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5.

Am Abende dieses Tages gab der Großfürst Constantin von Rußland der haute volée Karlsbads einen glänzenden Ball. Dieser Ball war ein Ereigniß für die Badewelt, die sich in mancherlei spöttischen und geistvollen Bemerkungen über die persönlichen Beziehungen des Fürsten, über sein Familien- und Herzensleben erging. Denn diese Verhältnisse waren keinem der Karlsbader Gäste ein Geheimniß. Sah man doch seine Gemahlin, die edle Fürstinn Helene, täglich bleicher und kränker am Brunnen erscheinen, während das Auge ihrer Hofdame, der üppig schönen Gräfinn Sidonie von Lichtenfels jeden Morgen freudiger strahlte, wenn es den flammenden Blick des Fürsten traf. Daraus schloß denn die natürliche Logik der Karlsbader Gesellschaft, daß dieser Ball von dem Fürsten, weniger zu Ehren der kranken Gemahlin, als zur Unterhaltung der Gräfinn Sidonie gegeben wurde, welche den Tanz leidenschaftlich liebte.

Da Schönheit und Reichthum sich überall Geltung verschaffen, so war auch Madame Oburn mit zu diesem Feste geladen. Es war nicht Leichtsinn, daß sie erschien, nach so tiefen schmerzvollen Erlebnissen des Herzens: es war der Stolz, der weder andern, noch sich selbst einräumen wollte, daß sie unendlich litt.

Als sie am Morgen ihre Wohnung wieder erreicht, schloß sie ihr Gemach, ließ die Vorhänge nieder, drückte das Gesicht tief in die Kissen des rothseidenen Divans, und preßte die Hände fest an das Herz. Das war die Feierstunde, in der sie alle Bilder der Seele heraufbeschwor, den Schmerz walten ließ mit aller Macht, bis die wilden, zerreißenden Akkorde allmählich übergingen in sanftere Melodien, bis sie schwelgen konnte in diesen phantastisch-süßen Uebergängen, und so den Schmerz besiegte, indem sie sich ganz ihm hingab. Als die Zeit der Toilette kam, erhob sie sich ruhig, klingelte ihrem Kammermädchen, und ließ sich zum Ball schmücken. Gleichgültig betrachtete sie in dem hohen Mahagoni-Spiegel ihr Bild. Und wenn sie auch ohne Eigenliebe sich zugestehen konnte, daß es reizend war – so konnte dieß Geständniß doch kein Lächeln der Befriedigung hervorrufen. Ein echtes Weib ist nur dann eitel, wenn sie den Geliebten durch ihre Reize beseligen will. Was lag ihr Heute an ihrer Schönheit, da ihr Geliebter sie nicht bewundern konnte?

Ihr Anzug war einfach, aber schön. Sie trug ein weißes Blondenkleid, mit Rosa-Atlas gefüttert, einen Kranz von natürlichen Rosen in den langen braunen Locken, und um den marmorweißen Hals eine Schnur echter Perlen. »O Madame, wie engelsschön sind Sie heute,« sprach die treue Lisette, die schon Jahrelang die Dienste einer Kammerjungfer versah; dabei musterte sie die holde Erscheinung von allen Seiten. »Wie werden die alten, häßlichen, vornehmen Damen noch häßlicher werden vor Neid, und gelber, als sie schon jetzt sind; und wie glücklich werden all' die schönen, feinen Fürsten und Grafen sein, wenn sie nur einen Blick von Ihnen erhaschen.« »Schweig doch, Lisette, mit diesen albernen Reden; Du weißt es ja zu gut, wie traurig mein Herz unter diesem Atlas schlägt. Ich bin wohl kindisch, daß ich solche Angst habe; doch ich fürchte mich fast, allein in diese Gesellschaft zu gehn. Der heutige Tag steht so bedeutsam vor meiner Seele, als müßte er ein Wendepunkt meines Geschickes sein, der mich unvermeidlich in ein neues Verhängniß hineinreißt.« Sinnend und ernst sah sie sich darauf noch einige Sekunden im Spiegel mit prüfendem Blick an – ließ sich dann die weiße Spitzen-Mantille um den edlen Nacken legen, sprang graziös in den Wagen, und rief mit jugendlich heller Stimme dem Kutscher zu: »Zum Palais des Großfürsten Constantin!«

»Hier saß im Empfangzimmer die Fürstinn auf sammetnem Divan, neben ihr die ältesten und vornehmsten Damen, und hatte für jeden der ankommenden Gäste ein freundlich-gewinnendes Lächeln in Bereitschaft. Doch hinter diesem Lächeln, hinter all' dem Glanz, der sie umgab, lauerte der schadenfrohe Dämon, welcher den Großen dieser Welt auf der Ferse folgt.

Noch am Abend waren die Augen der Fürstinn trübe und geschwollen durch anhaltendes Weinen! Vergebens umstrahlte sie die Pracht der Diamanten; vergebens borgten ihre eingefallenen Wangen von der Schminke einen lügnerischen Glanz. Ihr unseliges Schicksal sprach allzu beredtsam aus ihrem Blick. Der jüngere Theil der Damen ging indeß gruppenweise, auf die ersten Töne des Orchesters sehnsüchtig harrend, im Saale auf und nieder. Unter den jugendlichen Gestalten zeichnete sich die Gräfinn Lichtenfels auffallend aus. Es war eine Junonische Figur, mit tiefschwarzen Locken, brennenden großen, braunen Augen und strengregelmäßigen Zügen. Ihr Teint war blendendweiß, ätherisch gehoben durch ein feuerrothes Creppkleid, das den üppigen Busen, die Schultern und Arme frei ließ. Aehren von Diamanten waren überreich in die Locken genestelt; und zeugten von dem feinen Geschmack und dem Reichthum der Dame. Mit herausforderndem, frechem Blick musterte sie durch die geöffneten Flügelthüren die Herren, die in dem nächsten Salon versammelt waren. Bei aller Schönheit war diesem Wesen doch der Stempel einer Sinnlichkeit aufgedrückt, die jedes geistige Element ausschloß, und sich, im vollen Bewußtsein ihrer alleinigen Berechtigung breit zu machen suchte. Unangenehm berührt wandte die reine Fürstinn ihr gekränktes Auge von ihr, so oft sie eine unfreiwillige Zeugin von der heißen Glut war, mit der ihr Gemahl an jeder Bewegung dieser Circe hing. – Ein Geräusch im Vorzimmer verkündete den Eintritt eines neuen Gastes. Die Herren hielten ihre Lorgnetten unverschämt vor die blöden Augen, und nahmen die widerlich süßesten Mine» an. Auch Gräfinn Sidonie wandte ihr schönes Köpfchen dorthin, und ein unangenehmer, höhnischer Zug um den kirschrothen Mund ließ errathen, daß die neue Erscheinung gerade keinen erfreulichen Eindruck machte. Mit großer Verachtung, die sich besonders im Ton der Stimme aussprach, wandte sich die Gräfinn zu einer neben ihr stehenden Dame mit den Worten: »Nein, das ist empörend; das ist zu arg! Sehen Sie nur – da erscheint sogar die Madame Oburn in unserem Kreis. Ich begreife wirklich nicht, wie der Fürst die Rücksichten, die er der Gesellschaft und seinem Range schuldig ist, so sehr vergessen kann, daß er diese Bürgerliche hier einführt. Aber so sind die Männer! Wo sie ein hübsches Lärvchen entdecken, da übersehen sie die fehlenden Ahnen, und ergehen sich noch in lächerlichen Phrasen, in denen die guten und bösen Geister eine Hauptrolle spielen, der gute Zeitgeist, der den bösen Kastengeist besiegt, und wie die schönen Redensarten alle heißen. Ich werde aber nie vergessen, was ich mir schuldig bin. Auf denn, meine Damen, wir wollen uns gegen diese Toleranz der Herren opponiren, und für den heutigen Abend auf die Freude des Tanzes verzichten, wenn wir sie mit Madame Oburn theilen sollen. Sie muß es fühlen, daß sie in diese Gesellschaft nicht gehört, und uns künftigen Skandal ersparen.« »Sehen Sie nur, sehen Sie nur,« zischelte es von vielen süßen Lippen, »wie unbeholfen und ängstlich sie scheint; wie haltlos sie nach Rath und Hülfe sucht! Und welche gewöhnliche Schönheit – ein frisches Landgesicht, wie man's bei der Heuernte dutzendweise sieht; nichts weiter! Und darüber machen die Kavaliere so viel Geschrei, daß man in allen Gesellschaften, von dieser obskuren Person hören muß!« Die junge Frau, welche den hochadligen Damen so großes Aergerniß verursachte, schien indeß nichts weniger als verlegen. Mit einer Sicherheit, als sei sie von Jugend auf an so prächtige Räume und an so geistlos vornehme, nichtssagende Physiognomien gewöhnt, schritt sie stolz durch das Vorzimmer in den Empfangssalon der Fürstinn Helene, sah die unglückliche Frau mit lieben, unschuldsvollen Augen so bittend, so verständnißinnig an, daß sie bei ihr augenblicklich das regste Mitgefühl erweckte. Die Fürstinn verließ ihren Platz, trat der Oburn einen Schritt entgegen, reichte ihr freundlich, wie zum Schutze die Hand, und zog sie neben sich auf ein leeres Tambourett nieder. Die Hofgesichter wußten nicht, wie sie bei diesem unerwarteten Anblick ihre Mienen zurecht legen sollten. Zum Glück für sie wurden jetzt die Thüren des Ballsaals geöffnet und ein rauschender Walzer des in jenem Sommer so beliebten Componisten Labitzki überhob sie aller Zweifel. Die beatlasten Füßchen der Damen trippelten vor Ungeduld, ob der Vornehmste der Gäste, Prinz C**, nicht das Signal zum Tanze geben werde! Alle hatten den großartigen Entschluß, mit einer ahnenlosen Frau nicht in die Reihen zu treten, über der verführerischen Melodie vergessen. Gräfinn Sidonie stand graziös in stummer Erwartung; denn es handelte sich um die Frage, mit welcher Dame wohl der Prinz den Reigen eröffnen werde. Obgleich sie die erklärte Geliebte des Großfürsten war, hatte sie doch alle ihre Koketterieen angewandt, während der Saison die Aufmerksamkeit des Prinzen auf sich zu ziehen, dessen Empfänglichkeit für weibliche Schönheit keineswegs zu den Mysterien Carlsbads gehörte. Bis jetzt hatte er allen ihren Lockungen ein kalt höfliches Benehmen entgegengesetzt, und ihren Hochmuth dadurch bitter gekränkt. Gerade deßhalb war sie bereit, zu dieser Eroberung alle ihre Kräfte aufzubieten, und hoffte viel von dem heutigen Abend, weil sie die Königinn dieses Festes war, welcher der Prinz, nach allen Regeln der Etikette, sich nähern mußte. Schon eine geraume Zeit hindurch ertönte die Musik, und noch immer stand der Prinz, vornehm nachlässig, in der Salonthüre, den reich und bunt geschmückten Frauenkreis mit gleichgültigem Blick übersehend. Endlich ging er, dem Ceremoniell gemäß, langsam auf die Großfürstinn zu, um mit ihr, als der Dame vom Hause, die Polonaise aufzuführen. Als er ganz nahe vor ihr stand, blieb er plötzlich, wie verzaubert, stehen – ein unbeschreiblicher Ausdruck der Ueberraschung und des Entzückens überflog seine Züge. Starr blickte er einige Sekunden die Madame Oburn, die neben der Fürstin saß, an; ging, wie bewußtlos, zu ihr, und bat sie fast schüchtern um das Glück mit ihr zu tanzen. Freundlich reichte sie ihm den Arm, und, von den Wellen der Musik getragen, schwebte das schöne Paar durch den Ballsaal. Das Geflüster der Medisance, aufgeregt durch so unerhörten Vorfall, zischelte rechts und links. Nur wenige Herren, namentlich der Großfürst, räumten ein, daß der Prinz ganz vernünftig handle, wenn er, unbekümmert um Rang und Etikette, mit der Dame tanze, die ihm am besten gefalle. Zu jener Zeit war der Prinz C** ein verführerischer Mann, mit einem schönen Kopf, geistreichen Augen, einer edeln griechischen Nase, einem überaus feinen Mund, der bei dem eigenthümlich-angenehmen Lächeln zwei Reihen auffallend kleiner, weißer Zähne blicken ließ, mit einer eleganten, großen und schlanken Figur. Auch lag in seinem Wesen eine Ritterlichkeit, deren Zauber durch echt modernen esprit erhöht wurde und dem Prinzen da, wo es ihm darauf ankam, all' die brillanten Pointen seiner Persönlichkeit zusammen zu fassen, unwiderstehlich machte. Zum ersten Male in seinem Leben war dieser feine Weltmann befangen, und um Worte verlegen. Dieser Frau gegenüber wollte ihm eine gewöhnliche Ball-Conversation nicht gelingen. Er fühlte wohl, daß er hier andere Saiten berühren müsse. Mit leidenschaftlichem Blicke versenkte er sich in das reizende Formenspiel dieser Frau, fester, als es die Sitte des Tanzes verlangt, umschlang er ihre zarte Taille; für alles andere waren seine Sinne verschlossen. Er bemerkte weder die boshaften Blicke der Gräfinn Sidonie, noch die ängstlich-besorgten der Fürstinn Helene; frei und ohne Zwang überließ er sich seinem Gefühl. Doch seine Tänzerinn verrieth deutlich die Angst, die sie über diese sichtbare Auszeichnung fühlte. Sie entzog sich ihm, wo es nur irgend möglich war, obgleich der Prinz sie fast keinen Augenblick verließ. In höchster Bedrängniß irrte ihr Auge umher, Schutz suchend bei irgend einem befreundeten Wesen. Doch alle Gesichter waren ihr fremd – alles sah sie an mit lauernd kaltem Blick; Niemand tanzte mit ihr, aus Respekt vor dem Prinzen, dessen Gewalt sie ganz anheim gegeben schien, und so Reden ruhig anhören mußte, die ihr das Blut immer heißer in die Wangen trieben. Endlich, als der Prinz sich einen Augenblick entfernt, um ihr ein Glas Eis zu holen, trat ein ernster junger Mann, der Baron Stein zu ihr und bat sie um einen Tanz. Freudig, als sei sie erlöst von einer großen Qual, sah sie ihn an, und schloß sich, als der Prinz wieder eintrat, fester an seinen Arm. Der junge Mann verstand dies stumme Zeichen der Furcht und flüsterte ihr zu: »Vertrauen Sie mir; ich schütze Sie, und müßte ich mein Blut für Sie opfern!« Mit großer Heftigkeit drängte sich der Prinz an den Baron Stein heran – versuchte auf jede Art, ihn zu reizen – und gerieth fast außer sich, als er die Ruhe bemerkte, mit der Stein sich selbst bezwang. Den nächsten Tanz eröffnete er wieder mit der Oburn. Unter dem Vorwand, sie müsse sich in einem kühlen Zimmer durchaus etwas erholen, zog er sie in ein kleines Gemach, über das Orangenblüthen ihren Duft und eine dunkelrothe Kristall-Ampel ihr dämmerndes Licht ausgoß, führte sie zu einem Atlas-Divan, und nahm neben ihr Platz. Stumm saßen beide da; ihr Busen flog heftig; die Hände bebten; sie hatte nicht den Muth, in seine flammenden Augen zu sehen. Stürmisch sprang er auf, kniete vor ihr nieder, und rief in höchster Extase: «Sie sind das göttlichste Weib, das ich je gesehen! Ich liebe Sie, liebe Sie wahnsinnig, will Sie besitzen um jeden Preis! Wohin Du auch gehst, süßes Weib, ich werde Dir folgen; ich werde nicht eher ruhn, bis ich Deine Liebe errungen! Das schwöre ich Dir bei meiner fürstlichen Ehre!« Mit leiser, aber fester Stimme erwiederte die Frau, ohne ihre innere Bewegung zu verrathen: »Was hab' ich Ihnen gethan, mein Prinz, daß Sie es wagen, mich so tief zu kränken; mir Worte zuzurufen, aus denen ich nur sehe, wie tief Sie mich verachten. Mögen Sie Ihre galanten Phrasen an Damen von Stande richten, die das zu würdigen verstehen; mir ist eine Liebe, wie sie aus Ihren Worten spricht, gänzlich unverständlich. Sie kennen mich nicht; was lieben Sie denn an mir? O, Sie profaniren die heilige Liebe, denn das, weßhalb ich vielleicht werth wäre, geliebt zu werden, das ahnen Sie nicht. Sie lieben die flüchtigen, jungen Reize meines Körpers; und darin liegt die Schmach und Entwürdigung für mich.« Nach diesen Worten wollte sie sich erheben; doch er hielt sie gewaltsam zurück, und rief leidenschaftlich: »Weib, so darfst Du nicht von mir gehen, um Gottes Willen, Weib, so nicht. Sieh, ich bin reich; ich bin Fürst; allen Glanz, alles Glück der Erde lege ich zu Deinen Füßen nieder. Du sollst Herrinn werden über alles, was ich besitze – nur liebe, liebe mich! Und wenn Dein zögernder Muth Dir nicht hinweghilft über alle Schranken und Hemmnisse zu raschem Entschluß – o so laß mir wenigstens die Hoffnung, daß ich einst nach Wochen, Monaten – oder selbst nach Jahren Dich besitzen werde.« Mit einem prächtigen, stolzen Blick sah die junge Frau den Prinzen an, und erwiederte nur: »Ich verachte Ihren Glanz – und Sie selbst von Herzen!« Außer sich vor Leidenschaft, umklammerte der Prinz Ihre Kniee und drückte heftige Küsse auf ihr Gewand. In diesem Augenblicke wurde die Thüre leise geöffnet und das schöne, doch maliciöse Gesicht der Gräfinn Lichtenfels schaute hinein. Ein spöttisches fächeln verklärte gleichsam ihre Züge und bildete den besten Commentar zu ihren Worten: »Entschuldigen Ew. Königl. Hoheit, wenn ich störe; ich wünschte nur, mich hier an diesem kühlen Ort etwas von der Hitze des Balles zu erholen.« –

Gräfinn Sidonie sorgte, nach den Grundsätzen der christlichen Liebe und weiblichen Ritterlichkeit dafür, daß nach wenigen Minuten die ganze Ballgesellschaft über die Liebesscene im Klaren war. Ueberall flüsterte man von der zärtlichen Attitüde, in der Prinz C** mit Madame Oburn im einsamen Gemach betroffen worden, und fügte natürlich hinzu, daß die Frau den Bewerbungen des Prinzen ein williges Ohr geschenkt. Die Stimmung in der Gesellschaft war hierüber sehr verschieden. Die jungen Fräuleins, nebst den altadligen Müttern, konnten es einer Bürgerlichen nimmer vergeben, zu der Ehre einer fürstlichen Maitresse, nach der sie alle selbst strebten, erhoben zu werden. Darum sprach man das Anathem über sie aus; aus Neid wurde sie geächtet. Bei den Männern hatte die Frau dadurch an Ansehen gewonnen; und man war nur unschlüssig, wie man das Betragen gegen sie einrichten müsse, um die hohe Gnade des Prinzen nicht zu verscherzen. Doch auch nicht einem Einzigen in der Gesellschaft schien es möglich, daß eine bürgerliche Frau zu stolz sein könne, Maitresse zu werden. Nur Baron Stein entgegnete dem Grafen Reizenstein, der sich auf seine Prophezeihungen viel zu Gute that: »Nach dem, was ich heute Morgen gehört, werde und kann ich nimmer glauben, daß die Oburn, dem Prinzen gegenüber, sich nur das Geringste vergeben habe; es ist ein Etwas in dieser Erscheinung, was mich durchaus an eine edle Natur glauben läßt.

Fürstinn Helene hatte sich, ihrer Kränklichkeit wegen, früh in ihre Privatzimmer zurückgezogen – Gräfinn Sidonie, geärgert und gelangweilt, war weniger liebenswürdig, als sie es sonst zu sein pflegte, und folgte bald dem Beispiel der Fürstinn. Dies war das Signal zum allgemeinen Aufbruch; und zeitig trennte sich die Gesellschaft. Prinz C** führte die Oburn zu ihrem Wagen, hob sie scheinbar vertraut hinein, wurde aber von zwei nervigen Armen unsanft zurückgeschoben, als er sich selbst ohne Umstände mit hinein setzen wollte. Er wandte sich um; und ihm entgegen blitzten die zornigen Augen des Baron Stein, der ihm die Worte: »Du Schurke« verständig ins Ohr flüsterte. –

Im Innersten aufgeregt und erschüttert, betrat die Oburn ihr trauliches Gemach. »O das war ein böser, böser Tag für mich,« sprach sie zu ihrer vertrauten Lisette, froh, ein Wesen zu finden, dem sie alles mittheilen konnte, was auf ihrem Herzen lastete; »ach wäre ich doch fort, weit fort von hier, fort von allen diesen Erinnerungen! Wie reizend dachte ich mir als Kind das Leben der Welt; wie verwebten sich stets in alle meine Träume Bilder des Glanzes und Glücks – und nun? Wie fade erscheint mir alles; wie hat doch so Nichts von all' dem Glück mich befriedigt! Ich bin doch recht elend,« fuhr sie in einem Tone fort, der für die Wahrheit der Worte die beste Bürgschaft war, »so jung und so freudlos hinsterben zu müssen; mein Herz so heiß – und nirgends Erquickung; die Eltern todt – und mein Mann – o mein Mann das ist ja gerade mein Elend! denn in meiner Ehe fühle ich mich am einsamsten, weil ich nie verstanden werde; weil mein Herz, mit all' seinem glühenden Ringen nach einem edeln Leben, hier an Gemeinheit und Bosheit scheitert – o das ist wohl ein tiefes Unglück!« Einzelne Thränen entströmten den schönen Augen; dann fuhr sie leise, doch leidenschaftlich fort: »Vergieb mir, Franz! Nein, ich bin nicht elend; ich habe Dich ja gefunden, und die Liebe zu Dir ist Erlösung von all' der Noth, von all' dem Schmerz des Lebens! Welche Seligkeit liegt darin, den Mann, den man liebt, in jeder Beziehung edel und groß zu wissen! Ob ich ihn wohl lieben könnte,« sprach sie träumerisch weiter, »wenn diese Größe eine erlogene wäre, zu der ihn die Sophistik eines vielgewandten Geistes emporgeschwindelt oder die trunkene Phantasie meiner Liebe? Ob ich ihn lieben könnte, wenn ich ihn verachten müßte?« Ahnungsvoll hielt sie hier inne, bedeckte die Augen mit der Hand, als wolle sie ein Bild verhüllen, das unheimliche Angst in ihr erwecke!

Bei dem Auskleiden übergab ihr Lisette einen Brief ihres Mannes. Er lautete:

»Meine liebe Johanna!

Es freut mich herzlich, daß Dir das Leben in Carlsbad auch ohne mich gefällt. Wie ich höre, sollst Du und unsere schönen Pferde allgemeines Aufsehen bei den Männern machen: Mir ist das recht! Sehen doch die Leute daraus, daß ich einen guten Geschmack habe. Meine Frau muß bemerkt werden; das verlange ich – denn ich bin ein reicher Mann. Daß Du mein Vertrauen nicht täuschest! das ich, in Betreff Deines Umgangs mit den Männern in Dich setze, weiß ich sehr gut; denn ich kenne ja Deine platonische Liebe, von der ich nichts verstehe und nichts verstehen will, weil sie dummes Zeug ist. Adieu, liebe Frau! Morgen reise ich von hier ab, um Dich zurückzuholen, und hoffe, Dich recht blühend und kräftig anzutreffen.

Dein Dich liebender Mann.
David Oburn.«

Seufzend legte die Frau das zarte Billet wieder zusammen; und suchte auf ihrem einsamen Lager Schlaf – und Vergessenheit!


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