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In der ziemlich bedeutenden Provinzialstadt, in welcher Oburn seinen Wohnsitz aufgeschlagen, war in diesem Winter ein außergewöhnliches reges, gesellschaftliches Leben. Zwar nahm Oburn und seine Frau gegen die frühere Gewohnheit keinen Theil an diesen Vergnügungen, sondern lebte still und zurückgezogen, in einsamer Verstimmtheit, während der ganze Ort wie ein in Scene gesetzter Roman der Gräfinn Hahn-Hahn aussah, in welchem bekanntlich die Gesellschaft und die Gesellschaften die Hauptrolle spielen und alles Heil der Welt in den feinen Ton und in die konventionellen Formen gesetzt wird.
Veranlassung zu diesem lebendigen Treiben mochte wohl der Aufenthalt des Prinzen C**. geben. Ihm zu Ehren reihte sich Fest an Fest, Ball an Ball; die reiche Kaufmannschaft ließ ihre Goldminen springen; selbst Offiziere und Beamten stürzten sich in ehrgeizigem Wetteifer in eine Schuldenlast, um mit der Bewirthung eines fürstlichen Hauptes prahlen zu können, eine Begnadigung und Ehre, die sich in heiligen Familiensagen forterbt von Kind zu Kindeskind! Besonders zeichnete sich das Banquierhaus Neumann durch seine glänzenden, geschmackvoll arrangirten Feste aus. Obgleich man gewohnt war, daß der reiche Banquier jedes Quartal mit einem großen diner begann, bei welchem aller Glanz des Silbers und Tafelzeuges entfaltet wurde, so staunte man doch in's geheim über diesen noch nie dagewesenen Pomp, zuckte die Achseln, und zischelte sich bedeutsam in die Ohren. Man fürchtete allgemein, dieser Hochmuth werde zu Fall kommen und das Fortunatussäcklein seine Fülle urplötzlich erschöpfen. An dem Tage, als diese Furcht größere Begründung zu gewinnen schien, herrschte gerade in den Oburnschen Fabriken eine besondere Freude, wie sie nur Festtagen eigen zu sein pflegt. Die Dampfmaschinen waren polirt und blank geputzt; die Säle reingefegt und mit frischem Sande bestreut; die Arbeiter, mit reinlicher Wäsche bekleidet, saßen vor ihren Webstühlen, die ebenfalls von dem verjährten Staube gesäubert waren; die Comptoiristen hatten, mit noch kunstgeübterer Hand, als gewöhnlich, Busenstreif und Manschetten geordnet, und die blauen Fracks mit den gelben Knöpfen angezogen. Alles schien gespannt und erwartungsvoll; am meisten wohl der Fabrikherr selbst. Unruhig ging dieser in seinem geöffneten Prunkzimmer auf und ab, besah dann wohl eine Minute lang seinen neuen eleganten Anzug im Spiegel, sprach laut, wie mit einer andern Person, mit sich selbst, indem er mit den Händen gestikulirte und tiefe Reverenzen machte. Dann öffnete er eine Nebenthüre die in das Boudoir seiner Gattin führte, sah hinein, und rief ungeduldig: »Johanna, bist du noch nicht angekleidet? Was? in diesem einfachen, schwarz seidenen Kleid willst Du den Prinzen empfangen? Wo ist Dein Schmuck? Ich will nicht, daß meine Frau, wie eine Nonne einhergehen soll! Rasch! Putze Dich! Zieh' ein reiches Gewand an, und schmücke mit den Rubinen Deinen weißen Hals.«
Madame Oburn, die überhaupt nicht mehr so frisch und blühend aussah, wie in Carlsbad, war gerade heute auffallend blaß; doch diese edle Blässe, das Attribut geistigen Leidens, raubte ihr nichts von ihrer Schönheit. In dem schlichten, tiefschwarzen Kleide, das Haar auf der hohen Stirn kindlich gescheitelt, sah sie so ideal aus, hatte ihr Wesen eine so eigenthümliche Verklärung, daß es schwer zu bestimmen war, ob sie an jenem Abend auf dem Ball des Fürsten Constantin, oder an diesem Morgen einen größeren Zauber ausübte. Ruhig, doch bestimmt, erklärte sie ihrem Gatten, daß es ihre Absicht nicht sei, den Prinzen zu empfangen, daß sie in ihrer gewöhnlichen häuslichen Toilette bleiben würde. Die aufschwellende blaue Stirnader des Gatten ließ eine heftige Gegenrede erwarten; doch das Heranrollen der prinzlichen Equipage verhinderte den Ausbruch des drohenden Sturms. Noch einmal musterte der Fabrikherr seine Figur in dem hohen Trümeaur, postirte sich dann, mit seinem Comptoir-Personal, an dem Portal des Hauses, um hier den Prinzen zu empfangen, der nur von seinem Adjutanten und Leibarzt begleitet war. Oburn hatte, zu der feierlichen Anrede, das ganze Wörterbuch der stammelnden Unterthänigkeit auswendig gelernt; und war, in Mienen, Bewegung und Sprache, ein leuchtendes Vorbild der treuesten Loyalität. «In seines Nichts durchbohrendem Gefühle« stand er da mit gesenktem Haupt, und stotterte einige Redensarten von unendlicher Ehre und Gnade heraus, in denen sich sein zusammengepreßtes Innere Luft machte. Der Prinz übersah mit vornehm nachläßiger Miene die Befangenheit oder Unbeholfenheit des Herrn Oburn; und verlangte gleich die Fabriken zu besichtigen. Persönlich umhergeführt von dem Besitzer, dem das Bewußtsein seines Besitzes einigermaßen eine behäbige Fassung wiedergab, fand er alles vortrefflich eingerichtet, lobte die Intelligenz des Gründers, sprach leutselig mit den Arbeitern, und ließ ihnen von seinem Adjutanten ein reiches Douceur überreichen. Als die Umschau vorüber war, nahte für Herrn Oburn ein schwerer Augenblick, dessen Erwartung ihm schon seit Ankunft des Prinzen den Angstschweiß aus die Stirn getrieben; nämlich die Bitte, der Prinz möchten die Gnade haben, höchsteigen ein Frühstück bei ihm einzunehmen. Doch wie es ein harmloser Witz des Schicksals ist, daß gerade das, was man im Leben am meisten fürchtet, am glücklichsten vorübergeht, so hatte auch Oburn für seine ausgestandene Angst, die große Genugthuung, daß der Prinz sichtbar erfreut die Einladung annahm und mit raschen Schritten in die geöffneten Gastzimmer eintrat. Die Einrichtung derselben war elegant und geschmackvoll; das servirte Frühstück hätte die verwöhnteste Zunge eines Epikuräers befriedigen können. Madame Oburn war nicht sichtbar. Der Prinz in irgend einer lieben Hoffnung getäuscht, wurde verstimmt und schweigsam. Herrn Oburn überfiel bei dieser sichtlichen Veränderung ein panischer Schrecken; auf allerlei geistlose Fragen, die er an den Prinzen richtete, erhielt er kurze, einsilbige Antworten; seine Verzweiflung steigerte sich immer mehr, je mehr die Aussicht schwand, daß seine Frau ihn durch ihre Ankunft von dieser Marter erlösen werde. Der Gedanke an seine Frau brachte ihn übrigens auf den glücklichsten Einfall. Ihr lebensgroßes, sehr ähnliches Portrait, von einem der ersten, jetzt lebenden Künstler gemalt, hing in reichem, goldenen Rahmen in seinem Geschäftszimmer. Schnell öffnete er die Thüre, die dahin führte, und zog den Prinzen hinein mit den Worten: »Wie gefällt Ihnen dies Bild?«
Wie die Sonne plötzlich durch finsteres Gewölk bricht: so erhellte sich das verdüsterte Gesicht des Prinzen zu einem Freudenschein, der im Nachglanz noch die Züge des Herrn Oburn verklärte. »O mein Gott! wie schön ist sie doch!« sprach der Prinz nach langem Anschauen fast bewußtlos vor sich hin; »und wie wunderbar ist dies Bild getroffen!« Den Schritten des Prinzen war sein Leibarzt unmittelbar gefolgt. Auch er stand vor diesem Portrait wie festgebannt; Erinnerungen an eine theure Vergangenheit überkamen ihn mächtig bei dem Anblick dieser Züge. Sein Auge blitzte auf wie vor Freude und Seligkeit; die strengen, edeln Züge wurden weicher, ein Hauch des Friedens wehte darüber hin; doch diese stille Seligkeit wich plötzlich einem höhnischen bittern Ausdruck. Wie von heftigen innerm Leiden erfaßt, ballte er beide Hände, preßte die Lippen fest zusammen, und wandte sich dem Fenster zu. Herr Oburn hatte beide aufmerksam beobachtet; eine Ahnung durchzuckte sein mißtrauisches Gemüth, als ob nicht das schöne Bild, sondern das Original der Gegenstand sei, der Beiden ein so lebhaftes Interesse einflöße; doch wußte er sich zu beherrschen, und frug unbefangen: »Kennen Sie, mein Prinz vielleicht meine Frau?«
»Ich war vergangenen Sommer so glücklich, in Carlsbad eine Dame flüchtig zu sehen, der das Bild sprechend gleicht. Wo die Schönheit so überraschend ist, prägen sich alle Züge tief ein. Deßhalb mag es Sie nicht befremden, wenn ich dies Portrait mit Bewunderung betrachte. Ist diese Dame wirklich ihre Gattinn, so sind Sie der beneidenswertheste Mann, den ich kenne.« Wie eine herbe Pille, schluckte der Ehemann diese Schmeichelei herunter: »Ja wohl, bin ich das und ich bedaure nur, daß meine Frau durch Krankheit verhindert ist, die Wirthinn meines hohen Gastes zu sein!«
Alle drei Personen waren in eine Stimmung versetzt, welche den materiellen Genuß eines feinen Frühstücks verschmähen mußte. Die auserlesensten Leckereien verließen unberührt den Tisch; nur dem Wein, dessen Güte und Alter solchen Vorzug verdiente, ließen sie sein volles Recht widerfahren. Als der Rebentrank eben anfing, das Gespräch frischer und lebendiger zu machen, wurde die Thüre rasch und heftig aufgerissen; der Buchhalter Ehrig trat leichenblaß in das Zimmer, und schrie fast konvulsivisch, ohne auf den hohen Gast die geringste Rücksicht zu nehmen: »Banquier Neumann hat fallirt!«
Die Wirkung dieser wenigen Worte auf Oburn war unbeschreiblich. Vollkommen erstarrt, ohne die geringste Spur des Lebens stand er, einige Minuten an die Wand gelehnt. Dann arbeitete seine breite Brust gewaltig; und die Worte: »dann bin auch ich ruinirt,« entrangen sich mühsam seinen Lippen. Im Innern des Prinzen mußte während dieser Scene irgend ein Entschluß reifen. Fast freudig sah er auf die vom Schreck zerschmetterte Gestalt des Fabrikherrn, reichte ihm herablassend die Hand, und sprach: Adieu für Heute, lieber Oburn! Sollten Sie in irgend einer Beziehung Hülfe brauchen, so wenden Sie sich nur an mich. Meine Kasse und meine Connexionen stehen Ihnen gern zu Gebote.«
Durch das Fallissement des Banquierhauses verlor Herr Oburn eine baare Summe von 50,000 Thalern. Dieser Schlag hatte ihn so unerwartet getroffen, daß er in den ersten Tagen nach diesem Ereigniß wie betäubt umherging. Dann raffte er sich auf, nahm mit dem Buchhalter seine Credit- und Debetbücher genau durch, und erhielt als Resultat die traurige Gewißheit, daß sein Ruin unabwendbar sei, wenn er nicht irgendwo eine Anleihe von 50,000 Thaler machen könnte. Oburn war übrigens eine thatkräftige Natur. Sobald ihm seine verzweifelte Lage ganz klar geworden, sah er diesem Schreckbild fest ins Auge, und versuchte Alles, um diesem Unglück vorzubeugen. Alles, was an ihn zahlbar war, wurde eingezogen! und wo er selbst Verpflichtungen hatte, bat er auf einige Monate um Stundung. Doch selbst die befreundetsten Kaufleute schlugen ihm dies ab, und drangen, vielleicht selbst durch Neumanns Bankerott gezwungen, auf augenblickliche Zahlung. Eben so vergebens war Oburns Bitte um ein Darlehn, obgleich er selbst in ähnlicher Lage oft seinen Freunden thätige Hülfe geleistet. Doch jetzt fand sich keiner dazu bereit; alle lehnten es, unter diesem oder jenem Vorwande ab. Seine Lage wurde wirklich verzweifelt, als auch noch ein englisches Haus, das für ihn Geschäfte in Baumwollgarn machte, ihm einen bereits acceptirten Wechsel von 10,000 Rthlr. zu augenblicklicher Zahlung präsentirt und über Oburn, im Fall einer Zögerung, als säumigen Wechselschuldner Personal-Arrest verhängte.
Dieser Schlag vernichtete Oburns letzte Hoffnung. Er verschloß sich 24 Stunden lang in sein Zimmer; man hörte ihn darin laut ächzen und stöhnen, Tag und Nacht mit heftigen Schritten auf und ab gehen. Nachdem der wildeste Sturm ausgetobt, trat er in das Zimmer seiner Frau. Er mußte fürchterlich gelitten haben, denn seine Züge waren tief eingefallen; und der hochrothe Bart an dem einen Tage grau geworden.
Madame Oburn hatte alle diese Schreckensnachrichten mit bewundrungswürdiger Ergebenheit aufgenommen. Der Gedanke, daß sie von jetzt ab in Armuth und Dürftigkeit leben müsse, hatte für sie nichts vernichtendes: denn sie kannte den Werth des Geldes noch nicht, und war durch den Besitz desselben zu wenig glücklich geworden. Liebevoll eilte sie ihrem Gatten entgegen und brach bei dem Anblick seiner verfallenen Gestalt in heftiges Weinen aus. Dieser Beweis ihres Mitgefühls erschütterte ihn, und als ob er sich jeder weichen Regung schämte, unterdrückte er schnell eine hervorquellende Thräne, und sprach: »Prinz C** wird heute zu uns kommen; ich muß bei ihm eine bedeutende Anleihe machen. Ich erwarte von Dir, Johanna, daß Du Dich vernünftig beträgst, und Deine ganze Beredungskunst und Liebenswürdigkeit aufbietest, um den Prinzen willfährig zu stimmen; denn von der Herbeischaffung dieser Summe hängt nicht allein unser eigenes Glück und das Wohl unserer Arbeiter ab; sondern meine Ehre, – merke Dir, Johanna, meine Ehre! Bis Morgen früh muß ich im Besitz dieser Summe sein, oder mein Name ist gebrandmarkt für immer, und meiner wartet gefängliche Haft. Alles steht auf dem Spiel; alles muß gewagt werden und daran gesetzt an die Rettung.« Wie ein schwerer Unheil drohender Traum, aus dessen Banden sich die Seele vergebens loszureißen sucht: so wirkten diese Worte auf Madame Oburn, und es währte lange, ehe sie ihren ganzen Sinn gefaßt. Außer sich warf sie sich vor ihrem Gatten auf die Kniee nieder, und rief leidenschaftlich: »Oburn, verlange das nicht von mir! Ich will für Dich arbeiten, für Dich betteln; doch nimmer den Prinzen um Hülfe flehen! Wenn Du wüßtest – ja wenn Du wüßtest –« ein eisiger Frost schüttelte bei dieser Erinnerung die zarten Glieder – »welch' unseliger Stern mich schon mit ihm zusammengeführt; Du würdest das nimmer von mir verlangen!« »Närrinn! Ich mag, ich will nichts wissen – es ist mein fester Entschluß, daß Du, gerade Du, den Prinzen bewegen sollst, uns zu retten. Auf ein paar Weiberthränen kann ich nicht Rücksicht nehmen, wo es darauf ankommt, Hunderte von Menschen vor gänzlichem Verderben zu retten. Das solltest Du selbst überlegen, wenn es Dir überhaupt nur Deinen schönklingenden Redensarten Ernst ist. Hier ist nichts mehr zu wählen und zu besinnen!«
Herr Oburn hatte das Zimmer schon längst verlassen, als seine Gattinn noch immer starr dasaß, bewußtlos und gefühllos. Es giebt solche Augenblicke, in denen die Seele alle Farben und Formen des Lebens, alle festen Gedanken und festen Gefühle verliert, und sich ganz in die einförmig schwarze Nacht der Existenz versenkt. Nur das dumpfe Brüten bleibt, und der Alpdruck eines namenlosen Schmerzes!
Madame Oburn rang sich plötzlich aus dieser Apathie los, sprang hastig auf, lief in das Comtoir, und ersuchte athemlos den Buchhalter um das Contobuch ihres Gatten: »Ich beschwöre Sie, Ehrig, sagen Sie mir aufrichtig, wie steht es mit meinem Mann?«
Ehrig schaute sie mit kummervollen Blicken an, und erwiederte ganz leise: »Gnädige Frau! Werden Sie auch stark genug sein, die Wahrheit zu ertragen? Wohlan denn, ich schwöre es bei meiner Ehre! Wenn Ihr Gatte nicht bis Morgen die Wechselschuld von 10,000 Rthlr. decken kann, so ist das Geschäft ruinirt und die Fabriken werden von den Creditoren um einen Spottpreis verkauft.«
»Haben Sie alles versucht, alles?« frug die junge schöne Frau mit einem flehenden Blick, der dem Buchhalter bis in's Innerste drang. »Oburn hat viele Freunde; will ihm Niemand helfen?«
»Niemand, gnädige Frau!«
»Unser Mobiliar und Silberzeug ist von bedeutendem Werth! Verkaufen Sie alles – und retten Sie die Ehre meines Mannes!«
»Die Summe ist zu groß, und kann dadurch nicht getilgt werden. Auch ist es zu spät. In zwölf Stunden muß die Zahlung geschehen sein – oder –«
Madame Oburn bedeckte die Augen mit den Händen, und rief leidenschaftlich: »Genug, Ehrig, genug!«
Eine Stunde später hatte Herr Oburn eine lange, geheime Unterredung mit dem Prinzen C**. Sie mußte für beide befriedigend ausgefallen sein; denn das Gesicht des Prinzen sah bei'm Abschied triumphirend aus, und auch Herr Oburn trat sichtlich erheitert und ruhig in das Comtoir, und verkündete dem Buchhalter, daß der Prinz bereit sei. Morgen früh die Summe von 10,000 Rthlr. vorzuschießen. Bei dieser Nachricht erbleichte Ehrig, und sah Oburn mit einem vorwurfsvollen Blicke an, den dieser nicht ertragen konnte. Rasch wandte er sich ab, und ging in das Gemach seiner Frau.
Stumm trat er ein; es war eine unheimliche Pause! Sie lag auf dem schwarzen Sammet-Sopha, betäubt und lautlos, er ging hastig im Zimmer auf und ab. Dann sprach er plötzlich in bittendem Ton: »Johanna, Johanna!
Bei meiner Ehre! Es giebt nur dies eine Mittel, uns zu retten! Glaube nicht, daß ich leichten Sinnes mich dazu entschlossen! Es hat mich schweren Kampf gekostet; denn ich liebe Dich! – Du mußt – – – – – – –!«
»Oburn,« schrie die Frau ihm entgegen,« Du willst mich verkaufen, wie eine Sache, wie Dein Eigenthum verhandeln! Fühlst Du nicht die namenlose Beschimpfung und Entwürdigung, die Dich trifft, wie mich!«
»Die Welt erfährt nichts davon; diese Beschimpfung bleibt im Stillen, und wir können uns, wenn es uns auch schwer fällt, über Vorurtheile hinwegsetzen. Hier gilt es die Ehre vor der Welt, unsere ganze bürgerliche Stellung! davon hängt der Werth unseres Lebens ab; und sie müssen wir gegen jedes Opfer erretten!« »Oburn – es ist nicht möglich – noch glaub' ich nicht, daß es Dir Ernst ist mit so schimpflicher Barbarei – «
»Es ist mein Ernst; ich bin entschlossen. Gerade an diesem Opfer will ich Deine Liebe erkennen! Es bleibt dabei!«
»Du hast kein Recht, über meine Liebe und meine Ehre zu bestimmen. Ich werde die heiligsten Rechte meines Herzens und Lebens wahren – dies ist die Stelle, die uns auf ewig trennen muß.«
Oburn nahm einen bittenden Ton an, ein Ton, der seinem Wesen fremd war, zu dem ihm nur die schmerzlichste Zerknirschung seines Innern treiben konnte. Das höchste Gut seines Lebens stand auf dem Spiel – und in die Gewalt seiner Frau war es gegeben, den drohenden Sturm zu beschwören. Gerade der nahe Verlust zeigte ihm den ganzen Werth des klingenden Mammons; seine fiebernde Angst ließ ihn ängstlich nach Rettung umhersuchen; das Gold stand wie ein Phantom vor seiner Seele, unentfliehbar, ihn fesselnd mit eherner Macht; und wuchs in den phantastischen Bildern, die durch seine Seele jagten, zu riesenhafter Gestalt. Wie klein schien ihm dagegen das Opfer, das seine Frau bringen sollte, ein kurzes Liebesglück an einen Fremden verschwendet, eine selige Nacht, untreu den Laren des Hauses, unter einem fremden Gestirn geträumt! Dennoch ängstigte ihn die fieberhafte Spannung seiner Frau. Er stand vor ihr wie ein Delinquent, der um Gnade fleht; doch sie wies ihn mit Entschiedenheit zurück.
Er wollte ihre Erklärung nicht als fest, ihren Entschluß nicht als wandellos hinnehmen, und verließ das Zimmer, mit dem Versprechen, nach zwei Stunden zurückzukehren, indem er die Hoffnung aussprach, sie dann bekehrt zu sehn, und geheilt von ihren thörichten Vorurteilen. –
Madame Oburn war in jene Spannung versetzt, die, wenn sie nicht die Seele aufzehren sollte, sich in äußerer Handlung rasch und entschieden bethätigen mußte. Der Bruch in ihrem Leben war vollendet: sie fühlte sich durch die Zumuthung ihres Gatten entehrt, in dem innersten Kern ihres Wesens verletzt.
Die vollständige Entfremdung ließ sie nicht einen Augenblick länger mit ihm unter demselben Dache verweilen. Er hatte sich des Rechts auf ihre Liebe unwerth gemacht, eine Liebe, die gerade jetzt im Unglück ihm treu zur Seite stehen sollte.
Dieser Gedanke verzögerte auf kurze Zeit ihren Entschluß; doch sie wurde sich darüber klar, daß von Pflichten zwischen ihr und ihrem Gatten nicht mehr die Rede sein könne. Rasch und geheim ließ sie ihre Sachen einpacken, den Reisewagen fertig machen, und fuhr, ohne von Oburn Abschied zu nehmen, ans dem Hause, die Schande fliehend, die ihr drohte. Frei athmete sie draußen aus; es ging der Hauptstadt zu, einer stürmischen Welt voller Klippen und Untiefen, deren Wogen manch leuchtendes Segel zur Tiefe hinabziehen, aber auch manch lichte Perle aus ihrem Schoße zu Tage fördern.
Das war der erste Abschnitt ihrer Ehe, reich an allen Conflikten, welche das Leben der Gegenwart bewegen. Gewaltsam hatte sie sich losgerissen von qualvollen Verhältnissen, die in innerer Auflösung sie zu zertrümmern drohten. Ihren Gatten ließ sie allein, anheimgegeben dem modernen Fatum, das Menschen und Götter beherrscht, dem Golde, das wie Saturn seine eigenen Kinder verschlingt! Sie rettete ihr besseres Selbst vor der brutalen Gewalt, die sich in hundert Gestalten gegen sie verschwor! Sie rettete die Heiligkeit der Ehe, indem sie dieselbe zerriß! Doch noch hatte sie eine Gewalt nicht besiegt, die mächtiger war, als Rang und Geld und Freiheit; die im Hintergrund zurückgedrängt, bald siegsgewiß auftrat, ein Gestirn, das ihr Leben beherrschte von jetzt ab, eine Kraft, welche in ureigener, angestammter Heiligkeit die Formen zerbrach, die das Gesetz und die Sitte der Menschen geheiligt – die Liebe.