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Die Mulattin.
Schluß

IX.

Der Winter floh schon wieder mit seiner weißen Decke von dem Norden Amerika's, und der Frühling zog mit Blumen und Blüthen vom Süden herauf über das weite Land, als im fernen Westen der vereinigten Staaten in dem Städtchen B….…., an der Grenze von Mexico, der junge Advocat Lincoln täglich mehr Aufmerksamkeit der Bewohner jener Gegend auf sich zog und dieselben seine Thätigkeit mehr und mehr für sich in Anspruch nahmen. Er war mit Rosiana, seiner jungen Frau, im verflossenen Herbst hier angekommen, hatte sich hier als Advocat niedergelassen und in kurzer Zeit beinahe die ganze Praxis in seine Hände bekommen, so daß die hier schon vor ihm ansässig gewesenen Rechtsanwalte mit Neid und Mißgunst nach ihm aufschauten. Die Bewohner der Stadt und Umgegend kümmerten sich aber wenig um das Interesse dieser Herren, welche sie, unter sich einverstanden, immer hart und rücksichtslos behandelt hatten, weil sie wußten, daß Ihnen die Geschäfte doch nicht entgehen konnten. Ein neuer Advocat war deshalb sehr willkommen, um so mehr, als derselbe in Lincoln, neben allen erforderlichen Geschäftskenntnissen auch persönliche Zuvorkommenheit und liebenswürdige Freundlichkeit vereinigte. Er hatte damals seine Reise von Richmond nach Newyork ohne alle Störung mit Rosiana zurückgelegt, hatte sie dort vor einem Friedensrichter für eine Mexikanerin, Namens Rosiana Salas, ausgegeben und sich durch ihn gesetzlich mit ihr trauen lassen.

Nach kurzem Aufenthalt in Newyork hatte er sich mit seiner jungen Gattin eingeschifft und war wohlbehalten mit ihr in B………, seinem erwählten neuen Wohnort, angelangt. In gleichem Maße, wie er sich durch seine rastlose geschäftliche Thätigkeit und seine Kenntnisse als Advocat das Vertrauen des Publicums erworben hatte, war ihm auch als Mitbürger dessen Achtung und Hochschätzung zu Theil geworden, und eben solche Gefühle hegte man allgemein für seine reizende, liebenswürdige junge Frau. Man drängte sich in ihre Nähe, man beneidete einander um ihre Freundlichkeit, ihre Freundschaft und in den Cirkeln, in denen Rosiana nicht erschien, fehlte die Würze, die Seele der Gesellschaft.

Man konnte sich nichts Lieblicheres, nichts Schöneres denken, als Rosiana in ihrem häuslichen Wirkungskreise. Nett, sauber, gefällig und geschmackvoll, wie sie selbst von früh Morgens bis spät Abends war, schien sich ihre ganze Umgebung in ihrer Erscheinung zu spiegeln, sowohl in den Zimmern des kleinen hübschen Wohnhauses, wie in der Küche, in dem Hofe und in dem Garten, der das Gebäude umgab.

Rosianas Thätigkeit und Pflege war allenthalben zu erkennen und den Geist der Schönheit und des Edlen, der in ihr selbst lebte, übertrug sie auf Alles, womit sie in Berührung kam. Die Ausstattung der Wohnung war einfach und wenig kostspielig, aber es stand alles in wohlthuendem Einklang, es trug alles das Gepräge sinnreicher durchdachter Ordnung, und beim Eintreten in diese kleine häusliche Welt Rosianas fühlte man, daß der Geist der Eintracht und Liebe hier regierte. Und so war es denn auch wirklich: Alles Glück, alle Seligkeit, welche jemals zweien Sterblichen von dem Schicksal vergönnt ward, war hier eingekehrt, und die beiden liebenden Gatten vergaßen in ihrem Wonnetraume, daß sie in einer Welt des Wechsels und der Täuschung lebten.

Vier Jahre verstrichen und die drei Freunde, Lincoln, Franval und Fehrmann, die vor ihrem Scheiden in Richmond in so warmer Begeisterung einen Freundschaftsbund schlossen, hatten Nichts wieder von einander gehört. Nur Einem von ihnen war das Glück treu geblieben und dieser Eine war Lincoln. Reicher Segen hatte während dieser vier Jahre seine Arbeit gekrönt, er hatte das Haus, welches ihn bei seiner Ankunft in B………, in seinen Mauern aufgenommen und seitdem sein wachsendes Glück beherbergt hatte, als Eigenthum an sich gebracht, war im Besitz von Staatsschuldscheinen zum Betrag von zehntausend Dollar, besaß einen alten treuen Neger, Namens Yeddo, und einige Negermädchen als Leibeigene, und vor Allem hatte der Himmel sein Leben durch zwei engelschöne Kinder beseligt, die ihm Rosiana geschenkt hatte. Ein herrlicher schwarz gelockter Knabe von drei Jahren und ein liebliches Mädchen von einem Jahre, schufen sie den glücklichen Eltern ein Paradies auf Erden, und alle deren Wünsche und Hoffnungen vereinigten sich in dem Wohlergehen der beiden kleinen Lieblinge.

Franval war bald nach seinem Abschied von Lincoln durch schwere Schicksale bedrängt worden, hatte sein bereits sauer verdientes Vermögen, so wie seine angebetete Braut verloren, und war vor der Welt und vor den Menschen in die weite Wildniß des fernen Westens von Amerika geflohen, wo er nun schon seit Jahren unter den Indianern ein einsames, gefahrvolles Leben führte. Weit von der Grenze der Civilisation wohnte er mehrere hundert Meilen nördlich von Lincoln, trieb mit wenigen, gleichfalls vom Geschick verfolgten Männern, die mit ihm hinausgezogen waren, Gartenbau und Jagd, und kam nur selten mit den Grenzansiedlungen in Berührung, um Bedürfnisse gegen Erzeugnisse der Wildniß einzutauschen.

Fehrmann war am schwersten von der Hand des Schicksals getroffen, er hatte sich bald nach seinem Abschied von Richmond verheirathet, glaubte das Glück nun mit sicherer Hand an sich gefesselt zu haben, stürzte bei einem Ritt durch New-Orleans vom Pferde und starb wenige Tage darauf an den Folgen der Verletzung, die er beim Sturze an dem Arm erhalten hatte. Die Zeitungen, die seinen Tod ankündigten, waren weder zu Lincoln, noch viel weniger aber in die Wildniß zu Franval gedrungen, und dieser hatte so vollständig mit der Welt abgerechnet, daß er seinen beiden Freunden das Herz mit Nachrichten über sein Schicksal nicht schwer machen wollte. Sie konnten ihm sein verlorenes Glück nicht wiedergeben und er beanspruchte menschliche Hülfe nicht mehr.

So kam es denn, daß Lincoln nicht wußte, was aus seinen beiden Freunden geworden war, denn auf seine verschiedenen Briefe an Fehrmann nach New-Orleans und an Franval nach Newyork hatte er keine Antworten erhalten und tröstete sich mit dem Gedanken »keine Nachricht, gute Nachricht« und mit der Hoffnung, daß ihm doch über kurz oder lang Lebenszeichen von denselben werden müßten. Er dachte häufig an sie und oftmals, wenn er Abends mit seiner theuren Rosiana und seinen geliebten Kindern im Garten saß, war die Rede von den Freunden und von der glücklichen Zeit, die er mit ihnen in Richmond verlebt hatte.

»Kannst Du Dich ihrer denn noch deutlich erinnern, Rosiana?« fragte Lincoln seine Gattin an einem warmen Frühlingsabend, als er nach Sonnenuntergang mit ihr in der offenen Thür des Hauses saß und seinen Sohn Henry auf dem Knie reiten ließ, während die kleine Tochter Virginia in dem Schoß der Mutter ruhte.

»Wohl erinnere ich mich ihrer, namentlich ist mir der Augenblick noch lebendig vor der Seele, wo ich Euch Drei in der Apotheke beisammen sah. Wie könnte ich den auch wohl vergessen – das Glück meines Lebens, Du, mein Edward, erschienest mir ja damals zum ersten Male!« entgegnete Rosiana, indem sie ihren Arm um den Nacken des geliebten Mannes legte und, sich zu ihm hinneigend, seine Lippen auf den ihrigen empfing.

»Du gutes, süßes Weib, und welch endloses Glück hat uns jener Augenblick gebracht! Möge es uns der Himmel nur erhalten – nach mehr irdischer Seligkeit verlange ich nicht,« sagte Lincoln und drückte die theure Frau, mit einem dankerfüllten Blick zum Aether über sich, an seine Brust. Von dem vollen Bewußtsein ihres überreichen Glückes durchbebt, hielten sich die liebenden Gatten einige Augenblicke umschlungen und dann nahm Lincoln zuerst wieder das Wort und sagte:

»Würdest Du denn meine beiden Freunde wieder erkennen, wenn sie Dir begegneten?«

»Ich glaube, ja. Wenigstens Franval, den größeren von den Beiden. Ich muß Dir auch ehrlich bekennen, daß er einen festeren Eindruck auf mich gemacht hat, als Fehrmann. Dieser hatte etwas Leichtsinniges, ja etwas Spöttisches in seinem Wesen, was mir nicht ganz gefiel.«

»Auch mir stand Franval immer näher, und ich glaube, daß er mir recht gut war; wir paßten zu einander. Fehrmann war leichteren Sinnes und nahm das Leben immer von seiner heiteren Seite, auch hatte er dessen Ernst niemals so kennen gelernt, wie wir Beiden. Er war aber nichtsdestoweniger ein braver Mensch und ein ehrlicher treuer Freund. Wie mag es Beiden wohl jetzt ergehen!«

»Sicher gut, sonst hätten sie Dir geantwortet,« sagte Rosiana und fügte mit einem seelenvollen Blick nach Lincoln noch hinzu: »Wenn sie auch wohl schwerlich so glücklich sind wie wir.«

»Dich würden sie sicher niemals wieder erkennen, denn sie haben dich ja nur das eine Mal in der Apotheke und dann nur so flüchtig gesehen; auch hast Du Dich sehr verändert, wenn auch nicht zu Deinem Nachtheil. Du bist viel stärker geworden, obgleich man Dich immer noch für ein Mädchen halten könnte und dann giebt Dir Deine Kleidung auch ein ganz anderes Aussehen. Nein, es wäre mir nicht bange dafür, daß sie Dich erkennen würden.«

»Wie sollten sie sich auch hierher nach der fernsten Grenze verirren, das hat keine Noth,« sagte Rosiana, indem sie die kleine Virginia, die eingeschlafen war, in den Arm nahm, und fuhr dann fort: »Ehe Du nach Hause kamst, ist auch wieder ein Paket mit Zeitungen von Richmond gekommen. Ich habe sie gleich durchgesehen und zu meinem Glück gelesen, daß mein guter väterlicher Freund Nelson Gottesdienst gehalten hatte. Der Allmächtige mag ihn belohnen für alles Gute und Liebe, welches er an mir gethan hat. Ich muß ihm bald wieder einmal schreiben und ihm sagen, wie glücklich ich bin. Nur ist mir immer bange, daß ein solcher Brief mich verrathen könnte, wenn ich auch weiß, daß der Pfarrer mir kein Leid zufügen würde.«

»Das hat keine Gefahr, beste Rosiana, ich sende Deine Briefe immer an ein Haus in Neworleans, und dort werden sie in die Post geworfen, also kann Niemand ausfinden, woher sie kommen,« entgegnete Lincoln nachsinnend. »Ich denke aber, es ist wohl an der Zeit, daß ich dem Biedermann meine Schuld abtrage, die ich bei ihm gemacht habe, als ich Dich ihm raubte. Er hätte damals sicher zwei tausend Dollar für Dich bekommen können.«

Rosiana schauderte zusammen und blickte vor sich nieder, Lincoln aber zog sie an seine Brust und sagte: »Und wie viele Welten bist Du mir wohl werth?«

Rosiana waren die Augen feucht geworden, doch sie verbarg die Thränen an ihres Gatten Brust, und nach einer kurzen Pause fuhr dieser fort:

»Ich werde mir zwei Banknoten, eine jede von Tausend Dollar, einwechseln und sie in einem Brief an den Pfarrer Nelson senden. Darin will ich ihm sagen, daß das Geld der Betrag für Dich sei und daß Dein jetziger Eigenthümer allen Segen des Himmels für ihn erstehe. Natürlich setze ich meinen Namen nicht darunter. Ich gebe den Brief dem hiesigen Kaufmann Jackson mit, der nach Neworleans geht, um Einkäufe zu machen, und bitte ihn, denselben durch die dortige Bank an den Pfarrer zu senden, dann bekommt er ihn sicher; auf dem gewöhnlichen Wege mit der Post ist es zu gefährlich. Nelson weiß ja, daß es Dir gut geht, also wird er sich keine weitere Mühe geben, zu erfahren, wo Du lebst, und dann würde dieses auch kaum möglich sein. Die Leute in der Bank von Neworleans kennen den hiesigen Kaufmann nicht und werden mit so vielen Auftragen und Besorgungen bestürmt, daß sie sich nach Verlauf einiger Wochen gewiß nicht des Mannes erinnern würden, der ihnen den Brief gegeben hatte.«

Lincoln schwieg hier für einige Minuten und verfiel in Nachdenken, dann sagte er:

»Ich will Nelson aber bitten, daß er Dich vor Gericht frei erklärt, es ist doch besser.«

Rosiana sagte Nichts, drückte ihr kleines Mädchen fester an ihre Brust und sah vor sich nieder, während Lincoln, in ernstes Sinnen versunken, den Knaben auf seinem Knie schaukelte.

Schon am folgenden Tage reiste der Kaufmann Jackson mit dem Briefe Lincoln's an den Pfarrer Nelson ab, womit jener dem Geistlichen zweitausend Dollar als Kaufgeld für Rosiana übermachte.


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