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3.

Ein fröhliches Posthorn schmetterte in der Ferne. Näher kam's und näher, zum einsamen Pfarrhaus hinan. Bald hielt ein eleganter englischer Reisewagen, den vier prächtige schwarze Rosse zogen, vor demselben still, Herr Oburn, der glückliche Bräutigam, sprang jugendlich keck aus dem Wagen, und stürzte auf das Zimmer seiner Braut zu, wie ein Raubvogel auf seine Beute. Am Abende dieses Tages standen die Thüren der altmodischen Dorfkirche weit offen. Der mit hölzernem Schnitzwerk verzierte Altar war reich mit Kränzen und mit frischem, grünen Laube geschmückt; zwei Wachskerzen brannten auf kolossalen Messingleuchtern. Eine Bibel, in schwarzem Sammet eingebunden, lag auf dem Betpult, vor dem zwei rothe, dem Anschein nach neu angeschaffte Sammetsessel standen. An dem Weg von der Kirche bis zum Pfarrhaus, der mit weißem Sand und Blüthen bestreut war, bildeten die festlich geputzten Dorfbewohner ein Spalier, durch welches das Brautpaar nach alter Observanz, hindurch gehen mußte. Jetzt ertönte das Geläute der einzigen Glocke; ein Zeichen, bei dem sich alle Blicke nach der Thüre der Pfarrwohnung richteten. Gravitätisch überschritt Herr Oburn die Schwelle, und überschaute das Volk mit triumphirendem Blick. Seine Persönlichkeit gab der Menge zu mancherlei Bemerkungen Veranlassung, in denen der idyllische Witz der Landleute sich mit vielem Behagen erging. Herr Oburn war ein Mann von 50 Jahren, klein und fett, mit einem würdevollen Hängebauch, einem vollen, aufgedunsenen, dunkelrothen Gesicht, mit einer unförmlichen, großen Nase, neben der sich eine zweite kleinere, wie eine Tochterloge, etablirt hatte. Beide waren mit den Farben von Burgunder und Rum malerisch schattirt. Die Stirne, gewiß von der Natur dazu bestimmt, in diesem Gesicht die beste Parthie zu sein, war durch veilchenblaue Adern, die dick hervorquollen und sich kreuzten, wie Heereszüge auf strategischen Karten, unangenehm entstellt. Um den gemeinen breiten Mund zog sich ein Lächeln grober Sinnlichkeit, das an ein thierisches Grinsen erinnerte. Um das Gesicht würdig einzurahmen, fiel spärliches rothes Haar, genial vernachlässigt, von dem ziemlich kahlen Scheitel auf die Schläfe herab. Dies Meisterwerk der Natur war durch eine modisch-elegante Kleidung verhüllt. Der schwarze, feine Anzug, die Weste und Kravatte von weißem Atlas, suchten nach Kräften mit dem Gesichtsteint zu harmoniren, dem das feste Zuschnüren der Halsbinde zu der traurigen Aehnlichkeit mit einem gekochten Krebse verhalf. Das ganze Bild erinnerte an den Mann im feurigen Ofen, obgleich jeder Anstrich alttestamentlicher Salbung fehlte.

An der Seite dieses Feuerkönigs schwankte ein bleiches Engelsbild, ein Mädchen mit dem höchsten Liebreiz geschmückt, voll Harmonie und Ebenmaaß. Ein echter Madonnenkopf mit unaussprechlich schönen Augen, einer kleinen, feingeschnittenen Nase, und einem Munde, den die Grazien um sein Lächeln hätten beneiden können; eine hohe, schlanke Figur, an der dennoch jede Form, rund und weich, eine selbstständige Vollendung erstrebte; Hals, Hand und Fuß von seltener Schönheit – alles das schien diesem Wesen von der Natur mitgegeben, auf daß es beglückend in Liebe glücklich sei. Darum empörte der Anblick des Zerrbildes, das, wie ein wahrer Popanz, an der Seite dieses schönen Menschenbildes, einhertrottirte. Heute war das feine Roth, das sonst die jugendlichen Wangen zierte, verschwunden, der Mund festgeschlossen, und das Auge blickte starr und regungslos umher. Ein weißes Atlaskleid umgab in malerischen Falten die frischen, edeln Glieder; ein Kranz von blühenden Myrthen schmückte die hohe Stirn – sonst war alles an ihr schmucklos und einfach. Während das ungleiche Brautpaar der Kirche zuschritt, sprach sich in den verschiedensten Aeußerungen, in Lauten der Bewunderung und des Spottes, die Stimme des Volkes aus. Ein pietistischer Prediger, den man rasch aus der Nachbarschaft herbeigeholt, hielt eine salbungsvolle Traurede, durchdrungen von überschwänglichem Christenthum; und suchte besonders die große Güte des lieben Gottes nachzuweisen, die sich der Braut so sichtbar offenbarte, indem sie ihr einen mit Glücksgütern vielfach gesegneten Ehegemahl zu Theil werden ließ. Als endlich die Ceremonie zu Ende war, und der Prediger nach christlichem Gebrauch die Worte der Bibel vorlas: »und er soll dein Herr sein,« da zuckte es schmerzhaft um die Lippen der Braut; und als sie das ewigbindende Ja! aussprach, da richtete sie die Augen gegen den Himmel, ein Blick, aus dem das verzweiflungsvolle Bewußtsein sprach, daß sie mit diesem Wort ihr Leben zu einem ununterbrochenen Opferfeste mache. Die Ehe war geschlossen.

Es war ein schöner, warmer Maiabend; der Vollmond stand groß am Himmel, die Blumen dufteten stärker und zarter; Nachtigallen sangen süße Lieder der Liebe; die Natur war still und ruhig, und schwelgte in ihren ewiggleichen Harmonieen, als wäre sie bewußt des sichern Gesetzes, das ihren wandellosen Kreislauf beherrscht. Was kümmerte es sie, daß ein Herz gebrochen, ein junges Leben gemordet war?

Eine Stunde später hielt der Reisewagen des Herrn Oburn vor der Thüre. Koffer und Schachteln, mit Garderobe und Weißzeug, der einzigen Aussteuer der eben vermählten Madame Oburn, wurden in den bequemen Wagen gebracht. Herr Oburn sah den Vorkehrungen gemüthlich zu, rieb sich seelenvergnügt die weichlichen und doch unzarten Hände, spielte mit der übermäßig dicken Uhrkette, und sah mit widerlichem Lächeln von Zeit zu Zeit auf seine Uhr. »Gott sei Dank,« murmelte er vor sich hin, »der langweilige Tag neigt sich zu Ende, und näher kommt die Stunde, in der mein Weib ganz mein eigen wird. Wie will ich schwelgen in ihren jungfräulichen Reizen! Wahrhaftig, sie ist schön, und werth, meine Frau zu sein!« Und sich zum Diener wendend, fuhr er fort: »James, höre! Du giebst dem Postillon dreifaches Trinkgeld, wenn er mich rasch, sehr rasch zur nächsten Station führt; Du nimmst ein Pferd, reitest meinem Wagen voraus; jage, so rasch Du kannst, wenn auch das Pferd drauf geht – darauf kommt es nicht an – nur schnell, schnell wie der Teufel! Bestelle im Hotel Zimmer zur Nacht für mich und meine Frau; hörst Du, James, so schön wie möglich! Ich hab' ja Geld; ich kann's bezahlen! Nur schnell, schnell! Ich komme gleich nach mit meiner Frau!« Während dieses Gesprächs verweilte die Heldinn unserer Erzählung allein in dem stillen, freundlichen Gemach, in welchem wir ihre erste Bekanntschaft gemacht haben. Ihr Auge haftet unverwandt auf der Stelle, wo am Morgen der alte Vater den Fluch über sie ausgesprochen. Sie wirft sich auf die Kniee, faltet die Hände und will beten; doch ihr fehlen die Worte – sie kann es nicht; ihr Elend ist zu groß selbst für die Gnade des Himmels. Thränenlos sieht sie sich um in den unbegränzten Räumen, die sie seit frühester Jugend bewohnt. Hier hatte sie ein kurzes, ideales Liebesglück genossen; und durch die Reihe der Jahre hindurch verfolgte sie träumerisch alle Wünsche und Hoffnungen, die hier in traulicher Dämmerstunde ihre Brust geschwellt. Nun lag alles hinter ihr – abgeschlossen, ein Paradies, aus dem sie verbannt war. Sie blätterte in dem Buch dieser schönen Vergangenheit, in welches das Leben noch nicht seine ehernen Lettern geprägt! Noch war es ein Stammbuch voll duftiger, zarter Blätter, Blumen der Freundschaft und Liebe; auch manches unbeschriebene Blatt mit bedeutungsvollen Zeichen, über das die Ahnung hinaus in die unbestimmte Ferne zog! Dies Buch war geschlossen auf immer; das Evangelium ihrer Jugend durfte nur noch in der Erinnerung leben! »O, könnte ich nur weinen!« seufzt sie, und schlägt mechanisch einige Töne auf der Harfe an, als könnte sie dadurch eine mildere Stimmung heraufbeschwören, und bewußtlos geht sie dann in eine ihr unendlich theuere Melodie über. Diese Töne versetzen sie außer sich; ihr ganzer Körper zittert krampfhaft; jede Fiber bebt; ihr Wesen ist im Innersten erschüttert – und doch bleibt das Auge trocken; keine Thräne kühlt die innere, verzehrende Glut. Noch einmal faltet sie ihre Hände zum Gebet – dann springt sie unheimlich rasch auf, und ruft: »Beten kann ich nicht – wohlan so will ich fluchen. Es giebt keinen Gott der Liebe; warum leide ich sonst. – Wenn die Gnade des Himmels nicht allgemein ist, wie sein Regen und sein Sonnenschein; wenn sie nicht auch zu mir und meinen Schmerzen segnend herniedersteigt. – dann ist sie ja nichts, als ein Traum der Glücklichen, die ihr süßes Vorrecht in so schöne Bilder kleiden. Ich will nicht länger zu diesen Träumen schwören. Meine Träume hat die Wirklichkeit zertrümmert, die Wirklichkeit dieser Welt und ihre eherne Macht! Wohlan, so will ich sie anerkennen, und mit ihr kämpfen um jeden Fuß breit Landes, den ich mir umschaffen will in ein Paradies.«

»Für die Welt, die den Sieg davongetragen über mein Herz,« fuhr sie feuriger fort, »für die Welt nur will ich leben. Das Geld, mit dem der Seelenhandel getrieben wird, dem ich die Ideale meiner Jugend geopfert, ist ja der Schlüssel zu dem Reich dieser Welt, zu allen Quellen des Genusses und der Freude! Geld war mein Verhängniß – es soll mein Verhängniß bleiben, dem ich willig folge; gegen das ich länger nicht thöricht kämpfe! Ich gelobe es mir fest in dieser qualvollen Stunde; und breche mit den frommen Träumen und heiligen Gelübden meiner Jugend.«

Das Aeußere der jungen Frau war wie umgewandelt durch den innern Kampf. Mit stolzer, fester Haltung erhob sich die früher so weiche, kindliche Gestalt, und überschritt mit einer Entschiedenheit, welche auffallend gegen den frühern, schwankenden und zögernden Gang abstach, die Schwelle, um von ihren Eltern den letzten Abschied zu nehmen. Der Vater lag, zwar lebend, doch für immer der Sprache beraubt, ermattet auf seinem Bette. Bei dem Eintritt der Tochter erhob er mit großer Anstrengung seine Hände und legte sie auf ihr Haupt, das noch immer mit dem bräutlichen Kranze geschmückt war; doch die Lippen bewegten sich nicht und konnten den Fluch nicht zurücknehmen. Mutter und Tochter hielten sich darauf, einige Minuten lang, fest umschlungen; das Haupt der Tochter ruh'te an dem eingefallenen Busen der Matrone, wie eine geknickte Blume an dem mütterlichen Erdreich; und ihre Thränen vermischten sich. Ihr Schmerz war stumm – noch ein Kuß auf die heißen Lippen der Mutter, auf die eiskalten des Vaters – und rasch stürzte sie zum Pfarrhaus hinaus. Herr Oburn hob mit geckenhafter Galanterie seine Gattin in den Wagen. Die Thür wurde zugeschlagen; der Postillon blies das alte Lied: »Welche Lust gewährt das Reisen!« und schnell entschwand der Zug dem schmerzlich nachblickenden Mutterauge.


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