Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Zweiter Band
Berthold Auerbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Die Leute in der Gstadelhütte merkten nichts davon, daß in der Nacht der Staub auf der Straße aufwirbelte, Wolken den Himmel überzogen und endlich ein mächtiges Gewitter losbrach, das bald von einem starken Regen abgelöst wurde. Es regnete noch, als Hansei am Morgen den Kopf zum Fenster hinausstreckte, und dann zu Walpurga gewendet sagte:

»Siehst du, daß ich recht gehabt gestern? Das Wetter ist umgeschlagen, gottlob, daß unser Heu trocken herein ist.«

»Ja,« entgegnete Walpurga, »das war gestern ein Tag; o was für ein Tag, nichts als Tag!«

Es hörte vom Morgen bis zum Abend nicht auf zu regnen und dazu wehte ein scharfer Wind, die Wellen des Sees gingen hoch und rauschten und brachen sich klatschend am Ufer.

»Wie gut ist's doch, ein Haus zu haben mit einem Dach drüber,« sagte Walpurga.

Hansei schaute sie wieder verwundert an: Walpurga entdeckte alles auf der Welt noch einmal. Aber jetzt war sie glückselig mit ihrem Kind, das fest an ihr hing; es nannte sie Mutter und die Großmutter »Mamme«.

Walpurga stand mit dem Kind unter der Stallthür und warf den Finken, die heute keine Nahrung fanden, Brotkrumen zu; die Finken nahmen die Brotkrumen auf und flogen damit hinweg zu ihren Jungen.

»Die haben auch Kinder daheim,« sagte sie zu ihrer Burgei, und plötzlich unterbrach sie sich: »Burgei, wir sind miteinander in der Sonne gewesen, jetzt wollen wir auch miteinander im Regen sein.« Sie sprang mit dem Kinde hinaus in den warmen Regen, dann wieder herein in den Stall. Sie trocknete sich und das Kind und sagte: »Gelt, das ist schön gewesen? und jetzt regnet's auch draußen auf unsre Wiese, und da wächst wieder neues Gras, und mein Kind muß auch wachsen, und wenn wir das Grummet einthun, kannst du schon laufen.«

Walpurga wußte vor Freude gar nicht, was sie anfangen sollte, da ihr das Kind gegeben war: auch das Kind war glückselig, wie noch nie. Diese junge Mutter spielte doch noch heiterer als die Mamme, und ihr Lachen war so hell und sie zählte seine Finger ab und freute sich mit jedem Gelenke und erneute alle jene wundersamen Kinderspiele, die die übersprudelnde Mutterliebe erfunden.

Den ganzen Tag genoß Walpurga keine Speise, sie schmeckte nur so viel davon, als sie von dem Brei hatte, den sie löffelweise im Munde probierte, bevor sie ihn dem Kinde gab. Es regnete unaufhörlich. Hansei spaltete Holz im Schuppen, plötzlich kam er in die Stube und sagte: »Wir sind doch gestern leichtsinnige Menschen gewesen. Die Leute wissen, daß du so viel Geld heimgebracht hast, und wir haben das Haus allein gelassen. Hast du nachgesehen, ob alles noch da ist?«

Walpurga erschrak ins Herz hinein. Sie schaute schnell nach, es war alles noch da.

»In den nächsten Tagen muß das an einen sichern Ort, wenigstens muß jetzt immer eins von uns daheim bleiben,« sagte Hansei und ging wieder an seine Arbeit.

Die Menschen haben an Regentagen Langeweile. Was gibt es da besseres, als zusammenzusitzen und über irgend einen Abwesenden loszuziehen? Am Mittag sagte Hansei: »Heute ist's beim Gemswirt den ganzen Tag gesteckt voll.« Es wurmte ihm doch sehr, daß er nicht auch dabei sein konnte; und wie lustig könnte er heute sein! Da könnte man die sechs Maß Wein austrinken, und jetzt muß er sie den Schelmen schenken.

Walpurga setzte hinzu: »Ja und so viel ich die Menschen kenne, schimpfen sie über uns, weil es uns gottlob gut geht. Ich mein', ich hab' die Menschen bisher nur auswendig gekannt, jetzt kenne ich sie inwendig.«

»Du hast ja gesagt, wir wollen nichts danach fragen, was die Leute denken?« erwiderte Hansei.

Walpurga hatte ein wunderbares Geschick, mit ihren Gedanken in alle Häuser, an den Rathausbrunnen und ins Wirtshaus zu wandern und genau auszusinnen, was da die Menschen alle vorbringen und über sie losziehen. Sie brauchte nicht lang auf Bestätigung zu warten. Es kamen wieder Leute, Männer und Frauen, und berichteten alles. Der Schreiner, der damals am Abschiedstage Haus und Aecker angeboten hatte, kam jetzt, um von Hansei Geld zu borgen, da ihm eine Hypothek gekündigt war. Zur Einleitung glaubte er nichts besseres thun zu können, als Hansei zu versichern, er sei sein einziger Freund, sonst habe er keinen Menschen im Dorf, der ihm wohlwolle.

Hansei sagte rundweg, daß er kein Geld ausleihe, dadurch werden aus guten Freunden Feinde. Der wohlwollende Zuträger machte sich bald davon.

Es war nun in der That ein böses Leben im Dorfe. Die Verschließung des Wirtshauses war nur eine Probe davon. Kein Mensch bot mehr freiwillig die Zeit und man dankte kaum einem Gruß. Walpurga hatte sich doch sehr daran gewöhnt, von den Menschen gelobt und besonders angesehen zu werden; sie war jetzt oft tief traurig. Vor allem kränkte sie, daß man jene Nacht mit der gewonnenen Wette so verunstaltet in der Leute Mäulern herumtrug, daß sich's gar nicht erzählen läßt; ihr aber wurde es doch erzählt, und es war ihr, als ob man die Verschwiegenheit des Ehegemachs vor aller Welt aufgerissen und auf den Markt gestellt hätte; sie fühlte sich in ihrem eigenen Hause nicht mehr sicher und erschrak über jedes Geräusch, wenn der Holunderbaum hinter dem Haus am Dache kratzte, wenn der Hund an der Kette bellte; jede Nacht vor Schlafengehen probierte sie noch einmal die Fensterladen, ob sie auch fest geschlossen seien.

»Ich glaub' nicht,« klagte sie, »daß die vornehmen Menschen so schlecht sind, wie die Leute im Dorf.«

»So?« sagte die Mutter, »ich kenne sie freilich nicht, aber so viel ich mir hab' sagen lassen, sind die vornehmen Menschen gerad so schlecht und gerad so gut wie die gemeinen; auf die Kleider kommt's nicht an.«

»Du bist gerad wie die Oberhofmeisterin, du wärst auch so, wenn du dein Lebenlang im Schlosse festgesessen hättest,« sprach es aus den Mienen Walpurgas zu ihrer Mutter.

Eine seltsame Bewegung ging im Gemüte der Heimgekehrten vor, sie hatte zwei Welten auszugleichen, und sie verpflanzte in Gedanken oft Figuren aus dem Dorfe an den Hof und umgekehrt. Sie schaute oft wie verwirrt drein und wußte nicht mehr, was sie bloß gedacht und was sie erlebt hatte.

Wenn Hansei zuhörte, wie die Frau und die Großmutter über die Menschen hin und her redeten, lächelte er in sich hinein:

»Die Weiber sind doch nur halbe Menschen, bald denken sie so und bald so; es ist nichts Festes an ihnen.«

Hansei war, nachdem er zwei, drei Abende den Gang ins Gemswirtshaus verwunden hatte, lustiger als je.

»Ich freue mich,« sagte er, »daß ich mir doch auch etwas abgewöhnen kann, wenn's sein muß. Ich glaube, daß ich mir auch das Rauchen abgewöhnen könnte.«

In diesen trüben Tagen zeigte sich der ganze Charakterunterschied zwischen Walpurga und Hansei. Wer sie so obenhin betrachtete und das Frohgemute und Aufgeweckte der Walpurga sah und dagegen das Verdrossene und Ungelenke Hanseis, der konnte kaum anders glauben, als daß Walpurga obenan stehe. In Walpurgas Gemüt war es, wie in den Bergen: wenn es trüb und regnerisch ist, liegt alles in ödem Dunkel; kaum blickt die Sonne wieder, so ist alles durchleuchtet, das Wiesengrün so schimmernd, der See so dunkelblau, jede Höhe und jede Waldbucht so klar und rein. Walpurga ward immer besser, immer strahlender, wenn es gut ging; bei hellem Sonnenschein ging sie auf und glänzte wie eine Blume. Hansei blieb stark und wurde immer fester bei schlechtem Wetter. Wenn der Sturm raste und mächtig an Zweig und Stamm riß, hin und her, auf und ab, da wehrte er sich und hielt stand; er hatte etwas von der rauhrindigen wetterharten Eiche; die grünt nicht so schnell beim ersten Frühlingssonnenschein, sie steht lange dürr, während alles um sie her schon mit Laub geschmückt ist, dann aber übertrifft sie auch an Kraft und Pracht alles um sich her.

Ja, Hansei hatte sich in diesem Jahre noch mehr verändert, als Walpurga.

Wenn man einen Baum, der in dünner Erdkrume dürftig Nahrung saugend auf einem Felsen wurzelte, wo Wind und Wetter mit ihm rauften, in saftiges Erdreich verpflanzt, scheint er anfangs zu verkümmern, dann aber sprießt er mächtig auf. So auch war es Hansei ergangen. Plötzlich aus Sorge und Mühseligkeit in ein neues Dasein versetzt, war er dem Verkommen nahe; dann aber gedieh er mächtig und jetzt zeigte sich sein besonderer Halt und die Kraft, die in ihm ruhte, da er genötigt war, sich zusammenzunehmen, um nicht von der wenn auch gutmütigen doch stark selbstbewußten Natur Walpurgas unterdrückt zu werden.

Anfangs war Walpurga ihrem Manne fast bös über seine Unempfindlichkeit; sie ging immer im Zorn umher, schärfte die Lippen und ballte die Fäuste; sie wollte den Menschen etwas anthun, um sie zu züchtigen, Hansei aber blieb ruhig, es war seine Art nicht, sich mit vielem Denken den Kopf heiß machen zu lassen. Allmählich sah Walpurga ein, daß Hansei doch viel mehr war als sie: sie wäre trotz ihres häuslichen Glückes abgestorben und verblaßt unter den abgewendeten Blicken der Menschen, wie eine Pflanze, der man den Sonnenblick verbaut hat. Sie war so eingehegt in ihre Zornesgedanken, daß sie nur das sah, hörte und empfand, was ihrem Zorn Nahrung gab und ihn noch mehr reizte. Hansei dagegen lebte ruhig weiter und suchte sie zu begütigen, und jetzt zum erstenmal sah Walpurga in voller Klarheit die Kraft ihres Mannes. Der ließ sich nicht aus seiner Gangart bringen; er war wie ein Pferd, das seinen Trab fortgeht, unbekümmert um den Hund, der neben ihm bellt, und sobald der Weg sich bergan zieht, geht es ruhig im Schritt und läßt sich nicht ins Traben bringen.

Walpurga beugte sich in wahrer Demut vor ihrem Mann: er könnte behender, witziger und aufgeweckter sein, aber braver und fester nicht.


 << zurück weiter >>