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Als Dorn wenige Monate vor den eben geschilderten Begebenheiten Adelen in Wien verlassen, um die schon erwähnten Erbschaftsangelegenheiten mit Hülfe ihres Vaters zu reguliren, war sie in jener süßen, träumerischen Ruhe zurückgeblieben, die Jeder empfindet, der auf der Wallfahrt des Lebens vor dem Tempel irdischer Glückseligkeit angelangt ist, des Einlasses gewiß und nur des Wortes harrend, das die Pforten öffnen und das Reich des Lichtes den hoffnungsstrahlenden Blicken enthüllen soll.
Wie oft hatte Adele sehnsüchtig nach jenen für sie verschlossenen Pforten geschaut, von den frühen Jugendtagen, in denen zuerst ihr Herz in unbewußter, schüchterner Liebe dem Gefährten ihrer Kindheit entgegenschlug, bis zu dem Augenblick, als sie ihn wiedersah, als die im Gewühl der Welt nur entschlummerte, nicht gestorbene Empfindung lebhafter als je in ihrer Seele auferstand, ja, am lebhaftesten vielleicht sich in ihr regte, als sie, all' ihren weiblichen Muth und Stolz zusammennehmend, das Anerbieten seiner Hand zurückwies.
Adele hatte begreiflicher Weise Rosetten nichts von dem Vorfall erzählt, aber trotz der bittern Kränkung, die Dorn's kühle Bewerbung ihr bereitete, war ihre Liebe zu ihm dennoch von da an in ein neues Stadium getreten, schaute sie zum ersten Mal, fast ohne es zu wollen, mit Hoffnung auf dieselbe. Sie schaute tiefer in Dorn's Herz hinein, als er selber.
Warum sollte er denn eine solche Hingebung einer Frau erzeigen, von der er noch kürzlich gesagt hatte: »Ein echter Mann kann nicht vor ihr niederknieen«? Aus einem Gefühl der Vereinsamung? Bah, wie lange war er schon einsam und hatte nicht nach einer Aenderung verlangt! Aus Edelmuth, um sie vor den Angriffen der Verleumdung zu schützen, um das, was ihm an ihr mißfiel, von ihr abzustreifen? Aus Edelmuth heirathet höchstens einmal ein Weib! Um sie zu schützen, zu vervollkommen? »Das eher,« dachte sie, »so anmaßend es von ihm ist, sich zu dieser Aufgabe berufen zu glauben, aber in der Anmaßung schlummert Liebe, ein Funken von Liebe erst, aber aus dem Funken kann eine Flamme werden.«
»Soll ich mir den Freund erobern?« dachte sie. Es war kein ganz naturgemäßer Gedanke für ein Weib, aber sie gab ihm keine andere Folge, als daß sie sich sagte: »Ich will nichts thun, als ihn im Stillen lieb behalten, und bis auf diese eine Empfindung meines Herzens, die sein Blick nicht eher schauen darf, als bis er ihr Berechtigung gegeben, soll er in mich hineinschauen wie in eine klare Fluth. Nichts will ich ihm verbergen, nicht Steine und Sand auf dem Grunde, nicht steile Ufer und aufbrausende Wogen, und wirft er dann die Blume hinein, die sich nur dort zu herrlicher Blüthe entfalten kann, so soll er sehen, welch ein Thor, welch ein Narr er war, als er mir den dürren Stab bot, mich daran zu führen. Erkennt er es aber nie, was uns Beiden frommt, ihm wie mir, nun, so mag er blind bleiben, ich kann doch nichts Anderes thun, als ihn lieb haben, so lange ich lebe.«
So gab sie sich denn mit vollem Bewußtsein ihrer Liebe hin, aber wie anders als sonst betrachtete sie auf einmal die Empfindung, wie anders als sonst wirkte diese auf ihr ganzes Wesen. Die Leidenschaft, die eine Leere des Herzens erzeugt, die auszufüllen ihr Alles recht war, verklärte sich zu einem reinen Lichte, das anfing die Schatten ihres früheren Wesens zu verscheuchen, den Zwiespalt ihres ruhelosen Geistes, ihres suchenden Herzens auszugleichen.
Sie hatte sich nicht einmal vorgenommen, ihr Wesen oder ihr Leben zu ändern, daß sie es dennoch that, machte sich von selbst. Wirkliche Befriedigung hatte sie nie in den Zerstreuungen gefunden, in die sie sich hineingestürzt, und der Betäubung, die sie ihr gewährten, bedurfte sie jetzt nicht. Es war seltsam, daß von dem Augenblicke an, wo sie Dorn einen Korb gegeben, sie anfing an die endliche Hingabe seines Herzens an sie zu glauben.
Für diesen Glauben, diese Hoffnung lebte sie, in dieser Stimmung war sie, als Dorn nach Wien kam, den Winter dort mit ihr zu verleben. Er trat ihr mit derselben Ruhe entgegen, die er bei ihr voraussetzte. Adele verschleierte ihre Liebe tief. Es war eine unwillkürliche Folge ihrer Empfindungen, daß sie die reichste, tiefste derselben in einem Blumengehäge einschloß. Es gehörte Inspiration dazu, hinter den tausendfältigen Blüthen die Rose zu erkennen, aber sie wollte sie auch nur dem geben, der inspirirt war.
Sie hatte nie einen so stillen Winter verlebt als diesen letzten mit Dorn, aber auch nie einen so anmuthigen. Das Recht naher Verwandtschaft in Anspruch nehmend, verkehrten sie so viel und ungestört miteinander, wie es sonst Leuten in ihren Verhältnissen und Jahren eigentlich nicht gestattet wird. Adele nahm es nie genau mit Formen, aber auch Dorn erkannte nur solche an, die er für berechtigt hielt, und er würde es nie für berechtigt gehalten haben, einem so harmlosen und Herz und Geist in so schöner, unschuldiger Weise anregenden Umgange zu entsagen, als der zwischen ihm und Adele war, blos weil die Leute sich den Kopf zerbrechen könnten, ob sie einander heirathen wollten oder nicht.
Als er nach Wien kam, glaubte er die Sache allerdings abgethan. Adele wollte nur aus Liebe heirathen und ihn liebte sie nicht, das hatte sie ihm ja selbst gesagt und ihm auch das Unrecht gezeigt, das sie in einem nur unter den Bedingungen der Freundschaft geschlossenen Ehebündniß zu erblicken glaubte.
Dennoch kehrte er immer wieder zu dem Gedanken zurück, sie heirathen zu wollen, ja die Veränderung, die mit ihr vorgegangen war, gab ihm nur neue Gründe für diesen Wunsch.
Sein Herz sehnte sich nach einer Heimath. Ein einzelner Mann hat keine und findet viel schwerer eine solche, als eine Frau und ein Mädchen in gleicher Lage. Er bleibt immer für sich stehen, während jene bestrebt sind, sich an irgend etwas hinzugeben. Und selbst wenn sie so arm, so verlassen, so unbefähigt zu anderen Dingen oder so kleinlich und einseitig sind, daß sie nichts Anderes für ihr Streben finden als einen Hund, eine Katze oder einen Vogel, es ist doch etwas, für das sie Selbstentäußerung zu empfinden fähig sind, und ihr Egoismus wird selten so starr wie bei einem Manne, der nichts gefunden hat, dessen Wohlfahrt ihn interessirt, als sich selbst.
Dorn schauderte natürlich vor der Leere eines solchen Daseins. Seine Sehnsucht nach einer Heimath wuchs, er wußte nur nicht, weshalb sie so übermächtig in ihm wurde, und hielt sie deshalb zurück. Es stand fest bei ihm, seine Bitte um Adelens Hand wiederholen zu wollen, aber er dachte nicht daran, ihr Herz erst zu erobern, er meinte nur ihre Ansicht bekämpfen zu müssen, daß Freundschaft kein ausreichendes Gefühl für ein Ehebündniß sei. Eine Ansicht bekämpft sich aber nicht so leicht, als sich ein Herz erobert, und so ging es langsam mit seiner Werbung, so ging der Winter darüber hin, und als Dorn sich zur Abreise rüstete, schien es ihm noch nicht an der Zeit, Gefühle zu äußern, die möglicher Weise Gefahr liefen, eine abermalige Abweisung zu erfahren. Er war halb und halb geneigt, die bevorstehende Trennung für eine Prüfungszeit für sich und Adele zu halten, eine Zeit, die auch ihr klar machen sollte, wie wenig sie ihn entbehren könne, wie nothwendig der Freund ihrem Glücke sei. Der eigensinnige Mensch blieb fortwährend an dem Wort Freundschaft haften, während der Begriff ihm schon längst verloren gegangen war. Sich sicher wähnend hinter dem zerbrechlichen Schild seiner Freundschaft, gab er sich keine Mühe, seine innere Bewegung zu verbergen, und unter dem Einfluß derselben klangen seine letzten Worte so warm, so beziehungsvoll, daß die Sicherheit ihres Sieges für Adelen fast nur noch eine Frage der Zeit blieb.
Natürlich ersetzte schriftlicher Verkehr das zur Gewohnheit gewordene Zusammenleben, und es verstand sich von selbst, daß die Correspondenz mit derselben Offenheit geführt wurde, die den Ton ihres Umgangs bezeichnet hatte. Adele erfuhr also Dorn's und Elisabeth's Wiedersehen, und ganz so, wie er sein Verhältniß zu derselben auffaßte, stellte er es der Freundin dar.
Sehr erfreut war sie nicht darüber, obgleich sie von Anfang an von diesem Zusammentreffen keinen Nachtheil für sich fürchtete, aber es dauerte nicht lange, so bemächtigte sich eine ernstliche Unruhe ihres Geistes, denn sie konnte nicht umhin, aus Dorn's Darstellung andere Schlüsse zu ziehen, als er selbst es that, konnte nicht umhin, tiefen Zwiespalt zu fürchten.
Dennoch wollte sie keine Warnung aussprechen. An Dorn's Ehre und Rechtschaffenheit hegte sie nicht den leisesten Zweifel, in dieser Richtung war jede Warnung überflüssig, und die Natur seiner Gefühle ihm aufzudecken, wagte sie nicht bei der nicht wegzuleugnenden Betheiligung ihres Herzens an denselben. Sie mißtraute sich selber, sie scheute die falschen Consequenzen eifersüchtiger Befangenheit, sie wollte nicht nach dem Schein urtheilen, wollte sich Mühe geben, Alles in dem Sinne aufzufassen, in dem Dorn es ihr gab. Vergebens. Die Unruhe wuchs, sie konnte es sich bald nicht mehr verbergen, daß ihre Sache hoffnungslos werde, daß ihr Sieg nur ein halber gewesen, daß sie über Erinnerungen triumphirte, aber der Wirklichkeit erliege, daß ihr abermals der Schmerz bevorstehe, den Geliebten zu verlieren.
Da faßte sie einen herzhaften Entschluß. Sie gab den Geliebten auf und rettete sich den Freund.
Sie nahm sich vor, fest zu stehen in dem neuen schmerzlichen Kampf, fest zu stehen auf dem Boden echter Freundschaft, zur Hülfe, zum Trost, zu jeder Resignation freudig und kraftvoll bereit. Bedurfte er ihrer, dann wollte sie da sein, nicht mehr zu dem Bündniß, auf das sie gehofft hatte, aber zur treuen Kameradschaft auf Leben und Tod.
In diesem Sinn beantwortete sie seine Briefe. Sie hielt sich an den Wortlaut dessen, was er ihr mittheilte, sie stellte keine Vermuthungen auf, machte keine Anspielung, sie reflectirte so verständnißreich seine Gesinnungen, wie nur reiner Krystall einen Sonnenstrahl reflectiren kann. Sie machte keinen andern Anspruch als den an seine Freundschaft geltend, wie er die Saiten ihres Gemüths berührte, so klangen sie ihm volltönend entgegen.
So nachtwandelte er mit geschlossenen Augen weiter, nur gehütet von ihrem heißen Wunsch: Gott möge ihn sicher an das Ende des gefährlichen Pfades leiten. Ein unvorsichtiger Warnungsruf hätte ihn erst recht in Gefahr stürzen können, sie wartete damit, bis es die höchste Zeit war, bis sie ihn verloren geben mußte ohne helfende Hand. Seit Dorn, in seine falsche Sicherheit eingewiegt, dem selten erreichbaren Ziel näher zu kommen träumte, dem Ziel, mit einer schönen, einst leidenschaftlich geliebten Frau jenen Bund zu flechten, den die Welt nie anerkennt und der selbst vor dem eigenen Herzen schwer in der ihm gebührenden Reinheit zu erhalten ist, seitdem waren seine Briefe an Adele seltener geworden, ja, seit er ihr seine Abreise nach Häringsdorf gemeldet hatte, hörten sie gänzlich auf. Kein Ton, dem majestätisch dahinwogenden Meer in kühner Begeisterung geraubt oder dem süßen Waldeszauber abgelauscht, klang zu ihr hinüber.
Die irrende Sehnsucht des Herzens, die ihm eine anmuthige Heimath an ihrer Seite gezeigt, hatte für eine Weile eine trügerische Stätte gefunden, dort auch war der Geist gebannt, der ihm das warme Wort der Freundschaft aus dem Herzen gelockt hatte, bereit, es jeden Augenblick in das der Liebe umzuwandeln.
Adele trauerte über sein Schweigen, ohne den Muth zu fühlen, es zu unterbrechen. Sie war gekränkt, verletzt, bis in den Tod betrübt, aber sie schwieg. Da erhielt sie einen Brief ihres Vaters, in dem dieser nur ganz beiläufig erwähnte:
»Waldemar ist noch immer in Häringsdorf. Die Leute reden ihm Uebles nach. Dummes Zeug! Er ist nicht fähig, ein Liebesverhältniß mit einer verheiratheten Frau zu unterhalten. Aber schon der Schein thut nicht gut, er macht die Moral seiner Bücher damit zu Schanden.«
Da besann Adele sich nicht länger, sie setzte sich hin und schrieb an Dorn, aber sie schrieb nichts weiter als die wenigen Worte:
»Klar denken, wahr sprechen!«
Wie wir schon wissen, weckte der Ruf den Nachtwandler, aber Dorn hatte ein gesundes Herz und einen schwindelfreien Kopf, und beherzt unternahm er das Werk der Rettung, dessen Mißlingen nicht seine Schuld war, wenn es auch schwere Folgen auf sein Haupt fallen ließ. Es war sehr natürlich, daß Adelens warnende Zeilen unbeantwortet blieben, aber deshalb nicht minder beunruhigend für sie.
Finstere Ahnungen beschlichen sie, Furcht und Hoffnung wechselten in ihrem Geist. Sie fühlte sich in tiefer Demuth zu jedem Herzensopfer bereit, und wappnete ihren weiblichen Stolz, die Demuth vor der Gefahr schwachherziger Erniedrigung zu schützen.
Da stürmte eines Morgens Rosette in ihr Zimmer.
»O Adele!« rief sie ganz außer sich, »o, was schreibt mir die Mutter! Ist es zu glauben, dieser Don Juan! Wahrhaftig, ein wahrer Don Juan ist er!«
»Wer denn, was willst Du denn?« fragte Adele erstaunt.
»Wer? Nun, wer sonst als Herr Dorn!« fuhr Rosette noch immer in der höchsten Aufregung fort. »Will er nicht allen Frauen die Köpfe verdrehen, das heißt, die sich ihn verdrehen lassen? Mit mir fing er an, aber ich war nicht romantisch genug, dann ging er zu Dir, und jetzt hat er eine Liebschaft mit einer verheiratheten Frau zum Skandal von ganz Häringsdorf angefangen, und denke Dir, aber es ist eine ganz verwirrte Geschichte und Niemand weiß den Zusammenhang, das Ende aber ist, daß man ihn eines Morgens durch einen Pistolenschuß verwundet im Walde fand, daß an demselben Morgen der Mann der betreffenden Frau wie verrückt nach Hause gestürzt kam, gleich aufpackte und mit Frau und Kind abreiste – ein Kind hat sie auch noch – daß sie ausgesehen haben soll wie eine arme Sünderin, und daß Dorn behauptet, er habe sich selbst tödten wollen. Das Alles schreibt mir die Mutter. Sie haben ihn nämlich zum Förster Günther gebracht, und Mutter pflegt ihn und schreibt ganz entzückt von ihm, von dem Don Juan, der Alt und Jung berückt!«
Rosette hatte mit athemloser Eile gesprochen, erst als sie Adelens leichenblasses Gesicht, das starre Entsetzen in deren Miene sah, fiel ihr ein, was sie angerichtet hatte.
Sie stürzte auf sie zu und schloß die Freundin in ihre Arme.
»O Gott, was habe ich gethan!« sagte sie seufzend, »ich bin auch immer so hastig, so lebhaft. Verzeih, Liebchen, vielleicht ist es nicht so schlimm. Es kommt ja vor, daß ein Mann sich einmal in eine verheirathete Frau verliebt, er braucht ja noch kein Bösewicht zu sein. Aber wenn es wahr ist, so ist es doch gut, daß Du es erfährst, denn Du kannst ihn doch nicht heirathen, wenn er eben eine solche öffentliche Liebesgeschichte gehabt hat.«
»Gieb mir doch den Brief Deiner Mutter,« unterbrach sie Adele.
Rosette holte ihn augenblicklich und Adele vertiefte sich in die Lectüre desselben.
Während dessen überlegte Rosette, ob Adele sich wohl todt grämen könnte um den Verlust Dorn's und was dann aus ihr werden sollte. Sie drehte so lange diesen Gedanken in ihrem Kopf herum, malte sich alle Schattenseiten desselben so düster aus, daß sie zuletzt bitterlich zu weinen anfing. Sie sah schon im Geist Adele im Sarge liegen im weißen Kleide und weißen Rosenkranz, sah sich selber von Kopf bis zu Füßen in schwarze Wolle und schwarzen Flor gehüllt vor dem Sarge knieen. Man mußte sie gewaltsam fortreißen, als dieser weggetragen werden sollte, Dorn folgte als erster Leidtragender, und sie glaubte gewiß, daß er sich nach dem Begräbniß erschießen würde. Der Glückliche konnte seinem Kummer ein Ende machen, aber was sollte sie thun, was sollte aus ihr werden? Sie ging zur Mutter, natürlich, sie sehnte sich schon lange nach ihr und nach der Einsamkeit, aber wo sollten sie denn das Haus herbekommen, das Adele ihr gewiß gegeben, wenn sie Dorn geheirathet hätte. O der abscheuliche Dorn! Mußte er denn überall Liebesgeschichten anfangen? Besser wär's doch immer noch, Adele heirathete ihn, als daß sie sich nun seinetwillen todtgrämte. O die arme Adele!
Adele machte diesen düsteren Betrachtungen ein Ende.
»Ich bitte Dich, Rosette, weine jetzt nicht,« sagte sie in sehr gefaßtem Tone zu dieser, »hilf mir lieber die nöthigen Anordnungen zur Reise treffen, ich will nach Häringsdorf.«
»Aber ich bitte Dich, jetzt, wo Dorn da ist!« unterbrach sie Rosette.
»Ja, wenn er nicht da wäre, würde ich nicht reisen,« sagte Adele ein wenig gereizt, »ich gehe ja nur seinetwegen. Er ist mein Verwandter, mein Freund, soll ich ihn krank wissen, ihn vielleicht sterben lassen, ohne mich um ihn zu bekümmern?«
»Aber Adele, bedenke doch, wie falsch er gegen Dich gewesen ist,« wandte Rosette noch dringender ein, »vergiß doch Deinen Stolz nicht!«
»Der Stolz gehört nicht an ein Krankenbett, dahin gehört nur die Liebe,« sagte Adele; »übrigens,« fuhr sie fort, »wenn die Geschichte wahr ist, und ich bezweifle noch sehr, daß sie es ist, so hat mein Stolz nichts damit zu thun. Waldemar hat mir nicht gesagt, daß er mich liebt, und wenn ich es geglaubt habe, so kann ich ihn doch deshalb nicht für meinen Irrthum verantwortlich machen. Aber von alledem ist jetzt gar nicht die Rede, überhaupt will ich von keiner Bedenklichkeit hören. Es ist mir Alles ganz gleich, was gegen meinen Plan gesagt werden kann, ich muß sehen, wie es um Waldemar steht.«
Rosette machte keine Einwendung mehr, und am nächsten Morgen traten beide Damen die Reise an. Sie hielten sich nirgends länger, als nöthig war, auf und selbst in Stettin blieb Adele nur wenige Stunden bei dem Vater, nur die Zeit, die bis zum Abgang des nächsten Dampfschiffes verfloß.
Es war Abend, als sie in Häringsdorf anlangten und sogleich den ihnen wohlbekannten reizenden Weg durch den Buchenwald nach der Försterei einschlugen. Sehr verschiedenartige Empfindungen bewegten die beiden Herzen; das Adelens schlug in banger Sorge und ängstlicher Spannung, das Rosettens bebte vor Freude in dem Gedanken, die Mutter wiederzusehen.
Friedrich hätte die Bekanntschaft des Mädchens in keinem für sie günstigeren Augenblicke machen können, als der war, wo sie leise die Thür zu dem Wohnzimmer öffnete, in dem er sich mit Frau Wallner befand, und mit unterdrücktem Jubel in die Arme der Mutter stürzte. Die Freude verschönte ihr schon hübsches Gesicht, die glänzenden Augen lachten durch Thränen, die Hand, mit der sie das Gesicht der alten Mutter streichelte, war weiß und zart, und die Stimme, mit der sie die Mutter begrüßte und doch weiter nichts zu sagen wußte als: »Mutter, liebe Mutter,« trotz des durch Thränen erstickten Tones melodisch klingend.
Friedrich sah sie mit einem warmen Gefühl des Wohlwollens an, auch Adele mäßigte ihre Ungeduld, lächelte freundlich zu der ungezügelten, lebhaften Freude Rosettens und wartete, bis der erste Sturm in den Gefühlen derselben vorüber war.
Rosette war übrigens nicht so engherzig, ganz und gar den Grund ihres Kummers zu vergessen. Sie war die Erste, welche sagte:
»Wie geht es Deinem Patienten, Mutter? Du weißt, er ist ein Verwandter von Adelen, wir sind seinetwegen hier.«
»Er ist außer Gefahr,« sagte Frau Wallner, »aber er liegt noch zu Bett, ist sehr angegriffen und muß deshalb geschont werden«
»Ich will zu ihm gehen,« erklärte Adele, »führen Sie mich zu ihm,« wandte sie sich an Friedrich.
»Darf ich es ihm nicht erst sagen, daß Sie da sind, Frau Baronin?« fragte dieser bescheiden, und forschend in das Gesicht der schönen Frau sehend, als wollte er aus demselben Gewißheit über die Beziehungen schöpfen, die er zwischen ihr und Dorn vermuthete. Sie nickte Gewährung, und Friedrich ging ihr voran, kehrte aber augenblicklich mit der Bitte zurück, sie möge ihm folgen.
Wie auch die Gefühle Adelens sein mochten, als sie ihren Freund so verändert, so sichtlich erschöpft wiedersah, weder ihr Gesicht noch ihre Stimme verrieth eins derselben. Sie näherte sich ihm so unbefangen und freundlich, als liege gar nichts Bedenkliches zwischen ihrem Scheiben und Wiedersehen.
»Wirst Du schelten,« sagte sie, »daß ich Dir nachgereist komme, wirst Du meinen, es sei ein Rückfall in die früheren Capricen der Emancipation? Thu es immerhin, mein Freund. So wie ich von Deiner Krankheit hörte, beschloß ich Dich zu pflegen. Die alte Frau hier ist gewiß gut, aber sie hat kein näheres Interesse für Dich, und der junge Förster? Er hat ein gutes, liebes Gesicht, aber Männer verstehen nicht Kranke zu pflegen.«
»Du bist sehr gut, Adele,« sagte Dorn gerührt, »ich würde es nicht gewagt haben, Dich um Dein Kommen zu bitten, aber es ist mir eine unbeschreibliche Wohlthat, Dein freundliches Gesicht zu sehen.«
»Nun gut, damit mußt Du Dich aber auch für's Erste begnügen,« entgegnete sie, »denn sprechen darf man mit Dir noch nicht viel, das sehe ich. Du warst ganz blaß, als ich hereintrat, und jetzt glüht Dein Gesicht. Also still, mein Freund, ganz still. Ansehen kannst Du mich, so viel Du willst, ich werde mich zu Dir setzen und einstweilen lesen. Ich sehe, Du hast Bücher hier.«
Sie stand auf, holte eins derselben, setzte sich wieder zu Waldemar, öffnete es und ließ ihre Augen auf den gedruckten Zeilen ruhen, als studire sie eifrig deren Inhalt. Das Buch zitterte aber ganz leicht zuweilen in ihrer Hand, und Dorn bemerkte, wie ungleich die Pausen waren, die zwischen dem Umwenden der Blätter vergingen. Eine Weile lag er ganz still, in die Betrachtung der schönen Leserin versunken. Er wartete, bis er selbst fühlte, daß sein Puls wieder ruhiger schlug, dann begann er:
»Adele, um Eins muß ich Dich bitten, ehe Du weiter liest. Ich sehe, daß Du bereit bist, mir Barmherzigkeit zu erzeigen, willst Du mir Gerechtigkeit geben?«
»Gewiß,« sagte sie fest, »Gerechtigkeit und viel Besseres noch – Freundschaft!«
»Ach, Freundschaft ist ein Unding zwischen Mann und Weib,« entgegnete er unüberlegt, »so lange noch die Jugend in den Adern pulsirt, giebt es kein oder nur ein Band zwischen ihnen.«
Er hielt inne. Adele wurde glühend roth, senkte die Augen nicht, antwortete aber eben so wenig. Er fuhr fort:
»Du mußt mir Eins glauben. In die Zeit unserer Trennung, in diese kurze Zeit, fällt mancher Irrthum, manches Ungemach, aber keine Schuld, wenigstens keine bewußte.«
»Davon war ich überzeugt,« sagte sie freudig und ihre Augen leuchteten, »aber nun mußt Du auch schweigen und an nichts als an glückliche und frohe Dinge denken.«
»Ich will an das Schönste denken, was es nur auf der Welt giebt,« versicherte er leise, »an das milde, reiche, tief fühlende, verzeihende Herz eines Weibes, an –«
Er sagte nicht: an das Deine, aber sie las ihm das Wort von den Lippen, und als sie die Augen wieder auf das Buch senkte, da flammte das unausgesprochene Wort zwischen den Zeilen und erfüllte ihr Herz mit namenloser Freude.
Inzwischen saßen Rosette und die Mutter traulich im Wohngemach nebeneinander, Friedrich hatte sich zartfühlend entfernt. Aber sie saßen nicht schweigend da, wie die Beiden im Krankenzimmer es nun wirklich thaten, im Gegentheil, Eine nahm der Andern das Wort aus dem Munde, und als sei ihnen nur eine Stunde des Beisammenseins vergönnt, so jagte eine Erzählung, eine Mittheilung die andere.
Rosette erfuhr Alles über Dorn und Elisabeth, was die Welt, die Häringsdorfer Welt, über Beide in Erfahrung gebracht oder zu ihren Gunsten oder Ungunsten combinirt hatte. Erwiesen war eben nichts, die Böswilligkeit griff sie an und das Wohlwollen vertheidigte sie, ohne bestimmten Grund und Boden zu Angriff und Vertheidigung. Eben so unaufgeklärt blieb die Geschichte mit dem Schuß. Einer sagte Selbstmord, der Andere Duell, ein Dritter sprach von einer That der Rache. Der Arzt, der ihn behandelte, sagte in selbstständiger Verbesserung der ihm erst überkommenen Nachricht:
»Das Pistol, das er aus reinem Uebermuth mitgenommen hatte, um Krähen zu schießen, ist unversehens losgegangen und hat ihn getroffen.«
Man glaubte ihm eigentlich nicht, ja, die wahrscheinlichste Annahme, die auch durch Eisenhart's plötzliche Abreise bestätigt wurde, blieb immer die, Dorn's Verwundung als Folge eines zwischen Beiden ausgebrochenen Streites, über dessen Grund man nicht im Unklaren war, zu betrachten. Die Annahme wurde verstärkt, als wenige Tage darauf in der Stettiner Zeitung ein eingesandter Artikel aus Hamburg erschien, in dem Eisenhart Abschied von seinen Stettiner Freunden nahm, die Eile seiner Abreise auf Nachrichten schiebend, die ihm von seinem Handelsfreunde aus New-York zugekommen.
Durch Frau Wallner hörte auch Dorn von dieser Abreise und athmete auf, wenn er auch mit tief schmerzlicher Bewegung der armen Frau gedachte, die nun bald das weite Meer von ihrer Heimath schied und die ein gebrochenes Herz mit hinübernahm in die neue.
Er ahnte nicht, welche andere Heimath bereit war sie aufzunehmen, ahnte nicht, daß Eisenhart, mit Zurücklassung von Frau und Kind, sein Vaterland, für dessen wichtigsten Bürger er sich beinahe gehalten hatte, floh wie ein verfolgter Verbrecher.
Als er es später, viel später erfuhr, warf Elisabeth's tragisches Schicksal, warf ihres Mannes Mißgeschick, der Gedanke an den jähen Sturz desselben aus der Höhe sicher gewähnten Glückes, einen tiefen Schatten auf das friedliche, freundliche Asyl, und die Liebe, die es für ihn schmückte, vermochte nicht ganz die Erinnerung an seinen eigenen Antheil an diesem Leid, diesem verdienten und unverdienten Mißgeschick auszulöschen.
Rosetten erschien die ganze Begebenheit höchst interessant.
»Daß Adele ihn heirathen wird, ist mir nun aber ganz gewiß,« versicherte sie, als die Mutter geendet, »sie ist so romantisch. Es ist übrigens auch interessant, einen Menschen zu heirathen, der schon einmal etwas Schlimmes gethan hat, wenn er es nur nicht wieder thut. Hier kann sie aber sicher sein, Dorn wird ihm nicht noch einmal Gelegenheit geben, auf ihn zu schießen.«
Nun erzählte die Mutter aber auch von Friedrich. Rosette hatte ihn hübsch gefunden.
»Das ist das Wenigste, aber er ist ein herrlicher Mensch,« sagte Frau Wallner, »es lebt sich so leicht mit ihm wie mit dem Vater, aber er weiß viel mehr und viel besser zu reden, er raucht auch gar nicht, und früher war er auch so lustig wie ein Kind, aber das dauerte nur wenige Tage, denn nachher kam die Geschichte.«
Frau Wallner erzählte diese.
»Ich hab's doch auch immer mit verliebten Männern zu thun,« sagte Rosette unwillig, als die Mutter geendet, »und in mich verliebt sich Keiner! Die Männer haben einen seltsamen Geschmack! Ich wundere mich nicht, wenn sie Adelen mir vorziehen, denn die hat Geld, und Du glaubst nicht, wie hübsch uns das macht; aber nun auch Arnold's Frau! die hat doch auch nichts und hat ein Gesicht wie Mondschein, wie macht es die denn, daß sich Alle in sie verlieben?«
»Ich glaube, Friedrich hat nie ein anderes Mädchen gesehen, und lieben müssen doch die Männer alle,« erklärte die Mutter.
»Gut, so wollen wir ihm ein anderes Mädchen zeigen, eins, das sich sehen lassen kann,« sagte Rosette lachend, »es reizt mich, ihn der Anna abspenstig zu machen. Ob ich ihn heirathen will, weiß ich noch nicht. Ich muß erst sehen, ob er für mich gebildet genug ist und ob sich etwas aus ihm machen läßt. Ist das nicht, so begnüge ich mich damit, daß er sich verliebt. O Mutter!« unterbrach sie sich, noch lustiger lachend, »nimm es doch nicht für Ernst. Ich spaße ja nur, siehst Du, amüsiren muß ich mich doch, und hier im Walde,« seufzte sie, »wird es wohl nicht viel Anderes geben als Liebe.« –
Adele hatte eine Wohnung in Häringsdorf gemiethet, in welche sie mit Rosetten einzog. Sie hatte anfänglich in der Försterei bleiben wollen, aber Dorn redete es ihr aus. Nun ging sie aber jeden Morgen hin und blieb den ganzen Tag da. Sie nahm an den einfachen Mahlzeiten Theil, die Frau Wallner bereitete, sie erfreute sich an der schlichten Einfachheit Friedrich's, sie pflegte ihren Patienten, leitete und unterstützte die ersten Schritte, die derselbe hinauswagen konnte, sie saß stundenlang mit ihm unter den grünen Buchen, sie sah den Glanz in seine Augen, die Farbe auf seine Wangen zurückkehren, sie sah auch noch etwas Anderes in seinen Augen, was sie mit Entzücken erfüllte.
Das Idyll im Walde, das sie durchlebten, gefiel auch Rosetten. Es war auch ihr wie ein Trunk aus frischem Quell, der feurige Rebensaft löscht den Durst nicht, er regt ihn nur an, und dann kommt doch der Moment, wo der Rausch ausartet in Unbehagen. Unbehagen, ja, das empfand Rosette eigentlich schon lange, ohne zu wissen, worin es lag und wie sie es loswerden sollte. Der plötzliche Wechsel ihres Lebens, die frische Waldluft, die Zärtlichkeit der Mutter, Friedrichs sichtliches Bemühen, den Gästen sein einfaches Haus angenehm zu machen, die durch diesen Gedanken wiederkehrende Fröhlichkeit seines Wesens, das Alles belebte und erfrischte sie, und das kleine Spiel der Koketterie, das sie mit Friedrich begann und mit vieler Grazie, die ihm den Eindruck vollendeter Unschuld, machte, durchführte, diente gleichfalls zu ihrer Unterhaltung; Adele war zu befangen, um das Spiel gleich zu gewahren, doch als sie es bemerkte, machte sie Rosetten Vorstellungen.
»Laß mich doch meinen Vogel fangen,« entgegnete diese leichtsinnig, »Du hast ja Deinen sicher. Soll ich eine alte Jungfer werden? Du wirst bald heirathen und Dich um mich nicht mehr bekümmern.«
»Rosette, sprich nicht so,« bat Adele, »Du weißt, Du kannst immer bei mir bleiben, mag mein Schicksal sich gestalten wie es will.«
»Was hilft mir das?« entgegnete Rosette. »Zu Zweien waren wir glücklich, zu Dreien ist Einer zu viel, und das bin ich und das will ich nicht sein. Und dann,« fuhr sie ernster fort, »dann denke ich es mir doch auch hübsch, sein eigenes Haus zu haben, ist es auch klein, und eine Frau zu sein, ist auch der Mann« – sie seufzte – »ist auch der Mann ein simpler Förster.«
»Wenn Du ihn liebst, ist das gleich,« sagte Adele, »liebst Du ihn denn?«
»Nein,« antwortete Rosette, »ich weiß ja auch noch gar nicht, ob ich ihn heirathen will, aber wenn ich es thue, geschieht es aus Vernunft.«.
»Solche Vernunft ist Unvernunft,« behauptete Adele.
Rosette lachte.
»Du nimmst das so leichtsinnig,« fuhr Adele fort, »das fällt mir schwer auf's Herz, denn wenn Du durch eine solche Heirath unglücklich wirst, ist es meine Schuld. Ich habe Dich an andere Ansprüche gewöhnt; der Förster ist ein vortrefflicher, lieber Mensch, er ist auch gebildet, so wie ein reiner Sinn und ein ehrliches Herz einen Menschen von innen herausbilden, aber Weltton hat er nicht, den hast Du, und der paßt nicht in die Waldhütte. Bedenke es zweimal, ehe Du unternimmst, was Du nicht durchführen kannst ohne Liebe.«
»Nein, ich will's gerade gar nicht bedenken,« versetzte Rosette, »ich lebe lieber in den Tag hinein und thue, was der Augenblick mir sagt. Uebrigens sei ganz unbesorgt, ich heile jetzt den Förster blos von einer unglücklichen Liebe, und das kann er mir immer danken, wenn ich ihm auch keine glückliche schaffen kann. Er macht aber schon Fortschritte. Er sieht gar nicht mehr so trübselig aus wie in den ersten Tagen, ich bin es auch, die ihn dahin gebracht hat, wieder zu singen. Gesang erfreut des Menschen Herz. Er sang gestern schon, wie er noch weit vom Hause war. Er sang ganz lustig. Die Mutter sagt, er hätte seit Monaten nicht so lustig gesungen. Es ist doch angenehm, wenn man sieht, daß man über einen Menschen etwas vermag; wie man es anwenden will, hat man ja immer noch in der Hand. Eigentlich glaube ich zwar, für mich wäre es besser, einen Mann zu bekommen, der weniger weichherzig ist, vor dem ich etwas Furcht haben könnte, aber man kann sie sich doch nicht malen, und es ist auch wieder ganz bequem, wenn der Mann thut was man will. Der Vater war auch so, der gute alte Mann war nur so langweilig, er kann auch nie hübsch gewesen sein, der Förster ist aber hübsch und nicht langweilig.«
Adelens Schicksal entschied sich bald. Im Verlauf weniger Wochen war Dorn gänzlich hergestellt, und die Nothwendigkeit der Abreise, so wie der endlichen Entscheidung in Beziehung auf Adelens und sein Schicksal drängte sich ihm mehr und mehr auf. Das Gerede über ihn hatte sich beruhigt, nachdem es erst durch Adelens Erscheinen in der Försterei und die Stellung, die sie ihm gegenüber behauptete, neuen Zufluß erhalten hatte. Wenn etwas seinen Höhepunkt erreicht hat, pflegt es sacht eine rückgängige Bewegung zu machen, so hier der Strom verleumderischer Gerüchte.
Eine Liaison mit zwei Frauen zu gleicher Zeit konnte man unmöglich einem Menschen wie Dorn, dessen Moralität bisher so vorwurfslos gewesen, lange zutrauen, und so schlug die Meinung gänzlich zu seinen Gunsten um. Eisenhart's thörichte Eifersucht hatte nun auf einmal Alles verschuldet, und so auffallend es immer blieb, daß die Baronin von Stern, die schöne, junge, reiche Wittwe so rücksichtslos zu der Pflege ihres Verwandten herbeigeeilt war, so sehr das dem Gebrauch widersprach, so war theils Adelens Extentricität bekannt, theils fehlte es nicht an Vermuthungen, die auf eine schon stattgefundene und nur verheimlichte Verlobung hinzielten. Selbst die gemeinschaftliche Erbschaft des polnischen Gutes rechtfertigte diese Annahme, denn durch eine Heirath waren die verschiedenen Interessen ja am leichtesten zu vereinigen.
Von all' diesen Gerüchten hatte Dorn andeutungsweise so viel erfahren, daß ihm der Umfang derselben vollständig klar war. Es war nicht seine Gewohnheit, nach der Meinung der Leute zu forschen und sie zur Richtschnur seiner Handlungen zu machen, aber er hätte bornirt sein müssen, um nicht die leisen Anspielungen seines Arztes, so wie die plumperen der Frau Wallner zu verstehen, und in diesem Fall nahm er in sofern Notiz von diesen Gerüchten, als sie seinem immer lebhafter gewordenen Wunsch, Adelens Schicksal an das seine zu knüpfen, einen neuen Grund der Nothwendigkeit verliehen.
Einen Tag vor ihrer gemeinschaftlich bestimmten Abreise nach Stettin erneuerte er seine Bitte um ihre Hand. Sein Gefühl bebte in seiner Stimme, glühte in seinen Augen, seine Worte waren ruhig und ernst.
»Du siehst, wie viel wir einander sind,« schloß er, »wie unentbehrlich Du mir bist, wie mir das fernere Leben ohne Dich reizlos erscheint. Warum sollen wir unsere tiefe, innige Freundschaft nicht besiegeln durch das Band der Ehe, warum« – Adele unterbrach ihn. Sie war ungeduldig, fast heftig. Sie zweifelte nicht mehr an dem Besitz seines Herzens, sie wollte aber ein volles Eingeständniß. Sie sagte erregt:
»Nur Freundschaft und wieder Freundschaft! Das Wort ist mir zuwider, will man es über seine Bedeutung erheben. Wenn ich Deine Freundin sein soll, will ich Dich nicht heirathen, wenn Du mir nichts Anderes geben kannst als Freundschaft, so ist es nicht nöthig, daß die Kirche ihren Segen zu dem Bündniß giebt. Dann kann Alles beim Alten bleiben.«
»Adele!« unterbrach er sie.
»Wir wollen jetzt ein- für allemal die Sache beenden,« fuhr sie fort, »mache endlich einmal Deinem Wahlspruch Ehre. Denke klar darüber nach und sprich es wahr aus: wen hast Du lieber, Elisabeth oder mich?«
Sie sah ihn mit einem festen, sichern Blick an.
»O Adele!« sagte er, ohne einen Augenblick zu zaudern und wie in Folge plötzlicher Inspiration, »Elisabeth ist todt für mich und Du lebst!«
»Also endlich,« sagte sie, »begreifst Du, daß man zu einem Traumbild anders steht als zu einem lebendigen Geschöpf, daß eine unerfüllt gebliebene Liebe zur Freundschaft werden und als solche das Herz beruhigen kann, aber daß nur die volle, klare, erhörte und eingestandene Liebe Befriedigung gewährt. Hast Du die für mich, so will ich Dir mein Herz geben, denn es gehört Dir seit ich denken kann, aber ich tausche es nur für Dein Herz. Bedarfst Du nur des Trostes für ein bis dahin verfehltes Geschick, den kann ich Dir nicht geben. Ich will Dich nicht trösten, ich will mit Dir glücklich sein. Ich habe Dich geliebt von Jugend an, und Liebe strebt nach gemeinschaftlichem Glück, sie kann resigniren ganz und gar, aber mit einem Pflichttheil ist sie nicht zufrieden.«
»Adele,« sagte Dorn, »ich habe geglaubt, ich kenne die Welt und die Menschen, welch ein Schüler bin ich gegen Dich!«
Er war tief bewegt, ein Gefühl unendlichen Glückes durchzitterte ihn, nicht im Sturm riß es ihn fort, es machte ihn still, ganz still, aber ihm war so feierlich wie in der Kirche.
Adele sah ihn lächelnd an; es war lauter Sonnenschein in ihrem Lächeln, nichts als Zuversicht und Glück in ihren Augen, da breitete er die Arme aus und schloß sie an sein Herz.
Arme Elisabeth! Ruhtest Du in Deinen wilden Fieberträumen vielleicht auch in den Armen, die noch vor Kurzem im Rausch der Leidenschaft Dich umfingen? Aber auch damals war es ein Traum, ein wilder, wüster Traum. Was bedeutet aber ein Traum gegen die Wirklichkeit!
Am nächsten Tage reisten Waldemar und Adele nach Stettin, den Vater der Letzteren mit ihrer Verlobung bekannt zu machen. Rosette begleitete sie, um bis zu der in kurzer Frist festgesetzten Hochzeit bei Adelen zu bleiben.
Als diese stattgefunden, kehrte sie zu ihrer Mutter zurück, die während dessen eine kleine Wohnung, nicht weit vom Strande und ebenso dem Walde nahe, gemiethet, mit den einfachen und zierlichen Möbeln, die Adele ihr dazu aus Stettin geschickt, eingerichtet hatte und dort, schon völlig eingebürgert, die Tochter empfing.
Das Haus, das, wie Mutter und Tochter träumten, Adele ihnen hatte schenken sollen, war nur ein Luftschloß geblieben, aber dennoch hatte sich die Freundschaft derselben in reellster Weise bewährt und Rosettens Abschied aus der Welt war von einem anständigen Jahrgehalt begleitet.
Der Spätsommer war noch nicht vorüber, als sie zu ihrer Mutter zurückkehrte, der Ort noch nicht von Badegästen verlassen, das trug viel dazu bei, ihr die Zurückgezogenheit, den plötzlichen Wechsel ihrer Stellung nicht fühlbar zu machen. Noch hob sie auch der Gedanke, nun für die Mutter zu leben, hob sie das stille, angenehme Bewußtsein, daß man sie um dieses Entschlusses willen doch sehr loben müsse. Es war doch ein gewaltiger Abstand zwischen ihr und der Mutter, und man konnte nicht anders, als es anerkennen, daß sie diesen Abstand durch kindliche Liebe ausglich. Eine Dame konnte sie nicht aus ihrer Mutter machen, das sah sie ein, aber ein wenig putzte sie doch an derselben herum, und die hübsche alte Frau, sich in der Zärtlichkeit ihrer Tochter sonnend, spielte eine ganz nette Figur neben der eleganteren Erscheinung derselben, um so mehr, als Rosette, sich auf einmal für ihre Stellung enthusiasmirend, sich möglichster Einfachheit befleißigte.
Der Haushalt der Beiden mußte Jedem einen angenehmen Eindruck machen, man mußte glauben, das reinste Glück sei dort heimisch und sei auf so sicherer Grundlage erbaut, daß nichts dasselbe zu erschüttern vermöge. Es sieht sich manches Glück so an und ist doch nur auf Sand gebaut, und sinkt langsam, wie das lose Fundament allmählich nachgiebt.
Waren denn alle die gemischten Empfindungen, die Rosette jetzt trieben glücklich zu sein, waren sie denn fester, sicherer als loser Sand?
In der Försterei sah es dagegen traurig aus. Friedrich war nun ganz allein, und wie verödet schien ihm sein Haus. Es fehlte überall der Comfort, den Frau Wallner, wenn auch etwas lärmend, zu verbreiten verstand, fehlte um so mehr, als er von dem Lärm wenig gewahrt hatte. Die Magd war eine unbeholfene junge Person, die zu sehr gewohnt war, Alles nur auf Frau Wallner's Anweisung zu thun, als daß sie selbstständiger Handlungen fähig gewesen wäre. Der Mittag erschien oft, ohne daß ein Feuer auf dem Herde brannte, und kehrte Friedrich des Abends ermüdet aus dem Walde heim, so fand er sein Zimmer oft in derselben Unordnung, in der er es des Morgens verlassen. Es war ein trostlos unbehagliches, einsames Leben.
Auf dem Fangel war er lange Zeit gar nicht gewesen; der Kranke, den er im Hause hatte, gab den Vorwand zu seinem Ausbleiben, dann ging er wieder zuweilen hin, aber nur auf Minuten, und begegnete Wendula's Vorwürfen mit der Versicherung, daß er sehr viel zu thun habe, daß er aber im Winter vielleicht wieder öfter kommen würde.
Anna sagte nichts dazu. Sie hatte ihren Mann einmal gefragt, ob er sich mit Friedrich erzürnt habe, weil dieser gar nicht mehr nach dem Fangel komme, und als dieser es verneint, sich damit beruhigt. Sie hatte auch jetzt an andere Dinge zu denken, als an Friedrich's Ausbleiben. Ihres Mannes verändertes Wesen ängstigte sie. Sie sah, er hatte einen Kummer und sagte ihn ihr nicht, sie sah es an seiner finstern Stirn, merkte es an seinem Schweigen, an der gezwungenen Art, in der er mit den Kindern spielte. Es stürmte auch viel auf einmal auf Arnold ein, nicht allein die Entdeckung von Anna's früherer Liebe, auch der Schwester Schicksal bekümmerte ihn tief.
Er hatte sich sonst nie Mühe gegeben, etwas von dem Leben und Treiben in Häringsdorf zu erfahren, jetzt that er es, und so hörte er denn auch Alles, was über sie und Dorn gesprochen wurde, hörte von ihres Mannes Abreise nach Amerika, die, wie alle Welt glaubte, in Gemeinschaft mit seiner Familie angetreten sei, hörte endlich von Dorn's Verlobung.
Er biß die Zähne zusammen, als er es hörte. Es kränkte ihn tief in der Seele, und doch sagte er sich: es ist gut; das Meer zwischen zwei Herzen, die sich lieben, ist nicht trennend genug, es muß jedes seine Kette haben. Bewahrt sie auch nicht vor der Sünde des Gedankens, so doch vor der der That. Es ist nur gerade kein Glück, solche Kette sein zu müssen.
Er war so erschüttert von der Verlobung, daß seine tiefe Erregung auf seiner Stirn geschrieben stand, als er nach Hause kam. Anna fragte ihn, was ihm sei.
»Nichts,« sagte er kurz.
Sie war still im Augenblick, aber als die Kinder zu Bett gebracht waren, fing sie auf's Neue davon an.
»Dich quält seit langer Zeit ein Kummer,« sagte sie, »ich weiß, Du magst es nicht gern, daß man Dich nach Dingen fragt, die Du nicht von selber sagst, aber ich bin doch einmal Deine Frau und muß Deinen Kummer theilen.«
»Du hast eine trübselige Anschauung von Deiner Pflicht als Frau. Du mußt meinen Kummer theilen, ja freilich, in Kummer und Freude Eins, so heißt es ja bei der Trauung.«
»In Kummer und Freude Eins,« wiederholte sie innig.
»Aber Freude hast Du wohl nicht bei mir gefunden, armes Ding!« sagte er mitleidig; »es ist aber Deine Schuld,« fügte er bitter hinzu, »warum heirathetest Du mich.«
»Es wäre freilich meine Schuld, wenn ich nicht Freude gefunden hätte,« erwiderte sie freundlich.
»Ja, es giebt so verschiedenartige Freuden!« entgegnete Arnold. »Die Freuden, die man an den Kindern hat, sind noch die reinsten, aber es weiß doch Keiner, was aus ihnen wird, wenn sie heranwachsen.«
»Macht Dir das Sorge?« fragte sie, »dazu ist ja der liebe Gott da.«
Er antwortete nicht. Sie beobachtete ihn noch eine Weile schweigend, dann sagte sie:
»Ich lasse nicht nach, bis Du mir gesagt hast, was Dir fehlt, denn das ist ja Alles nichts, was Du eben vorgebracht hast«.
»Ich bitte Dich, Anna, laß mich,« entgegnete er, »ich kann Alles mit den Menschen theilen, aber es muß erst fertig in mir sein. So lange es kämpft, kann ich's nicht sagen. Ich bin eine harte Natur und fürchte meine eigene Härte, wenn ich zum Sprechen gezwungen werde. Ich will Dir kein Leid zufügen, ich habe es nie gewollt, aber das, was ich Dir jetzt sagen könnte, ist so scharf wie ein Schwert. Es ist mir öfter im Leben so gegangen. Wenn ein Schmerz in mir tobte und ich gab ihm Worte, so wühlte ich ihn nur erst recht auf, und diejenigen, die ihn mir verursacht hatten, wurden vom Schwert getroffen, gleichviel wie nah sie mir standen und welches Band dasselbe zerhieb. Ich blieb im Recht bei solchen Kämpfen, aber es war ein fürchterliches Recht, und daß ich es zu behaupten vermochte, oder vielmehr, wie ich es behauptete, stempelte es zum Unrecht und zum bittern Kummer für Andere. Deshalb fordere mich nicht heraus!«
»Ich fürchte mich nicht,« sagte sie fest.
»Aber ich fürchte mich vor mir selber,« entgegnete er, »und genug, wenn Du Mitleid hast, hörst Du, nur Mitleid, mehr verlange ich nicht, so habe Geduld mit mir und dringe nicht in mich. Ich will nicht sagen, was mir ist, ich will es nicht.«
Da fragte denn Anna nicht mehr, aber sie grämte sich im Stillen. Die Freudigkeit wich aus ihrer Seele, und eine andere Sorge, die sie längst gedrückt, erhielt durch diese neue nur Verstärkung. Sie fühlte das Uebel wachsen, dessen Symptome sie bis vor Kurzem vor ihrem Manne geheim gehalten, der sie, als er sie bemerkte, für Zeichen eines geistigen, keineswegs für die eines physischen Leidens hielt. Anna wußte es besser. Die Anfälle von Herzklopfen und Beängstigungen waren in letzter Zeit heftiger aufgetreten, die Angst um ihren Mann steigerte sie noch.
Sie zerbrach sich den Kopf, was ihm fehlen könne, aber es fiel ihr nicht ein, sein verstörtes Wesen mit Friedrich's selteneren Besuchen in Zusammenhang zu bringen und somit den Schlüssel dazu zu finden. Ihre und Friedrich's Jugendliebe lag weit hinter ihr, so weit zurück führte sie der Weg nicht, auf dem sie irrend umherwandelte, das verlorene Vertrauen ihres Mannes zu suchen. Sie grübelte und sann, aber sie hatte keine andere Ausbeute davon, als daß ein erstickendes Gefühl von Angst sie ergriff und gewisse Gedanken, die ihr lange vorgeschwebt und gegen die das Gefühl ihres Glückes immer siegreich gekämpft hatte, deutlicher wurden und oft ihre Augen mit Thränen füllten, wenn sie auf ihre Kinder sah.
Der Winter verging ihr trübe.
Für Friedrich hatte sich der Horizont geklärt, obgleich ihm sein Haus unbehaglich und seine Einsamkeit unerträglich geworden war.
»Ich wollte, ich wäre verheirathet,« dachte er oft, »dann könnte ich ja auch wieder nach dem Fangel gehen, dann würde Arnold's Mißtrauen, das ihn sichtlich unglücklich macht, schwinden. Er glaubt es ja doch nicht, daß Anna mich nicht mehr liebt, sähe er mich verheirathet und sie trotzdem froh und vergnügt, dann würde er es glauben. Ach, es ist aber doch schwer, zu heirathen, wenn es Einem so gegangen ist wie mir!« seufzte er dann.
Aber die Nothwendigkeit, daß es doch einmal geschehen würde und müßte, drängte sich ihm immer mehr auf. »Wenn ich nicht ein Mädchen finde, das ich lieb haben kann, thue ich es doch nicht,« entschied er, aber er hatte nicht mehr den Vorsatz, sein Herz der Liebe zu verschließen. Die Wunde blutete nicht mehr, seit Arnold sie entdeckt und der jähe Schreck darüber sie geschlossen hatte. Sie blutete nicht mehr und vernarbte allmählich, denn er fand keinen Genuß mehr daran, sie immer wieder auf's Neue aufzureißen. Früher beging er damit ein Unrecht gegen sich, jetzt wäre es eins gegen Arnold gewesen. Das half.
Frau Wallner hatte ihn aufgefordert, sie zu besuchen. Er that es anfangs selten, mehr aus Rücksicht und weil sein Haus so sehr öde war, als aus Hang zur Geselligkeit. Rosette störte ihn eigentlich; wäre Frau Wallner allein gewesen, er würde lieber hingegangen sein. Er war anfänglich befangen Rosetten gegenüber. Sie war so gewandt, so glatt, ihre Freundlichkeit hatte so viel weltlichen Firniß, daß ihm immer war, als habe sie sich nur in den Wald verirrt. Der Eindruck verlor sich, je mehr er sich daran gewöhnte. Er wiederholte seine Besuche öfter, zuletzt täglich; er fing an, eine Art schüchterner Verehrung für Rosette zu fühlen, die so klug und so gebildet war, die ein ganz anderes Leben geführt hatte, viel und interessant davon erzählte, aber immer mit dem Refrain schloß: »Das war Alles recht schön, und ich möchte die Erinnerung daran nicht hingeben, aber am besten ist es doch zu Hause.«
Unwillkürlich zeigte er ihr seine Verehrung und fand so viel Aufmunterung, daß seine Empfindung herzlicher wurde. Rosettens Bild drängte sich immer mehr in seine Gedanken, wenn er auch dazu seufzte. So wie Anna war sie nicht, wie hätte es auch zwei solche Wesen geben, wie hätte ein solches namentlich in der Welt gedeihen können! Rosette machte ihm aber mehr und mehr den Eindruck, als müsse es sich recht leicht mit ihr leben lassen.
Friedrich glaubte immer, was er sah, und er sah nichts als Frieden, herzliches Einvernehmen und Behaglichkeit: die größten Güter, die Einem nach verlorenem Herzensglück noch zu Theil werden können. Daß Rosette ihm gefallen wollte, sah er nicht, eben so wenig, daß Frau Wallner fest beschlossen hatte, aus den drei einzelnen Gliedern, wie sie sich allabendlich um Rosettens Theetisch versammelten, eine Kette zu machen.
Nun, es dauerte nicht lange, so war die Kette geschlungen und wurde unauflöslich befestigt. Frau Wallner brachte wieder Ordnung in's Försterhaus, Rosette brachte ihre ganze neue Einrichtung hinein, ihre Fülle von Kleidern und allen möglichen anderen Toilettengegenständen, ihre Bücher, ihre zierlichen Nähapparate, den unentbehrlichen Theetisch, zuletzt ihre eigene elegante Person, ihr durch Friedrichs warme Verehrung geschmeicheltes und für ein idyllisches Leben begeistertes Herz, vorausgesetzt, daß das Idyll nicht zu lange dauere. Sie zog ein mit dem angenehmen Bewußtsein, durch ihre Schönheit und Anmuth die unglückliche Liebe ihres Mannes vollständig vernichtet zu haben, mit der Hoffnung, immer wie ein leuchtendes Gestirn an dem ehelichen Himmel Friedrichs zu glänzen, mit dem festen Willen, in seiner Gutherzigkeit ein Glück zu finden und ihm von ihrer eigenen höheren Cultur beizubringen, so viel sie nur immer vermöchte. Sie schritt über die Schwelle ihrer neuen Heimath mit der Absicht, ihr Leben keineswegs in derselben abzuschließen, sondern auch in der Beziehung die Wohlthäterin ihres Mannes zu werden, daß sie ihre Connexionen benutzte, ihm einen höheren Platz in der Welt zu verschaffen, kurz, sie brachte eine Menge Träume mit, in denen allen sie die Hauptperson spielte und wo er unverdorben und herzensgut auftrat, wie sie ihn für sich immer haben und lieben wollte, obgleich er schon mit ihrer Hülfe den leichteren Ton und die feineren Manieren angenommen hatte, ohne die sie ihn nicht in der Welt präsentiren konnte.
Hell und klar strahlten die Sterne herab auf die winterliche Schönheit des Waldes, als Friedrich sein junges Weib in sein Haus führte – drüben auf dem Fangel stand ein neuer Frühling in Blüthen.
Die Nachricht von Friedrich's Verlobung hatte den bösen Zauber gelöst, der das Glück dort in Bann und Fesseln hielt.
Anna's Freude, als Friedrich kam, den Freunden seine Verlobung mitzutheilen, war so aufrichtig und herzlich, wurde so einfach, so mit dem Ton und Blick der überzeugendsten Wahrheit ausgesprochen, daß mehr als Blindheit dazu gehört haben würde, diese Freude für einen künstlichen Schleier zu halten.
Friedrich war kaum fort, als Arnold, überwältigt von einer strahlenden Hoffnung, sagte:
»Anna, ist es denn nicht wahr, daß Du Friedrich geliebt, daß Du mich nur aus Vernunft geheirathet hast und daß nichts Dich an mich bindet als die Pflicht?«
Sie sah ihn ganz erstaunt an.
»Ach, ist es das, was Dich gequält hat?« fragte sie, tief aufathmend, »warum hast Du mir das nicht gesagt?«
Sie umschlang ihren Mann, dann fuhr sie fort:
»Als ich ein Kind war, spielten Friedrich und ich zusammen und hatten uns sehr lieb, Du weißt ja, wie harmlos Kinder sich lieb haben. Wir wurden uns fremder, als wir heranwuchsen und Friedrich fort mußte; ich hatte ihn noch immer so lieb wie sonst, aber ich war doch befangener geworden und wurde es mehr und mehr, als ich merkte, daß Friedrich mich nicht mehr wie ein Kind betrachtete, daß er in mir sein künftiges Weib sah. Die Mutter liebte ihn sehr und sagte mir einmal: ›Ich wünschte, Du heirathetest Friedrich, wenn er erst eine Stelle hat, die ihm das Heirathen gestattet, Du versprichst mir aber, Dich nicht eher mit ihm zu verloben.‹ Das versprach ich, gewöhnte mich aber seitdem an den Gedanken, in Friedrich meinen künftigen Mann zu sehen. Von der Gewohnheit, die ich allerdings eine lange Zeit für Liebe hielt, mußte ich mich losreißen, als ich mich mit Dir verlobte. Von einer wirklichen Liebe hätte ich mich nicht losreißen können, das weiß ich, das sah ich sehr bald ein, als ich Dir meine Hand gelobte.
Gesprochen war das Ja, halten wollte ich es, und es wurde mir so unsaglich leicht, es zu halten, ich hörte auf, meine Gefühle zu zergliedern, ich gab mich ihnen nur hin. Ich habe es einmal versucht, sie zu erklären, als Friedrich unerwartet vor mich hintrat und sein Erscheinen mir eine Treulosigkeit vorwarf. Als ich das that, da fühlte ich recht, daß es eine künstliche Rechtfertigung war und daß ich keiner Rechtfertigung bedürfte. Ich hatte für Friedrich dasselbe Gefühl, das ich als Kind für ihn gehabt hatte. Ich war und bin ihm gut, und daß es mir eine Zeit lang anders erschien, daran war nicht mein Herz, daran waren meine Gedanken schuld. Da hast Du die ganze Wahrheit!«
»O hätte ich sie früher gewußt!« seufzte Arnold, »ich hätte Dir und mir viel Betrübniß erspart.«
»Wenn ein Kummer vorbei ist, kann man ihn ordentlich lieb gewinnen,« meinte Anna, »man athmet dann doppelt so frisch aus, wie die Natur nach dem Gewitter.«
»Gott sei Dank!« sagte Arnold aus tiefster Seele, »ich darf also doch glücklich sein! Das höchste Gut läßt mir der Himmel, mag er alle anderen für sich behalten: Reichthum, Ansehen, Rang, weltliche Größe!«
Anna sah ihn erschrocken an.
»Du bist so aufgeregt,« sagte sie ängstlich, »Du forderst den Himmel heraus, das ist nicht recht.«
»Nein, nein, ich fordere ihn nicht heraus,« strebte er sie zu beruhigen, »er kann mir ja nicht Dinge nehmen, die ich nicht habe.«
»Aber er kann es Dir fühlbar machen, daß Du sie nicht hast,« entgegnete sie.
»Nun ich Dich wieder habe, nicht,« behauptete er. »Siehst Du, Anna,« fuhr er fort, »ich bin abergläubisch, ich denke manchmal, ich bin zum Unglück bestimmt. Ich habe nur Eins, was mich glücklich macht, Dich!«
»Und die Kinder,« fiel sie ein.
»Ohne Dich könnten es die Kinder nicht,« versicherte er.
Sie wurde ganz blaß, sie fühlte wieder die seltsame Angst im Herzen, die sie in letzter Zeit so arg quälte. Sie unterdrückte sie gewaltsam und sagte ruhig:
»Du mußt so nicht sprechen, so nicht denken, lieber Robert, Du darfst Dein Herz nicht nur an Eins hängen. All' unser Besitz auf Erden ist ja nur geliehenes Gut.«
»Solche Güter wie Du nicht, die sind geschenkt, durch des Himmels Gnade uns geschenkt. Man schenkt doch nur in der Absicht, zu erfreuen, meinst Du, der Himmel könnte es thun, um zu züchtigen?«
»Des Himmels Absichten verstehen wir nicht,« sagte sie, »was er uns zufügt, müssen wir hinnehmen in Sanftmuth und Geduld.«
»Ja, ja, ich habe schon viel hingenommen,« bemerkte er, »und wenn auch nicht in Sanftmuth, so doch in ziemlicher Geduld. Ich habe es wenigstens schweigend verarbeitet.«
»Taugt denn das Schweigen immer?« fragte sie.
»Nein, es taugt nicht immer,« gab er freundlich zu, »und über gewisse Dinge will ich nie wieder schweigen, aber über solche zu reden, wird nicht mehr nöthig sein. Ich werde an Dir nie mehr zweifeln.«
»Und etwas Anderes hat Dich nicht bedrückt, als dieser seltsame Zweifel, gewiß nichts Anderes noch?« fragte sie.
»Nichts als mein Aberglaube, daß ich zum Unglück bestimmt bin, das ist die Wolke an meinem Horizont,« sagte er und lächelte, um die Wirkung zu mildern, »jetzt ist aber die Wolke tief unten, sie ängstigt mich nur, wenn sie über meinem Haupte steht.«
»Aber wo kommt sie her?« fragte sie.
Er hatte es schon auf den Lippen zu sagen: aus meiner Jugendzeit, aus einem begangenen Unrecht, aber er sagte nur:
»Kannst Du es Dir denken, daß man seine Mutter nicht lieb hat, daß sie uns so viel Böses oder Hartes oder Unerfreuliches zugefügt hat, daß man sie nicht lieb haben kann?«
»Armer Robert,« sagte Anna und küßte ihn innig auf die Stirn.
»Siehst Du, da kommt die Wolke her, wie soll ich sie verscheuchen?«
»Durch Versöhnung, durch Vergebung,« flüsterte sie.
»Es ist Beides unmöglich,« versicherte er fest.
»Warum?« fragte sie, »man kann sich auch mit denen, die todt sind, versöhnen und ihnen vergeben.«
»Ich nicht,« erklärte er, »aber laß uns nun nicht mehr davon sprechen,« fügte er hinzu, »die Vergangenheit gehört nicht in den heutigen Tag und Alles, was mit Sünde und Unrecht zusammenhängt, nicht vor Deine Kinderaugen. Ich will meinen Himmel nicht muthwillig trüben. Du versprichst mir, mich nie wieder an das zu mahnen, was ich vorhin unwillkürlich verrieth?«
Sie nickte zustimmend und er preßte sie innig an sein Herz.
»Wir wollen glücklich sein, Anna,« sagte er, »so recht unendlich glücklich, jeder Augenblick sei uns kostbar!« –
Rosetten sah Anna nicht eher wieder, als bis sie Frau Günther war.
Es war eine Caprice von Rosetten, nicht eher die alte Bekanntschaft erneuen zu wollen, der Friedrich, wenn auch ungern, nachgab.
Es war jedoch am zweiten Tage nach ihrer Hochzeit, an einem Sonntagmorgen, daß sie zu Friedrich sagte:
»Heut will ich Dir eine große Freude machen, sei aber auch dankbar. Wir wollen heut Nachmittag nach dem Fangel, bestelle einen Wagen!«
Friedrich lachte, er hielt es für Scherz, daß er einen Wagen bestellen sollte; als er aber merkte, daß es Ernst war, sagte er freundlich:
»Ich denke wir gehen, liebe Rosette, es paßt nicht für unsere Verhältnisse, daß wir fahren. Ich habe noch nie zu Wagen einen Besuch gemacht.«
»Aber ich, lieber Friedrich,« entgegnete sie, »für meine Verhältnisse paßt es ganz gut, daß ich einen Wagen nehme, und da Du mein Mann bist, kommen meine Verhältnisse Dir auch zu Gute. Wir müssen fahren, dies erste Mal,« fuhr sie dringender fort, als sie seine abweisende Miene sah, »Du mußt mir nachgeben. Siehst Du, Friedrich, ich will doch gerne recht hübsch sein, wenn ich neben Anna vor Dir stehe, wenn ich aber so weit gehen muß, erhitze ich mich und bestaube mein Kleid und sehe ganz schlecht aus, und wenn ich das fühle, werde ich unliebenswürdig, dafür kann ich nicht – Ich habe mich auch so gefreut,« fuhr sie noch bittender fort, »der alten Mutter einmal ein Vergnügen bereiten zu können. Sie kann so weit nicht gehen, und es müßte sie doch auch zerstreuen, einmal Menschen zu sehen. Die Mutter hat wohl kaum je in einem Wagen gesessen, denke Dir doch, wenn ich sie nun fahren lassen kann!«
Diesem letzten Grunde, den er zwar kindisch, aber doch auch kindlich fand, gab Friedrich nach, aber er schämte sich eigentlich, als ihn die Leute fahren sahen; es gefiel ihm auch nicht, daß Rosette ein seidenes Kleid anhatte und Blumen im Hut. Beides rückte ihn ihr so fern, denn sie bestand darauf, daß er sich der Mutter gegenübersetzte, um ihr das Kleid nicht zu zerdrücken, und als er sie einmal unterwegs küssen wollte, schrie sie ordentlich auf, weil er ihren Pariser Rosen zu nahe kam.
Sie scherzte aber doch seinen Unmuth fort, indem sie ihm versprach, ihn küssen zu wollen, so wie sie nur den Hut abgenommen haben würde. Sie hielt auch Wort, denn sie hatte kaum die erste Begrüßung mit Arnold und Anna gewechselt und auf deren Bitte den Hut und die Mantille abgelegt, als sie munter sagte:
»Sie müssen es nicht übel nehmen, aber ich muß mich jetzt von meinem Manne küssen lassen. Er war ganz ärgerlich, daß ich es unterwegs nicht leiden wollte, und wenn ich ihn nicht gut mache, verdirbt er uns die Laune.«
Sie sagte das mit so harmloser, freundlicher Miene, daß man gern zu ihren Worten lachte, obgleich Arnold wie auch Friedrich dachte, wie schlecht ein solcher Scherz doch der schüchternen Anna stehen würde. Rosette war eben anders, aber auch ihre Art und Weise mochte gelten, so lange sie natürlich war.
Bei diesem Besuch auf dem Fangel war sie es nicht. Sie war eifersüchtig auf Anna und wollte es sich doch nicht merken lassen. Sie wußte, daß sie ganz anders war als diese, und wollte den Unterschied zu ihren Gunsten anerkannt sehen. Deshalb vermochte sie es nicht, sich ganz einfach in ihrem Genre zu geben, sondern sie übertrieb es. Sie war so heiter und lebhaft, daß Anna immer stiller wurde.
Auch Wendula saß ruhig dabei und sah sie mit den großen, dunkeln Augen höchst verwundert an.
»Nun, wie gefällt Dir Onkel Friedrich's Frau?« fragte Frau Wallner, den Blick nach ihrem Verständniß deutend.
»Das ist nicht seine Frau!« behauptete Wendula mit unverändertem Ernst.
»Warum soll ich es denn nicht sein?« fragte Rosette lachend, »gefalle ich Dir nicht?«
»Nein,« erklärte Wendula.
»Aber Wendula!« sagte Anna vorwurfsvoll, »Du bist unhöflich!«
»Mutter, soll ich lügen?« fragte diese dagegen. »Du sagst doch, ich soll nicht.«
»Nein,« war die Erwiderung, »aber kleinen Mädchen müssen alle Menschen gefallen.«
»Das geht nicht!« versicherte die Kleine, immer mit derselben ernsten Miene.
Rosette nahm vernünftiger Weise die Sache scherzhaft.
»Du hast Dir wohl Onkel Friedrichs Frau anders gedacht?« fragte sie.
»Ja,« war die Antwort.
»Nun, so sage mir doch, wie Du sie Dir gedacht hast,« fuhr Rosette fort.
»Ich werde es Dir zeigen,« sagte Wendula, holte ihr Bilderbuch und zeigte ihr die Abbildung einer sehr schlicht gekleideten, aber hübschen Frau, vor einem Tische stehend, auf den sie eben eine dampfende Suppenterrine zu stellen bereit war. Das Haar der Frau war hell, wie das von Wendula's Mutter, und eben so schlicht gescheitelt, wie diese es trug, und eine faltenreiche, weiße Schürze mit breitem Latz erhöhte den Eindruck des Häuslichen und der saubern Einfachheit.
»Vater hat das Bild gemalt,« erklärte Wendula, »und ich habe gesagt, es ist Onkel Friedrich's Frau, und die Suppe hat sie für ihn gekocht. Kannst Du Suppe kochen?«
»Ich habe es wohl ein bischen verlernt in den letzten Jahren,« gestand Rosette gutlaunig, »und gestern und heut hat es die Mutter und die Magd gethan, aber wenn es nöthig sein wird, werde ich es auch können.«
»Siehst Du, diese Frau von Onkel Friedrich ist besser,« schwatzte Wendula weiter. »Du bist auch nicht seine Frau, Du bist zu schön; so geputzt wie Du sind fremde Damen oder die hübschen Puppen auf dem Jahrmarkt«
Rosette lächelte. Sie fand Wendula's Bemerkung schmeichelhaft und sagte freundlich:
»Gut, so werde ich Dir einmal eine Puppe vom Jahrmarkt mitbringen, und wenn Du diese recht lieb hast, gewinnst Du mich vielleicht auch noch lieb.«
»Ich habe die Puppen nicht lieb,« wandte Wendula ein, »Du brauchst mir keine zu schenken, sie sind doch nicht lebendig. Ich habe aber einen lebendigen Vogel, den hat mir Onkel Friedrich geschenkt, den habe ich lieb und Onkel Friedrich auch.«
»Willst Du mich nicht auch lieb haben?« fragte Rosette.
»Hast Du mich lieb?« war die Gegenfrage.
»Ja, gewiß,« sagte Rosette.
»Nun, dann will ich Dich auch lieb haben,« versicherte Wendula, richtete sich auf den Fußspitzen empor, schlang beide Aermchen fest um Rosettens Hals und küßte sie herzhaft auf die Lippen.
»Kind, bist Du stürmisch!« rief diese ans und befreite ihren Hals von den sie umschlingenden Armen. »Na, ich werde gut aussehen,« – sie stand auf und trat vor den Spiegel – »wahrhaftig, Kragen und Locken und Schleifen, Alles zerdrückt. Friedrich, gieb mir Deinen Taschenkamm!«
Friedrich lachte, er hatte keinen.
»Ach so, ich bin im Walde,« sagte sie, »ich hatte es ganz vergessen, wie es in der lieben Heimath zugeht. Ich werde Dir einen Taschenkamm mit Spiegel schenken, ich habe einen sehr niedlichen in rothem Maroquinetuis, erinnere mich doch daran.«
Wendula war bei Seite geschlichen. Sie war empfindlich, daß ihre Umarmung so wenig zuvorkommend aufgenommen worden war, sie warf einen finstern Blick auf Rosette.
Friedrich rief sie zu sich, rief auch Richard und den Kleinsten, der auch schon anfing einen Unterschied zwischen Händen und Füßen zu machen und nur letztere zum Gehen zu benutzen, während die ersteren nach jedem Gegenstand griffen, der dem kleinen Anfänger in der Kunst des Fortschritts einen Halt gewähren konnte. Bald war Friedrich vollständig in Anspruch genommen von der Unterhaltung der kleinen Gesellschaft, während Rosette das Wort unter den Großen führte. Natürlich gaben ihre Reisen den Stoff, und wenn sie auch weniger die Seite derselben schilderte, die hier den meisten Anklang gefunden haben würde, so waren doch ihre Mittheilungen nicht ohne Interesse, und die Aufmerksamkeit, die man ihr zollte, verfehlte nicht, einen angenehmen Eindruck auf die Erzählerin zu machen.
Rosette war auch bei der Rückfahrt von der heitersten Laune, weniger Frau Wallner, die namentlich Wendula's Unhöflichkeit bitter tadelte.
»Das Kind ist schlecht erzogen, Mütterchen,« vertheidigte Rosette die Kleine, »was kann sie dafür! Ein hübscher kleiner Affe ist sie aber, viel hübscher wie ihre Mutter. Sage, Friedrich, glaubst Du nicht, daß Anna die Schwindsucht hat? Sie ist ja ganz durchsichtig.«
»Sie ist immer sehr zart gewesen, aber krank war sie, so viel ich weiß, nie,« entgegnete er, erschrocken über die Frage.
»Ich bin viel in Bädern gewesen und habe häufig Schwindsüchtige gesehen, ich glaube sie hat die Schwindsucht oder bekommt sie einmal,« fuhr Rosette fort.
»Gott verhüte es!« sagte er.
Er war ganz blaß geworden.
»Höre, Friedrich,« sagte Rosette, »nun Du mich hast, muß es Dich nicht mehr erschüttern, wenn andere Frauen die Schwindsucht bekommen, was sollte ich sonst von Deiner Liebe denken?«
»Daß sie nichts mit der Bekümmerniß zu thun hat, die ich um den Tod einer Jugendfreundin empfinden würde,« sagte er ruhig und fing absichtlich von anderen Dingen zu sprechen an.
Rosetten ließ aber der Dämon der Eifersucht keine Ruhe, und als sie zu Hause um den Theetisch saßen, trieb er sie zu neuen Herausforderungen an, obgleich sie sich und den Anderen einreden wollte, daß sie nur scherze. Sie war hinausgegangen, hatte ihr seidenes Gewand aus: und ein einfaches Hauskleid angezogen, hatte ihre Haare glatt hinter das Ohr gestrichen, wie Anna sie trug, versuchte die Miene schüchterner, bescheidener Freundlichkeit anzunehmen, die jener so wohl stand, stellte sich vor Friedrich hin und sagte:
»So, nun habe ich jeden Vortheil aus dem Wege geräumt, den ich heut über Anna hatte, nun sage offen und ehrlich, welche ist hübscher, sie oder ich?«
»Du siehst allerliebst in diesem Anzug aus,« sagte er freundlich. »Vor dem seidenen Kleide war mir ordentlich bange.«
Sie lächelte, war aber doch noch nicht zufrieden mit diesem Zugeständniß, das zwar ihre Schönheit unbestritten ließ, aber sie nicht über die Rivalin erhob.
»Ich will wissen, welche Du hübscher findest, ob mich oder Anna?« fuhr sie zu fragen fort.
»Laß mich Dich doch ohne Vergleich hübsch finden!« bat er.
»Nein, ich muß es wissen,« beharrte sie.
»Nun sieh, Ihr seid wie Rose und Veilchen,« entgegnete er.
»Veilchen sind seine Lieblingsblumen, das hat er mir oft gesagt,« mischte sich Frau Wallner ein, höchst ärgerlich, daß ihr Schwiegersohn sich so lange besinnen konnte, Rosettens Frage ohne alles Ueberlegen zu ihren Gunsten zu entscheiden.
»Ich dachte es mir,« brach Rosette nun auch unwillig los, »es wäre mir ja sonst gleich, ob er eine Andere hübscher findet wie mich, aber man findet die immer am hübschesten, die man am liebsten hat. Und er sollte mich am liebsten haben, er ist doch mein Mann!«
Sie weinte.
»Aber Rosette,« sagte Friedrich, »ich denke, über diesen Punkt sind wir im Klaren. Ich habe Dir ja mein Herz offen gezeigt, ich habe Dir ja gesagt, wie ich zu Anna stehe. Es liegt kein Unrecht gegen Dich darin, wenn ich sage: sie ist das vollkommenste weibliche Wesen, was ich je gekannt, und daß ich, wenn ich meine Liebe zu ihr auch überwunden habe, sie doch nicht vergessen kann. Zur Eifersucht hast Du keinen Grund, Du könntest eben so gut eifersüchtig auf den Abendstern sein, weil er heller leuchtet als Deine Augen.«
»Wenn Du das findest, werde ich es auch,« entgegnete sie trotzig.
Friedrich lachte, er hielt ihre Worte für Scherz.
»Sie lachen, wenn Rosette weint?« sagte Frau Wallner vorwurfsvoll und mit so salbungsreicher Sanftmuth, daß man hörte, wie letztere erzwungen war. »Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut, Friedrich. Darum habe ich Ihnen mein Kind nicht gegeben. Ich that es, weil ich hoffte, Sie würden Rosetten glücklich machen!«
»Weiß Gott, das ist auch meine Absicht!« entgegnete er innig.
»Dann machen Sie einen schlechten Anfang,« fuhr Frau Wallner in demselben Tone fort, »können Sie ihr denn nicht den kleinen Gefallen thun, ihr einzugestehen, daß Sie sie hübscher finden als Anna?«
Er schwieg.
»Sie sind ein eigensinniger Mensch!« fuhr sie jetzt heftiger auf, »hätte ich das gewußt! – Friedrich,« fuhr sie wieder ruhiger fort, »ich habe Sie so lieb gehabt von Anfang an. Ich hätte können andere Schwiegersöhne haben, aber ich habe Sie gewählt, weil ich dachte, Herzensgüte geht über Rang und Reichthum; aber wenn Sie mich getäuscht haben, wenn Sie mein Kind nicht glücklich machen, dann – dann werde ich Sie hassen!«
»Ich bin nicht anders heute, als ich gestern und die anderen Tage gewesen bin,« seufzte Friedrich und ging hinaus.
Er hatte zum ersten Male die Krallen an Frau Katzenpfötchens sammetnen Tatzen gefühlt.
»Mutterchen, ich war wohl unvernünftig,« gestand Rosette, die kindisch in ihrer Launenhaftigkeit, aber doch nicht bösartig war, »ich werde ihm ein gutes Wort geben«
»Thu's nur,« antwortete die Mutter spottend, »thu's nur am zweiten Tage nach der Hochzeit und sei gewiß, daß Du in einem Jahre vor ihm niederknieen kannst.«
In dem Augenblicke trat Friedrich ein.
»Liebe Rosette,« sagte er und winkte sie zu sich. Sie stand auf und folgte ihm an das Fenster, er schlang seinen Arm um sie und sagte leise, so daß Frau Wallner es nicht hörte: »Sollen wir uns um solche kindische Dinge wirklich entzweien, Rosette? Ich kann Dir sagen, daß Schönheit für mich sehr wenig bedeutet. Ich habe Anna nicht um ihres Gesichtes willen lieb gehabt und habe auch Dich deshalb nicht lieb, obgleich ich sie immer gern angesehen habe und auch Dein hübsches, freundliches Gesicht mich erfreut. Wenn Veilchen schon meine Lieblingsblumen sind, so weißt Du ja, Veilchen gehören in den Frühling und ich stehe im Sommer, laß Dich das also nicht kümmern. Ich habe sie lieb und Dich lieb, aber jede so anders, daß beide Gefühle sich nicht miteinander streiten. Du könntest eben so gut verlangen, ich sollte meine verstorbenen Eltern nicht mehr lieben, weil ich Dich habe. Das könnte ich Dir auch nicht versprechen. Wir wollen uns doch das Leben nicht unnütz schwer machen!«
»Ich will es Dir gewiß nicht schwer machen,« sagte Rosette, durch die einfache Wahrheit seiner Worte noch mehr besänftigt, »aber Du mußt mich doch auch ein bischen verziehen, ich bin es doch so gewöhnt. Die Mutter hat es immer gethan und Adele auch und alle Welt. Ich bin auch ganz gut, wenn man mich zu nehmen weiß.«
Sie schmiegte sich an ihn, er umschloß und küßte sie herzlich.
Frau Wallner räusperte sich laut – sollte Rosette ihr abwendig gemacht werden?
Da kamen Beide auf sie zu.
»Wir sind wieder gut auf einander, Mutterchen,« sagte Friedrich freundlich, »seien Sie auch wieder gut.«
Frau Katzenpfötchen zog aber die Krallen nur halb ein.
»Ich bin immer gut,« sagte sie, »wenn ich sehe, daß Rosette zufrieden ist; wenn ich in ihrem Gesicht lesen kann, daß Sie ein guter Mann sind, könnte ich mich sogar daran gewöhnen, eine weniger gute Tochter zu haben.«