«
»Was kann man hier tun. Ich vegetiere!«
Woloschin schwieg und sah verächtlich zur Decke hoch, auf der die grünen Reflexe des Gartens lautlos hin- und herglitten.
»Wir kennen hier nur dies eine Vergnügen,« fuhr Sarudin mit bedeutungsvoller Geste fort, in der er alles, seine Gäste, die Flaschen und die Karten einfaßte.
»Jawohl,« sagte Woloschin mit unbestimmter Dehnung; aus seinem Ton hörte Sarudin die Frage heraus: und was bist du denn selbst? ...
Doch gleich darauf erhob er sich schon:
»Na, aber ich muß doch schon fort. Ich bin hier im Hotel auf dem Boulevard abgestiegen. Wir sehen uns natürlich noch?« Das letztere sprach Woloschin in verändertem Ton.
Gerade in diesem Augenblick trat der Bursche ein, nahm nachlässig die vorschriftsmäßige Haltung an und meldete:
»Hochwohlgeboren, das Fräulein sind da!« »Wie?« fragte Sarudin erschrocken.
»Jawohl!«
»Ach so, ja, ich weiß schon,« sagte Sarudin rasch und ungeschickt, während seine Augen unruhig über die Anwesenden hinliefen. Die Ahnung von Unannehmlichkeiten durchstach ihm das Herz. – Sollte das wirklich Lyda sein, dachte er verwundert.
In den Augen Woloschins flammte ein gieriges und neugieriges Feuerchen auf; sein schwächlicher Körper geriet unter dem weichen, weißen Kostüm in matte, konvulsivische Bewegungen.
»Na, nun auf Wiedersehen.« Er sprach ausdrucksvoller, mit andeutendem Lächeln. »Sie sind also immer noch derselbe? ...«
Sarudin lächelte ebenfalls; und war auch dies Lächeln unnatürlich, so mischten sich doch Selbstgefälligkeit und Besorgnis ein.
Von dem Hausherrn begleitet, ging Woloschin rasch hinaus, seine weißen Schuhe blinkten und seine scharfen Augen überspähten noch einmal das Ganze.
Sarudin kehrte zurück.
»Nun, meine Herren, was wird mit den Karten? ... Tanarow, übernimm du meine Partie, ich komme sofort zurück.«
»Lüge!« brüllte der ganz betrunkene, bullenartige Malinowski. »Wollen wir doch selbst mal sehen, was für ein Fräulein da ist.«
Tanarow packte ihn an den Schultern und drückte ihn mit Gewalt auf den Stuhl zurück. Die andern nahmen übereilig ihre Plätze wieder ein, wobei sie sich bemühten, Sarudin nicht anzuschauen.
Auch Ssanin setzte sich mit ernstem Lächeln nieder.
Er erriet, daß Lyda gekommen war, und das trübe Gefühl eifersüchtigen Mitleides zu seiner schönen und jetzt augenscheinlich unglücklichen Schwester erstand in ihm.