Robert Ascher
Der Schuhmeier
Robert Ascher

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Drittes Kapitel

Sommersonntag in Mariahilf. Juli 1866. Die Sonne trieb es so arg, als müßte sie die Erdoberfläche und alles, was auf ihr herumkroch, braten wie der Maronibrater die Erdäpfel. Die Gassen waren ausgestorben. Die wohlhabenden Mariahilfer waren über Sommer auf dem Land, in Dornbach oder Grinzing, manche sogar in Weidlingau und die Zurückgebliebenen auf der den Wienern zur Leidenschaft gewordenen Sommersonntagslandpartie auf Schusters Rappen oder per Zeiserlwagen. Eine solche Sommersonntagslandpartie war immer ein großer Umweg ins Wirtshaus.

Die Hirschengasse, durch die auch wochentags nur ging, wer mußte, und nur selten ein Wagen ratterte, die Hirschengasse brütete. Nur aus einigen Fenstern schaute ein Greis oder eine verhutzelte Matrone, deren dürre Beine nicht mehr gehorchten, auf das Pflaster und warteten geduldig auf den Tod. Vor mehreren Toren auf der Schattenseite saßen die dazugehörigen Hausmeisterinnen und strickten Strümpfe und Socken an oder schnitten aus alten Hemden Stiefelfetzen. Und hinter einem der Tore lehnte weißbeschürzt ein Stubenmädel, das heute keinen Ausgang hatte, und nahe, viel zu nahe an ihr stand der Mischer vom Bäcker in der Hirschengasse.

Aber stören wir sie nicht. Uns wäre das auch nicht recht.

Sie wurden doch gestört. Durch die Hirschengasse schritten drei Soldaten und die machten mit ihren hohen, benagelten Stiefeln ein solches Getöse, wie es die sommersonntägliche Hirschengasse gar nicht gewohnt war. Und das scheuchte das Paar auseinander.

Es war überhaupt eine aufgeregte Zeit, dieser Sommer 1866, und der Mischer sagte zu seinem Stubenmädel: »Der Krieg! Nix wie Soldaten. Man kommt sich als Zivilist schon völlig überflüssig vor.«

Die Weißbeschürzte meinte: »Aber gut steht die Uniform den Männern.«

Eifersüchtig entgegnete der Mischer: »Sie auch? Sie fliegen auch auf's farbige Tuch?«

»Fliegen net, aber gefallen tut's mir«, gab sie schnippisch zurück, worauf der Mischer noch eifersüchtiger wurde...

Es war eine aufgeregte Zeit, dieser Sommer 1866, doch die Wiener, dieses leichtsinnige Volk, tänzelten über sie hinweg, rannten hinter jeder Zerstreuung und Ablenkung her.

Im Hofe des Einundzwanzigerhauses war es womöglich noch sonntäglicher. Es war leer. Die Hausherrenleute saßen in ihrer Sommerwohnung weit draußen in Ober-St.-Veit, die übrigen Bewohner waren heute auch ausgeflogen, nach Schönbrunn oder Neu-Lerchenfeld, das damals des Heiligen Römischen Reiches größtes Wirtshaus hieß. Im Hofe sonnte sich der schwarze Hauskater und träumte von verflossenen und kommenden nächtlichen Abenteuern, und die Mutter Schuhmeier, die Hausmeisterin, paßte auf den 21 Monate alten Franzi auf, der ein prächtiges Kerlchen geworden war, mit dem alle Leute gerne spielten und der so lustig krähen konnte und so possierlich im Hofe herumwatschelte, daß die Griesgrämigsten lachen mußten.

Eheleute, wenn sie Hausmeister sind, können auch am schönsten Sonntag nicht gemeinsam fort. Ein Teil muß zu Hause bleiben, weil irgendwer da sein muß, falls ein Feuer ausbricht und so. Der andere Teil kann, wenn er Lust hat und das nötige Kleingeld dazu, ins Grüne wandern oder sonstwohin, wo es ihn freut.

Da sind halt meistens die Frauen zu Hause geblieben, diese zweibeinigen Lasttiere, denen man mehr auflud, als sich ein Elefant aufladen ließe. Die ganze unbedankte Hauspatschenarbeit mußten sie verrichten, das so Wenige, das ihnen der Mann gab, einteilen und wieder einteilen und noch etwas abzwacken, damit es bis zum nächsten Lohntage reiche und für Schuhdoppler und für Nadel und Zwirn und etwas zum Anziehen vom Tandler und für die Kinder, daß sie genüg zu essen und ihr Schulzeug und manchmal etwas zum Naschen haben, und gar nicht selten davon noch dem Mann ein paar Kreuzer auf Nimmerwiedersehen borgen, wenn er mehr verbraucht hatte, als er durfte. Kochen mußte sie jeglichen Tag, das Beste Mann und Kindern geben und sich mit dem bescheiden, was übrig blieb. Ihm zu Vergnügen sein und neun Monate daran tragen, die Kinder säugen, warten, sich um sie sorgen und um sie zittern, sich braun und blau prügeln lassen, weil das zur Liebe und zu einer richtigen Ehe gehörte, selbst verdienen, Wäschewaschen, ins Bedienen geben, oder in die Fabrik oder als Hausmeisterin das Haus reinhalten und immer zu Hause sitzen, von der primitivsten Lustbarkeit und jedweder Erholung ausgeschlossen, das war die proletarische Frau und daran hat sich noch nicht viel geändert. Und das war das Los der Mutter Schuhmeier vom Einundzwanzigerhaus in der Hirschengasse.

Es wäre gelogen, zu behaupten, daß diese Frauen darunter geseufzt und über die gar zu ungleiche Verteilung der Lasten geklagt hätten. Sie haben genommen, was gekommen ist, und sagten: »Wie Gott will, ich halt still.«

Überhaupt die Resi, die war wunschlos glücklich, wenn sie mit ihrem Augapferl, ihrem Zuckergoscherl, dem Franzi, allein sein konnte und von niemandem gestört wurde. Seine Patschhanderln vor Gernhaben schier zerquetschen, sein Naserl an ihre Nase drücken, ihm wunderschöne Geschichten erzählen, die er freilich nicht verstand, denen er aber mit klugem Geschau zuhörte – das und vormittags der Kirchgang nach Gumpendorf hinunter war ihr heiliger Sonntag. Und wenn der Bub seine kleinen Ärmchen um ihren Hals legte, sie dabei fast erwürgte, und »Mami, Mami« juchzte, da war sie so reich, daß ihr nichts abging und sie mit niemandem getauscht hatte.

Den feschen Eduard, den duldete es nicht zu Hause.

Sonntags schon gar nicht. Die Mami sagte, er habe irgendwo Paprika. Er war noch vazierend und viele, viele mit ihm, und seit wieder einmal Krieg war, gab es überhaupt keine Hoffnung, Arbeit zu finden. Darum half er der Resi Stiegenkehren und Reiben und Schnallen- und Fensterputzen und trug den Parteien in Butten Wasser von der Bassena. Die Resi wieder wusch nebenbei noch Wäsche für die Leute, trotzdem schon wieder etwas unterwegs war, das täglich energischer ans Dasein drängte, und davon lebten sie. Mußten sogar zugestehen, daß es vielen noch schlechter ging, die nicht einmal Hausmeister, sondern nur vazierend waren. Es war ein unbeschreibliches Elend in Wien. Unter den armen Leuten natürlich nur. Die anderen spürten es kaum. Nur, daß alles ein bisserl teurer war. Und das Elend mußte das Maul halten...

Aber an einem Sonntag blieb der Eduard Schuhmeier trotzdem nicht zu Hause.

Der Franzi hatte heute sein erstes Schnellfeuerhoserl an, das ihm die Mami nächtlich zurechtgeschneidert. Hinten hing der Zumpel heraus wie eine Wetterfahne. Die Mami saß am Hackstock und nähte an einem Hemdchen. Der Franzi hockte daneben auf einem Schamerl. Langweilig ist's heut', dachte der und suchte Betätigung. Da sah er auf dem Schachtdeckel des Schöpfbrunnens den schwarzen Hauskater faul sein.

Wozu braucht das Miezikatzi bei Tag heidi machen, dazu ist doch die schwarze Nacht da, dachte der Franzi, der überhaupt viel zuviel dachte, und beschloß, den Faulpelz zu wecken. Beim Schwanz natürlich, denn wozu hat die Miezikatzi den schönen langen Schwanz?

Franzi wackelte auf den Kater zu und lockte: »Miez, Miez«, und weil er sich so tummelte, geriet er ins Schwanken und suchte mit den Ärmchen in der Luft das verlorene Gleichgewicht. Das sah die Mami und mit einem Sprung war sie bei ihm und erwischte gerade noch seinen Zumpel, um ihn vor dem Hinplumpsen zu bewahren. Die Mami hinter sich herziehend, steuerte er dem Kater zu, doch als er ihn fassen wollte, fauchte der und hüpfte auf den breiten Nußbaum im Hofe, um in dessen Zweigen, ungestört vor rücksichtslosen Kleinkinderhanderln, neue Kräfte zu sammeln.

Franzi weinte kläglich. Er wollte doch bloß spielen, weil es so fad ist, und diese dumme Miezikatzi will nicht.

»Franzi muß schön brav sein, sonst kommt der schwarze Mann und nimmt den Franzi mit«, drohte die Mami und mußte selber lachen, wenn sie sich vorstellte, daß es irgendjemanden geben könnte, von dem sie sich ihren Buben nehmen ließe. Um den würde sie mit dem Teufel raufen und ihm die Augen auskratzen.

Der Franzi wußte genau, was er wert war. Schelmisch erhob er drohend das winzige Zeigefingerchen: »Franzi bav, Mami schlimm, Mami schwarzer Mann holt.«

Aber auf einmal schnitt er ein finsteres Gesicht, um seine Mundwinkel zuckte es: »Mami, Franzi nehmen, schwarzer Mann tommt«, und jämmerlich heulend, schmiegte er sich an Mamis Rock und streckte ihr die Ärmchen entgegen.

Wirklich stand ein Mann im Windfang, aber fürchterlich schaute der gerade nicht aus.

Die Mami nahm den Franzi auf, der weiterheulte und sich mit den Händchen die Augen verhielt, damit der schwarze Mann nicht da sei.

»Suchen S' wem?« erkundigte sich die Mami.

»Bitt' schön, wo is da die Hausmeisterin?« frug höflich der Fremdling.

»Ich bin's selber.«

»Bitt' schön, möchten S' nicht so freundlich sein, aber sind S' nicht bös, ich weiß gar net, wie ich's sagen soll, es ist so peinlich vor einer Frau...«

»Um Gotteswillen, is was g'schehn?«

»Noch net, aber...«

»Herr, jagen S' mir keine Angst ein, reden S'.«

»Ich möcht nur, wenn's erlaubt ist, fragen, ob S' net so gut sein wollen, mir den – den Abortschlüssel zu borgen?«

Die Mienen der Mami heiterten sich sofort wieder auf. »Wenn S' sonst nix wollen, bitte.«

Sie griff hinter ihre Wohnungstüre und nahm einen großen Schlüssel auf einem großen eisernen Ring vom Nagel und reichte ihn dann dem fremden Mann.

Der Fremde drückte nach getaner Arbeit der Mami mit dem Schlüssel ein Zehnkreuzerstück in die Hand und empfahl sich. Der Franzi fürchtete sich nicht mehr und schickte ihm »pa-pa« nach.

Die Mami beguckte das Zehnkreuzerstück, sagte: »Das erste Geld heut« spuckte es an und legte es auf das Fensterbrett. Dann mußte sie mit dem Franzi Ringelreiher spielen.


»Die Preußen kommen!«

Mit diesem Schreckensruf stürzte unvermittelt Vater Schuhmeier ins Haus.

Haus Österreich schrieb sich die Finger wund, um sein Kapitel in der Weltgeschichte rasch zu Ende zu beginnen. Es wollte fertig werden.

Schleswig-Holstein wurmte es. Nämlich, daß die Preußen das schöne Land allein geschluckt haben, ohne auch nur »danke« zu sagen. Das gab nachträglich Zank unter den Brüdern. Wenn Haus Österreich mit Haus Preußen Zank hatte, gingen die Chefs dieser beiden Häuser nicht selber gegeneinander los, bis einer auf der Walstatt blieb, wonach dann ohnehin sofort wieder ein anderer Chef da war – dann schickten sie ihre braven, folgsamen Untertanen gegeneinander, die nie richtig wußten, warum. Mochten sich diese für ihre Chefs die Schädel einhauen; es gab ja genug Schädel. Die im Felde mußten sich totschießen lassen, die Zuhausegebliebenen bitterste Not leiden. Waren genügend Schädel eingeschlagen, hatte der eine Chef gesiegt, der andere war unterlegen und die ganz gebliebenen Schädel wurden wieder heimgeschickt und sie gründeten dann Veteranenvereine.

Im Sommer 1866 kam es zum Krieg zwischen Österreich und Preußen und die Österreicher freuten sich, es diesen Großgoscherten zu zeigen. Sie taten, als ob es zu einer Kirchweih ginge, und bewaffneten sich mit nassen Fetzen, mit denen sie den Feind hinaushauen wollten. Aber die Preußen verbündeten sich mit Italien, das Österreich von der anderen Seite anfiel. Tegetthoff schlug die Welschen bei Lissa, die Preußen schlugen die Österreicher bei Sadowa, rückten in Prag und in Brünn ein und marschierten auf Wien los.

»Die Preußen kommen!«

Dieser Schreckensruf machte in den Julitagen ganz Österreich erzittern. Wo sie anrückten, floh Mensch und Tier aus Dorf und Stadt, und wer was hatte, vergrub seine Habe vor dem Feind in Gärten und auf Feldern. Der kaiserliche Hof übersiedelte nach Budapest, der Staatsschatz wurde nach Komorn in Ungarn gebracht, ebenso die kaiserlichen Kassen, Schatzkammern und Kunstschätze. Die wohlhabenderen Leute verließen Wien, dafür flüchteten wieder tausende Familien aus den Ortschaften um Wien und aus dem Marchfelde in die große Stadt.

»Die Preußen kommen!«

Als es eineinhalb Jahrtausende früher hieß: »Die Hunnen kommen!« kann diese Kunde auch nicht größere Panik ausgelöst haben und standen doch diesmal Deutsche gegen Deutsche.

»Die Preußen kommen!« keuchte Vater Schuhmeier nochmals.

»Jessas, Mann, schnauf' dich doch erst ordentlich aus«, tadelte die beherrschtere Resi. »Wieviel Krügel waren's wieder?«

»Mach' keine Witz, Resi, sie kommen, wann i dir sag', sie kommen, so kommen s'.«

Bei dieser Rede schloß er den Windfang ab.

Der Franzi hatte seinen Erzeuger mit: »Tati, Tati, Zucki« begrüßt, fand aber heute gar keine Beachtung. Der Mami wurde es auch seltsam.

»Wo kommen's?«

»Bei der Taborlinie kommen s' eini.«

»Geh, du Narrischer, von dort kommen doch nur die Böhm!«

»Sixt es, sie kommen ja aus Böhmen.«

»Jetzt kenn' ich mich nimmer aus. Wer hat denn das ausg'sprengt?«

»Mir san in der Bierhalle g'sessen...«

»Aha.«

»Nix aha! G'schnapst haben mir, i spiel' grad den Herzkönig aus und freu' mich schon auf das Bummerl, was der Glasscherbentandler sicher kriegt hätt', wenn der blöde Krieg – «

»Pst, Ederl, net so laut, sonst kommen mir alle zwei ins Kriminal.«

»– a was, – der blöde Krieg mit die Großgoscherten net wär', da kommt auf einmal...«

Die Erzählung stockte. Des Erzählers Augen weiteten sich, dort auf dem Fensterbrett blinkte ein Zehnkreuzerstückel. Hypnotisiert auf diesen Reichtum starrend, den nur sein Engel hingelegt haben konnte, setzte er fort und machte sich gleichzeitig unmerklich an das Fensterbrett heran!

»Daß ich also sag': da kommt auf einmal einer eini, rot wie ein Puterhahn, und schreit: »Die Preußen kommen!« Wo? schrei'n mir. Bei der Taborlinie, schreit er. Haben Sie's selber g'sehn? schrei'n mir. Na, aber de Straßenkehrer von der Taborlinie, schreit er. Hat Ihnen's der selber g'sagt? schrei'n mir. Na, aber de Frau Wondraschek, hat er's g'sagt, schreit er. Und Ihnen hat's die Frau Wondraschek g'sagt?, schrei'n mir. Na, die hat's meiner Tant' g'sagt, die auf de Simmeringerheid' wohnt, schreit er. Und Sie haben mit der Tant selber g'redt?« schrei'n mir. Na, die hat's mein' G'schwisterkind g'sagt, schreit er...«

Und jetzt war das Zehnkreuzerstückel geangelt und in der Hosentasche verschwunden.

»Weiter, du spannst mich auf die Folter«, drängte die Mami in ihn.

»Ui je, das andere hab' i vergessen, i muß noch amal fragen gehn.« Und wendete sich zum Gehen.

»So red' doch g'scheit, Mann, wann kommen die Preußen?«

»Wann s' bis zum Torzusperren net da sein, brauchst net auf sie warten.«

Der Franzi rief dem Enteilenden eindringlich nach: »Tati, Tati, Zucki«, und strampelte mit Händen und Füßen.

Aber der Tati war schon fort. Wieder, wie meistens, war es nichts mit Zucki.

Die Mami sann und sann und streifte dabei mit den Blicken das Fensterbrett. Nachsichtig lächelnd rief sie gegen den Windfang: »Fallot« und küßte den enttäuschten Franzi ab, daß ihr und ihm bald die Luft ausgegangen wäre.


Die Preußen sind gar nicht gekommen, nicht an jenem Sonntag, und auch später nicht.

Die Not des Wiener Volkes wurde mit jedem Tage unerträglicher, es murrte zu Hause, aber es rührte sich nicht. Eine von oben herabgelangte Verwarnung bewirkte, daß sich die Not nicht mehr öffentlich zu zeigen wagte. Also war sie nicht da. Sie bettelten, wo die Polizei nicht hinsehen konnte, stahlen Erdäpfel auf den Feldern, erhängten sich oder sprangen in die Donau und gaben dem und jenem die Schuld, den Juden im allgemeinen und überhaupt und den Zwiefelkrowoten und den Katzelmachern, den Böhm', die ihnen die Fabriken und damit die Arbeit genommen, und den Arbeitern, die noch Arbeit hatten; einmal schimpften sie auf die Pfaffen und dann wieder auf die Gottlosen – sie suchten und suchten, aber immer in der falschen Richtung.

Der Bürgermeister Dr. Andreas Zelinka rief die Wiener zur Bildung einer Bürgerwehr auf, um die Not in Schranken zu halten. Einen Teil der Notleidenden ließ man hinter Floridsdorf Schanzen graben.

Auch das Bürgertum murrte. Wieder von wegen Handel und Wandel und weil denen, die gar nichts besaßen, schon manchmal ein Haß in den Augen funkelte, der nichts Gutes ahnen ließ. das wurde aber als Neid gedeutet.

Der löbliche Wiener Gemeinderat und sein Bürgermeister trabten wieder in die Burg, versicherten Seine Majestät der Ergebenheit der Wiener, legten aber wieder alleruntertänigst usw. die Petition an die Stufen des Thrones, es möge zur Beruhigung der Gemüter Männer in die Regierung berufen werden, die das Vertrauen der Bürgerschaft genössen.

Wieder zog der Kaiser die Stirn kraus und donnerte, Er wünsche, aber schon dringend wünsche Er, daß den Versicherungen der Treue die Taten entsprächen. Der Gemeinderat Seiner von Ihm über alles geliebten Reichshaupt- und Residenzstadt sei zu derlei Manifestationen keineswegs berechtigt und für Regierungsbildungen sei nicht der Wunsch der Stadt Wien, sondern das Bedürfnis des ganzen Reichs maßgebend.

Und zwei Tage später – am 26. Juli – wurde über Wien und Niederösterreich der Belagerungszustand verhängt.

Am 23. August schloß Haus Österreich in Prag mit Preußen und am 3. Oktober mit Italien Frieden. Es hatte in Italien gesiegt, mußte aber auf Venedig und die Lombardei verzichten, 20 Millionen Thaler Kriegsentschädigung zahlen, aus dem deutschen Bund ausscheiden und seine Rechte auf die Elbherzogtümer an Preußen abtreten.


Die Zeit rollte ab und alles blieb, wie es immer war... Wien arbeitete an der Stadterweiterung. Die Basteien fielen, die Ringstraße erstand und alle die herrlichen Bauten, die sie zieren. Die Stadt dehnte und reckte sich. Es gab allmählich wieder Arbeit. Aber während die Lebensmittelpreise, die während des Krieges hoch hinaufgeklettert waren, nicht hinunter wollten, sanken die Löhne tiefer denn je. Es griffen eben mehr Hände nach Krampen und Schaufeln, als gebraucht wurden. Sie steckten die Köpfe zusammen, in Arbeitspausen, in ihren Zinskasernen, auf grünem Rasen, auf dem sie sich die Sonne in den Magen scheinen ließen, und stellten immer nur die eine Frage: »Warum?« »Warum denn nur?« Und sie fanden die Antwort: Es gibt noch immer zu viel Menschen auf der Welt. Der Krieg hätte länger dauern sollen, damit noch viel mehr umgebracht worden wären. Und an allen Ecken lehnten die Invaliden von 1866, ohne Bein, ohne Arm, ohne Augen, und bettelten die Passanten an. Der, für den sie Glieder und Augen hergegeben hatten, gab nichts her.

Der fesche Eduard war noch immer vazierend. Die Bänder, mit denen sich jetzt die schönen Wienerinnen schmückten, um den Männern zu gefallen, kamen nicht mehr vom Schottenfeld, kamen aus dem Königreiche Böhmen und aus der Markgrafschaft Mähren her. Und waren genau so schön. Nur verdienten die Fabrikanten mehr als früher daran, dafür die Wiener Bandmachergesellen gar nichts.

Vater Schuhmeiers Hände waren zu fein für Schaufel und Spitzhacke und um dem Nebenmann Ziegel zuzuschupfen – und daher blieb er Bandmachergeselle a. D. und aktiver Hausmeister vom Einundzwanzigerhaus in der Hirschengasse. Aber er wurde dünner und in seine Mundwinkel hatte sich Verbissenheit eingegraben und er trug eine Wut mit sich herum, die er mangels eines anderen Objektes über die ganze Welt ergoß.

Die Mami war eine Künstlerin. Wie sie es traf, mit so wenig, das man getrost nichts nennen kann, vier Mäuler zu stopfen, denn inzwischen hatte auch schon die Nettl ihren Willen, das Licht der Welt zu erblicken, durchgesetzt – den sogenannten häuslichen Herd in Ordnung zu halten, sich selbst alles zu versagen und dabei noch so wie je stark und froh zu bleiben, ist eines jener Wunder, die nur unsere Frauen aus des Volkes Tiefen zu vollbringen vermögen, jene Frauen, vor denen man staunend und ehrfürchtig den Hut ziehen möchte. Die Mami lebte voraus. Sie lebte nicht im Heute, sondern in der Zukunft und die stellte sie sich wunderschön vor. Da konnte ihr die schlimme Zeit freilich nichts anhaben und das war das köstlichste Erbteil des Franzi.

Der Franzi feierte heute seinen vierten Geburtstag. Der quecksilberige Knirps hatte rote Wangerln, denn ihn ließ die Mami die große Not nicht spüren, lieber aß sie noch einen Löffel Suppe weniger.

Aber letzten Endes war der Franzi doch nur ein Proletenbub und der Ernst des Lebens blieb ihm nicht lange fremd.

In jenen Jahren, in denen andere Kinder noch in Watte gewickelt wurden, mußte er schon Arbeit leisten und schwere Verantwortung übernehmen. Es schickte sich für den vierjährigen Franzi nicht, immer nur im Hofe, mit Sand und Steinen zu spielen, den fetten Mops der Hausfrau und den Hauskater zusammenzuhussen, zu tanzen, wenn der einbeinige Werkelmann angefahren kam und seine Drehorgel spielen ließ, in den ersten Stock hinauf zu kokettieren, ob von dort nicht ein Kreuzer auf Zuckerln oder eine »Bacherei« herunterfiele.

Wenn die Mami das Haus putzte, in der Waschküche wusch oder gewaschene Wäsche liefern ging, mußte er auf sein putziges Schwesterl, auf die Nettl, aufpassen und sie unterhalten, weil sie gleich mörderisch zu schreien anfing, wenn man sie vernachlässigte. Der Vater –, von dem sagte die Mami, daß auf ihn kein Verlaß sei, und der war ohnehin die meiste Zeit nicht da. Entweder er ging Arbeit suchen, ohne sie zu finden, oder er räsonierte unter Leidensgenossen über diesen »elendigen Zeitpunkt«. Bei schönem Wetter tagten diese Konferenzen bei der Sechshauserlinie, am sogenannten »Linagraben«, wenn es kalt war, beim »Vattern Pollak«, wie der Verschleißer geistfördernder geistiger Getränke hieß, der für wenige Kreuzer ein Stamperl »Unblachten« kredenzte und stundenlange Gastfreundschaft am warmen Ofen gewährte.

Freilich haben satte Ästheten über solchen Lebenswandel die Nase gerümpft. »Bitte«, haben sie gesagt, »da sieht man es wieder. Kein Verdienst, Weib und Kinder zu Hause und die letzten Kreuzer beim Branntweiner versaufen – verdienen diese Menschen ein besseres Los?«

Diese Ästheten wollten es nicht wahr haben, daß sich mit dem besseren Los der Lebenswandel wandelt und daß diese armen Menschen ja nur deshalb seit jeher in untermenschlicher Unwissenheit erhalten wurden, um ihnen kein besseres Los bereiten zu müssen.

Wie behutsam und zart ging der Franzi mit dem Schwesterl um und wie groß und wichtig kam er sich als Beschützer eines ganz auf ihn angewiesenen, hilflosen Menschen vor! Das lag auf Mamis Bett, zappelte mit den krummen Beinchen, steckte wohl auch die große Zehe in den Mund, fuchtelte mit den Händchen herum und starrte auf die Stubendecke, als gäbe es dort Erstaunliches zu bewundern. Dann lachte es sich munter selber aus und schaute den Franzi an, als wollte es fragen: »Bin ich nicht dumm?«, und lallte »A« und »Ma« und »Ta« und »Ba«, die Weltsprache aller Kleinkinder, die nur die Mütter verstehen. Ohne Übergang raunzte es dann wieder und verstieg sich bis zu kaprizigem Brüllen; aber wenn endlich das Baucherl leer und das Windel voll war, steckte es das ganze Handerl in den Mund und schlief ein.

Der Franzi war toll verliebt in sein Schwesterl und bedeckte seine sämtlichen Körperteile mit Küssen und kitzelte es auf dem Bauch und nahm es um den Hals, bis die Nettl, die auf männliche Liebkosungen noch kein Gewicht legte, kreischend Protest erhob. Dann legte er es wieder sanft hin und sagte: »Wart' Wildfang, kriegst peitsch – peitsch«, aber statt peitsch – peitsch brachte er das milchgefüllte Duttenflascherl und stopfte dem Schreihals den Mund.

Heute also war sein vierter Geburtstag. Die Mami hatte Kreuzer auf Kreuzer gelegt und ihm ein Matroseng'wanderl zum Geschenk gemacht.

»Bin i schon groß, Mami?« wollte er jede Minute neu bestätigt erhalten, als er es nach dem Essen zum ersten Male an hatte und im Hof herumstolzierte. Auf einmal stand eine Frau da, die noch nie dagewesen war. Das war die Marietant und mit ihr trat ein Stück Schicksal vor den Franzi. Die Marietant war die leibliche Schwester Vater Schuhmeiers. Vor Jahren war sie mit dem Bruder auseinandergeraten, wie das unter Geschwistern vorzukommen pflegt. Sie war die Gattin des Komfortablers Borinsky in Matzleinsdorf und hatte einen Obst- und Gemüsestand auf dem Naschmarkt. Und zu Hause einen Buben, den Karl, der um einige Jahre älter war als der Franzi.

Sie hatten, wie die Leute sagten, ihr Sacherl im Trockenen, die Borinskyschen, und nicht etwa aus Stolz, weil sie mehr hatte als der Bruder Eduard oder aus Angst, er könnte ihr im Sack liegen, blieb sie so lange faschee (böse), sondern weil beide, der Bruder und die Schwester, Dickschädel waren und sich noch keine Gelegenheit schickte, die dumme Geschichte wieder einzurenken.

Aber nun war sie da, die Marietant. So eine uneingestandene heimliche Sehnsucht trug sie schon immer herum, ihren Neffen und das neue Nichterl zu Gesicht zu kriegen und überhaupt nachzuschauen, wie's geht und wie's steht. No, und weil sie erfahren hat, daß der Franzi heut Geburtstag hat, ist sie gekommen.

Der Eduard, der Plutzer, ist gottseidank ohnehin nicht da, wie sie sofort wahrnahm, und mit der Frau Schwägerin redet man sich viel leichter.

Die Marietant, das war eine fesche und resche Godel, urwiener Naschmarktgewächs. Unterspickt, aber g'sund, nicht »gebildet«, aber voll Naturverstand, manchmal guter Kerl und manchmal saugrob, auch streng, wo sie es nötig hielt. Sie wußte, was sie wollte, und was sie wollte, mußten die anderen wollen. Da gab's keine Würsteln. Und die war also jetzt da und grüßte hell: »Grüß Gott miteinand.«

»Jessas, die Marietant,« rief betroffen die Mami, »und wie ich ausschau, na so eine Überraschung, das muß man gleich in'n Rauchfang schreiben.«

Und sie versuchte, ihr Äußeres zu ordnen. »Eins muß anfangen mit'n Anfangen. D' Hauptsach, die Trotzerei nimmt amal a End.«

Sie sprudelte das so leichthin und so selbstverständlich heraus, daß das Gefühl, es wäre lange etwas dazwischengewesen, gar nicht aufkam, so als ob sie nur auf einen Sprung weggewesen wäre.

»Und das is der Franzi?« Dem hatte die imposante Frau Respekt eingeflößt und er hatte sich hinter die Mami verkrochen. Die Mami zerrte den Buben hervor.

»Na, sag' schön Küß die Hand, Franzi, das is ja die Marietant, weißt net, von der der Vater so lustige G'schichten erzählt hat?«

»Net g'schreckt sein, Bua, und net g'schamig sein, mit der G'schamigkeit kommt ma net weit. So, gib mir schön 's Pratzerl, bist a braver Bua, und groß is er schon, a ganzer Mann.«

Der Franzi nahm die Finger aus dem Mund und gab der neuen, bisher einzigen Tante die Hand. Er war sonst nicht so rasch zu gewinnen, aber diese Frau, ihre Art zu reden und sich zu geben, mag ihm Vertrauen eingeflößt haben.

»Kommen S' doch a bisserl herein zu uns, Marietant, und setzen S' Ihnen, daß S' uns net den Schlaf austragen, aber daß S' net erschrecken, herrschaftlich schaut's net aus bei uns, wie halt bei die armen Leut.«

»Ein anderes Mal, Schwägerin, ein anderes Mal, wir werden uns doch hoffentlich öfter sehn, wenn der Eduard, der Blunzenstricker, net wieder ein Kräutel dreinmacht. Z'erst muß i dem Geburtstagskind gratuliern.«

Und zog aus ihrem mächtigen Ridikül einen großen bunten Gummiball heraus und überreichte ihn mit feierlicher Gebärde dem Franzl, der vor Freude rot und wieder blaß wurde. Dann hockerlte sie sich, was im Hinblick auf ihren Leibesumfang nicht ohne Schnaufen ging, nahm den Buben um den Hals und busselte ihn ab wie einen Haubenstock.

Der Franzi, kaum freigekommen, rief aufgeregt: »Mami, schau, Mami, den schönen, großen Balling, je«, und schon hupfte und schupfte er mit ihm herum.

»Franzi, hast dich schon bedankt?« ermahnte die Mami.

»Ja, i hab mich schon«, jubelte der Franzi, obzwar es gar nicht wahr war.

»Vergelt's Gott, Marietant, a größere Freud hatten S' mir und dem Buben gar net machen können, ich weiß gar net, wie...«

»Net der Red wert, hab selber a Freud, wann i a Freud machen kann. Aber i muß schon wieder fort, mit der Pferderlbahn nach Dornbach 'naus. Will der Franzi mitfahren, weil er so brav is und Geburtstag hat?«

Am 4. Oktober 1864, also drei Jahre vor dem Besuch der Marietant, bekam Wien ein ganz neues Verkehrsmittel, die erste Tramway oder Pferdeeisenbahn oder Glöckerlbahn. Sie fuhr von der Alservorstadt über Hernals nach Dornbach, wurde von zwei herzigen Pferderln gezogen, die jedes ein Glöckerl um den Hals geschnallt hatten. Innen waren elegante Samtsitze, auf dem Dache eine Galerie. Drinnen fuhr man um 8, oben um 6 Kreuzer, also I. und II. Klasse. Die unteren Schichten waren damals sehr seßhafte Leute und in die Alservorstadt oder gar nach Dornbach kamen viele, die etwa in Mariahilf wohnten, ihr Lebtag nicht.

»Ja, Pferderlbahnfahren möcht i Mami, laß mich Pferderlbahnfahren!« So umhüpfte der Franzi behende die Mami.

»Aber dummer Bub, die Marietant wird sich doch net mit dir abschleppen.«

»Freilich wird die Marietant, deswegen is sie ja da. Anziehen, gehn ma!«

»Hurra, hurra, i fahr mit der Pferderlbahn«, klatschte der Franzi in die Hände und zog die Mami hinein, damit sie ihm Kappe und Überrock ausfolge. Die Marietant warf inzwischen einen Blick in die ärmliche Wohnung: »Sans S' ma net bös, aber es schaut fast so aus, als ob's euch net am besten ging.«

»Man tragt halt sein Binkerl,« gab die Mami zurück, »aber man muß mit dem zufrieden sein, was man hat, 's wird schon besser werden, gelt Franzi?«

Drinnen quietschte die Nettl, weil sie gestört worden war.

»Und das is die Jüngste?« frug die Marietant, betrat die im ewigen Zwielicht liegende Kammer und hielt an die Kleinste eine liebevolle Ansprache. Kramte dann wieder in dem tiefen Ridikül herum und zog eine »Scheppern« heraus und steckte sie dem Wurm zwischen die Fingerln.

»Und, Schwägerin,« meinte sie dann ernster, die Mami musternd, »is bei Ihnen net schon wieder was los?«

Die Mami nickte verschämt.

»Is halt noch immer der alte Leichtsinn, mein Herr Bruder.«

Der Franzi war fertig. Die Mami gab ihm einen Abschiedskuß und ermahnte: »Net schlimm sein und der Marietant für alles danken.«

Der Franzi hörte gar nicht mehr hin. Die Marietant nahm ihn an der Hand und wendete sich zum Gehen. Auf einmal riß sich der Bub los, rannte zurück und klammerte sich an die Mami: »Die Mami soll aa mit, die Mami will aa Pferderlbahn fahren.«

Nur mit vielem Zureden und Erklärungen, daß die Mami zu Hause bleiben müsse, weil sie kein schönes Kleid zum Anziehen habe, brachte man ihn weg. Der Mami rann eine Träne über die Wange.


Die Mariahilferstraße. Die war so nahe, aber so weit war er noch nie gekommen.

»Marietant, warum san da so viel Leut? Je, so viel Leut? Wohnen die alle in der Hirschengassen?«

»Aber na, Franzi, die kommen von der ganzen Wienerstadt her.«

»Wo ist die ganze Wienerstadt? Marietant, zeig' mir's!«

»Da mußt aber erst größer werden.«

»So groß wie der Vatter?«

»Ja, so groß wie der Vatter, Franzi.«

»Kann, i dann aa immer ins Wirtshaus gehn?«

Die Marietant mußte lachen: »Können kannst schon, aber hoffentlich wirst net.«

»Weil sonst die Mami bös is, net wahr?«

»Natürlich, weil sonst die Mami bös is.«

Dieses Frage- und Antwortspiel wurde unterbrochen, wenn der Bub in den Auslagen der großen Geschäfte Niegeahntes bestaunen konnte; das alles einmal, wenn er nur erst groß sein, ihm gehören würde.

Beide, der Kleine und die Große waren rechtschaffen müde, als sie in der Alservorstadt anlangten. Dem Franzi hatte sich eine Welt erschlossen, von der er gar nicht gewußt hat, daß sie ist.

Und dann das große Ereignis! Die Pferderlbahn kam angebimmelt, hielt und der Franzi kletterte, gestützt von der Marietant, auf die luftige Galerie und die Pferderl trabten philosophisch weiter. Die Leute auf der Straße standen dem Neuen noch immer Spalier.

Wie unvorstellbar schön war doch alles von oben besehen! Jedes Haus, jeder Baum, die Menschen und die Pferde und die Hunde und die zwitschernden Vogerln über ihnen erregte sein Entzücken. Er klatschte in die Hände und riet fortwährend: »Schau Marietant, schau«, und zeigte auf irgend etwas völlig Neues, so daß auch die Mitfahrenden an dem Bubenglück teilnehmen mußten.

Plötzlich wurde er ernster und ruhiger und die Augen wurden naß und er trocknete sie mit dem Handrücken.

»Was hast denn Bua? bist krank?«

»Die Mami und der Vatter und die Nettl.«

»Was denn?«

»Die Mami und der Vatter und die Nettl sollen aa mit der Pferderlbahn fahren.«

»Das geht net, Franzi!«

»Warum net, Marietant?«

»Weil s'arm san.«

»Warum san s' arm, Marietant?«

»Fragst mich z'viel Bua, es is halt schon so eing'richt auf der Welt.«

Der Franzi dachte nach. Dann durchzuckte es ihn wie Erleuchtung.

»Marietant, wann ich groß hin, gib i den Armen viel Geld und dann san s' nimmer arm und dann können s' aa mit der Pferderlbahn fahren.«

»Tschapperl dummes«, lächelte die Marietant. Draußen in Dornbach stiegen sie aus und die Marietant kehrte mit dem Buben in ein Gasthaus ein und ließ ihm einen Kaffee und einen Gugelhupf mit recht viel Weinberln geben. Ach, das war fein! Das war überhaupt ein Feiertag heute, als ob das Christkindl gekommen wäre.

Auf der Rückfahrt schlief der Franzi. Der Nachmittag hatte ihn überwältigt. Und von der Alservorstadt bis in die Hirschengasse mußte ihn die Marietant streckenweise tragen.

»Mami,« kam es aus ihm überströmend heraus, »Mami, so schön, so was hast no net g'sehn.«

Während sich die Mami von der Marietant erzählen ließ und immer wieder dankte, war der Bub sitzend eingeschlafen. Die Marietant empfahl sich: »Mit dem werds noch a große Freud haben.«


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