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Auf dem Bette Sarudins saß in einer unbestimmbar seitwärtigen Stellung Lyda Ssanina und knüllte ratlos ihr Taschentuch in den Händen.
Selbst Sarudin war von der Veränderung, die in ihr vorgegangen sein mußte, überrascht. Von dem schönen Mädchen voll stolzer Kraft war keine Spur geblieben. Ein krankes, ratloses Frauenzimmer saß da tiefgebückt vor ihm. Ihr Gesicht war eingefallen, blaß geworden, ihre dunklen Augen liefen aufgeregt hin und her. Als Sarudin kam, heftete sich ihr schwerer Blick eilends auf ihn, senkte sich aber sofort wieder. Instinktiv erriet er, daß sie sich vor ihm fürchtete. Ganz unerwartet stieg Aufregung und Zorn in ihm krampfartig empor. Er schloß die Tür fest ab, und anders wie früher, grob und gradeaus, trat er auf sie zu.
Er konnte sich kaum beherrschen; plötzlich hatte er das brennende Verlangen, sie zu schlagen: »Du bist eine verrückte Person. Bei mir steckt die ganze Bude voller Menschen, drin sitzt dein Bruder und du ... als wenn du auch keine andere Zeit finden könntest. Das ist ja ... zum Teufel.«
Die dunklen Augen hoben sich mit einem sonderbaren Aufleuchten zu ihm und wie stets erschrak Sarudin sofort wieder über seine Heftigkeit, bleckte ergeben seine weißen Zähne und, Lydas Hand ergreifend, setzte er sich an ihre Seite.
»Uebrigens ist es ja ganz gleich; ich fürchte doch nur deinetwegen. Ich bin froh, daß du kommst; ich hatte Sehnsucht nach dir.«
Er hob ihren weichen, etwas feuchten Arm mit dem vornehmen Geruch und küßte ihn vorsichtig oberhalb des Handschuhs.
»Ist das wahr? ...« Lyda fragte mit einem ihm unbekannten Ausdruck; wieder hob sie ihre Augen, deren Blicke Worte zu werden schienen, zu ihm: »... Ist das wahr, daß du mich liebst? Siehst du denn, wie elend und zerbrochen ich jetzt bin. Gar nicht mehr, die ich früher war. Ich fürchte mich vor dir. Ja, ich fange an, das Entsetzliche meiner Erniedrigung zu erraten. Hab ja aber niemanden, auf den ich mich stützen könnte ...«
»Zweifelst du? ...« erwiderte Sarudin unsicher, und ein feiner kalter Strahl, der ihm selbst peinlich war, machte sich in diesen Worten bemerkbar.
Wieder hob er ihren Arm, um ihn zu küssen.
Ein sonderbares, kompliziertes Durcheinander von Gedanken und Gefühlen regte sich in ihm. Erst zwei Tage zuvor lagen die matten Haare Lydas zerstreut auf demselben weißen Kissen, wand sich ihr heißer, biegsamer Körper im Ausbruche gewaltiger Leidenschaft, ihre Lippen flammten und Sarudins ganzes Wesen versank in dem fressenden Feuer unerträglichen Genusses.
In jenem Augenblick verband sich in ihm die ganze Welt, tausende von Frauen, alle Genüsse, das ganze Leben immer wollüstiger zu der schamlosen Grausamkeit, gerade diesem demütigen Körper Qualen zu verursachen.
Doch ebenso plötzlich schlug dieses Gefühl wieder um; Lyda wurde ihm widerwärtig. Er mußte von ihr fortgehen, sie von sich stoßen, nichts mehr von ihr hören und sehen. Der Widerwille zeigte sich so unversöhnlich, daß selbst das Sitzen an ihrer Seite zur Folter wurde. Aber gleichzeitig machte ihn die dunkle Angst vor ihr, die sich in ihm wand und krümmte, willenlos und heftete ihn an die Stelle. Mit seinem ganzen Wesen empfand er, daß ihn nichts mehr mit ihr zusammenhielt. Er hatte sie mit ihrem Einverständnis, ohne ihr das geringste Versprechen zu geben, besessen; er gab ihr nur das, was er selbst von ihr erhielt. Er erwartete, daß Lyda von ihm etwas fordern würde und er mußte entweder einwilligen oder er handelte lumpenhaft und schmutzig. Das Gefühl völliger Ohnmacht ergriff ihn, als hätte man aus seinen Gliedern alle Knochen herausgezogen und in seinen Mund statt seiner Zunge einen nassen Lappen gehängt. Diese Gedanken verletzten und empörten ihn. Es drängte ihn aufzuschreien, ihr ein für alle Mal zuzurufen, daß sie kein Recht hätte, etwas von ihm zu verlangen. Doch sein Herz zog sich nur feige zusammen und er rief nur eine Dummheit aus, die für ihn selbst unerwartet kam und garnicht zum Moment paßte.
»Oh, Weib, Weib, – – – so wie Shakespeare sagte.«
Lyda sah ihn erschrocken an. Und plötzlich wurde ihr Hirn von einem schonungslos grellen Licht durchflammt. Jetzt begriff sie, daß sie verloren war. Für einen Menschen, der in Wirklichkeit garnicht existierte, hatte sie das ungeheuer Reine und Große, das zu geben sie fähig war, von sich gerissen. Ihr herrliches Leben, ihre unwiederbringliche Reinheit war einem widerwärtigen und feigen Tierchen vor die Füße geworfen worden; es nahm nichts mit Freude und Dank für den Genuß entgegen, sondern bespritzte sie nur in Akten stumpfsinniger Gier mit Kot. Es gab einen Augenblick, wo sie der Ausbruch der Verzweiflung unter ohnmächtigem Schluchzen und Händeringen fast zu Boden warf.
Aber in krankhafter Geschwindigkeit wurde die Verzweiflung durch eine Flut rachsüchtigen, stechenden Hasses fortgeschwemmt.
»Begreifen Sie denn wirklich nicht, welch ein Idiot Sie sind?« stieß sie scharf und leise durch ihre zusammengepreßten Zähne, während sie sich seinem Gesicht dicht entgegenschob.
Diese groben Worte und der drängende, grimmige Blick waren bei der feinen und weiblichen Lyda so unerwartet, daß Sarudin unwillkürlich von ihr abrückte. Aber doch verstand er die ganze Bedeutung dieses Blicks noch nicht und versuchte ihn noch immer mit einem Scherz beiseite zu schieben.
»Was sind das für Ausdrücke,« sagte er verwundert und tat ein wenig verletzt.
»Ich habe an Wichtigeres als an die Ausdrücke zu denken.«
»Aber wozu gleich die Tragik!« Sarudin runzelte unmutig die Stirne. Er folgte mit plötzlich erwachter Begierde unbewußt der Wölbung ihrer ausgemeißelten Arme und schlanken Schultern.
Ihre verzweifelt hilflose Geste brachte ihm das Bewußtsein seiner eigenen Ueberlegenheit wieder zurück.
Es war, als ständen beide auf einer Wage. Senkte sich der eine, so hob sich sofort der andere. Mit besonderem Vergnügen fühlte Sarudin heraus, daß dieses Mädchen, das er innerlich für höherstehend wie sich selbst hielt, und vor dem er in Augenblicken wollüstiger Zärtlichkeiten nicht seine Scheu überwinden konnte, nach seinen Begriffen jetzt eine erbärmliche und erniedrigte Rolle spielte. Diese Ueberlegung war ihm angenehm und stimmte ihn weicher. Sarudin ergriff zärtlich ihre gesenkten, willenlosen Hände und zog sie leise an sich heran; er erregte sich schon jetzt und atmete heißer.
»Nun genug doch, es ist ja nichts Schreckliches passiert.«
»Glauben Sie?« fragte Lyda. Sie faßte ihn ganz eigentümlich ins Auge; aus ihrer Ironie holte sie plötzlich neue Kraft.
»Na, gewiß doch,« antwortete Sarudin und suchte sie mit einer erregenden und schamlosen Berührung zu umarmen. Aber von Lyda strömte ihm eisige Kühle, unter der seine Hände unwillkürlich erschlafften, entgegen.
»Nun genug doch! Warum bist du böse geworden, mein Kätzchen,« sagte er mit zärtlichem Vorwurf.
Mit einer bösen Bewegung riß sich Lyda aus seinen Armen los.
Sarudin fühlte sich physisch darüber verletzt, daß das Aufschnellen seiner Leidenschaft unnütz verloren gegangen war.
– – – weiß es der Teufel, dachte er. Da fange mal einer mit diesen Weibern an. Laut fragte er sie: »Was hast du denn eigentlich?« Auf seine Backenknochen traten rote Flecken.
Als hätte diese Frage in Lyda einen letzten Schleier zerrissen, schlug sie ihre Hände vors Gesicht und begann ganz unerwartet zu weinen. Sie schluchzte geradeso wie die Weiber im Dorfe schluchzen. Mit den Händen das Gesicht bedeckt, den ganzen Körper vornübergeneigt und die Laute gedehnt ausziehend. Die langen Haarsträhnen hingen längs des nassen Gesichts; sie wurde häßlich. Lächelnd und doch ängstlich, daß sie dieses Lächeln kränken könnte, versuchte er ihr die Hände vom Gesichte loszureißen, aber Lyda drückte sie hartnäckig dagegen und weinte ohne Unterbrechung.
»Ach du lieber Gott,« stieß Sarudin ärgerlich aus. Wieder kam ihm der Wunsch, ihr Grobheiten zu sagen, sie zu beschimpfen, an den Haaren zu zerren.
»Ja, was hast du denn eigentlich. Nun, du bist eben mit mir gelaufen, was schadet das schon. Und mit einemmal. Was ist denn Großes passiert? Hör doch endlich damit auf!«
Er ergriff sie am Arm.
Der Kopf Lydas mit dem nassen Gesicht und dem aufgelösten Haar erschütterte unter dem Stoß, und mit einemmal schwieg sie still, die Hände gesenkt, ganz zusammengekrümmt; in kindischer Furcht blickte sie zu ihm herauf. Der wahnsinnige Gedanke, daß von jetzt ab jeder das Recht hätte, sie zu schlagen, zuckte durch ihr Hirn. Doch Sarudin erschlaffte selbst wieder und sprach einschmeichelnd und unsicher:
»Aber Lydotschka, genug doch, du bist ja selbst schuld. Wozu diese Szenen. Nun, du hast gewiß viel verloren. Aber dafür gab es doch auch viel Glück. Niemals werden wir vergessen, – – diese – –«
Lyda weinte wieder.
»Aber so höre doch endlich auf!« Er ging im Zimmer auf und ab und zupfte den Schnurrbart über den nervös zitternden Lippen.
Es war still, und hinter dem Fenster schwankten leise, wahrscheinlich von einem Vogel bewegt, dünne, grüne Zweige.
Sarudin beherrschte sich mit Mühe, kam wieder auf Lyda zu und versuchte nochmals, sie vorsichtig zu umarmen. Doch sie riß sich augenblicklich mit scharfem Ruck von ihm los und stieß ihn mit dem Ellenbogen so gegen das Kinn, daß seine Zähne deutlich aneinanderknackten.
»Ah Teufel!« Er rief es, wütend über den Schmerz, aber noch mehr darum, weil das Klappern seiner Zähne sehr unerwartet und komisch war.
Obgleich es Lyda selbst garnicht bemerkt hatte, fühlte sie unwillkürlich, daß die Situation für Sarudin lächerlich geworden war. Und mit weiblicher Grausamkeit nützte sie diesen Umstand aus.
»Was sind das für Ausdrücke,« äffte sie höhnisch.
»Das kann jeden in Wut bringen, denke ich. Wenn man wenigstens wüßte, um was es sich handelt.«
»Und das merken Sie noch immer nicht?« Lyda behielt noch immer die gleiche Ironie bei.
Schweigen trat ein. Lyda sah ihn gerade an und ihr Gesicht flammte auf. Plötzlich begann Sarudin rasch und gleichmäßig blaß zu werden, als wenn eine graue Decke von außen über seine Mienen gezogen würde.
»Nun, weshalb schweigen Sie? ... Sagen Sie doch etwas! Trösten Sie doch! ...« Lydas Stimme brach in einen hysterischen Schrei ab, vor dem sie selbst erschreckte.
»Ich? ...« Sarudins Unterlippe zitterte.
»Gewiß! Kein anderer! Leider sind Sie es gerade!« schrie sie, fast erstickt von bösen, verzweifelten Worten, die den letzten Schleier der Feinheit zwischen ihnen zerrissen und mit einemmal aus ihnen eine verzerrte Bestie herausbrechen ließen.
Reihen von Gedanken durchschlüpften blitzschnell, einem Schwarm flinker Mäuse gleich, das Hirn Sarudins. Sein erster Gedanke war, Lyda Geld zu geben, damit sie die Frucht abtreibe und der Sache ein Ende mache. Aber trotzdem er das für das Beste hielt, wagte er es nicht vorzuschlagen.
»Das habe ich wirklich nicht erwartet,« stammelte er.
»Nicht erwartet? ... So. Und mit welchem Recht wagten Sie es, das nicht zu erwarten?«
»Lyda ... ich habe doch eigentlich nichts ..« Sarudin fürchtete seine eigenen Worte schon im Voraus, sah aber ein, daß es gesagt werden mußte.
Lyda verstand ihn auch so. Wilde Verzweiflung durchbrach ihr schönes Gesicht. Ohnmächtig ließ sie die Hände fallen und setzte sich aufs Bett.
»Gott, was soll ich denn nur machen,« sagte sie mit seltsamer Nachdenklichkeit vor sich hin. »Soll ich ins Wasser gehen ... oder wie, was? ...«
»Na, ... warum gleich das!«
»Und wissen Sie, Viktor Sergejewitsch ... Sie hätten wahrscheinlich garnichts dagegen, wenn ich es wirklich täte!« In ihren Augen und den Zuckungen der feinen Lippen lag etwas so Trauriges und Furchtbares, daß Sarudin unwillkürlich die Augen abwendete.
Lyda stand auf. Ekelndes Grauen packte sie plötzlich, daß sie nur einen Augenblick an ihn als ihren Retter denken konnte; daran, daß sie mit ihm für immer leben sollte. Und nun wünschte sie, nur noch einmal mit der Hand abzuwinken, um ihm mit dieser einen Bewegung ihre Verachtung auszudrücken und alle Demütigungen zu rächen; doch sie fühlte, daß sie, sobald sie zu sprechen begänne, auch anfangen müsse, zu weinen und sich dann nur noch mehr erniedrigen würde. Eine Regung des Stolzes, der letzte Ueberrest der schönen und starken Lyda, hielt sie davon zurück. Statt dessen sagte sie nur, zusammengepreßt, aber klar und deutlich: »Rindvieh!«
Dann stürzte sie zur Tür, daß die Spitzenmanschetten der Aermel von der Klinke erfaßt und zerrissen wurden.
Sarudin stieg das Blut zu Kopf. Hätte sie ihm Halunke oder Schurke zugerufen, so würde er das ganz ruhig ertragen haben, aber gerade das Wort Rindvieh klang besonders häßlich und widersprach ganz der Vorstellung, die er sich über seine Person gebildet hatte, er wurde vollständig verwirrt. Sogar das Weiße seiner schönen, konvexen Augen rötete sich. Er lächelte ratlos, zuckte die Schultern, riß seinen Kittel auf und schloß ihn wieder und empfand im Augenblick nur, daß er tief unglücklich sei. Aber gleichzeitig damit begann in irgend einem Winkel unwillkürlich das Gefühl der Freude darüber zu wachsen, daß die Affäre mit Lyda so oder anders, doch auf jeden Fall zu Ende kam. Ein feiger Gedanke flüsterte ihm wieder zu, daß ein solches Mädchen wie Lyda ihn niemals mehr aufsuchen würde. Eine Sekunde lang tat es ihm leid, daß ihm eine so schöne und geschmackvolle Geliebte verloren gehen sollte, aber dann schlug er gleichgültig mit der Hand durch die Luft und dachte: Hol's der Teufel, es gibt deren viele.
Er ordnete den Kittel, zündete sich mit Fingern, die noch zitterten, eine Zigarette an, markierte auf dem Gesichte einen geschickten, sorglosen Ausdruck und ging zu seinen Gästen zurück.