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Am andern Morgen hatten sich alle Gäste des Powhattanhauses schon an dem Frühstückstisch eingefunden, nur der Stuhl neben Franval, der gewöhnliche Platz Lincolns, war noch nicht besetzt. Fehrmann, der an der andern Seite Franvals saß, hatte so eben seinen Teller mit gebratenem Schinken und Eiern, mit gesalzener Makrele, mit dampfend heißen Buchweizenkuchen und Syrup, so wie mit in Milch gekochten Maiskörnern gefüllt, und begann diesen Berg von Leckerbissen zu vertilgen, als die Thür sich öffnete und Lincoln eintrat. Fehrmann sah von seinem Teller nach ihm hin und rief ihm mit einem triumphirenden Blick entgegen:
»Nun, habe ich nicht richtig prophezeit? Du bekehrter Negerfeind –« doch Franval fiel ihm in die Rede und stieß ihm mit dem Arm in die Seite, indem er sagte:
»Fehrmann, vergiß Dich nicht,« während Lincoln diesem einen drohenden finstern Blick zuwarf.
Der junge Advocat wurde von allen Seiten aufs freundlichste begrüßt und die Damen empfingen ihn mit Scherzen und Neckereien und sprachen ihre Hoffnung aus, daß er ihnen seine heitere Laune erhalten möge.
»Leider wird sie bald wieder getrübt werden,« sagte er, »denn ich muß wahrscheinlich von Ihrer, mir so theuren Gesellschaft scheiden. Es sind mir sehr vortheilhafte Aussichten in einer Stadt der nördlichen Staaten gestellt, und die Anerbietungen, die mir gemacht sind, wenn ich dorthin übersiedele, sind zu lockend, als daß ich nicht davon Gebrauch machen sollte. Ich werde Richmond wahrscheinlich bald verlassen.«
»Ist das möglich?« riefen fast alle Tischgenossen zu gleicher Zeit und sahen ihn ganz erstaunt an.
»Ihr glänzendes Geschäft hier wollten Sie aufgeben? Unmöglich, Sie haben ja in der kurzen Zeit alle die alten Advocaten hier überflügelt, und nun sollten Sie diese errungenen Siege nicht verfolgen?« sagte einer der Herren.
»Unbegreiflich, denken sie doch nur, wie selten ein junger Anfänger so von dem Glück begünstigt wird,« bemerkte ein Anderer.
»Das würden Ihnen die Schönen Richmonds nimmermehr vergeben, Herr Lincoln, man rechnete fest darauf, daß Eine unter ihnen Sie zu fesseln im Stande sein würde,« sagte eine der jungen Damen.
»Da möchten sie wohl die Rechnung ohne den Wirth gemacht haben; sie sind ihm nicht feurig genug,« fiel Fehrmann halblaut ein, doch wurde er abermals durch einen verweisenden Blick Franvals zum Schweigen gebracht.
»Und doch wird mir Nichts übrig bleiben, als den, für mich so herben Abschied von den hiesigen Damen zu nehmen; denn ich habe bereits die Zusage gegeben, daß ich baldmöglichst in meinem neu gewählten Wohnort eintreffen würde,« sagte Lincoln.
Franval hatte ihn während der ganzen Zeit schweigend und verwundert beobachtet, und hatte bemerkt, daß er absichtlich seinem Blick auswich; als Lincoln aber aufstand, um sich zu entfernen, erhob Jener sich gleichfalls und folgte ihm mit den Worten: »Wir gehen zusammen,« aus dem Speisesaal.
Als sie in dem Corridor ihre Hüte nahmen und in die Straße hinausschritten, brach Franval zuerst das Schweigen, indem er Lincolns Arm nahm, und sagte:
»Es ist etwas für Dich sehr Wichtiges geschehen, Lincoln, was Dich so plötzlich zu diesem unerklärlichen Entschluß brachte, alle Deine großen Erfolge hier aufzugeben, Du weißt, ich gehöre nicht zu den Neugierigen, weißt aber auch, daß ich Dein Freund bin und bei Ereignissen, die so tief in das Leben eingreifen, ist oftmals die Ansicht und der Rath eines ehrlichen Freundes von Werth. Solltest Du des meinigen nicht bedürfen?«
»Ich bedarf ihn darum nicht, weil mein Entschluß durch Nichts in der Welt abzuändern ist, und dann, weil mein Wohl sich nicht in Gefahr befindet. Ich danke Dir herzinnig für Deine Freundschaft und weiß sie wohl zu würdigen.«
»Ich will Nichts über Dein Geheimniß erforschen, aber ich muß Dir doch sagen, daß wenigstens ein Theil davon mir bekannt ist, wenn ich auch nicht weiß, in wie weit es mit Deinem raschen Entschluß in Verbindung steht. Die verschleierte Gestalt, der Du gestern Abend in so ungewöhnlicher Aufregung folgtest, war dasselbe schöne Mädchen, welches wir in der Apotheke sahen, sie ist also eine Farbige.«
»Hierin hast Du Recht, sie war dieselbe, die wir an jenem Abend sahen,« entgegnete Lincoln und Franval gab dem Gespräch eine andere Wendung, da er sah, daß sein Freund nicht weiter darauf einzugehen wünschte.
»Wann gedenkst Du denn abzureisen?« fragte er ihn.
»Es werden noch einige Wochen darüber hingehen, bis ich meine Angelegenheiten hier sämmtlich geordnet habe. Dann aber ohne Verzug,« entgegnete Lincoln.
»Ich frage deshalb, weil auch ich bald mit meinen Geschäften hier fertig bin und dann nach Newyork zurückkehren werde. Ich dachte, wir könnten wohl zusammen reisen, da Du von einem nördlichen Staate sprachest, wohin Du zu gehen gedächtest.«
»Das wird sich nicht machen lassen, so lieb es mir auch sein würde. Ich kann Dir den Ort meiner Bestimmung noch nicht nennen, doch wirst Du ihn später durch mich erfahren. Du weißt, Franval, es giebt Angelegenheiten, die man selbst dem Freunde nicht mittheilen kann.«
»Und doch sieht man manchmal, wenn auch zu spät, ein, daß es besser gewesen wäre, wenn man es gethan hätte, weil Leidenschaft häufig eine ruhige Ueberlegung nicht zuläßt. Uebereile Dich nicht, Lincoln, das ist Alles, um was ich Dich bitte,« sagte Franval theilnehmend, und Jener drückte ihm schweigend, wie zum Dank, die Hand.
Nach Verlauf einer Woche war das letzte Schiff, welches Franval zu beladen hatte, segelfertig, und sollte nach Holland abgehen, als am Abend vor dessen Abfahrt die drei Freunde sich am Bord dieses großen Dreimasters vereinigten, um noch einmal einige Stunden im trauten Freundschaftskreise zusammen zu verleben; denn alle Dreie waren auf dem Punkt, die Stadt, wo sie so manche angenehmen Augenblicke miteinander hingebracht hatten, zu verlassen, und nach ganz verschiedenen Richtungen hin, sich auf unbestimmte Zeit, vielleicht auf immer zu trennen.
Alle Dreie hatten erst seit wenigen Jahren das Ruder ihres Lebensbootes in die eigene Hand genommen, und hatten es auf den hohen Wogen des Lebensmeeres hinausgesteuert, allen Dreien war es bis jetzt gelungen, mit starker Faust und festem Willen dem Schicksal zum Trotz ihr Fahrzeug glücklich und nach Wunsch zu führen, und alle Dreie sahen mit heiterem hoffnungsvollen Blick in ihre Zukunft. Mit diesem Gefühl traten sie in den engen Raum der reich drapirten Kajüte, sich die Hand reichend, zusammen und ließen sich in den rothsammetnen Sesseln an dem Tisch gegeneinanderüber nieder.
Die feinsten Cigarren wurden angezündet, der köstlichste Wein von den fernen Ufern des deutschen Rheins perlte in den Gläsern und die Vergangenheit der drei Freunde, mit ihren vielen Widerwärtigkeiten und besiegten Hindernissen wurde in Scherz und Heiterkeit von ihnen in lebendiger Unterhaltung vorgeführt.
Allen Dreien war in der Wiege ein sorgenloses glückliches Leben versprochen worden, alle Dreie aber waren schon frühzeitig von stürmischen Schicksalen heimgesucht und hatten mit eigener Energie gegen tausend Leiden und vereitelte Hoffnungen anzukämpfen gehabt, bis sie jetzt endlich glaubten, in einem sicheren ruhigen Hafen Anker geworfen zu haben.
Lincoln hatte das Gefühl gewonnen, daß ihm sein Talent, seine Kenntnisse, wo er sich auch niederlassen möchte, eine sorgenfreie, ehrenvolle Existenz verschaffen würden und das Glück, welches ihm dieselbe würzen sollte, trug er mit dem süßen Bilde seiner geliebten Rosiana im Herzen.
Franval hatte sich durch eigne Thätigkeit und Umsicht in Newyork ein großartiges überseeisches Geschäft gegründet, auch ihm lachte in einer reizenden süßen Braut das Glück seiner Zukunft entgegen, und Fehrmann endlich hatte sich durch Commissionsgeschäfte für Frankreich schon ein bedeutendes Vermögen erworben und stand im Begriff, ein ausgezeichnetes liebenswürdiges Mädchen zum Altar zu führen.
Alle Dreie hatten bis zu diesem Augenblick den Theil ihres Glückes, den ihnen das Herz gewährte, vor einander verschwiegen, und sie würden auch wohl heute, ohne dessen erwähnt zu haben, von einander geschieden sein, hätte nicht der feurige Madeira, der nun ihre Gläser vergoldete, ihre Herzen geöffnet und deren übersprudelnde Gefühle nach ihren Lippen gedrängt.
Mit hellstrahlendem Blick stand Fehrmann auf, hob sein Glas in die Höhe und sagte mit leidenschaftlicher Begeisterung:
»Die Sonne meines Lebens, mein Mädchen, die schönste, reizendste Blondine der Welt, soll leben!« und mit lautem, dreifachen Hoch ließen die Freunde ihre Gläser gegen einander klingen.
»Mein Mädchen gleicht dem Monde mit seinem Perlenlicht und seinen tiefen Schatten, sie lebe dreimal hoch!« sagte Franval mit beseligtem Blick und wieder klangen die Gläser und wieder wurden dieselben von den Freunden bis auf den letzten Tropfen geleert.
»Mein Mädchen ist die Göttin des Abends, sie gleicht dem Himmel, wenn er im goldenen Gewande zwischen Tag und Nacht steht. Sie lebe hoch und dreimal hoch!« rief Lincoln mit glückstrahlenden Augen und stieß sein neugefülltes Glas gegen die seiner Freunde, daß es laut und jubelnd erklang.
»Diese Gläser dürfen nie wieder von anderen Lippen berührt werden, und sollen nie wieder zu einem Lebehoch ertönen, laßt uns sie in den Wogen des alten Jamesflusses begraben,« nahm Lincoln wieder das Wort, schritt zu dem Kajütenfenster und, indem er sein Glas in den Strom hinab warf, folgten seine Freunde seinem Beispiel.
»Möge unser Glück so sicher gegen die zerstörende Hand des Schicksals sein, wie die Gläser auf dem tiefen Grunde der Fluth!« sagte Franval und rief dann dem Kajütenwärter zu, Champagner zu bringen.
Während er und seine Freunde ihre Sitze wieder einnahmen, sagte er mit ernstem Tone:
»Nun laßt mich Euch einen Vorschlag machen. Es lacht uns allen Dreien im Augenblick das Schicksal und Keiner von uns bedarf jetzt der Hülfe des Anderen. Wer kann es vorhersagen, daß es so bleiben wird, und daß nicht dem Einen oder Anderen von uns über kurz oder lang das Glück den Rücken kehrt und er dem Mißgeschick wieder anheim fällt! Laßt uns darum jetzt einen Bund schließen, daß wir Einer dem Anderen, wenn das Schicksal ihn bedrohen sollte, zu Hülfe kommen und ihm treulich als Freund mit Rath und That bis zum letzten Blutstropfen zur Seite stehen wollen. Der Gedanke, in diesem Lande der Selbstsucht zwei treue Freunde zu besitzen, auf deren Beistand wir unbedingt zu jeder Zeit rechnen können, sei uns eine Freude im Glück und ein Trost im Unglück.«
»So sei es!« riefen Lincoln und Fehrmann zugleich und alle Dreie bekräftigten ihr Gelübde mit herzinnigem Händedruck. Der Champagner war aufgetragen, der sprudelnde Wein schäumte in den Gläsern und die Freunde leerten sie mit dem Schwur, ihrem Bunde treulich Rechenschaft zu tragen. Sie versprachen, sich gegenseitig fortwährend von ihrem Aufenthaltsort in Kenntniß zu setzen und sich alle wesentlichen Aenderungen in ihrem Geschick mitzutheilen.
Der Mond stand hoch am Himmel, als sie aus der Kajüte auf das Verdeck traten, eine Todtenstille lag auf der, im Mondlicht glänzenden eiligen Fluth, und in der Stadt war das geräuschvolle Geschäftsleben verhallt. Die Freunde bestiegen das ihrer harrende Boot und ließen sich an das Ufer überfahren, wo sie dann Arm in Arm ihren Weg nach dem Powhattanhause antraten. Auf dem Platze bei dem Kapitolium angelangt, ließ Lincoln seinen Arm aus dem Franval's gleiten, wünschte seinen beiden Freunden eine gute Nacht und drückte ihnen die Hand, ohne zu sagen, wohin er gehe, und ohne von ihnen danach gefragt zu werden. Sie schieden, Franval und Fehrmann wanderten nach ihrer Wohnung, und Lincoln eilte an das heißliebende Herz seiner Rosiana, die unter den duftenden Blüthenbäumen des Gartens seiner harrte.
VIII.
Fehrmann war der Erste, der Richmond verließ und nach seinem Wohnort New-Orleans zurückkehrte, wenige Tage später wurde Franval von Lincoln an Bord des Dampfschiffes begleitet, welches ihn nach Baltimore führte und von wo aus er sich mit der Eisenbahn nach Newyork zurück begab. Nun machte auch Lincoln die letzten Vorbereitungen, um dem Staate Virginien Lebewohl zu sagen und zugleich der Mulattin an seiner Seite und mit seinem Namen die Menschenrechte zu geben, die er ihr vor wenigen Monden selbst noch abgesprochen hatte.
Seine Geschäftsangelegenheiten waren aufgewunden, er hatte Geld genug eingezogen, um für die ersten Jahre aller Nahrungssorgen überhoben zu sein und wollte mit Rosiana sich nach Newyork begeben, um sich dort mit ihr trauen zu lassen. Er kaufte einen leichten zweirädrigen hübschen Wagen mit ledernem Verdeck und ein starkes gutes Pferd, um die Reise bis Baltimore damit zu machen, so daß er der Gefahr entging, auf dem Dampfschiff mit Rosiana erkannt zu werden. Alles war zur Abreise fertig, und die nächste Nacht für dieselbe bestimmt. Rosiana war mit Thränen aufgestanden, der letzte Tag war gekommen, den sie in der Heimath verleben sollte. Ihrer Mutter, ihrem Pflegevater und Wohlthäter sollte sie heute schweigend auf ewig Lebewohl sagen, sie sollte von Allem Abschied nehmen, was ihre Kindheit, ihre Jugend beglückt hatte! Das Herz wollte ihr brechen; kraftlos wankte sie schon, als der Tag graute, an der Stubenthür vorüber, wo ihr guter Herr noch im ruhigen Schlaf lag und blieb mit gefalteten Händen weinend an derselben stehen, als bitte sie ihn, den Vorsatz, ihn heimlich zu verlassen, ihr zu vergeben. Sie schlich in den Garten zu den schönen Blumen, die sie mit so viel Liebe, so viel Sorgfalt gepflegt, und die jetzt vom schweren Thau gebeugt, ihr mit Thränen den letzten Gruß zuzuwinken schienen. Bei ihrer Rückkehr in das Haus begegnete sie ihrer Mutter, die sie verwundert anblickte und, ihre feuchten Augen gewahrend, sie besorgt fragte, ob sie sich nicht wohl fühle. Rosiana aber warf sich ihr schluchzend an die Brust und preßte sie schweigend gegen ihr Herz. Sie hatte ihre Augen mit frischem Wasser gekühlt, um dem Pfarrer in gewohnter Weise den Morgengruß zu bringen, aber kaum trat sie in seine Gegenwart, als ihre Thränen von Neuem hervorbrachen und ihr die Worte nahmen. Der Geistliche sah in diesen Thränen wieder nur den Schmerz, den die Abkunft Rosiana's ihr so oft in die Brust legte und, wie früher, suchte er sie durch doppelte Freundlichkeit und Milde zu trösten.
Mit dem Laufe der Stunden mehrte sich die Unruhe, der Seelenstreit Rosiana's, es war ihr, als rissen sich zwei Gewalten um ihr Herz, als hielt die eine sie mit mächtiger Hand hier an dem heimischen Heerde, bei der Mutter, bei dem liebevollen Wohlthäter zurück, als zöge die Andere sie unaufhaltsam zu dem Geliebten hin, und als die Sonne sich zu neigen begann, da sank die Mulattin in ihrem Stübchen händeringend auf ihre Kniee und flehte den Allmächtigen an, ihr beizustehen und ihr den Abschied zu erleichtern.
Bei dem letzten Schein des Tages saß Rosiana in Thränen gebadet vor ihrem Tischchen und schrieb mit zitternder Hand an den Pfarrer Nelson. Sie sagte ihm Lebewohl, sie flehte ihn um Vergebung an, sie dankte ihm für die unzähligen Wohlthaten, womit er sie überhäuft, sie sagte ihm, daß sie glücklich sein würde, wenn sie die Ueberzeugung gewinnen könne, er werde ihrer liebevoll gedenken, sie versprach ihm, seiner Lehren, seines Rathes eingedenk zu bleiben und gelobte, ihn bis zum letzten Athemzug mit kindlicher, frommer Ergebenheit und Dankbarkeit zu lieben. Der Brief war geschrieben und die Thränenflecken auf demselben bekundeten deutlich das Schmerzgefühl, welches die Brust der Mulattin während des Schreibens durchzuckt hatte. Sie faltete das Papier, versiegelte es, und war kaum noch im Stande, durch ihre Thränen die Schriftzüge zu erkennen, mit denen sie den Namen des geliebten, angebeteten, väterlichen Freundes auf den Abschiedsbrief schrieb. Es war geschehen, sie sank in den Stuhl zurück und bedeckte schluchzend mit beiden Händen ihr Antlitz.
Das Düster des Abends zitterte über die Erde, als Morna ihr Kind zum Abendessen rief und Rosiana wankend die Treppe hinab folgte. Sie nippte nur ein wenig Milch, blieb aber, wie festgehalten, an dem Tische sitzen, denn jetzt sollte sie ihrem Pflegevater zum letzten Male gute Nacht sagen.
»Der Herr ist schon in sein Zimmer gegangen, Rosiana,« sagte ihre Mutter zu ihr, als sie ihr Zögern bemerkte, die Mulattin fuhr krampfhaft zusammen, wischte sich die Thränen von den Wangen und schwankte zu ihrem Herrn in die Stube.
»Wieder in Thränen, Rosiana? Fasse Dich doch, Kind, Du reibst Dich unnöthig auf; wüßte ich nur einen sicheren Platz für Dich im Norden dieses Landes, wo Du vor dem Gesetze mit den Weißen gleich berechtigt bist. Ich würde Dich sofort dorthin senden und Dir Deine Freiheit ertheilen; Dich aber so allein in die Welt schicken und Dich ihren Gefahren preisgeben, dazu kann ich mich unmöglich entschließen. Ich will mich aber bemühen, Dir dort eine sichere Stellung zu verschaffen, deshalb beruhige Dich, gutes Mädchen, und vertraue auf Gott.«
Mit diesen Worten hielt der Geistliche der Mulattin die Hand hin, die Rosiana in stürmischer Bewegung ergriff, sie an ihre Lippen drückte und dann vor dem Pfarrer niederstürzte und seine Knie umklammerte.
»Sei guten Muths, Rosiana, Du bist und bleibst ja ewig mein theures Mädchen, auch wenn Du nicht mehr bei mir sein kannst,« sagte der Pfarrer, von seinem Gefühle überwältigt, hob die Farbige zu sich auf und schloß sie in seine Arme. Er küßte sie und sagte ihr gute Nacht, er ahnte aber nicht, daß es der letzte Kuß sei, den er dem Liebling gab.
»Nun gehe zur Ruhe, beste Rosiana, der Himmel gebe Dir einen besänftigenden Schlaf und beruhige Dein Herz. Bis morgen, mein Mädchen,« sagte er, indem er sie zu dem Eingange geleitete, ihr nochmals die Hand drückte und dann die Thür hinter ihr schloß. Rosiana mußte sich an der Wand halten, um nicht in die Kniee zu sinken, denn ihre Kräfte versagten ihr den Dienst; da schlang ihre Mutter zärtlich den Arm um sie und bat sie, sich von ihr nach ihrer Stube geleiten zu lassen. Sie gingen hinauf, und in dem Zimmer angelangt, wollte Morna ihr Kind allein lassen; aber Rosiana fiel ihr mit verzweifelnder Geberde um den Hals und bedeckte sie mit Küssen und Thränen.
»Was ist Dir denn geschehen, beste Rosiana, Du bist ja ganz außer Dir; sei doch vernünftig, Du weißt doch, wie ich Dich liebe und wie der Herr an Dir hängt; Du bist ja sein Eins und sein Alles. Lege Dich nieder, Du bedarfst der Ruhe; bis morgen, mein Kind,« sagte die Negerin, küßte Rosiana nochmals und eilte aus dem Zimmer. Die Mulattin aber stand noch lange regungslos da und blickte auf die geschlossene Thür, während ein heißer Thränenstrom über ihre Wangen rieselte.
Der Abschied war genommen und vor dem umwölkten Geiste Rosiana's erschien jetzt, wie die Sonne zwischen Gewitterwolken, das theure, tröstende Bild des Geliebten. Ihm wandte sie nun wieder ihre Seele zu, ihm gehörte sie für die Ewigkeit an, und mit Sehnsucht im Herzen zählte sie die Minuten bis zur Mitternacht, wo er ihrer an der Gartenpforte harren wollte. Sie hatte die wenigen Gegenstände, die sie ihr eigen nannte, in ein Tuch zusammengebunden, hatte ihren Shawl und Schleier zurecht gelegt und setzte sich an das offene Fenster, um die Schläge der nahen Thurmglocke zu hören. Es war elf Uhr vorüber, tiefe Ruhe herrschte im Hause und im Garten, es schlug halb zwölf, Rosiana stand auf, schlich sich aus dem Zimmer und leise bis zu der Treppe und horchte hinab nach der Thür des Pfarrers. Alles war ruhig. Sie kehrte zu dem Fenster zurück und lauschte in die Nacht hinaus. In weiter Ferne glaubte sie das Rollen eines Wagens zu vernehmen, es kam näher, sie hörte es jetzt deutlich hinter dem Garten, und dort war es plötzlich verhallt. Die Glocke schlug drei Viertel. Schnell schloß Rosiana das Fenster, klopfte an den Vogelbauer, um den kleinen gefiederten Liebling aus seinem Schlaf zu wecken und ihm Lebewohl zu sagen, dann hüllte sie sich rasch in den Shawl und Schleier, ergriff mit bebender Hand das Tuch mit ihren Sachen, legte den Brief an den Pfarrer Nelson auf ihren Tisch, löschte das Licht aus und glitt lautlos die Treppe hinab und aus der Hausthür in den Garten. Noch einen schmerzlichen, herzinnigen Abschiedsblick warf sie zurück auf die Wohnung, in der ihr so viel Trost, so viel Liebe zu Theil geworden war und eilte mit zitterndem Herzen der Gartenpforte zu. Sie trat aus derselben hervor und wurde von den Armen des Geliebten umfangen. Er hob sie rasch in das Cabriolet, schwang sich neben sie in den Sitz und im fliegenden Trabe sausten sie, von dem kräftigen Rappen gezogen, zur Stadt hinaus.
Ende des ersten Bandes.