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Man kann sich kaum ein lieblicheres Bild, eins, das mehr die süße Ruhe des Stilllebens ausdrückt, denken, als das, wie es das einsam im Walde gelegene Försterhaus zu der Zeit darbot, in der wir die Leser auf's Neue dorthin führen. Auf Rosettens immer wiederholtes dringendes Verlangen hatte Friedrich das Dach müssen umdecken lassen, und nun leuchteten die rothen Ziegel durch die Bäume; auf den blank geputzten Fensterscheiben blitzten die Sonnenstrahlen, denen der Zugang erleichtert war, seit der Platz, der das Häuschen umgab, auch nach Rosettens Angabe gelichtet wurde. Aber nur Rasen deckt ihn. Nirgends rivalisiren künstliche Gartenanlagen mit dem Naturleben der Waldblumen, nirgends ist ein Beet abgetheilt, nirgends ein Plätzchen eingezäunt; aus der engen Welt häuslichen Lebens tritt man unmittelbar hinaus in die stille, verschwiegene des Waldes. Nur der Platz links vom Hause, wo Tisch an Tisch und Stuhl an Stuhl nebeneinander aufgereiht stehen, widerspricht dem Charakter der Einsamkeit und droht das Idyll mit einer Wirthshausscene zu unterbrechen. Ebenso sind die vielen, nach den verschiedensten Richtungen abzweigeden Wege zum Theil neu angelegt. Sie führen hier in das tiefste Dickicht, dort auf versteckte Anhöhen, dann wieder an duftigen, ganz von Laubwerk umgebenen Wiesen vorbei, auf denen hin und wieder eine weidende Kuh Zeugniß von der Nähe ländlicher Bewohner giebt. Diese den Verkehr natürlich erleichternden neuen Pfade verrathen allerdings durch ihr Dasein, daß ein größerer Zufluß von Menschen sie nöthig machte, aber trotzdem reichen diese nicht aus, den Wald seines schönsten Vorrechts, der Einsamkeit, zu berauben.
Stundenlang wandelt man oft in dem grünen Palast, ohne nur einem Menschen zu begegnen, über sich die Laubkrone der Buchen, deren Reihen selten einmal durch eine vereinzelte Eiche oder durch das dunkle, unvergängliche Grün einer schlanken Tanne unterbrochen werden. Dichtes Unterholz, den Wald zum Dickicht machend, verbannt jeden Gedanken an Cultur, und durch den Teppich am Boden winden sich in üppiger Fülle die bunten Blumen des Waldes, die dunkle Blaubeere blickt verstohlen durch das grüne Kraut, während die später reisenden Preiselbeeren noch kaum anfangen sich in den ersten Schimmer künftigen Purpurs zu hüllen.
Es sieht lieblich aus, wenn in dem dichten Gebüsch auf einmal der flachshaarige Kopf und das verbrannte Gesicht eines die Beeren suchenden Kindes auftaucht und der aufgehäufte Korb wie der blaue Mund die naive Vereinigung industrieller Absicht und individuellen Genusses verrathen. Es ist dies nur ein hübsches, anmuthiges Bild des Waldlebens mehr, das sich in mannigfaltigster Verschiedenheit dem schauenden Auge und verständnißvollen Herzen offenbart. In der Einsamkeit gewährt auch die scheinbar unbedeutendste Unterbrechung derselben dem Geist Nahrung.
Ein Vogel, der hoch über uns dahinzieht, mit den Flügeln durch die Lüfte rauschend, ein Knistern im Strauchwerk, durch das hindurch das Wild sich seine Pfade sucht, ein vom letzten Sturm vielleicht schon geknickter, plötzlich herabfallender Ast, ein Windhauch, durch die Blätter säuselnd, das Alles schlägt unerwartet einen Ton auf den hochgespannten, harmonisch gestimmten Saiten des innersten Gemüthes an und bringt Leben, aber Leben ohne die Unruhe der Welt, in die zauberische Stille der Umgebung.
Wie kann man nur im Walde verweilen, wie kann man wohnen in demselben und sich nicht frei machen von den tausend Kleinlichkeiten, den zahllosen Widersprüchen des Lebens! Aber leider sprach Wendula eine ihr durch die Erfahrung der letzten Jahre aufgedrängte Wahrheit, als sie sagte: »Wo das Leben sich regt, da giebt es auch Unruhe, zerstörte Freuden und vergebliche Arbeit.«
Von alledem gab es auch ein gutes Theil in dem so idyllisch gelegenen Försterhause, und während Wendula und Georg, wie ein paar verirrte Kinder im Märchen, unsichtbaren Mächten folgend, zu einander geflüchtet waren und des Mädchens kindliches Geplauder auch zuweilen von jenem Mißton zerrissen wurde, der zu mächtig in ihr angeschlagen war, um ganz verhallen zu können, da schienen gar alle Mißtöne des Lebens, unter dem freundlichen, leuchtenden Dach des Försterhauses vereinigt, mit häßlicher Melodie dem Friedenslied des Waldes zu trotzen.
Im Wohngemach des Hauses waren Friedrich und seine Frau und Schwiegermutter in stürmischer Berathung bei einander. Aus dem Nebenzimmer tönten streitende Kinderstimmen, während Willfried, neben der Fensterecke am Boden lauernd, den starren, dummen, glotzenden Blick auf die Eltern geheftet hielt, als folge er aufmerksam ihren Worten und verstehe sie alle, obgleich das mitunter aufleuchtende Blitzen seiner Augen doch nur ein sehr unvollkommenes Verständniß verrieth und eher einem von bösen Geistern angezündeten Irrlicht glich.
Rosette hatte sich sehr verändert. Sie war zwar immer noch hübsch, auch immer noch mit Sorgfalt angezogen, aber dennoch lag etwas Verkommenes in ihrem Gesicht wie in ihrem Anzug, der gerade durch seine mühsam zusammengesuchte Eleganz Aermlichkeit verrieth. Sie war nicht gerade verblüht, aber im Verblühen, wie eine Blume, die man zu begießen vergessen, die aber ein Tropfen frischen Quellwassers wieder beleben kann.
Sie schmachtete vielleicht auch nach diesem Lebensquell und war doch zu indolent, ihn zu suchen, und zu befangen, sein Sprudeln und Flüstern, sein Wellenspiel und seinen belebenden frischen Hauch von selber wahrzunehmen, um so mehr, als die Mutter, die trotz der niederdrückenden Verhältnisse der letzten Jahre eine gewisse Stattlichkeit in sich ausgebildet hatte, sich überall vor den Quell stellte und seine lockende mit ihrer keifenden Stimme übertönte.
Es bleibt nichts auf der Welt auf demselben Punkt stehen, also auch der Mensch in seiner inneren Ausbildung nicht, aber leider ist Fortbewegung nicht zugleich Fortschritt. Des Wachsthums fähig ist Alles, was keimt, Gutes und Schlimmes, es kommt nur darauf an, was von beidem überwiegend in uns ist und ob man das Gute pflegt oder das Schlimme wuchern und sich blind vom Schicksal treiben läßt.
»Mir ist es immer zuwider gewesen, aus meinem Hause ein Wirthshaus gemacht zu sehen,« sagte Friedrich zu Rosetten gewendet, »und ich habe Dich hierin nie begriffen. Es paßt gar nicht zu den Einbildungen von Vornehmheit, an denen Du doch sonst so festhältst.«
»Wirthshaus, Einbildungen von Vornehmheit!« wiederholte Rosette erbittert. »Die Vornehmheit habe ich wohl bei Seite legen müssen, als ich Dich heirathete, und ein Wirthshaus halte ich nicht.«
»Was ist's denn?« fragte er.
»Ein Wirthshaus ist es nicht,« entschied die Mutter, »ich habe wenigstens noch kein Schild über der Thür gesehen.«
»Das ist nun ganz gleich, der That nach ist es eins, und wenn ich nur wenigstens den Vortheil davon einsähe. Bis jetzt sind nur Kosten dadurch verursacht worden, weiter nichts. Wir fangen Alles mit Vorauswirthschaft an, diese vornehme Angewohnheit Rosettens ist es, die uns so heruntergebracht hat.«
Rosette weinte, Frau Wallner öffnete schon den Mund zum Sprechen, aber Friedrich schnitt ihr das Wort ab und fuhr fort:
»Auf meinem Tische liegen bogenlange unbezahlte Rechnungen für Kaffee und Zucker, und die Kühe im Stall gehören eben so wenig uns. Das geht so nicht. Ihr plagt Euch unnütz und die schöne Einsamkeit ist uns um nichts und wieder nichts verdorben. Ich ärgere mich jeden Abend, wenn ich aus dem Walde komme und der ganze Platz sitzt hier voll Menschen und Wendula muß von Einem zum Andern laufen wie eine Magd.«
»Aha! merkst Du, wo er hinaus will?« fragte Frau Wallner mit höhnischem Ton die Tochter.
»Wenn's uns so schlecht geht, daß alle die Rechnungen unbezahlt liegen bleiben müssen, warum nehmen wir denn noch fremde Kinder in's Haus?« fragte Rosette trotzig.
»Ja, das möchte ich auch fragen?« stimmte die Alte bei.
»Weil wir es ihrem Vater gelobt haben, uns der Waise anzunehmen, und weil man dem Todten wenigstens Wort halten sollte, treibt uns nicht das Herz zu dieser Liebespflicht,« entgegnete Friedrich. »Zudem, was kostet uns denn Wendula? Sie wird ja nicht besser gehalten wie eine Magd, das arme Kind! Weiß Gott, wenn es von mir abhinge, sie sollte nicht ihr Brod in Thränen essen.«
»Siehst Du, Mutter, sie und immer nur sie, auf mich nimmt er gar keine Rücksicht, und ich bin es doch erst recht anders gewöhnt gewesen!« klagte Rosette.
»Laß es gut sein, Rosette,« tröstete sie die Mutter, »wir wollen ihm keine Vorwürfe machen; wir wollen uns nichts vergeben und seine Heftigkeit nicht mit gleicher Münze vergelten. Es kann uns eigentlich nicht beleidigen, wenn er das trotzige, ungezogene Ding uns vorzieht. Wendula ist ja die Tochter seiner Jugendfreundin, ja, ja, Jugendfreundin hat er die Anna ja wohl genannt, seit sein bester Freund ihm die Braut abspenstig machte? Wahrhaftig, gegen die Künste dieser Frau hast Du nie etwas ausrichten können, aber wenn man das Erbarmen für die Waise beim rechten Licht besieht, könnte man anfangen, alle Barmherzigkeit gründlich zu verachten.«
»Gott vergeb's Ihnen, Mutter!« sagte Friedrich mit gepreßter Stimme. Die Alte fuhr fort:
»Und womit geschieht denn der Wendula ein Unrecht? Sie faßt keine Arbeit an, die ich nicht eben so gut verrichtete, sie hat ihren Platz am Tisch wie die Kinder – –«
»Lassen wir die Sache gut sein,« unterbrach sie Friedrich, »ich weiß schon, daß es mir unmöglich ist, mich mit Ihnen oder in Ihrer Gegenwart mit meiner Frau zu verständigen. Sie mögen nun sagen oder denken was Sie wollen, so lange ich einen Bissen Brod habe, werde ich ihn mit Wendula theilen, so gut wie mit den eigenen Kindern. Nie werde ich ihr meinen Schutz entziehen, nie werde ich sie ungerechter Weise anfeinden lassen, wenn ich auch schon leider nichts weiter für ihr Glück zu thun im Stande bin. Wer das Kind deshalb verfolgt, mag es bei Dem verantworten, der ein Vater der Waisen ist, der ihre Fußstapfen zählt und es denen gedenken wird, die sie auf dornigen Wegen zu wandeln zwingen.«
Die Alte lachte höhnisch auf.
»Nun,« sagte sie, »Wendula's Fußstapfen zu zählen, wird dem lieben Gott wenigstens nicht schwer gemacht. Er braucht nur einen Blick auf den Strand zu werfen, wo die Herumtreiberin Stunden um Stunden bleibt, schicken wir sie einmal hin, um für die armen Kinder, denen wir doch kein Spielzeug kaufen können, Sand und Muscheln zum Spielen zu holen. Da kann sich der liebe Gott ja recht über die Fußstapfen der Müßiggängerin freuen. Dornen wird er auf ihrem Pfade nicht finden, nur weichen Seesand. Freilich pflegen sich im Allgemeinen die Fußstapfen im losen Sande zu verwischen, aber der liebe Gott wird sie wohl herausfinden, auch wenn ein so kleiner Fuß wie der Wendula's die Spur eingedrückt. Die Leute sagen ja, sie habe einen ungewöhnlich kleinen Fuß. Da gehört nun wohl ein Teppich darunter und es ist unrecht von uns, daß wir ihr den nicht anschaffen. Vielleicht wird das einmal ein Beweggrund für Sie sein, sich um eine bessere Stellung zu bemühen. Es für Ihre Frau und Kinder zu thun, ist ja nicht nöthig. Unsereins kann auf der harten Diele gehen, obgleich Rosettens Fuß vielleicht nicht weniger fein ist als der Wendula's und es gar nicht so lange her ist, daß sie auf Teppichen zu gehen gewohnt war. Du mußt nicht weinen, liebe Rosette,« wandte sie sich an diese, »wir müssen Beide noch etwas fleißiger sein, um die Wirthschaft wieder mehr in Flor zu bringen, dann mußt Du mit der Kleinen in den Schuppen ziehen und ich mit Willfried zu den anderen Kindern auf den Heuboden, wo sonst die Magd schlief, die wir uns noch halten konnten, ehe wir ein fremdes Kind in die Familie aufnehmen mußten. Dann, wenn wir glücklich das Haus geräumt haben, kann Wendula ja das hübsche große Wohnzimmer bekommen und den ganzen Tag auf dem Sopha sitzen und die große Dame spielen und – und –« Frau Wallner ballte beide Hände zusammen, und durch das eben entworfene Bild sich selbst künstlich kränkend und ihre giftige Stimmung bis zur Höhe des Zorns hinaufschraubend, fuhr sie, alle Haltung und alle Ueberlegung verlierend, mit verbissenem Grimme fort: »und dann mag meinetwegen der Blitz dreinschlagen und die ganze Sippschaft zu Grunde gehen!«
»O Mutter, wie kannst Du so sprechen!« sagte Rosette erschrocken. »Ich will nicht vom Blitze erschlagen werden!«
»Nun, nun, ein Unglück ist's nicht immer, wenn man abbrennt,« beschwichtigte Frau Wallner die Tochter. »Dem Fischer Joseph Hausen hat's das neue Haus eingebracht, weißt Du nicht mehr? Die ganze Badegesellschaft legte ja zusammen für den armen Abgebrannten, und er bekam mehr, als der ganze Bettel werth war. Und ich wette heut noch darauf, er hat die Bude selbst angesteckt. Im Schuppen fing das Feuer an, und wie leicht ist das gemacht! Ein brennendes Schwefelholz in's trockene Heu geworfen, und Niemand sieht es und kann es ihm beweisen. Er ist ein gemachter Mann seitdem, aber freilich, das Glück hat nicht Jeder, es wird nicht Jeder reich, dem das Haus abbrennt.«
»Barmherziger Gott, welcher Frevel!« sagte Friedrich, »dem unglücklichen Manne wurde sein einziges Kind dabei erschlagen!«
»Nun, das habe ich freilich nicht gemeint, drehen Sie mir nicht die Worte im Munde um,« vertheidigte sich Frau Wallner. »Mit Ihnen ist wirklich nicht mehr auszukommen. Sehen Sie zu, daß Sie es zu etwas bringen. Sie sind der Armuth nicht gewachsen, Sie werden übellaunig, unser ganzes Glück geht daran zu Grunde, Ich wiederhole es, Sie sind der Armuth nicht gewachsen wie wir.«
»Mutter, ich bin's auch nicht,« gestand Rosette, und sich zu ihrem Manne wendend, sagte sie: »Wahrhaftig, Friedrich, es ist Zeit, daß es anders wird; kannst und willst Du nichts thun, Geld in's Haus zu schaffen, so verdenke es uns wenigstens nicht, wenn wir es thun. Mir liegt auch an dem Gelde gar nicht so viel, was uns die Kaffeewirthschaft einträgt, noch ist auch gar kein Vortheil dabei gewesen, aber es ist doch so hübsch belebt, wenn die vielen Leute hier sitzen, es unterhält mich, und ich habe so viel Plage und Noth mit den Kindern, ich brauche Zerstreuung. Sei nicht so schlecht und mißgönne sie mir!«
Friedrich wandte sich seufzend ab.
»Ich habe es gesagt, wie die Sachen stehen,« entgegnete er, »die Rechnungen liegen unbezahlt da, es ist kein Groschen Geld im Hause und für die Kühe soll wenigstens eine Abschlagszahlung geleistet werden. Ihr habt die Sache eingebrockt, nun macht was Ihr wollt und laßt mich in Ruhe.«
Er nahm sein Gewehr von der Wand, hing es über die Schulter und schritt zum Hause hinaus. Mutter und Tochter sahen sich bedeutungsvoll an, ehe jedoch Eine von ihnen das Schweigen brach, ertönte Gesang draußen, wurde von einer frischen, klangvollen Altstimme eins jener kunstlosen Volkslieder angestimmt, die durch ihren einfachen Inhalt wie durch ihre rührende Melodie unwillkürlich das Herz des Zuhörers ergreifen.
»Es ist Wendula,« sagte Rosette, »wie lange habe ich sie nicht singen hören, wie kommt sie gerade jetzt darauf?«
»Sie thut es uns zum Possen,« entgegnete Frau Wallner.
Friedrich stand noch immer vor dem Hause. Wendula's Gesang fesselte ihn an die Schwelle, von der ihn soeben die bösen Geister des Unfriedens vertrieben. Er sah das Mädchen erstaunt an. Ihre Augen strahlten, ein freundliches Lächeln umspielte die oft in herbem Trotz oder strengem Ernst zusammengepreßten Lippen. Auf ihren Wangen glühte ein höheres Roth, in ihrer Haltung lag fast etwas Herausforderndes, das heißt, die unbewußte Herausforderung der Jugend, ihre Blüthe, ihre frische Kraft, ihre Unschuld und Würde, ihre Liebesfülle, ihre Ansprüche an Glück zu erkennen und zu respectiren. Es ist eine Herausforderung, die nicht zu Uebergriffen reizt, im Gegentheil, wer nicht so überwältigend von ihr berührt wird, daß er sein Knie in Liebe beugt, der nimmt wenigstens den Hut vor ihr ab.
Friedrich konnte kaum den Blick von dem Mädchen abwenden. Sie glich weder ihrem Vater noch der Mutter und doch mahnte sie an Beide, sie hatte von ihm die trotzige Kraft, von ihr die Anmuth der Unschuld. Friedrich dachte unwillkürlich der Zeit, wo er, ein frischer, fröhlicher, junger Bursche, all' seine Lebenszuversicht, seine Lebenshoffnungen aus dem reinen Quell dieser unschuldigen Jugendliebe geschöpft hatte.
Ach! was für Zeiten waren seitdem vorübergerauscht, was hatte er damals vom Leben erwartet, und was bot es ihm heut?
Und dennoch – als er Wendula so fröhlich singen hörte, war ihm zu Muthe, als zerflösse die Wolke, die seinen Horizont verhüllte.
»Du singst, mein Kind,« sagte er freundlich, auf Wendula zugehend und ihr die Hand reichend, »Gott sei Dank, so hat doch das Hagelwetter da drinnen nicht alle Blüthen zerschlagen, so giebt es doch noch Sonnenschein auch am heutigen Tage!«
»Ja, Onkel Friedrich,« sagte sie, »der ganze Wald ist hell davon, und in den Lüften schwirrt es, daß es eine Lust ist. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber mir ist zu Muthe, als müßte ich alles Schlimme, Böse, Traurige in das Meer werfen, damit es die Wellen fortspülten, Gott weiß wohin.«
»Thu es, mein Kind, thu es,« fuhr Friedrich fort, »ich will versuchen es ebenso zu machen. Es soll Alles aus dem Herzen heraus, was nicht Liebe ist,« und das Mädchen herzlich auf die Stirn küssend, schritt er an ihr vorbei in den Wald, während Wendula ihren Korb in's Haus trug, dann wieder herauskam, sich an das Gras unter einen Baum setzte und, ein Stückchen Brod hervorziehend, die Hühner lockte, die ihrer Pflege übergeben waren.
Sie liebte die Thiere um so mehr, als die Gemeinschaft mit ihnen, die Sorge für sie, ihr die Zeit ihrer Kindheit zurückrief, in der ihr Vater sie gelehrt, Freundschaft mit allen Gottesgeschöpfen zu halten, in der er ihr manches dem Thierleben abgelauschte Geheimniß offenbart und ihr Herz mit warmer Theilnahme dafür erfüllt hatte. Als sie nach dem Tode des Vaters in die befreundete Familie aufgenommen wurde, hatte noch mancher ihrer Lieblinge sie dorthin begleitet, aber sie hatte schnell das Wort der Trennung ausgesprochen, als sie sah, wie selbst sie nur ein geduldetes Mitglied des Hauses war. Sie gab ihrem Eichkätzchen die Freiheit, ihren Vogel schenkte sie dem Vater Reimer, der Hund des Vaters blieb auf dem Fangel, da die Gutherzigkeit des neuen Försters ihr volle Bürgschaft für das fernere Schicksal des geliebten Thieres gab, und dem Hunde zu Liebe mußte auch die Ziege dort bleiben, da Wendula beide Thiere an einander gewöhnt, sich oft an dem Spiele beider ergötzt hatte und nun die Spielgefährten nicht trennen wollte.
Ihr Herz suchte jedoch neue Lieblinge und fand sie bald unter dem buntbefiederten Völkchen des Hühnerhofes. Sie hatte für jedes der kleinen Geschöpfe ein liebkosendes Wort, einen zärtlichen Ruf, und der stolze, hochbeinige Cochinchinese, dessen Schönheit von Allen gelobt wurde und der seinen dreisten Uebermuth oft so weit trieb, den Gästen den Kuchen aus der Hand zu nehmen, vergaß ihr gegenüber all' seine Sultanslaunen. Er wartete bescheiden, bis sie ihm ganz speciell einen Brocken hinwarf, er hob den Kopf stolzer empor, durfte er ihn ihr aus der Hand nehmen, er lief ihr auf Schritt und Tritt nach, und wenn sie ihm tausend zärtliche, liebkosende Namen gab, sah er sich befriedigt und krähte hoch auf, als wollte er sagen: seht Ihr's Alle, ich bin ihr Liebling, ich.
Heut umarmte sie ihn aber gern und küßte ihn, und als sie ihr Haupt emporhob, glänzten Thränen in ihren Augen wie in dem bunten Gefieder des stolzen Hahnes.
Sie war so glücklich, sie hatte so viel von ihrer Kindheit sprechen dürfen und hatte ein verständnißreiches Herz für ihre Plaudereien gefunden. Sie lehnte ihr Haupt an den Baumstamm, schloß die Augen und träumte sich in die selige Kinderzeit zurück. Aber das Antlitz nahm einen düstern Ausdruck an, denn die beflügelten Gedanken konnten nicht über die Gräber hinüber, an deren Rande auch das unbewußte Kinderglück entschlummert war. Wie lebhaft stand noch der Tag vor ihr, an dem man zuerst ihre Mutter dorthin getragen! Es waren unvergeßliche Eindrücke, die sie dort empfangen. Der Friede in dem stillen Gesicht der Mutter, der wortlose Schmerz des Vaters, sie hatte weder das eine noch das andere vergessen und es früh erfahren, wie der Tod dem Sterbenden Himmelssegen und dem Ueberlebenden den tiefsten Schmerz der Erde bringt. Sie hatte es auch nicht vergessen, wie Vater Reimer sie damals bei der Hand genommen und ihr gesagt hatte:
»Wendula, Du bist noch ein Kind, Du mußt aber jetzt so verständig, so besonnen sein wie ein erwachsenes Mädchen, Dein Kinderherz mußt Du aber behalten. Du mußt Dir zurückrufen, wie es die Mutter im Hause gehalten hat, wie sie für den Vater und die Geschwister sorgte, was sie Allen zu Liebe that, das mußt Du Alles thun, aber ganz still. Du mußt's Deinem Vater an den Augen absehen, was ihm lieb ist, Du mußt Dich an seine ernste Miene nicht kehren, Du mußt nichts von ihm verlangen, aber Du mußt ganz für ihn leben. So hat es Deine Mutter gehalten und die mußt Du ihm ersetzen, so gut es geht«
Wie in eine eherne Tafel gruben sich diese Worte in Wendula's Gedächtniß ein und das Herz gab ihnen die liebevollste Deutung. Sie that wie Vater Reimer ihr gesagt und sah mit unendlichem Jubel die Schatten von ihres Vaters Stirn schwinden. Ohne daß sie es wußte, und auch ohne daß er es beabsichtigte, reiste und wuchs sie in seine Gedanken hinein, und das Band zwischen Vater und Tochter wurde fast eins der Freundschaft. So sehr wie seine abgeschlossene Natur es nur erlaubte, gab er sich der offenen Kinderseele hin und prägte in derselben einen frühreifen Ernst aus, ohne sie doch der Kindlichkeit zu berauben. Er hatte viel Freude an der Entwickelung dieses in Einsamkeit und Waldstille emporwachsenden Geistes, dennoch blutete die Todeswunde, die ihm durch Anna's Scheiden geschlagen, still fort und schloß sich nicht wieder, wenn auch nie eine Klage über seine Lippen kam. Der Gedanke, in jedem Leid, das ihn traf, eine Strafe des Himmels zu sehen, der nicht zu entrinnen sei, gab ihm eine eiserne Festigkeit im Tragen und Dulden. Auch der Tod seines Knaben entlockte ihm keinen Seufzer, aber der ganze tiefe Jammer seiner Empfindung sprach sich aus, als er zu Wendula sagte:
»Ich will sehen, daß ich mein Herz von Dir abwende. Meine Liebe ist ein Todesurtheil und Du sollst leben.«
»Vater, kann man denn Jemand nicht lieb haben wollen, und ist nicht sterben besser als nicht geliebt werden?« fragte das Mädchen dagegen.
Er hatte keine Antwort auf die Frage, aber drückte die Tochter mit einer Innigkeit an sein Herz, die ihr ein deutlicheres Zeugniß von der Allgewalt, von der Nothwendigkeit der Liebe, von dem unwillkürlichen Zuge des Herzens, von der Unzerstörbarkeit der durch dasselbe geflochtenen Bande ablegte, als es die feurigsten Worte zu thun im Stande gewesen wären.
Es war zugleich das einzige Mal, daß sie ihres Vaters Augen feucht werden sah. Die Thränen hatten den Freundschaftsbund zwischen Vater und Tochter geweiht. Er sagte nicht wieder: »Ich will Dich nicht lieben, damit Du mir nicht auch geraubt wirst,« sondern er liebte sie so und lebte mit ihr, als sei jede Secunde die letzte, in der ihm ein Zusammensein mit ihr vom Himmel gestattet war.
Es war eine unvergeßliche Zeit für Wendula, die, in der sie ihrem Vater Alles war. Bis auf den einen tiefen Schrein seines Herzens, den er nur einmal, nur als ihn der Anblick seines dahingeschiedenen Glückes überwältigte und das Eis schmolz, geöffnet hatte, ließ er sie ganz in seine Seele schauen. Es war der schönere Theil seiner Natur, der ihr auf diese Weise offenbart wurde. Sie lernte die Wärme, die Weichheit, den Reichthum seiner Empfindungen, die Schönheit seiner Anschauungen kennen, seine Härte, sein nicht zu brechender Trotz berührten sie nirgends, nur in undeutlichen Umrissen sah sie zuweilen die schroffe Wand, welche ohne Vermittlung die Gegensätze im Menschen scheidet, und gewöhnte ihren Geist daran, auch den Blick abzuwenden, ohne es erst versucht zu haben, sie näher zu betrachten und zu sehen, ob sich nirgends ein Stein lösen lasse und Durchgang zu gewinnen möglich sei.
Hätte sie das gelernt, ihre jetzigen Verhältnisse wären ihr nicht so schwer geworden. Frau Wallner sowohl wie Rosette hatten ein Herz, und es wäre nicht erst nöthig gewesen, Steine zu brechen, um es zu finden.
Vier Jahre hatte der Vater die Mutter überlebt. So lange hatte er den schleichenden Gram mit sich herumgetragen, den selbst Wendula nicht zu bekämpfen vermochte.
Man sagt nun wohl, es stirbt kein Mensch aus Gram, und es mag gewissermaßen auch wahr sein. Der Gram tödtet nicht, aber er greift die Wurzel des Lebens an, und es bedarf dann oft nur geringer physischer Einwirkungen, sie in ihrem Gedeihen vollständig zu untergraben. Die Wissenschaft hatte wohl einen Namen für die Krankheit, die den Förster in der Blüthezeit männlichen Alters dahingerafft, dennoch fand Wendula's kindliche Weisheit vielleicht das Richtigere, als sie sagte: »Der Vater ist gestorben, weil er keine Thräne für seinen Gram hatte.«
Thränen bedeuten zwar nur einen Ausweg für den Schmerz, aber man kann immerhin den Begriff allgemeiner nehmen. Es giebt mancherlei Hülfsquellen für ein belastetes Herz, die schönste und sicherste ist kraftvolle Ergebung, »die Ergebung, deren Wurzel Glaube, deren Blüthe Hoffnung ist. Der Schmerz muß uns tragen, nicht wir ihn. Er kann und soll uns emporheben; nehmen wir ihn wie eine Last auf unsere Schulter, so drückt er uns zu Boden.
Arnold hatte ein sicheres Vorgefühl seines Todes, als das Fieber, das ihn ergriff, in ein schleichendes ausartete, weil seine Natur nicht mehr kräftig genug war, den Krankheitsstoff zu absorbiren, und kein Zureden ihn bestimmte, seinen Widerwillen vor ärztlicher Behandlung zu besiegen.
In diesem Vorgefühl bestellte er sein Haus, das heißt, er nahm es mit einem warm aus dem Herzen kommenden Dank an, als Friedrich und Rosette, Beide, es ihm versprachen, über Wendula's Geschick zu wachen, Vater- und Mutterstelle an der Waise zu vertreten; er hatte dann noch eine lange geheime Unterredung mit Vater Reimer, von deren Resultat jedoch Keiner etwas erfuhr. Damit waren seine irdischen Angelegenheiten geordnet.
Unversöhnt mit seiner Mutter schied er aus dem Leben, nahm die Bürde, die er Jahr für Jahr getragen und die ihm schwer geworden war, still mit sich hinab und hinterließ seiner Tochter nichts als eine schattenlose Erinnerung an sein verklärtes Bild.
Er war ihr der Inbegriff alles dessen, was zu lieben und zu verehren Herzensbedürfniß und Herzensfreude ist; so weit ihre Gedanken zurückreichten, trafen sie nur auf Liebe, Frieden, Einigkeit im schönsten Sinne des Wortes, kannten sie nur einen in seiner Einfachheit nach jeder Richtung hin geregelten Haushalt, und mit diesen Erinnerungen und den auf sie begründeten Ansprüchen trat sie in Friedrich's Familie ein.
Die Jahre waren ihr freudlos vergangen. Sie war Zeuge gewesen, wie nach und nach der Grund immer lockerer wurde, auf dem dies Familienglück erbaut war, wie Frau Wallner's Gemüthsstimmung hämischer, wie Rosette immer unzufriedener, Friedrich immer stiller und gedrückter wurde. Die inneren Elemente widerstrebten einander, und von außen kam weder etwas Liebendes noch etwas Vermittelndes hinein.
Selbst der Genius der Freundschaft, der so lange ein festes Band zwischen Rosette und Adele gewoben, ließ die Flügel hängen. Seit jenem ersten Besuch Adelens bei dem jungen Ehepaar war jene nicht wieder in Häringsdorf gewesen und auch der Briefwechsel beider Freundinnen war durch Rosettens Schuld sehr eingeschlafen. Was sollte sie Adelen schreiben? Es gab nichts Erfreuliches zu melden. Klagen über ihren Mann wies jene zurück und versagte ihnen den Glauben, und über häusliche Sorgen schwieg sie aus Besorgniß, Adele könne ihnen abhelfen wollen, und gegen den Gedanken sträubte sich ihr Herz um so mehr, als sie der Ueberzeugung war, Adele habe ihr nicht die Treue der Gesinnung bewahrt, auf die sie einen Anspruch zu erheben habe. Selbst der Besuch, den sie ihr kürzlich gemacht, hob diesen Verdacht nicht auf, ja, diente nur dazu, ihr Herz mit Eifersucht gegen Alles zu erfüllen, was in Adelens Leben Wichtigkeit und Bedeutung gewonnen hatte.
Die Zeit war lange, ach! wie lange vorbei, in der sie im Leben der reichen, vom Schicksal in vielen Dingen begünstigten Frau eine Rolle gespielt. Mit welchem Feuer sprach Adele von den Reisen, die sie mit ihrem Manne gemacht, wie anders malte sie die empfangenen Eindrücke, wie anders hatte sie dieselben empfunden, als damals, wo Rosette ihre Begleiterin gewesen und Beide nichts Anderes mit einander zu theilen gehabt hatten, als die Abwechselungen, welche die Welt einem zerstreuungslustigen Sinn bietet.
Mit welcher Freude dachte Adele daran, sich jetzt mit ihrem Manne auf ihre Güter zurückzuziehen. Die Erbschaftsangelegenheiten, deren Verwirrung nicht ohne Proceß zu schlichten gewesen, waren jetzt endlich in Ordnung gebracht; der unbestrittene Besitz der Güter war dem Paar zugesprochen, und Dorn und Adele hatten sich um so rascher und einmüthiger entschlossen, auf einem derselben ihren dauernden Aufenthalt zu nehmen, als das Heranwachsen ihrer Kinder, die damit verbundenen Freuden und Pflichten ihrer Reiselust wie der Ungebundenheit ihres Lebens ein Ziel setzten und das neue Glück gleichsam einen neuen Grund und Boden suchte, um heimisch bei ihnen zu werden.
Rosette hatte die Gedrücktheit der eigenen Lage, die Unvollkommenheit des eigenen Glückes nie so bitter empfunden als nach dem Besuch bei ihrer Freundin, und die Zerstreuungsreise, die sie für sich nothwendig gefunden und gegen alle Einwendungen der Vernunft durchgesetzt hatte, hatte ganz andere als die gehofften Früchte getragen.
Innerlich verbittert hatte sie sich von Adelen getrennt. Sie gestand jedoch nur ihrem Manne den empfangenen Eindruck ein.
»Ich möchte nicht wieder mit ihr zusammen leben,« sagte sie, nachdem sie ihm Alles mitgetheilt, was ihr, nach ihrer Meinung, ein volles Recht gab, sie der Treulosigkeit zu beschuldigen; »ich bin auch froh, daß ich nie ihre Hülfe in Anspruch genommen habe, das Jahrgeld ist sie mir schuldig, aber zur Wohlthäterin möchte ich sie nicht. Sie gab mir halb und halb zu verstehen, daß ihr Mann Pläne mit uns habe. Er hat viel Wald auf seinem Gebiet, er sucht einen Förster, aber das hätte gefehlt! Mich gar noch in die polnischen Wälder vergraben, nein, da esse ich doch lieber hier Brod und Salz. Sie kann's wohl thun, sie ist so glücklich, sie braucht andere Menschen nicht, und wenn sie welche sehen will, hat sie Geld genug, zu leben wo sie will, aber wir! –«.
Friedrich antwortete schon lange auf dergleichen Redensarten nicht mehr, aber er hatte nun den Schlüssel zu Rosettens noch größerer Unlust und Unzufriedenheit, während Wendula, die weder eine Erklärung dafür, noch eine Waffe dagegen hatte, sich immer mehr in sich zurückzog und immer mehr der Entschluß in ihr reifte, ein solches Leben nicht mehr lange zu ertragen, ein Leben, das, wie sie fühlte, auf ihr Herz wie auf ihren Charakter nur verderblich einwirken konnte.
Im Augenblick als sie so unter dem grünen Baum saß, den Blick in die Ferne gerichtet, dachte sie nicht an Fortgehen. Sie hatte den Wald wieder so sonnig gesehen wie in ihrer Kindheit, sie hatte ihn wieder so lieb wie damals, und wie die Morgenröthe am dämmerigen Nachthimmel stieg die Ahnung eines kommenden Tages in ihr auf, dessen Horizont so wolkenrein, so hell, dessen Atmosphäre so klar und frisch wäre wie die Waldluft, die sie jetzt umwehte, wie der Himmel, der lachend auf die grüne Welt herabsah.
Die Kinder unterbrechen ihre Träumereien.
»Wendula,« fragte sie Winfried geheimnißvoll, »nicht wahr, der Blitz ist es nicht, der das Feuer in der Küche anzündet?«
»Nein,« sagte sie, »das weißt Du ja, Du hast ja oft zugesehen, wenn Großmutter oder ich Feuer anmachen.«
»Ja,« fuhr der Knabe fort, »mit den Streichhölzchen, die ich immer nicht anfassen darf.«
»Wir dürfen es auch nicht,« mischte sich die kleine Louise in das Gespräch.
»Wir thun es manchmal doch,« bemerkte Bertha, »wenn es Niemand sieht.«
»Das ist aber sehr unartig,« schalt Wendula, »wenn das die Mutter oder der Vater sieht, bekommt Ihr Schläge!«
Die Kleine lachte.
»Mutter schlägt nicht und Vater darf nicht,« sagte sie keck.
»So, wer verbietet es ihm denn?« mischte sich Louise ein, die, in dieser Beziehung von der Natur am günstigsten beanlagt, noch am meisten den Erziehungskünsten der Mutter und Großmutter widerstanden hatte.
»Die Großmutter zankt ihn aus, und das ist noch schlimmer, als wenn wir unartig sind,« erklärte Bertha.
»Wenn der Vater Euch nicht für Euren Ungehorsam straft, werde ich es thun,« sagte Wendula, »ich fürchte mich vor der Großmutter nicht, meinetwegen mag sie zanken. Mit Feuer spielt man nicht, und wenn Ihr es thut, werde ich Euch schlagen.«
»Häßliche, alte Wendula,« schmollte Bertha, drehte sich dann übermüthig auf dem Fuß um und lief mit lautem Geschrei hinter den Hühnern her, hielt aber auf Wendula's Gebot in dem wilden Spiel ein, und auch dann, als die Großmutter in der Thür erschien und Wendula zurief, es sei nicht nöthig, die Kinder von jeder Fröhlichkeit zurückzuhalten, blos weil sie, Wendula, übler Laune sei. Die Hühner seien nicht von Zucker, und namentlich der große Hahn solle es bald erfahren, daß er von Fleisch und Bein sei, wenn er auch zehnmal den Kindern vorgezogen werde.
Wendula antwortete nicht, sie biß die Lippen fest aufeinander. Wie böse konnte sie mit dieser Miene verbissenen Zornes aussehen! Willfried betrachtete sie scheu von der Seite, trat dann aber doch näher an sie heran, um wie gewöhnlich, wenn irgend ein Gedanke in seinem armen, zerstörten Gehirn angeregt war, diesen so lange zu verfolgen, bis irgend ein anderer stärkerer Eindruck ihn verdrängte.
»Kann man mit den Streichhölzchen auch den Wald, das Haus oder den Schuppen anzünden?« fragte er.
»Ja, gewiß,« entgegnete sie, »und gerade deshalb dürfen Kinder keins in die Hand nehmen.«
»Ein brennendes Feuer ist aber doch hübsch«!« rief der Knabe aus. »Ich wollte, es wäre einmal Feuer, es ist in der Nacht immer so dunkel. Wirf doch einmal ein Streichhölzchen in das Heu, thu es doch, Du darfst es, Dich schlägt der Vater nicht.«
»Gott bewahre, das darf kein Mensch,« rief Wendula erschrocken aus, »das wäre ja ein großes Unglück, wenn Feuer auskäme!«
»Manchmal ist es ein Glück, manchmal wird man reich davon, sagt die Großmutter,« behauptete der Knabe.«
Wendula schüttelte den Kopf.
»Was mögen sie nur wieder gesprochen haben!« dachte Wendula, »sie sind so unvorsichtig und vergessen es immer, daß das arme irrsinnige Kind nicht unterscheiden kann, was sie ernsthaft meinen oder was ihnen die Bosheit des Augenblicks eingiebt.«
Sie bemühte sich, dem Knaben die Gedanken an das Feuer auszureden, um so mehr, als er immer auf's Neue wiederholte: »Die Großmutter ist nicht böse, wenn es brennt, sie sagt es dem Vater nicht, und wenn Du es thust, sollst Du verbrennen.«
Sie nahm sich vor, es Frau Wallner und Rosetten zu sagen, daß sie sich mit ihren bösen Worten vor dem Knaben in Acht nehmen und den Dämon, den weder Verstand noch Herz in Zügel halten könnte, nicht reizen möchten, aber sie vergaß es.
Sie hatte so vieles Andere zu denken, und bald waren es nicht nur Gedanken, die sich schmeichelnd, lockend, bethörend in ihre Seele drängten, es war das Leben selbst, das an sie herantrat, ihr seinen innersten Zauber, seine machtvollste Schönheit offenbarte und das volle Bewußtsein ihrer in Blüthe stehenden Jugend in ihr wach rief.