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Um diese Zeit saß Lincoln neben Rosiana vor dem Bett, auf dem ihre beiden schlafenden Kinder lagen und ruhte sein Haupt an dem Busen der geliebten Gattin, während sie ihren Arm um ihn geschlungen hielt. Das trübe Licht der Lampe erleuchtete nur matt den schauerlichen elenden Raum, dessen vom Wurm zernagte, halbvermoderte Balkenwände mit Schmutz und Staub bedeckt waren, doch gab es Helligkeit genug, um den beiden unglücklichen Gatten gegenseitig das Elend auf ihren bleichen abgehärmten Zügen erkennen zu lassen, welches ihre Herzen zu brechen drohte. Schweigend hatten sie schon lange so gesessen, Rosiana ließ von Zeit zu Zeit ihre kleine Hand liebkosend über das glänzende Lockenhaar des theuren Mannes gleiten und vermied dadurch, die Thränen, die ihren Augen entrollten – ihr Weinen zu verrathen.
»Sollte sich denn der böse Mann nicht zufrieden stellen, wenn wir ihm Alles gäben, was wir besitzen, Edward?« fragte Rosiana mit matter Stimme. »Er fordert ja zwanzigtausend Dollar für Dich und für unsere Kinder, und wenn wir Alles veräußern lassen, so bringen wir kaum vierzehntausend zusammen; unsere Sclaven werde ich niemals verkaufen. Und was sollen wir dann beginnen? Hierbleiben können wir nicht,« antwortete Lincoln ohne aufzublicken.
»Was hat denn Franval begonnen, ist er nicht glücklich in seiner Wildniß – sollten wir es nicht auch dort sein können?«
»Er hat nicht Weib, nicht Kind; er hat nur sein eigenes Leben zu wagen!« sagte Lincoln mit einem tiefen Seufzer und sah Rosiana und dann seine Kinder an.
»In der Nähe von Franval würden wir aber wohl sicher sein, er scheint doch gar nicht in Sorgen zu leben.«
»Auch mit der Gefahr wird der Mann vertraut und hört auf, sie, wenn er allein steht, zu fürchten; was ist das eigene Leben aber gegen das eines solchen Weibes und solcher Kinder!« sagte Lincoln und zog Rosiana an seine Brust.
»Sieh, Edward, was ist das?« sagte die Frau plötzlich auffahrend, »dort an der Wand, es kommt durch die Balken, ein Papier, still, wer weiß!« Und leise hatte Rosiana die wenigen Schritte gethan, ergriff das Papier und zog es von dem Ladestock, an dessen Spitze es zwischen den Balken hindurch in das Haus geschoben war.
»Hier, Lincoln, lese, es ist ein Brief, großer Gott, brächte er uns doch gute Nachrichten!« flüsterte die Frau und hielt mit bebender Hand ihrem Gatten das Papier hin. Lincoln entfaltete es zitternd und brachte es in den Schein der Lampe.
»Ihr werdet befreit werden, bald, beruhigt Euch,« las er jetzt die Bleistiftschrift, in der er Franval's
Hand erkannte.
»Gott sei gelobt und gedankt!« sagte er, hob seine gefalteten Hände mit dem Papiere hoch über sich und wandte seinen Blick nach Oben. Dann warf er seine Arme auseinander und fiel an das Herz der Gattin. Beide weinten, sie weinten aber Thränen der Hoffnung, der Freude und eine lange glückliche Pause verstrich, ehe sie wieder Worte fanden.
Rosiana ermannte sich zuerst:
»Komm, Edward, nun aber auch weg mit den Wolken von Deiner Stirn; der Himmel und unsere treuen Freunde nehmen sich unserer an, laß uns nun auch stark sein und auf sie bauen, wie konnten wir denn an ihnen zweifeln? Komm, weg mit den Thränen, es wird Alles gut werden.«
»Du süßes, einziges Weib, wie soll ich Dir jemals Deine Liebe vergelten! Ja, laß uns hoffen und glauben; wenn der Himmel mir nur Dich und die Kinder läßt, alles Andere mag er mir nehmen und ich bin der reichste, der glücklichste Mensch auf Erden!«
Bald war das Licht der Lampe erloschen, der Gott des Schlummers nahm die, mit neuer Hoffnung belebten Gatten in seinen barmherzigen Arm und ließ sie in erquickender Ruhe vergessen, daß sie noch hinter Schloß und Riegel schliefen und von einer Bande von Gaunern bewacht wurden.
Auch in der bescheidenen Wohnung des alten Power war heute Nacht Glück und Freude eingekehrt: der Pflanzer saß mit Franval und mit der Gattin noch spät an dem schweren aus Eichenholz gezimmerten Tisch und blies lachend und scherzend dicke Dampfwolken aus seiner Pfeife in die Luft, schlug bald das eine, bald das andere Bein über und schwur, indem er die Faust frohlockend und jubelnd auf den Tisch donnerte, daß es der größte Spaß seines Lebens sein würde, das Gesicht des Schurken Hunter's zu sehen, nachdem derselbe Kunde von Lincoln's Befreiung erhalten haben werde.
»Wie wird der Kerl toben, wenn ihm der herrliche Verdienst entgangen ist, und er noch obendrein die Kosten zahlen muß! Und daß die nicht unbedeutend sein werden, dafür wird sein Freund Frazier schon sorgen. Einen Hauptspaß giebt es noch zwischen Rouser und seinen saubern Kameraden, denn diese werden nicht einen Cent von den viertausend Dollar zu sehen bekommen!« sagte der Pflanzer fachend und setzte dann ernst hinzu: »das Recht trägt doch zuletzt immer den Sieg über die Schlechtigkeit davon.«
»Gott gebe es, daß Alles gut gehe,« fiel Franval ein. »Jedenfalls muß die Befreiung ausgeführt werden, ehe der Mond aufgeht und je früher es geschieht, desto mehr Zeit haben wir, Lincoln und die Seinigen weit genug von hier zu entfernen; denn, wird seine Flucht bekannt, so wird man Alles daran setzen, seiner wieder habhaft zu werden.«
»Das hat Nichts zu sagen, sein und Rosiana's Pferd sind beide brave Thiere und ich habe sie hier bei mir gut gepflegt, sie können jetzt schon etwas Ungewöhnliches leisten. Den alten Yeddo, den Lincoln jedenfalls mitnehmen wird, versorge ich mit einem tüchtigen Gaul und gebe ihm noch ein gutes Handpferd dazu, für den Fall, daß einem der Thiere Etwas zustößt. Das giebt einmal wieder einen scharfen Ritt, Freund Franval, wie man ihn an der Frontiere gewohnt ist. Schade nur, daß ich ihn nicht mitmachen darf, ich muß hier bleiben, um den Verdacht von der rechten Spur abzuwenden,« entgegnete Power.
»Sie müssen auch morgen zeitig einen Boten zu Lane senden, damit er sofort hierherkommt. Ich muß ihm Vollmacht geben, Lincoln's Eigenthum zu verkaufen,« bemerkte Franval.
»Ich werde Alles für die Bequemlichkeit zur Reise der lieben Rosiana und ihrer Kinder bereit halten und die Sachen so verpacken, daß sie das Handpferd leicht tragen kann. Die Reise wird der lieben Frau beschwerlich erscheinen; es gilt ja aber ihr ganzes Lebensglück,« sagte Madame Power teilnehmend.
»Ich glaube, Mutter, Dir würde selbst jetzt noch der Ritt eine Kleinigkeit sein. Du warest aber auch eine brave Frontieremansfrau. Wie manchmal haben wir unter Gottes freiem Himmel übernachtet,« fiel der Pflanzer ein und klopfte der Gattin liebevoll auf die Schulter. Dann fuhr er, zu ihr gewandt, fort: »Ich dachte, Frau, Du machtest uns ein Glas kalten Whiskypunsch. Zum Teufel, während der letzten Tage hat mir Nichts schmecken wollen; dieser Schurke Hunter hatte mir den Appetit verdorben.«
Lächelnd erhob sich die Matrone und eilte hinaus, um dem Wunsche ihres Gatten nachzukommen, dessen frohe Laune ihr so wohl that; hatte doch die Veranlassung zu seiner Fröhlichkeit auch ihr eigenes Herz so hoch beglückt.
Erst gegen Mitternacht erhoben sich die beiden Alten mit ihrem Gaste, um sich zur Ruhe zu begeben. Power trat in die Thür des Hauses, in welche jetzt das helle Licht des Mondes eindrang, stemmte die Arme in die Seiten und sagte hinausschauend zu Franval:
»Die große Laterne wird Ihnen auf Ihrem Ritt gute Dienste leisten, Sie können die Gäule frisch auftreten lassen. Es ist doch von Wichtigkeit, daß Sie in der ersten Nacht ein gutes Stück Weges zurücklegen. Wenn nur der Kerl, der Rouser, die Sache bald ausführt, damit sie noch den Mondschein benutzen können.«
»Machen Sie sich keine Sorge,« entgegnete Franval, »es hat lange nicht geregnet, die Straße ist steinig und fest und wird außerdem so viel benutzt, daß es schwer halten sollte, unsere Fährten zu erkennen. Ich reite so lange auf den Tag, als die Gäule aushalten wollen und dann verlasse ich den Weg auf hartem Grund, reite hier und da einmal in einem Bache fort und suche mir dann irgendwo im Walde ein Versteck. Ich bin ein so guter Indianer, als der beste Comanche. Sie sollen uns wohl nicht finden. Und im Nothfalle verlassen wir uns auf unsere Waffen. Es ist leichter, sich vertheidigen, als angreifen.«
Mit einem herzlichen Händedruck schieden die Alten von ihrem Gaste und die Sonne fand sie am folgenden Morgen sämmtlich noch in süßer Ruhe. Der heutige Tag verstrich ihnen sehr langsam, denn mit Sehnsucht warteten sie auf den Abend, der ihnen nähere Bestimmungen über die Befreiung der Freunde bringen sollte. Schon früh war der Bote nach R…… an den Advocaten Lane abgesandt, dann war Power mit Franval in die Stadt gegangen, wo sie eine schwere Doppelflinte und ein Paar Pistolen gekauft hatten, um den Neger Yeddo für die Reise damit zu bewaffnen, und noch vielerlei Gegenstände waren von ihnen eingekauft worden, die während des langen Rittes benutzt werden sollten. Den Nachmittag verbrachten sie nach Landesbrauch sich ruhend unter der schattigen Veranda vor dem Hause, wo der Pflanzer für sich und seinen Gast ein Paar Büffelhäute als Lagerstätten ausgebreitet hatte, denn die letzten Tage des Monats Juni machten sich durch eine tropische Hitze bemerkbar. Endlich versank die Sonne, die kurze Dämmerung wich der tiefen Dunkelheit, die dem Aufgang des Mondes voranzugehen pflegte, und Power und Franval eilten nun mit Verlangen nach der ersehnten weiteren Mittheilung Rouser's der Stadt zu.
Sie waren wohl eine halbe Stunde auf dem Platze vor dem Gerichtsgebäude um sich spähend auf und abgegangen, als Franval's scharfer Blick weit hin durch die Dunkelheit die Riesengestalt Rouser's erkannte.
»Dort kommt er endlich,« sagte er und schritt mit Power rasch dem Nahenden entgegen.
»Nun, Rouser, wann sollen wir Euch die viertausend Dollar auszahlen?« sagte Power, indem er demselben die Hand reichte.
»Lieber heute, wie morgen,« entgegnete dieser, Beiden die Hand schüttelnd. »Ich werde mich aber noch einige Tage geduldigen müssen. Am vierten Juli, dem Festtage aller Amerikaner, wollen wir die Maus aus der Falle lassen; eine bessere Gelegenheit kann uns nicht geboten werden. Ich werde dafür sorgen, daß ich mit meinen Kameraden ein spätes Festessen bekomme und daß es dabei nicht am stärksten Trunk fehlt. Wenn sie dann im besten Geschmack sind und die Dunkelheit einbricht, opfere ich mich für sie auf und übernehme die Wache allein. Sie werden gern darauf eingehen, um fortzutrinken, weil sie wissen, daß nur Niemand die Gefangenen gegen meinen Willen entführt; und dann ist's Zeit. Gegen neun Uhr ist der Käfig leer und ihre Freunde haben eine lange Nacht vor sich, denselben so weit, als möglich, hinter sich zurückzulassen; denn das kann ich Ihnen sagen, am nächsten Morgen wird es Pferdeknochen kosten, um sie wieder einzuholen.«
»Der Plan ist gut, sechs Tage sind aber eine Ewigkeit für Lincoln,« entgegnete Franval. »Habt Ihr denn meinen Brief besorgt?«
»Der ist richtig an meinem Ladestock in das Haus gewandert und von schöner Hand empfangen worden,« erwiederte Rouser.
»Ihr müßt mir heute wieder ein Paar Worte an Lincoln besorgen,« sagte Franval.
»Sehr wohl,« versetzte Rouser, »doch nun wegen der Hauptsache: wann und wo empfange ich das Geld?«
»Das zahl ich Euch aus, Rouser, doch erst dann, wenn ich annehmen kann, daß die Flüchtigen in Sicherheit sind. Wir wollen den zwölften Juli dazu bestimmen; sind sie bis dahin nicht zurückgebracht, so werdet Ihr viertausend Dollar aus meiner Hand in meinem Hause empfangen. Mein Wort wird Euch ja wohl gut dafür sein?« entgegnete der Pflanzer.
»Vollkommen gut,« sagte Rouser, »es ist aber eine verdammt lange Zeit; denn ich werde mich verschwinden lassen und mich heimlich in der Gegend aufhalten müssen. Meine Herren Collegen möchten mir unangenehm werden, und der Herr Doctor Hunter wird Nichts sparen, dieselben schnell beritten zu machen. Ich kann Ihnen sagen, es wird eine heiße Jagd geben.« Hier schwieg Rouser einige Augenblicke, wie in Gedanken versunken, dann setzte er halblaut hinzu: »Wären wir den Doctor los, dann hätte die Bande ihren Kopf verloren.«
»Wie wäre es, Rouser, wenn Ihr Lincoln selbst begleitet und, nachdem Herr Franval Euch verabschiedet hätte, zu mir kämet, um das Geld zu empfangen. Er könnte. Euch ja ein Paar Worte schriftlich an mich mitgeben,« sagte Power.
»Das wird wohl am Besten sein. Sorgen Sie nur für Waffen für Herrn Lincoln.«
»Ich habe dessen eigne Waffen im Hause und auch Flinte und Pistolen für den alten Yeddo, der ihn begleiten wird; derselbe ist ein guter Jäger.«
»Dann soll's schon gehen, auch wenn sie uns einholten. Mit dem Doctor aber würde alle Gefahr sofort beseitigt sein,« antwortete Rouser sinnend, als Franval ihm in die Rede fiel, ihm sagte, er wolle einige Worte an Lincoln schreiben und wieder nach dem Lichte eines Fensters eilte, während Power und Rouser das Gespräch fortsetzten.
Franval theilte Lincoln mit, daß seine Befreiung auf den vierten Juli festgesetzt sei und übergab Rouser nach wenigen Minuten das Schreiben zur baldigen Beförderung.
Es wurde nun verabredet, daß Franval oder Power jeden Abend um diese Zeit sich hier auf dem Platze einfinden solle, um etwaige nöthige Mittheilungen mit Rouser auszutauschen. Dieser erbat sich noch einige Dollar Taschengeld, welche ihm bewilligt wurden und dann schieden sie bis auf Wiedersehen am folgenden Abend.
In Power's Hause war von jetzt an Alles in größter Geschäftigkeit, um die Vorbereitungen für die Flucht Lincoln's zu treffen, obgleich dieselben ja nur sehr wenig Anstrengungen erforderten. Das Verlangen aber, den Freunden persönlich hülfreich zu werden, hielt Power und seine Frau, sowie Franval fortwährend in gleicher Thätigkeit: die Pferde wurden einer besondern Aufmerksamkeit unterworfen, sie wurden neu beschlagen, Morgens und Abends in dem Strome gebadet und in die offene Weide, gebracht; das Sattelzeug wurde nachgesehen und ausgebessert, die Waffen wurden in Stand gesetzt, geprüft und gereinigt, und die Munition in Bereitschaft gebracht. Madam Power bereitete selbst einen Vorrath von hartgebackenen kleinen Brödchen, füllte gebrannten und gemahlenen Kaffee, Zucker, Pfeffer und Salz in trockene Blasen, suchte die größten unter ihren wollenen Decken hervor, fügte für Rosiana noch ein Kopfkissen bei und legte alle die vielen Kleinigkeiten, die sie derselben auf die Reise mitgeben wollte, zusammen. Alles wurde in zwei Ballen gepackt und dieselben wiederholt versuchsweise dem Handpferd aufgelegt. Einen ganzen Tag brachte Franval mit dem Advocaten Lane zu, um ihm die Papiere Lincoln's zu übergeben, ihn in dessen Interesse zu instruiren und ihm die nöthigen Vollmachten auszustellen, damit derselbe das Eigenthum Lincoln's verkaufen und den Erlös daraus zu seiner spätern Verfügung halten könne.