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In der Hauptstadt Virginiens, in Richmond, einer der ältesten Städte Nord-Amerika's, hatte sich nach einem heißen Sommertage mit einbrechender Nacht ein kühlender frischer Luftzug erhoben und lockte Alt und Jung der Einwohnerschaft aus ihren sonndurchglühten Häusern hervor in die Straßen und auf die herrlichen öffentlichen Promenaden. Wohl in keinem Orte der Vereinigten Staaten ist im Sommer die Hitze drückender und unerträglicher, als in dieser Stadt, und wohl nirgends wird dann ein aufspringender erfrischender Wind freudiger bewillkommnet, als hier. Es war eine reizende tropische Nacht: der dunkle Himmel hatte seinen prächtigsten Schmuck angelegt, die Sterne blitzten und funkelten mit ungewöhnlichem Glanze und im Süden schoß, wie in langsamen Athemzügen, von Minute zu Minute ein feuriges Roth am Horizont auf und wurde eben so schnell, als es aufblitzte, wieder von der Dunkelheit verschlungen. Die Luft kühlte sich, die Schwüle des Tages wich vor dem leichten, von dem Ocean herziehenden erquickenden Wind mehr und mehr und in gleichem Maße athmeten die Spaziergänger freier und tiefer. Dabei ruhte eine Todtenstille auf der Stadt, denn Alles gab sich schweigend dem wollüstigen Genusse hin, welchen die zunehmende Kühlung den Menschen gewahrte, und nur die süßen melancholischen Lieder der nächtlichen befiederten Sänger, des Spottvogels und des Cardinals, ertönten in den vielen reizenden Gärten, welche die Häuser der Stadt umgeben, aus dem dunkeln üppigen Laub der Magnolien, Orangen- und Granatbäume. Tief unten an dem Fuße der hohen steilen Bergwand, an welcher sich Richmond von der Höhe hinab bis an die Ufer des gewaltigen Jamesstromes ausbreitet, brausten die Wasserfälle desselben in tausend Cascaden, und mehrten durch ihr monotones ununterbrochenes Rauschen den Eindruck der Ruhe, die auf Berg und Thal lag. Wie fliegende Diamanten zogen Milliarden von Leuchtkäfern durch das nächtliche Dunkel, welches das zarte Licht der Sterne nicht zu, bewältigen vermochte, und aus dem Gesträuche der Gärten und den dichtbelaubten Kronen der Bäume leuchteten die Glühwürmer, wie brennende Früchte hervor.
Alle Straßen, besonders aber die höher gelegenen hatten sich belebt, Lustwandelnde aus allen Ständen füllten die breiten Trottoirs, und auf dem großen Platz, der das Capitolium umgab, dem höchsten Punkte der Stadt, wogte die feinere Welt in rauschender Toilette auf und nieder. Hier war es, wo die Luftströmung sich am freiesten und kräftigsten entfalten konnte und wo die Reichen und Vornehmen der Stadt, deren Wohnungen meist auf der Höhe des Berges lagen, durch vieljährigen Gebrauch ein Vorrecht errungen hatten, ihre Abendspaziergänge zu halten. Frei war allerdings der Platz für Jedermann, doch überließen die geringeren Klassen der Gesellschaft denselben den Patriziern gern, da sie sich unter ihnen nicht heimisch, nicht ungenirt fühlten. Heute Abend war die Zahl der Wandelnden ungewöhnlich groß, und man mußte sich hin und her bewegen, um den häufig zahlreichen Gesellschaften von Herren und Damen, welche sich zusammenhielten, auszuweichen. Die übliche, vollständig weißleinene Tracht der Männer, ließ dieselben schon auf weite Entfernung erkennen, während die Umrisse der, größtenteils in schwarze Seide gekleideten Damen mit der Dunkelheit verschwammen und deren Annähern dem Auge erst durch das schneeige Weiß eines zarten Nackens, eines reizenden vollen Armes, oder blitzender Brillanten, in denen sich die Sterne spiegelten, angedeutet wurde. Alte Ehepaare, ältliche unverheirathete Damen an dem Arme junger Herren, junge Mädchen von alten Junggesellen geführt, junge Paare mit fest ineinandergeschlungenen Armen, Schwärme junger Schönen, ganze Familien und einzelne, oder mehrere Männer, wogten die Spazierenden auf und nieder in ernstem ruhigen Gespräch, in gewählter sentimentaler Unterhaltung, unter traulich überredenden Versicherungen, mit leisem Flüstern, übermüthigem Lachen und Kichern, schweigend oder beobachtend, doch Alle im Genusse schwelgend, den die Kühlung der Abendluft ihnen spendete. Seitwärts von dem Platze, wo hohe, hellerleuchtete Bogenfenster, und ein weitgeöffneter, ebenso heller Eingang eine Kirche bezeichneten, rief jetzt das Glöckchen zum Gottesdienst, und in dem Eingange wurden die dunkeln Gestalten der eintretenden Andächtigen sichtbar. Auf der anderen Seite des Platzes strömte ein ebenso helles Licht aus einer langen Fensterreihe und aus einer offnen Thür hervor, und beim Nähertreten verriethen die unzähligen, mit goldenen Etiquetten verzierten, großen und kleinen Gläser und Büchsen, daß sich hier eine Apotheke befinde. Gerade der weiten offnen Thür gegenüber, stand in derselben ein sehr langer Tisch von blendend weißem Marmor, auf dessen spiegelglatter Fläche sich mehrere silberne, zwei Fuß hohe Röhren erhoben, deren Spitzen in graziösem Bogen nach Vorn heruntergeneigt waren. Ein Krahn an jeder dieser Röhren ließ, wenn er geöffnet wurde, Sodawasser aus derselben mit solcher Gewalt hervorströmen, daß es, in einem Glase aufgefangen, wie Champagnerschaum brauste, und die berstenden Bläschen die Flüssigkeit über den Rand spritzten. Der Behälter, der dies Wasser lieferte, lag im Keller in einem Eisbehälter, so daß das Getränk kaum noch einige Grad Wärme enthielt. Hierher strömten nun ununterbrochen die Lustwandelnden, wählten aus einem Dutzend verschiedener Fruchtsyrupe, die in geschliffenen Krystallflaschen auf dem Tische standen, den ihrem Geschmack zusagenden, und erhielten denselben durch die, an dem Tische aufwartenden jungen Männer mit dem brausenden Sodawasser in einem großen Glase gemischt. Noch war die Temperatur der Luft nicht unter vierundzwanzig Grad gesunken und im Genusse eines solchen Tranks lag eine unbeschreibliche Wollust. Freilich gewährte er die Erfrischung nur für kurze Zeit, und die Natur rächte sich für diesen Eingriff in ihre Anordnungen durch gewaltsames Hervortreiben schwerer Schweißtropfen. Die augenblickliche Erquickung aber ließ den nach Kühlung Lechzenden diese belästigende Folge vergessen, und die Zahl Derer, die sich zu dem Tisch drängten, verminderte sich keinen Augenblick. Sie gingen und kamen wieder, und kamen abermals und wohl nochmals, und der Strom der Spaziergänger schien an diesen Quellen zu entspringen und zu ihnen zurückzufließen.
Seitwärts und etwas entfernt von diesem Tische saßen mit dem Eigenthümer der Apotheke, drei junge Männer in angeregter scherzhafter Unterhaltung, und schienen hier, ihren Sitz genommen zu haben, um die, von dem blendend hellen Gaslichte beleuchteten Eintretenden beobachten zu können. Diese gehörten in größerer Mehrzahl dem schönen Geschlechte an und mit vollstem Rechte hatte dasselbe hier diese Bezeichnung zu beanspruchen. Unter der anerkannt hohen weiblichen Schönheit, deren die verschiedenen Staaten Amerika's zu besitzen sich rühmen können, nehmen die Töchter Virginiens eine der ersten Stellen ein. Wir reden hier nur von Denen, deren Hautfärbung keine Spur afrikanischen Blutes zeigt, obgleich Virginien auch von diesen das Schönste hervorbringt, was die Erde besitzt. Da aber die Gesetze des Staates dieser gemischten Menschenrace den Zutritt in die Gesellschaft der Weißen untersagen, so fehlten unter den graciösen Gestalten an dem Tische die dunkeln Schönheiten der Stadt. Doch reizende, seltene Schönheiten waren es in der That, die hier aus dem Dunkel der Nacht plötzlich in das helle, Licht der Gasflammen traten. Man sah nur Augen, große, dunkle, glänzende Augen auf Alabastergrund, und gewaltsam bemeisterte deren Macht jeden ihnen begegnenden Blick. Kein Blutstropfen färbte die Wangen dieser herrlich schönen Frauengestalten, und der Schnee ihrer durchsichtigen zarten Haut wurde durch das glänzende Schwarz ihres Haars, ihrer langen Wimpern und ihrer scharfgeschnittenen Brauen noch gehoben. Ueberraschend und feenhaft war der Anblick so vieler fortwährend wechselnder Schönheit, und vergebens hatten die drei jungen Männer schon geraume Zeit sich bemüht, zu entscheiden, welcher der Preis gebühre. Es zog aber plötzlich wie ein Schatten über dies prächtige Bild vor dem Marmortisch, denn eine weibliche Gestalt trat jetzt in das Licht herein, deren Erscheinen alle jene Schönheiten verdunkelte. Sie war groß und schlank, üppig und zart gebaut, und ging, wie man sich denkt, daß eine Göttin gehen müßte. Das Weiß ihrer dunkeln, großen, tief überschatteten Augen war auffallend klar und hatte den Perlenglanz ihrer unvergleichlich schönen Zähne. Ihre Haut zeigte nicht jenes durchsichtige bleiche Weiß, wie die ihrer schönen Nebenbuhlerinnen an dem Marmortisch, sie war mit einem Hauch von Gelb gemischt, was ihr einen wunderbar zarten Ton gab, der durch den Anfing von Carmin auf ihren Wangen und dem brennenden Purpur ihrer Lippen noch weicher erschien. Ueber der hohen freien Stirn theilte sich das stark gelockte ungewöhnlich reiche Haar und fiel wie eine Wolke in seidenweichen tiefschwarzen Ringeln zu beiden Seiten ihres wundervoll schönen, lieblichen, edlen Antlitzes an ihrem schlanken Nacken herab über ihren vollen schwellenden Busen. Das gelbe Gewand von sehr leichtem Wollenstoff ließ aus den, weit nach oben aufgeschlitzten und lang herabhängenden Aermeln ihren reizend schönen Arm sehen und wich weit genug von ihren Schultern herab, um den zarten Nacken nicht zu verhüllen. Es war über ihrer breiten Hüfte nur mit einer Litze zusammengezogen und reichte kaum bis auf die zierlichen Knöchel hinab, so das der auffallend kleine, unbeschreiblich schön geformte Fuß sichtbar blieb. Dabei lag eine unnennbare Lieblichkeit und anspruchlose Anmuth mit der edelsten Grazie gepaart auf ihrer ganzen Erscheinung und jede ihrer Bewegungen war einer Fee würdig. Sie schien kaum siebzehn Sommer zu zählen, doch ihre elastischen, wollüstig gerundeten Formen, ihr leichter schwebender Gang und etwas bestimmt Ausgeprägtes in ihrer ganzen Haltung zeigte deutlich, daß die Uebergangsperiode vom Kind zur Jungfrau vollständig von ihr überwunden war. Sie trat mit einer Art von Schüchternheit in das helle Licht und, nicht einen Blick auf ihre schönen Schwestern werfend, an dem Marmortisch vorüber nach der entgegengesetzten Seite des großen Raumes, wo die Medicamente durch einen Apothekergehülfen verabreicht wurden. Mit gesenktem Blick war sie bei den jungen Männern vorübergeschritten, hatte im Gehen ein Papier aus ihrem Gewande hervorgezogen und reichte dasselbe nun dem Gehülfen mit den Worten hin:
»Wenn Sie die Gewogenheit haben wollten, dies gleich anzufertigen.«
Wie die Klänge einer silbernen Glocke tönten diese Worte mit einem leisen Beben durch die Halle und Alles richtete die Blicke auf die schöne Unbekannte. Die Gäste vor dem Marmortisch hielten ihre schaumgefüllten Gläser halb zum Mund erhoben und schauten, wie der Bewegung beraubt, nach der reizenden Erscheinung und die drei jungen Männer hatten sich unwillkührlich aus ihrem nachlässigen Sitz aufgerichtet und sahen, wie festgebannt, auf die Jungfrau. Augenscheinlich fühlte diese das lebhafte Interesse, welches sie allen Anwesenden für sich einzauberte, sie stützte ihre kleine linke Hand auf den Tisch, an dem sie stand, neigte sich, wie verlegen, nach vorn, und sah flüchtig nach dem Eingang zurück, wo eine alte Negerin von der Straße her um den Thürpfeiler nach ihr schaute, und auf ihre Rückkehr zu warten schien. Nur einige Minuten waren erforderlich, um das Recept auszuführen, die Fremde empfing in ihrer unvergleichlich schönen Hand die kleine Schachtel mit Pulver, legte das Geld dafür auf den Tisch und verließ mit einem halbunterdrückten »Guten Abend« den Saal, indem sie den leichten Florshawl über ihren makellos schönen Nacken zog.
»Wer war diese Dame?« fragte Lincoln, der eine der drei jungen Männer, den Apotheker mit einem heftigen Ausbruch seines lange verhaltenen Athems, und faßte denselben stürmisch bei der Schulter.
»Ei, ei, Herr Lincoln, so sehr bewegt? es ist mir leid, Ihrer Wißbegierde den Weg nicht zeigen zu können, ich habe die junge Dame niemals früher gesehen,« erwiederte der Apotheker lächelnd.
»Sie war sehr schön!« sagte Franval, der zweite der jungen Männer, halb vor sich hin und blickte, wie in Gedanken versunken, vor sich nieder.
»Bei Gott, ein reizender Engel! – was für ein paar Augen – welche Figur – und dann der Mund – was gäbst Du für einen Kuß von ihr, Lincoln?!« rief Fehrmann, der dritte der jungen Männer, indem er mit seinen glänzend blauen Augen auf Lincoln schaute und hell auflachte. Doch dieser warf ihm einen ernsten Blick zu, strich, wie aus einem Traum erwachend, seine schwarzen Locken zurück, sprang nach seinem Hut, und rannte mit den Worten:
»Laßt uns ihr folgen!« zur Thür hinaus. Seine beiden Gefährten waren ihm nachgeeilt und alle Drei hatten einige hundert flüchtige Schritte an dem Platze hingethan, als sie stehen blieben und sich umschauten, denn nirgends war eine Spur von der schönen Jungfrau zu sehen.
»Sie ist fort, bei Gott!« rief Lincoln, in seiner Hoffnung getäuscht. »Franval, spring Du rasch dorthin um den Platz und folge ihr, wenn Du sie einholst, bis zu ihrem Hause; Du, Fehrmann, suche sie auf dem Platze selbst, vielleicht ist sie quer hinübergegangen, und ich will ihr hier hinaus folgen. Vor der Kirche drüben kommen wir wieder zusammen.«
Mit diesen Worten rannte er fliegenden Laufes davon, und war bald in der Dunkelheit verschwunden, während seine Gefährten sich trennten und gleichfalls die Suche antraten. Nach Verlauf von einer halben Stunde trafen Franval und Fehrmann verabredeter Maßen vor der Kirche zusammen, doch Lincoln fehlte noch.
Franval war ein Deutscher, der vor wenigen Jahren in Newyork ein bedeutendes überseeisches Geschäft gegründet hatte und sich augenblicklich hier befand, um zwei Schiffe nach Europa zu beladen. Fehrmann, gleichfalls ein Deutscher und ein Bild der Sorglosigkeit und ungestörter Heiterkeit, war ein kleiner, blonder junger Mann von frischem, gesunden Aussehen und großer Beweglichkeit. Er war aus ähnlichem Grunde, wie Franval, von New-Orleans hierhergekommen, um Güter für ein französisches Haus zu kaufen und von hier aus zu verschiffen.
Lincoln dagegen war Amerikaner und sein Beruf der eines Advocaten. Er war ein bildschöner, nicht sehr großer, aber kräftig gebauter Jüngling mit schwarzem Haar, tief dunkeln Augen und großer Leidenschaftlichkeit in seinem Wesen. Er hatte in Philadelphia studirt, hatte dort einige Zeit bei einem berühmten Advocaten gearbeitet und war nun kürzlich hierhergekommen, um selbstständig seine geschäftliche Laufbahn zu beginnen. Ein Mensch von ungewöhnlichen Talenten, hatte er während seines kurzen Aufenthalts hier schon Einigemale in wichtigen Rechtsfällen öffentlich gesprochen und durch seine Rednergabe sowohl, als auch durch seine klaren, scharf bezeichneten richtigen Ansichten die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Die Hände tief in seine Rocktaschen vergraben und mit gesenktem Kopf, kam er jetzt gedankenvoll an dem Platze heraufgeschritten und trat mit den Worten zu seinen beiden Freunden:
»Sie ist richtig fort, habt Ihr Nichts von ihr gesehen?«
»Wenn ich sie aufgefunden hätte, so würde ich es Dir nicht verrathen, Freund Lincoln,« entgegnete Fehrmann lachend, »doch bin ich den drei schönen Quadronenschwestern begegnet, den Putzmacherinnen unterm Berge, sie benutzten die Dunkelheit, um sich zwischen den Patriziern der Stadt auf dem Platze zu ergehen und für weiße Ladies zu passiren. Es sind verdammt schöne und interessante Mädchen und singen können sie wie die Nachtigallen. Wir sollten eigentlich noch ein wenig zu ihnen gehen; ich glaube, sie haben sich nach Hause begeben. Die armen Dinger! Heirathen läßt sie das Gesetz nicht, obgleich sie frei sind, und doch tragen sie ein liebeglühendes Herz im Busen. Farbige Männer, ihre Blutsverwandten, verachten sie, und von den Weißen werden sie verachtet. Wir Ausländer sind noch am Besten mit ihnen daran, sie wissen, daß wir weniger Vorurtheil gegen ihre dunkle Haut hegen und finden eine Art von Trost in einem vertraulichen Umgange mit uns.«
»Ich möchte Dir wohl rathen, Deinen vertraulichen Umgang mit diesen reizenden Sirenen etwas vorsichtiger zu pflegen, Du bist häufig noch zu später Stunde dort, wenn die Straßen leer sind, und man hält Dich für einen reichen Ausländer, der, weniger klug als die Amerikaner, immer die Taschen voll Geld hat. Schon mancher Fremder ist hier bei solchen Abenteuern spurlos verschwunden,« bemerkte Franval.
»Auch kann man diesen Farbigen selbst selten trauen, das Negerblut, das in ihren Adern fließt, macht sie hinterlistig und blutdürstig, und wir Amerikaner haben nicht ganz ohne Grund ein solches unbeugsames Vorurtheil gegen sie,« fiel Lincoln ein.
»Du republicanischer Sclavereimann – Ihr Amerikaner saugt die Verachtung gegen die schwarzen Menschenracen mit der Muttermilch ein. Komm mit zu meinen drei dunkeln Engeln und laß mich sehen, ob Du gleichgültig gegen ihre Reize bleibst und ob Du ihnen gegenüber noch behaupten kannst, daß sie den Thieren näher standen, als die zerbrechlichen geistlosen weißen Damen,« sagte Fehrmann leidenschaftlich und zeigte nach dem Platz, auf dem die schöne Welt immer noch auf und nieder wandelte.
»Schön, oder geistreich, mir gilt es gleich, aber mich kann ein Weib nicht reizen, von dem ich weiß, daß ihre Vorfahren Neger waren. Der Gedanke daran macht sie mir schon zuwider,« entgegnete Lincoln.
»Du bist ein unverbesserlicher Nordamerikaner und ich wünsche weiter nichts, als daß Du Dich doch einmal in eine Farbige verlieben möchtest, damit Du zu ihren Füßen Dein Unrecht bekennen müßtest. Nun aber kommt, was sollen wir länger hier stehen – laßt uns noch ein wenig promeniren. Wir begegnen vielleicht abermals, einer solchen Fee, wie die, welche wir so eben verloren haben,« sagte Fehrmann und schritt in der Mitte seiner beiden Freunde auf den Platz, wo sie sich bald in dem Strom der Spazierenden befanden. An der einen Seite des Kapitoliums hinauf und an der anderen Seite wieder herunter, hatten sie sich durch die Menge hin- und hergewunden, doch, der Dunkelheit wegen, ohne irgend einen interessanten Anhaltspunkt gefunden zu haben, als Fehrmann sagte:
»Nun kommt und laßt uns einmal bei meinem schönen gelben Kleeblatt vorüber gehen, hier ist ja nichts los, und dort finden wir wenigstens einen guten Scherz. Die Mädchen sitzen sicher vor der Thür.«
Seine beiden Kameraden hatten nichts dagegen einzuwenden, und so schlugen sie die nächste Straße ein, die an dem Berg hinab führte, denn das Ziel ihrer Wanderung lag in der Nähe des Flusses.
»Ich hatte vor einigen Abenden in dem kleinen Garten der drei Quadronen ein rencontre mit einem Mulatten,« fuhr Fehrmann im Gehen fort; denkt Euch nur, daß der Kerl, der ein Verwandter von den Mädchen ist, in meiner Gegenwart ihnen Vorwürfe darüber machte, daß sie Besuche von weißen Herren annähmen. Ich glaube, der Bursche ist eifersüchtig und möchte gern eine der Schwestern zur Frau haben. Es ist derselbe Mulatte, der unten am Flusse das Badehaus und die Barbier- und Frisirstube halt, ein wohlhabender und freier Farbiger. Seline, die älteste der Schwestern, wies ihn sehr kurz zurecht und deutete ihm an, daß er gar nichts hier zu suchen habe. Als er aber demohngeachtet blieb und mit seiner Moralpredigt fortfuhr, zeigte ich ihm den Weg und zwar, da er nicht gutwillig ging, mit einigen Stockhieben. Dabei geberdete er sich ganz wie verrückt und schwur mir blutige Rache. Denkt Euch nur, ein farbiger Kerl!«
»Ein Farbiger – was thut denn das zur Sache? Ich meine, die Neger waren ebenso vollkommene Menschen, wie die Weißen!« fiel ihm Lincoln spöttisch in die Rede, »seht, so seid ihr Ausländer, da redet ihr diesen Halbmenschen das Wort, wollt sie mit Gewalt mit Euch selbst auf gleiche Stufe stellen, und sobald dieselben es im Geringsten wagen, davon Gebrauch zu machen, so fühlt Ihr Euch beleidigt und seid entrüstet darüber. Ich sage Euch, Schwarz bleibt Schwarz, bis in das zehnte Glied, oder wenigstens so lange noch ein Atom davon sich geltend macht. Uebrigens will ich Dir sagen, Fehrmann, daß Du auf Deiner Hut sein kannst, diese Bestien vergessen einen solchen Scherz mit dem Stocke nicht so leicht, als Du wohl denken magst. Sieh Dich vor, damit Dir kein Leids geschieht.«
»Larifari – die Hunde, welche bellen, beißen nicht,« antwortete Fehrmann und nachdem sie einige Zeit schweigend in den, hier noch nicht gepflasterten staubigen Straßen hingewandert waren, rief er, indem er um eine Ecke bog, seinen ihm folgenden Gefährten zu:
»Donnerwetter, wie finster ist es hier unten in der Stadt, man kann wahrhaftig kaum von Haus zu Haus sehen. Bald hätte ich mich irre gegangen, nun sind wir aber gleich da, dort, das einzelne Haus ist es.«
Hierbei zeigte er auf ein kleines hölzernes Wohngebäude, zu dessen beiden Seiten sich ein mit Stacketen eingefaßter Garten ausdehnte. Die drei Freunde schritten jetzt in dem hohen Staube lautlos dem Hause näher, als plötzlich vor demselben eine männliche Stimme laut ausrief:
»Herr Fehrmann, Herr Fehrmann!«
»Was Teufel, was ist das? Da bin ich doch wirklich neugierig,« sagte Fehrmann leise und alle Dreie schritten nun eiliger vorwärts, da öffnete sich die Thür des Hauses, eine Mannsgestalt erschien in dem hellen, daraus hervorströmenden Lichte, und man gewahrte in diesem zugleich einen Reiter zu Pferd, der dicht vor dem Hause hielt.
In demselben Augenblicke blitzte es bei dem Kopfe des Pferdes, der Donner eines abgefeuerten Gewehrs krachte durch die Stille der Nacht und ein lautes Angstgeschrei schallte aus der Thür hervor. Zugleich aber dröhnten die Hufschläge eines davonjagenden Rosses in der Straße hinunter und verhallten in der Ferne.
Mit fliegenden Sprüngen hatten die drei Freunde das Haus erreicht und fanden in der Flur die blutige Leiche eines jungen Mannes hingestreckt, über welche sich die drei Quadronenschwestern mit Lichtern in der Hand jammernd und wehklagend hinbeugten.
Der Erschossene war der Geliebte von der Jüngsten der Schwestern und hatte mit derselben hinter der geschlossenen Thür gestanden, als der Name Fehrmanns in der Straße gerufen wurde. Er hatte die Thür geöffnet und war kaum in dieselbe eingetreten, da streckte ihn ein Flintenschuß mit Bockschroten nieder. Sein Gesicht war so von der Ladung zerfetzt, daß Nichts mehr daran zu erkennen war, und sein blondes Haupthaar triefte von Blut.
»Das hat der Mulatte, der Barbier gethan!« schrie Fehrmann in höchster Wuth den Leuten zu, die von allen Seiten herangeeilt kamen und theilte dann den Anwesenden den Streit mit, den er mit dem Genannten gehabt hatte.
Auch ein Constabel hatte sich eingefunden, sammelte die anwesenden Männer um sich und eilte mit ihnen sofort nach der Wohnung des bezeichneten Mulatten. Die Thür war »erschlossen und eine geraume Zeit blieb das Klopfen an derselben ohne Antwort. Endlich erschien eine Negerin an dem Fenster und fragte nach der Ursache des späten Besuchs, indem sie zugleich erklärte, ihr Herr, der Mulatte George Stacy, befinde sich in seinem Bette. Die Thür wurde auf stürmisches Verlangen geöffnet, man drang in das Haus, zu dem Bette des Mulatten und hier lag derselbe, sich die Augen reibend, wie so eben aus dem Schlaf erwacht. Der Constabel begab sich nun schnell in den Stall zu dem Pferde und fand dasselbe noch außer Athem und seine Flanken in Bewegung, das Haar, wo der Sattel gelegen hatte, war feucht und der Sattel selbst noch warm. Alle Bemühungen, das Gewehr zu finden, blieben erfolglos. Trotz Leugnen, Betheurungen und Schwören des Mulatten wurde derselbe gebunden und nach dem Gefängniß abgeführt.
»Dein gutes Glück hat Dich gerettet, Fehrmann,« sagte Lincoln zu diesem, als er mit seinen Freunden das Haus der drei Quadronen verließ und den Weg nach dem Gasthaus antrat, »meine Ahnung war nur zu gegründet. Der Mulatte ist der Meinung, er habe Dich erschossen. Da hast Du wieder einen Charakterzug der Farbigen. Sonderbar, daß die schwarze Race durch das Mischen mit weißem Blute schlechter wird, denn der wirkliche Neger hat die Eigenschaften des Raubthieres nicht. «
»Es spricht mehr gegen uns Weiße, als gegen die Farbigen, wenn die Mischlinge die guten Eigenschaften des Negers verlieren und die schlechten der Weißen annehmen,« bemerkte Franval.
»Es mag wohl in der Zunahme, der geistigen Fähigkeiten seinen Grund haben und darin, daß sie das weiße Blut nun schon in sich erkennen, ohne von den Weißen als Gleichberechtigte anerkannt zu werden,« erwiederte Lincoln, »übrigens ist der Fall interessant und wird mir eine neue Gelegenheit geben, mich in dem Gerichtshaus hören zu lassen.«
Die Freunde hatten den Platz bei dem Kapitolium erreicht, fanden ihn jetzt verödet und eilten nach dem nahegelegenen Powhattanhause, dem Gasthause des Herrn Duwall, wo sie zusammen wohnten. In dem parlour, oder Gesellschaftszimmer, herrschte noch reges Leben, alle Thüren und Fenster waren geöffnet, der ungeheure Fächer, der an eisernen Stangen von der Decke herab über dem Tisch in der Mitte des Saales hing, wurde immer noch von einem Negerbuben mittelst eines Seils in Bewegung gesetzt, so daß er hin und her durch den Raum flog und einen heftigen Luftzug veranlaßte, und an den offenen Fenstern saßen die Gäste des Hauses und ließen die eindringende kühle Nachtluft um ihre Schläfe spielen. Die Nachricht, welche die drei Freunde von dem verübten Mord überbrachten, erzeugte die größte Entrüstung, und man sprach sich laut darüber aus, daß man zu viel Nachsicht mit dem farbigen Volke habe und daß man abschreckende Beispiele an ihm ausüben müsse. Einzelne Stimmen wurden dagegen laut, die auf die Gefahr hindeuteten, welche bei einer zehnfach überlegenen schwarzen Bevölkerung der Stadt durch zu große Strenge entstehen könne. Lincoln war in seinem Elemente, nahm häufig das Wort, und setzte geistreich auseinander, daß man nach dem Gesetz der Selbsterhaltung Alles, was nur den leisesten Anklang von Farbig habe, unter der strengsten Peitschenzucht halten müsse, wolle man nicht Gefahr laufen, von dieser fremden Race selbst unterdrückt, oder vertilgt zu werden.