Ludovico Ariosto
Rasender Roland, Band 4
Ludovico Ariosto

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Neununddreißigster Gesang.

Zweikampf Rinalds und Rogers (1–3). Melissa verführt Agramant den Vertrag zu brechen und die Feindseligkeiten zu erneuern (4–18). Astolf in Afrika befreit den Paladin Dudo und schafft sich durch ein Wunder eine Kriegsflotte (19–29). Befreiung der Gefangenen Rodomonts (29–35). Ankunft Rolands, der Flordelis und Bardins im Lager Astolfs, Rolands Heilung (35–61). Brandimart wird König (62–63). Biserta belagert (64–65). Agramants Niederlage und Heimkehr nach Afrika (66–77). Dudo's Sieg über Agramants Flotte (78–86).

Der Kummer Rogers ist wahrhaftig schwer,
Bittrer als alle Schmerzen, die dem Leibe
Zusetzen mögen und dem Geist noch mehr.
Ein Tod ist ihm gewiß, wie er's auch treibe,
Tod von Rinald, wenn er nicht kämpft wie der,
Und kämpft er besser, Tod von seinem Weibe;
Denn bringt er ihr den Bruder um, so droht
Ihr Haß ihm, den er mehr scheut als den Tod.
Rinald, der nichts von solchen Sorgen weiß,
Denkt nur daran, wie er den Sieg erlange;
Er schwingt die Axt mit Macht und grimmem Fleiß
Bald nach den Armen, bald nach Stirn und Wange.
Flink dreht der gute Roger sich im Kreis,
Weicht aus und fängt die Hieb' auf seiner Stange,
Und schlägt er einmal zu, so trifft der Schlag
Stets einen Fleck, wo er nicht schaden mag. 103
Den Heidenfürsten scheint, wie sie es schauen,
Zu ungleich dieser Kampf, und ihnen graust:
Zu träg ist Rogers Hand dareinzuhauen,
Zu arg hat ihn Rinaldens Art zerzaust.
Der Herscher Afrika's, mit finstren Brauen,
Sieht dem Gefechte zu und seufzt und braust
Und schilt Sobrin, von dem das Unheil rühre
Und dessen Rat ihn ins Verderben führe.
Melissa während deß, ein wahrer Quell
Sämtlicher Zauberkünste dieser Erde,
Gebot dem eignen Antlitz, daß es schnell
Dem großen König Algiers ähnlich werde.
Sie kam gewaffnet mit dem Drachenfell,
Ganz Rodomont an Zügen und Geberde,
Und Schild und Schwert dazu trug sie zur Schau,
Wie er's gewohnt war, alles ganz genau.
So ließ sie zu Trojans betrübtem Sohn
Den Teufel in Gestalt des Pferdes traben
Und rief mit krauser Stirn und lautem Ton:
»Wer kann euch, Herr, so schlecht geraten haben,
Daß wider Galliens tapfersten Baron
Ihr einen jungen unerfahrnen Knaben
Ins Feld geschickt habt, und bei solchem Streit
Um eures Reiches Ehr' und Herrlichkeit? 104
»Daß dies Gefecht fortgeht, dürft ihr nicht leiden;.
Es wäre das Verderben unsrer Macht.
Auf Rodomont die Schuld! fragt nicht nach Eiden,
Nicht nach Verträgen, die ihr ausgemacht.
Kommt, Freunde, zeigt, wie eure Säbel schneiden!
Nun ich hier bin, seid ihr vertausendfacht.«
Entflammt von dieser Red' und dieser Stimme,
Sprengt vorwärts Agramant in blindem Grimme.
Er glaubt, daß Rodomont jetzt mit ihm sei,
Und fragt nicht viel nach Eiden und Verträgen,
Und kämen tausend Ritter jetzt herbei
Zur Hilf', ihm wäre minder dran gelegen.
Gesenkte Lanzen, Sturm der Reiterei
Sieht man im Nu sich übers Feld bewegen.
Melissa, als sie mittels solchen Trugs
Die Schlacht entzündet hat, verschwindet flugs.
Als Roger und Rinald gestört sich sahn
Ganz wider alle Abred', alle Eide,
Vergaßen sie, daß sie sich weh gethan,
Und thaten sich auch ferner nichts zu Leide.
Sie gaben sich das Wort, dem blut'gen Plan
Sich fern zu halten, bis es sich entscheide,
Wer den Vertrag zerriß mit dreister Hand,
Ob greiser Karl, ob junger Agramant. 105
Und sie gelobten mit erneutem Schwur,
Den, der den Pact gebrochen, Feind zu nennen.
Die Völker alle wirbeln durch die Flur,
Die einen weichen und die andren rennen.
Wer feige sei, wer tapfer von Natur,
Ist an derselben Handlung zu erkennen:
Denn alle laufen schleunigst, Mann für Mann,
Nur jener rückwärts, dieser kühn voran.
10  So wie der Windhund, wann er durch das Feld
Den flücht'gen Hasen kreuzen sieht und findet,
Daß er der Jagd, weil ihn die Koppel hält,
Nicht folgen kann, – wie der sich krümmt und windet,
Sich martert, schier verzweifelt, winselt, bellt
Und springt und zerrt und sich vergeblich schindet,
So grimmig war bis jetzt in ihrem Sinn
Marfisa heut, mit ihr die Schwägerin.
11  Sie hatten ja bis jetzt an diesem Tage
Die reichste Beut' auf offnem Feld gesehn,
Und daß der Pact nun ihnen untersage
Das Wild zu hetzen und darauf zu gehn,
Schien beiden Grund genug zu bittrer Klage
und Seufzern über solches Müßiggehn.
Jetzt war der Pact vom Feind zerrissen worden,
Und fröhlich springen sie auf seine Horden. 106
12  Marfisa's Speer durchbohrt den ersten Mann
Und fährt aus seinem Rücken noch zwei Ellen.
Ihr Schwert dann, schneller als ich's sagen kann,
Zerschlägt vier Helme, die wie Glas zerschellen.
Nicht minder frisch greift Haimons Tochter an,
Der goldne Speer ist rascher noch im Fällen.
Wen sie berührt, der stürzt; stehn bleibt nicht einer;
Zweimal so viel sind's; aber todt ist keiner.
13  Sie thaten dies einander nah genug,
Um für einander Zeugniß abzulegen.
Dann stürmten sie, wohin der Zorn sie trug,
Ins Schlachtgetümmel auf getrennten Wegen.
Wer zählt die Köpfe, die vom Rumpfe schlug
Und spaltete Marfisa's grimmer Degen?
Wer giebt von jedem Krieger Rechenschaft,
Der umfiel vor des goldnen Speeres Kraft?
14  Wie um die Zeit, wo bei des Frühlings Wehen
Die grünen Schultern zeigt der Apennin,
Zwei wilde Bäch' auf einmal niedergehen,
Die dann im Fall verschiedne Straßen ziehn
Und Bäum' und Felsen, die im Wege stehen,
Mitreißen und die Flur, wo Korn gediehn,
Wegschwemmen, fast als gelt' es eine Wette,
Wer mehr auf seinem Weg verwüstet hätte, 107
15  So sprengen die beherzten Kriegerinnen
Auf zwei verschiednen Straßen durchs Revier,
Und fürchterlichen Heidenmord beginnen
Der Degen dort, die goldne Lanze hier.
Kaum steuert Agramant noch dem Entrinnen
Der seinen, hält sie kaum noch beim Panier.
Vergebens fragt und späht er in die Runde,
Wo Rodomont sei; niemand bringt ihm Kunde.
16  Auf dessen Zuspruch war er doch dem Worte
Untreu geworden, das er feierlich
Verpfändet hatt' an dem geweihten Orte,
Und nun ließ jener plötzlich ihn im Stich.
Auch fehlt Sobrin. Sobrin ritt in die Pforte
Der Stadt zurück und nannt' unschuldig sich,
Erwartend, daß noch heut der Bruch der Schwüre
Zu Agramants furchtbarer Strafe führe.
17  Marsil ist gleichfalls in die Stadt geritten,
Das Herz von frommer Furcht gar sehr beschwert,
Daher denn Agramant den Sturmesschritten
Der tapfren Scharen Karls nur übel wehrt,
Der Italiener, Franken, Deutschen, Britten, –
Streitbare Männer all' und kampfbewährt,
Vertheilt die Paladin' in ihren Reihen,
Wie Edelstein' auf goldnen Stickereien, 108
18  Und mancher Held noch mit den Paladinen,
Der tadellos wie je ein Ritter war.
Guidon, das kühne Herz, ist heut erschienen,
Die Söhne Olivers sind in der Schar.
Ich sage nichts (ich sprach ja schon von ihnen)
Von dem verwegnen jungfräulichen Paar.
Die fünfe haben Mohrenvolks erschlagen
So viel, daß man's nicht zählen kann noch sagen.
19  Dies Feld verlass' ich jetzt für eine Weile
Und schiffe ohne Fahrzeug übers Meer.
Mit diesen Franken hab' ich keine Eile,
Ich denk' auch an Astolf und an sein Heer.
Wie des Apostels Huld ihm ward zu Theile,
Hab' ich erzählt; ich sagt' auch schon vorher,
Daß gegen ihn Branzard im Mohrenlande
Den letzten Mann aufbot zum Widerstande.
20  Voll Eifers hatt' er für des Königs Sache
Die letzte Mannschaft Afrika's bewehrt,
Die rüstige nicht minder als die schwache,
Und selbst die Weiber hätt' er fast begehrt.
Denn Agramant, erpicht auf seine Rache,
Hatt' Afrika schon zweimal ausgeleert.
Nur wen'ge blieben dort, und meistens war es
Unkriegerisches Volk und unbrauchbares. 109
21  Bucifar ist der im 38. Ges. Str. 35 erwähnte König von Algazir, welchen Agramant als einen der drei Statthalter zurückgelassen hatte.  Das sah man bald: als sie von ferne nur
Den Feind erblickten, liefen die Barbaren,
Und hinterdrein, wie hinter Schafen, fuhr
Astolf mit seinen schon geübtern Scharen.
Von Todten war bedeckt die ganze Flur;
Nur wenige, die ihm entronnen waren,
Gelangten nach Biserta mit Branzard,
Wogegen Bucifar gefangen ward.
22  Der Paladin Dudo, Sohn Holgers des Dänen, wird bei Bojardo erwähnt. Rodomont nimmt ihn bei einem Streifzuge in der Provence gefangen. In den Ritterbüchern entsagt Dudo schließlich der Welt und wird Einsiedler, daher Ariost ihn hin und wieder den frommen Dudo nennt.  Branzarden aber lag am ganzen Reste
Nicht halb so viel wie an dem einen Mann.
Groß ist Biserta, doch bedarf die Veste
Verstärkung, die nur dieser leisten kann.
Ihn auszuwechseln wäre wohl das beste.
Und wie er traurig dies erwog, besann
Er sich darauf, daß er als Gegengabe
Dudo den Paladin im Thurme habe.
23  Ihn fing am Meer der König von Algier
Vor Monaco bei seinem ersten Landen,
Und seit dem Tage war der Däne hier
Im Feindesland, entwaffnet und in Banden.
Branzard beschloß für den von Algazir
Ihn auszuwechseln, und die Boten fanden
Den Feldherrn Nubiens; denn sie wußten schon,
Daß es Astolf sei, Englands Königssohn. 110
24  Braucht man dem Paladin Astolf zu sagen,
Er müsse jenen Paladin befrein?
Sobald er hörte, wie die Dinge lagen,
Ging er auf diesen Tausch mit Freuden ein.
Der freigewordne kam ihm Dank zu sagen
Und bot sich an, behilflich ihm zu sein
In kriegerischen Pflichten und Geschäften
Zu Wasser und zu Land nach besten Kräften.
25  So unermeßlich war der Nubier Zahl,
Daß sieben Afrika's nicht widerständen,
Und weil der heil'ge Jünger ihm befahl
Auch der Provence Beistand zuzuwenden
Und Aiguesmortes und das Rhonethal
Bald zu befrein aus den Barbarenhänden,
So wählt' Astolf aus seinem ganzen Heer
Die mindest unbrauchbaren für das Meer.
26  Nachdem er dann mit Blättern jede Hand
(Von Lorbern, Cedern, Palmen und Oliven)
Gefüllt sich hatte, kam er an den Strand
Und warf die Blätter in die Meerestiefen.
O selig, die der Himmel würdig fand!
O Gnaden, die auf uns nur selten triefen!
O hohes Wunder, das sich jetzt vollzog
An jenem Laub, als es ins Wasser flog! 111
27  Die Blätter wuchsen plötzlich aus den Wogen
Und wurden krumm und dick und lang und schwer.
Die Adern wurden, die das Blatt durchzogen,
Zu Balken und zu Planken längs und quer;
Vorn aber blieben alle scharf gebogen,
Und all' auf einmal wurden Schiff' im Meer
Verschiedner Gattung und so viel im Ganzen
Als Blätter waren von verschiednen Pflanzen.
28  Ein Wunder war's zu sehn, wie aus den Blättern
Galere, Kutter, Brigantin' entstand,
Ein Wunder, wie man sie mit Ruderbrettern,
Tauwerk und Segeln wohl versehen fand.
Auch fehlt' es nicht an Mannschaft, die in Wettern
Und Stürmen auf das Steuern sich verstand:
Corsen und Sarder hatt' Astolf entboten,
Matrosen, Schiffer, Stauer und Piloten.
29  Man zählte derer, die an Bord gestiegen,
Voll sechsundzwanzigtausend aller Art.
Sie führte Dudo, der in allen Kriegen
Zu Land und Wasser Mut mit Weisheit paart.
Die Flotte blieb noch an der Küste liegen,
Besseren Wind abwartend für die Fahrt;
Da naht' ein Schiff den maurischen Gestaden,
Das mit gefangnen Kriegern war beladen. 112
30  Der Schwager des verrückten Grafen ist Oliver Markgraf von Burgund, mit dessen Schwester Alda Roland vermählt ist.  Es führte die Gefangnen nach dem Hafen,
Die kürzlich mit dem schlimmen Brückenwart,
Mit König Rodomont zusammentrafen,
Wie mehrmals schon von mir berichtet ward.
Da war der Schwager des verrückten Grafen
Und Samson und der treue Brandimart
Und andre (ich erspar' euch diese andern)
Aus Deutschland, aus Italien, Frankreich, Flandern.
31  Progne steht für Schwalbe. Progne, eine Königstochter von Athen, Gemalin des Tereus, wurde von den Göttern in eine Schwalbe verwandelt.  Der Schiffer kam an diesen Küstenstrich,
Nicht ahnend, daß am Ufer Feinde lagen.
Den Hafen Algiers ließ er hinter sich,
Wohin zu segeln man ihm aufgetragen,
In Folge eines Sturms, der fürchterlich
Gewütet hatt' und ihn vom Ziel verschlagen.
Jetzt komm' er zu den seinen, glaubt' er fest,
Wie Progne kömmt an ihr geschwätzig Nest.
32  Doch als er nun die Lilienpaniere,
Die Adler und die Leoparden schaut,
Da ist es ihm, als ob sein Blut gefriere,
Wie einem, dessen Fuß die kalte Haut
Der Natter fühlt, wann sie im Waldreviere
Verborgen liegt und schläft im dichten Kraut,
Wie der zurückfährt und auf seiner Hut ist,
Um sie zu fliehen, die voll Gift und Wut ist. 113
33  Der Schiffer aber konnte nicht entfliehn
Noch die Gefangnen stillzusitzen zwingen;
Denn Brandimart und Samson banden ihn,
Und Oliver und andre, und sie gingen
Zum Herzog und dem andren Paladin,
Die frohen Angesichts die Freund' empfingen.
Er aber, der sie brachte, ward zum Dank
Für seinen Dienst verdammt zur Ruderbank.
34  Der Sohn des Otto, wie gesagt, erwies
Den Rittern alle Freundlichkeit und ehrte
An seiner Tafel sie und überdies
Mit Waffen und was sonst der Fall begehrte.
Auch Dudo, ihretwegen, unterließ
Die Abfahrt noch, denn von nicht mindrem Werte
Erschien es ihm, mit solchen Herrn zu sprechen,
Als etwas schleuniger in See zu stechen.
35  Durch sie erhielt er Nachricht von dem Stande
Der Ding' in Frankreich und erfuhr dabei,
Wo er am sichersten die Truppen lande
Und so, daß möglichst groß die Wirkung sei.
Indeß er dies vernahm, erscholl vom Strande
Urplötzlich solch ein wütendes Geschrei,
Solch ein Alarm, daß sie, die es vernahmen,
Dabei auf allerlei Gedanken kamen. 114
36  Der Herzog und die edlen Tischgenossen,
Die eben sich erfreut an klugem Wort,
Saßen im Nu bewaffnet auf den Rossen
Und jagten, um den Lärm zu suchen, fort.
Dem lautesten Getümmel unverdrossen
Nachfolgend, kommen sie an einen Ort,
Wo sich ein nackter Mann so wild geberdet,
Daß er allein das ganze Heer gefährdet.
37  Er focht mit einem Ast von einer Eiche,
Mit einem Ast, der war so hart und schwer,
Daß, wenn er traf, ein Mann bei jedem Streiche
Umfiel und brauchte keinen Doctor mehr.
Schon lagen mehr denn hundert, Leich' an Leiche,
Schon setzte niemand mehr sich recht zur Wehr,
Als nur mit Pfeil und Bogen aus der Ferne;
Denn näher kommen ließ ihn keiner gerne.
38  Astolf und Oliver und Dudo wandten
Sich nach dem Ort des Lärms, und Brandimart,
Und sahn die Riesenkraft des wutentbrannten
Und waren vor Verwunderung erstarrt,
Als einer schwarzverhüllten Unbekannten
Auf raschem Zelter man ansichtig ward;
Die kam heran, und Brandimart erkennend,
Umschlang sie ihn, mit holdem Gruß ihn nennend. 115
39  Denn keine andre war's als Flordelis,
Die Brandimarten Treue hat geschworen,
Die, als sie an dem Grabmal ihn verließ,
Vor Schmerz fast hätte den Verstand verloren,
Und die sich übers Meer dann fahren ließ,
Weil sie vernommen hatte von dem Mohren,
Er hab' ihn als Gefangnen vor der Hand
Mit andren Rittern nach Algier gesandt.
40  Bardin war ein Diener des Königs von Dammogir Monodant; von diesem beleidigt, entführte er ihm den Sohn Brandimart, welcher von einem Grafen von Waldburg (Rocca Silvana) an Kindesstatt angenommen und erzogen ward. Bardin blieb als Erzieher bei dem Knaben, bis dieser, auf Abenteuer ausziehend, von der Fee Morgana gefangen wurde. Brandimart wurde später von Roland befreit, ebenso wie sein Bruder Ziliant; Bardin kehrte zu Monodant zurück, der ihn begnadigte, als er seinen Sohn wiederfand. So wird im »Verliebten Roland« erzählt.  Es traf sich vor dem Antritt dieser Reise,
Daß sie ein Fahrzeug in Marseille fand,
Das von Kleinasien kam mit einem Greise
Vom Hof des alten Königs Monodant.
Der hatte Süd und Nord fruchtloser Weise
Durchstreift, das Meer sowohl als auch das Land,
Um Brandimart zu suchen, bis am Ende
Er hörte, daß er ihn in Frankreich fände.
41  Und da sie gleich erkannt', es sei Bardin,
Der Brandimart weiland in zarten Jahren
Dem Vaterhaus' entführt, um heimlich ihn
Im Waldschloß zu erziehn und zu verwahren,
Und da sie sah, weshalb er hier erschien,
Bewog sie ihn, alsbald mit ihr zu fahren,
Nachdem sie ihm erklärt, wie Brandimart
Zu Schiff nach Afrika befördert ward. 116
42  Und landend hörten sie die Neuigkeiten,
Biserta werde von Astolf berannt,
Und Brandimart sei dort, ihn zu begleiten;
So hieß es wenigstens in Stadt und Land.
Und Flordelis begann so schnell zu reiten,
Mit solcher Hast, nun sie ihn endlich fand,
Daß jeder sah, wie aus dem vor'gen Wehe
Ein Glück, das sie noch nie gekannt, entstehe.
43  Nicht minder glücklich war auch ihr Getreuer,
Als er von Angesicht zu Angesicht
Die Gattin sah, ihm über alles theuer,
Und an die Brust sie drückte sanft und dicht.
Nie hätt' ein einz'ger Kuß des Herzens Feuer
Gesättigt, auch der zweit' und dritte nicht,
Hätt' er nicht plötzlich jenen wahrgenommen,
Bardin, der mit der Dame war gekommen.
44  Er breitet ihm die offnen Arm' entgegen
Und früge gern, wie er hieher geriet,
Jedoch die Muße, des Gesprächs zu pflegen,
Raubt ihm das Heer, das in Verwirrung flieht,
Flieht vor dem Tollen, der mit Keulenschlägen
Die Straße säubert, die er vor sich sieht.
Als Flordelisens Blick den nackten traf,
Rief sie dem Gatten zu: »Das ist der Graf.« 117
45  Herzog Astolf erkannte gleicherweise,
Der Mann sei Roland, der da vor ihm stand,
An einem Merkmal, das die sel'gen Greise
Im Paradiesesgarten ihm genannt.
Sonst hätte keiner wohl im ganzen Kreise
Den edlen ritterlichen Herrn erkannt.
Seit ihn der Wahnsinn hielt in seinem Banne,
Glich einem Thier er mehr als einem Manne.
46  Astolf, vor Schmerz und Thränen fast erstickend,
Wandte sich ab, dem Anblick zu entfliehn,
Und Olivern und dann dem Dänen nickend,
Flüstert' er: »Roland ist's, der Paladin.«
Die beiden nun, mit starren Wimpern blickend,
Schauten ihn an und sie erkannten ihn,
Und daß sie so ihn wiedersahn, den armen,
Erfüllte sie mit Staunen und Erbarmen.
47  Es weinten diese Herrn zum größren Theile;
Zu traurig war der Fall, zu schwer und hart.
»Zeit ist es,« sprach Astolf, »daß man ihn heile;
Was hilft es ihm, wenn ihr vor Schmerz erstarrt?«
Er sprang vom Pferde, Dudo folgt' in Eile,
Und Samson, Oliver und Brandimart,
Und alle rückten nun zugleich und drangen
Auf Roland ein und suchten ihn zu fangen. 118
48  Kaum nahm der Tolle die Umstellung wahr,
Ließ er den Knittel durch die Lüfte fegen,
Und Dudo, den sein Schild vor der Gefahr
Zu decken schien und der Hand anzulegen
Vordrang, erfuhr, wie schwer der Knittel war.
Hätt' Oliver den Schlag nicht mit dem Degen
Halb abgelenkt, der böse Eichenstumpf
Zerschlüg' ihm Schild und Helm und Kopf und Rumpf.
49  Den Schild zerbrach er, und wie Wetterstrahl
Traf er den Helm, daß Dudo niederstürzte.
Nun zielte Samson mit dem blanken Stahl
Und traf den Stock mit glattem Hieb und kürzte
Mehr als zwei Ellen von dem dicken Pfahl.
Zugleich sprang Brandimart herzu und schürzte
Die Arme fest ihm um des Leibes Mitte,
Und an den Beinen packt' ihn flugs der Britte.
50  Da schüttelte sich Roland, und im Bogen
Warf er Astolf zehn Schritt weit in den Sand.
Doch Brandimart war nicht hinweggeflogen;
Der hielt mit stärkren Armen ihn umspannt.
Als Oliver ihm nah kam, zu verwogen,
Schlug er so toll ihn mit der harten Hand,
Daß er betäubt und bleich zu Boden prallte
Und ihm das Blut aus Nas' und Ohren wallte. 119
51  Und wär' sein Helm nicht mehr als dauerhaft,
Wär' er getödtet von der Faust des Tollen;
Doch stürzt' er so, als hätt' er aus der Haft
Die Seel' ins Paradies entlassen wollen.
Astolf und Dudo, die sich aufgerafft,
(Dudo im Antlitz freilich stark geschwollen,)
Und Samson, der so schön gezielt vorher,
Sind all' auf einmal über Roland her.
52  Dudo umschlingt von hinten ihn und preßt
Und sucht ihn mit dem Fuß zu Fall zu bringen.
Die andren halten ihm die Arme fest,
Doch ihrer aller Kraft kann ihn nicht zwingen.
Saht ihr den Stier, wenn man ihn hetzen läßt,
Wenn grimme Zähn' an seinen Ohren hingen,
Wie brüllend er fortrennt und rennend dann
Die Hunde schleift und nicht abschütteln kann?
53  Dem ähnlich denkt euch Roland, als der tolle
Die vier gewalt'gen Recken mit sich zog.
Oliver nun erhob sich von der Scholle,
Auf die er nach dem großen Faustschlag flog,
Und weil er sah, daß, was der Herzog wolle,
Nur schwer gelingen werde, so erwog
Er eine andre Art, wie der Verrückte
Zu Fall zu bringen sei, und sieh, es glückte. 120
54  Er ließ sich Stricke reichen, und behende
Versah er sie mit Schlingen und umwand
Mit einigen des Grafen Bein' und Hände,
Und andre wurden um den Leib gespannt.
Sodann vertheilt' er sie am andren Ende
Und gab sie dem und jenem in die Hand;
Und wie der Hufschmied Ochsen oder Pferde
Umwirft, so zog man Roland an die Erde.
55  Kaum liegt er, fallen alle drüber her,
Um Arm und Bein noch fester zu umschlingen.
Wohl schüttelt Roland noch sich hin und her,
Jedoch umsonst ist Sträuben jetzt und Ringen.
Astolf befiehlt, man soll ihn nach dem Meer,
Wo er ihn heilen wird, hinunterbringen.
Dudo ist groß und hebt ihn aus dem Sand
Und trägt ihn auf dem Rücken an den Strand.
56  Da läßt der Herzog siebenmal ihn baden
Und taucht ihn siebenmal ins Wasser ein
Und spült von wüstem Rost und eklen Fladen
Das Antlitz und die blöden Glieder rein,
Schließt auch mit Kraut, das gut für solchen Schaden,
Die Lippen ihm, die schnaufen oder spein,
Damit die Luft beim Atmen keine andre
Als nur die Straße durch die Nüstern wandre. 121
57  Der Herzog hatte schon die Flasche da,
Die den Verstand des Grafen trug im Bauche,
Und hält sie an die Nas' ihm nun so nah,
Daß Roland nach dem ersten Atemhauche
Sie völlig leert. Und staunt, was nun geschah:
Der Geist war wieder da nach altem Brauche,
Zurück kam der Verstand im schönsten Flor,
Heller und leuchtender als je zuvor.
58  Wie einer, der aus bangem Schlaf erwacht,
Nachdem er schwer geträumt von Ungeheuern,
Wie die Natur sie nie hervorgebracht,
Oder von schauderhaften Abenteuern,
Sich noch verwundert, wann schon ihre Macht
Und Herrschaft seine wachen Sinn' erneuern,
So, als der Wahn von ihm genommen ward,
Blieb Roland ganz verwundert und erstarrt.
59  Der schönen Alda Bruder und den Mann,
Der den Verstand ins Hirn zurück ihm brachte,
Betrachtet' er und sprach kein Wort und sann,
Wann man hieher ihn trug und wie sich's machte.
Erst schaut' er diesen, dann den andren an
Und riet nicht, wo er sei, so viel er dachte.
Auch wundert' es ihn sehr, sich nackt zu sehen
Und festgeschnürt vom Kopf bis zu den Zehen. 122
60  Str. 60 spielt auf Virgils sechste Ecloge an. Zwei Hirten finden den Silen schlafend in einer Grotte und binden ihn, um ihn zum Singen zu nötigen. Erwachend sagt Silen »solvite me« (bindet mich los).  Dann sprach er wie Silen, als ihn die Stricke
Der Hirten in der hohlen Grotte banden:
»solvite me« mit hellem, klarem Blicke,
Aus dem des Wahnsinns Spuren ganz verschwanden.
Man band ihn los, und wenig Augenblicke
Genügten, bis sie Kleider für ihn fanden,
Und jeder tröstet' ihn in seinem Schmerz;
Denn dieser Wahnsinn fiel ihm schwer aufs Herz.
61  Kaum hatt' er wieder sein ursprünglich Wesen,
Mannhafter noch und weiser denn zuvor,
So war er auch von Liebe ganz genesen,
Und sie, an die er einst sein Herz verlor,
Die ihm so schön erschien, so auserlesen,
Kam jetzt gering ihm und verächtlich vor.
Sein ganzes Trachten war, sein ganzes Sinnen,
Was Lieb' ihm raubte, wiederzugewinnen.
62  Bardin indeß erzählte Brandimarten,
Gestorben sei sein Vater Monodant
Und seiner jetzt als ihres Königs harrten
Zuerst sein jüngrer Bruder Ziliant,
Dann alles Volk, das jenen Inselgarten
Bewohnt, des Ostens allerletztes Land,
Dem (also sagt' er) keins der Erdenreiche
An Reichtum, Volkszahl oder Schönheit gleiche. 123
63  Dann sagt' er noch als Grund, der schwerer wiege,
Das Vaterland sei süß; er werde sehn,
Sobald er dieses Glück geschmeckt, verfliege
Die Sehnsucht in die weite Welt zu gehn.
Drauf sagte Brandimart, in diesem Kriege
Woll' er zu Karls und Rolands Diensten stehn,
Und wenn er sehe, daß man Frieden mache,
Find' er wohl Zeit für seine eigne Sache.
64  Den Tag darauf ging Holgers Sohn an Bord
Und steuerte gen Frankreich die Galeren.
Roland indeß blieb bei dem Herzog dort
Und ließ sich, wie der Feldzug steh', belehren.
Er schloß Biserta ein, den ganzen Ort,
Doch ließ er stets dem Herzog alle Ehren
Nach jedem Sieg. Der Herzog aber that
In allen Stücken nach des Grafen Rat.
65  In welcher Schlachtordnung und wie und wann
Die Nubier dann Biserta's Wäll' erklommen,
Wie man die Stadt beim ersten Sturm gewann,
Und wer an Rolands Ruhm Theil hat genommen, –
Verzeiht, daß ich es jetzt nicht melden kann;
Ich denke bald darauf zurückzukommen.
Wenn ihr erlauben wollt, erzähl' ich jetzt,
Wie Karl die Mohren vor die Thüre setzt. 124
66  Verlassen fast war König Agramant
In seiner größten Not; denn nach den Thoren
Von Arles hatte sich Marsil gewandt
Und auch Sobrin und viele von den Mohren.
Dort hatten sie sich eingeschifft; man fand,
Zu Lande sei die Rettung schon verloren;
Und viele Herrn und Ritter von den Heiden
Folgten sodann dem Beispiel jener beiden.
67  Doch kämpfte Agramant noch eine Weile,
Und als er endlich fand, es sei genug,
Warf er das Pferd herum und ritt in Eile
Dem nächsten Thore zu, und wie im Flug
Kam Rabican ihm nach, gleich einem Pfeile,
Mit Bradamante, die ihn spornt' und schlug,
Voller Begier, den König zu durchbohren,
Durch den sie ihren Roger fast verloren.
68  Marfisa folgt dem Agramant desgleichen,
Denn rächen will sie heut Trojans Verrat.
Und deutlich fühlt an ihren Sporenstreichen
Ihr flinker Renner, daß sie Eile hat.
Doch weder sie noch Bradamant' erreichen
Das Thor so schnell, um Agramant den Pfad
Nach Arles abzuschneiden, ihm zu wehren,
Daß er sich rett' auf seine Kriegsgaleren. 125
69  Und wie zwei schöne junge Pantherinnen,
Die von der Koppel gehn zu gleicher Zeit
Und sehn die schnellen Hirsch' und Reh' entrinnen,
Und zum Verfolgen ist der Weg zu weit, –
Wie die erzürnt den Rückzug dann beginnen,
Gleichsam beschämt ob ihrer Langsamkeit,
So kehrten um die Mädchen, als der Heide
Lebendig in die Stadt kam, seufzend beide.
70  Doch machten sie nicht Halt; in das Gedränge
Der flieh'nden sprengten sie und hieben drauf.
Bei jedem Streich fiel rechts und links die Menge,
Und wer gefallen war, stand nimmer auf.
Gar schlimm geriet der Haufen in die Enge,
Denn nicht mehr rettete der schnellste Lauf,
Weil Agramant, um leichter zu entrinnen,
Das Thor der Stadt verschlossen hielt von innen.
71  Die Rhonebrücken hatt' er auch gesprengt.
Ach arme Plebs! in solchen Augenblicken,
Wo der Tyrann an seinen Vortheil denkt,
Da zählest du nicht mehr als Schaf' und Zicken.
Der eine hat die Scholle rot getränkt,
Der muß im Strom, der in der See ersticken.
Viel Todte giebt es, viel Gefangne nicht,
Weil allen fast das Lösegeld gebricht. 126
72  Die siebte Zeile ist ein Citat aus Dante's Hölle (IX, 112) »Ad Arli, ove il Rodano stagna.« Die zahlreichen Grabhügel in der Umgegend von Arles, römischen Ursprungs, wie man meint, werden von Dante erwähnt.  Welch eine Menge hier ihr Ende fand
In dieser letzten Schlacht auf beiden Seiten,
(Obschon die Rechnung äußerst ungleich stand
Und mehr der Mohren fiel in diesem Streiten
Durch Bradamante's und Marfisa's Hand,)
Das zeigt noch manche Spur in unsren Zeiten:
Bei Arles, wo die Rhon' in Sümpfe fällt,
Ist noch von Gräbern voll das ganze Feld.
73  Indeß erging von Agramant das Wort,
Daß alle großen Schiff' auslaufen sollten,
Und nur die leichtren ließ er noch im Port
Für Leute, die zu Schiff sich retten wollten.
Zwei Tage blieb er und nahm Leut' an Bord,
Auch weil es stürmt' und ihm die Winde grollten;
Am dritten Tag spannt' er die Segel aus
Und fuhr (so dacht' er wenigstens) nach Haus.
74  König Marsil, in großer Furcht, daß jetzt
Die Spanier noch die Zeche zahlen müßten
Und daß der finsterdroh'nde Sturm zuletzt
Herniederprasseln werd' auf seine Küsten,
Ward in Valencia schon an Land gesetzt
Und eilte seine Burgen auszurüsten
Und machte sich für jenen Krieg bereit,
Der ihn verderben sollt' in kurzer Zeit. 127
75  Gen Afrika trägt Agramant die Flut
Mit schlechtbemannten Schiffen, die fast leer sind,
An Menschen leer, gefüllt mit Klag' und Wut,
Weil todt drei Viertel von dem ganzen Heer sind.
Der nennt ihn grausam, der voll Übermut,
Der toll, und wie es geht, wenn Zeiten schwer sind,
Sie alle sind ihm im geheimen gram,
Doch fürchten ihn, und Feigheit macht sie zahm.
76  Wohl öffnen ihren Mund zwei oder drei,
Die Freunde sind und auf einander bauen,
Und lassen den verborgnen Ingrimm frei.
Und er, der arme Fürst, lebt im Vertrauen,
Daß jeder ihn beklag' und treu ihm sei.
Und das geschieht ihm, weil er nichts zu schauen
Gewohnt ist als verstellte glatte Züge,
Nichts hört als Schmeichelei und Trug und Lüge.
77  Es war des afrikan'schen Königs Plan,
Nicht in Biserta's Hafen einzulaufen,
Denn dies Gestade, ward ihm kundgethan,
Sei schon besetzt vom Feind in starken Haufen.
Mehr oberhalb wollt' er der Küste nahn,
Um minder schwer die Landung zu erkaufen,
Und dann geradeswegs nach Hause gehn,
Um dem bedrängten Volke beizustehn. 128
78  Sein zürnendes Verhängniß aber fügte
Sich nicht dem weisen Plan, den er erdacht.
Die Flotte, die zu bauen Laub genügte,
Die durch ein Wunder war hervorgebracht
Und nun gen Frankreich durch die Wogen pflügte,
Begegnete der andren in der Nacht
Bei dunklem Wetter und bei schwerem Winde,
Damit sie ganz verwirrt die Gegner finde.
79  Nicht wußte König Agramant bisher,
Daß Prinz Astolf die große Flotte sende,
Und hätt' er es gehört, so glaubt' er schwer,
Daß eine Flott' aus kleinem Busch entstände.
Er kam und sorgte nicht, daß irgendwer
Auf offner See sich ihm entgegen wende;
Auch schickt' er in den Mastkorb keine Wachen,
Um, wenn sie etwas sähen, Lärm zu machen;
80  So daß die Flotte, die aus Afrika
Der Däne führte, die Astolf bemannte,
Die jetzt um Abend jene andre sah
Und gleich die Segel in der Richtung wandte,
Ihn angriff, eh er dessen sich versah,
Und Bord an Bord mit Enterhaken rannte,
Sobald die Sprache sie erkennen ließ,
Daß es der Heide sei, auf den man stieß. 129
81  Die großen Schiffe waren kaum heran,
So fuhren sie, den günst'gen Wind im Rücken,
Mit solchem Ungestüm die Mohren an,
Als wollten sie die Flott' im Sturm zerdrücken.
Dann fingen Kopf und Hand die Arbeit an:
Von Feuer, Eisen, schweren Felsenstücken
Erhob ein Sturm sich und ein Wetterschlag,
Wie ihn das Meer nicht oft erleben mag.
82  Den Leuten Dudo's waren Kraft und Mut,
Mehr als gewöhnliche, von Gott verliehen.
Gekommen war der Tag, die Heidenbrut
Für Raub und Mord zur Rechenschaft zu ziehen.
Aus Näh' und Ferne trafen sie so gut,
Daß Agramant nicht wußte, wie entfliehen.
Von oben kömmt der Hagelsturm der Pfeile,
Von vorn die Schwerter, Haken, Spieß' und Beile.
83  Er hört der schweren Steine dumpfen Flug,
Die durch die Luft die Wurfmaschinen schossen.
Vor ihrer Wucht zersplittern Heck und Bug,
Und breite Straße wird dem Meer erschlossen.
Doch schlimmre Wunden noch das Feuer schlug,
Schnell aufzulodern, auszugehn verdrossen.
Das unglücksel'ge Volk will dem Gericht
Entfliehn und rennt gerad' ihm ins Gesicht. 130
84  Der eine hofft, die See wird sich erbarmen,
Und springt ins Wasser und ersäuft im Meer;
Der andre, mit den Beinen und den Armen,
Rudert nach einer Barke hin und her;
Die aber, schon zu voll, verstößt den armen,
Und seine Hand, im Klettern allzu schwer,
Bleibt, abgehauen, an dem Rand des Bootes;
Der Leib versinkt ins Meer und färbt mit Rot es.
85  Ein andrer schwimmt und hofft, er werde so
Sich retten oder schmerzlos doch versinken;
Doch wie die Kraft erlahmt und nirgendwo
Sich Hilfe zeigt zur Rechten noch zur Linken,
Treibt in die gier'gen Flammen, die er floh,
Ihn jetzt zurück die Angst vor dem Ertrinken,
Und so, aus Furcht zwei Tode zu erleiden,
Packt er ein brennend Schiff und stirbt an beiden.
86  Ein dritter sucht umsonst im Meere Heil
Vor allzu nahen Äxten oder Spießen;
Hinter ihm her fliegt Kiesel oder Pfeil
Und läßt ihn nicht zu weit durchs Wasser schießen.
Jetzt aber möcht' es ratsam sein, dieweil
Mein Singen euch noch Freude macht, zu schließen
Und nicht zu warten, bis die Zeit euch lang
Geworden ist durch allzuviel Gesang. 131

 


 


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