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Prancken, der sich treu zu Sonnenkamp hielt, war oft voll Unruhe; aber er sprach nicht aus, was mit ihm vorging.
Sonnenkamp wußte durch Lutz, daß Prancken mehrmals Briefe mit großen Siegeln bekommen hatte, einen mit dem Siegel des Hofmarschallamts, einen andern mit dem Siegel des Kriegsministeriums. Er sah Prancken fragend an, aber dieser blieb zurückhaltend, ja Sonnenkamp drängte ihn einmal geradezu, seinen Beistand nicht zu verschmähen, er sei doch in manchen Dingen klug, wenn er auch jetzt unklug gehandelt habe.
Prancken erwiderte, das seien Dinge, die er mit sich allein ausmachen müsse; er hoffe, sie zu gutem Ziele durchzuführen. Er deutete an, daß auch die Welt der kleinen Residenz aus verschiedenen Parteien bestehe; er bat aber dringend, ihm jede nähere Angabe zu erlassen.
Sonnenkamp nahm ihm das Versprechen ab, daß er sich in kein Duell einlasse, ohne ihm vorher davon Mittheilung gemacht zu haben.
Mit Widerstreben gab Prancken das Versprechen und reiste ab . . . .
Während Erich noch bei seiner Mutter war, kam Sonnenkamp und sagte, er habe sehr Gewichtiges mit ihnen zu besprechen.
Erich und die Mutter erbebten. Weiß Sonnenkamp bereits? Er setzte sich indeß ruhig und begann:
»Edle Frau, Sie haben mir Großes geleistet, und nun lege ich in Ihre Hand, in Ihren Geist mein Schicksal und das der Meinen.«
Er machte eine Pause und fuhr dann fort:
»Schon am Sonntag, als ich nach der Kirche ging, wo der Bettler mir die Schmach anthat, hatte ich trotz meines Unglaubens den Vorsatz, einem Geistlichen zu beichten. Ich gestehe, Herr von Prancken war nicht ohne Einfluß bei diesem Vorsatze, aber er stammte doch auch aus mir. Groß ist die Einrichtung der Beichte: Vergehen, die kein weltlicher Richter sühnen kann, löst und tilgt ein mit der Weihe begnadeter, empfindender, erwägender Mann, der den Beichtenden nicht kennt, nicht sieht und doch den zitternden Hauch seines Bekenntnisses vernimmt, ihm fern ist und doch so nahe.«
Die Mutter sah zu Boden.
Der Mann solcher Thaten vermag so zu sprechen!
Sonnenkamp empfand, was die Frau von ihm dachte, und er rief:
»Sie, edle Frau, Sie hinderten meinen Vorsatz.«
»Ich?«
»Ja, Sie, denn ich dachte mir es besser: In Ihr offnes Antlitz wollte ich Alles sprechen und Sie hatten die Macht zu lösen und zu tilgen . . . aber, Sie haben sie auch nicht.«
Die Professorin athmete freier auf.
Sonnenkamp fuhr fort:
»Da haben Sie das Wort hingeworfen . . . da fand ich, was zu thun ist. In der neuen Welt, draußen in den Ansiedlungen, beruft man ein Schwurgericht von Nachbarn. Ich will nun ein Ehrengericht von freien Männern berufen, ihnen offen gegenüber stehen, sie sollen mich frei richten, ich will Schwurgericht und Beichte verbinden. Ich bin der europäischen Welt eine Sühne schuldig. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Sie wollen einer Versammlung von freien Männern den Wahrspruch anheim geben?«
»Das ist's. Ich sehe, Sie begreifen mich vollkommen,« sagte Sonnenkamp mit Ruhe, »und nun rathen Sie. Wen schlagen Sie vor zu diesem, wenn Sie es so nennen wollen, sittlichen Sühnegericht? Im Voraus muß ich Herrn von Prancken ablehnen, er ist mein Sohn und kann nicht mein Richter sein.«
»Ich wüßte Niemand sofort und – ich bin noch zu schwach, dieses Besinnen, dieses Suchen und im Gedanken in der Welt Umhergehen thut mir körperlich weh.«
»So beruhigen Sie sich. Herr Dournay, Sie haben Alles gehört, Sie haben doch?« wiederholte er, da er den zerstreuten Blick Erichs sah.
»Wohl, wohl . . . Alles.«
»Und nun, wen würden Sie vorschlagen?«
»Zunächst Herrn Weidmann.«
»Weidmann? Er ist der Oheim meines ärgsten Feindes.«
»Aber er wird deshalb doch gerecht sein.«
»Er ist nicht ohne Urheberschaft an dem Zeitungsartikel des Herrn Crutius.«
»Davon ist er vollkommen frei, er hat den Fürsten Valerian ausdrücklich beauftragt, Ihnen zu sagen, daß er das Verfahren des Herrn Crutius mißbillige.«
»Und wäre Herr Weidmann auch Ihr Feind,« fügte die Professorin ein, »so müssen Sie gerade auch suchen, Ihre Feinde zu . . .«
Die Professorin suchte nach einem Worte, aber Sonnenkamp fiel ein:
»Sie sollen Recht haben, Sie sollen sehen, wie ernst es mir ist. Also Herr Weidmann. Und nun, wen weiter?«
»Den Grafen Wolfsgarten.«
»Ohne Widerrede, angenommen. Weiter!«
»Den Landrichter.«
»Auch angenommen, und den Doctor gebe ich Ihnen gleich drein; diese Herren sollen die weiteren Männer selbst wählen. Das ist wol das Beste. Jetzt aber, Herr Dournay, machen Sie sich bald auf den Weg, die Sache muß rasch bekannt . . . ich meine, ins Werk gesetzt werden.«
Als Sonnenkamp wegging, sahen Erich und die Mutter einander fragend an. Was will der Mann mit diesem Gericht? Sie konnten es nicht finden.
Hätte man Sonnenkamp selbst gefragt, er hätte es nicht genau sagen können. Zunächst wollte er die Menschen durch etwas Neues in Athem halten, Zeit gewinnen, die öffentliche Meinung beschäftigen, vielleicht beruhigen. Er war selbst begierig, was sie für ein Urtheil fällen. Ob er sich ihm unterwirft, das wird sich finden. Er will nur etwas thun wegen seiner Kinder, zunächst wegen Rolands; er hat ihm versprochen, daß er etwas unternehme, damals, als der schwärmerische Jüngling von ihm verlangt hatte, daß er all sein Besitzthum weggebe. Und wer weiß, ob bis zur Zeit, wenn das Ehrengericht zusammenkommt, nicht große geschichtliche Ereignisse eintreten . . . Er will die öffentliche Meinung gewinnen, sie muß sich beruhigen und betrügen lassen. Er war nach Europa gekommen, um sich, seiner Frau und seinen Kindern eine Ehrenstellung zu verschaffen; vielleicht ist das doch noch möglich. Er will eine Zeit lang den Reuigen spielen, warum nicht? Ist eine neue Art, während man bis jetzt Alles verhehlt hatte. Und dann sollten diese ehrbaren verhockten Menschen sehen, daß sie nicht besser sind als er; sie haben nur nicht den Muth wie er. Jetzt ist offener Krieg zwischen ihm und der Gesellschaft, er will Rache nehmen an diesen Tugendstolzen, deren Tugend doch nur in der Schwäche besteht.
Vielfältiges bewegte sich in seiner Seele; noch ließ sich nicht ein Einzelnes festsetzen, aber der Kampf lockte ihn. Er will wieder selbst inne werden, wer er ist.
Sonnenkamp nahm wiederholt das Gutachten zur Hand, das Bella ihm übergeben hatte. War diese Aushändigung nur ein Zeichen des Zerfalles mit ihrem Manne, oder ist es noch ein Weiteres für ihn selbst? Er las in der zierlichen Schrift; manche darin enthaltene Schärfen erlustigten ihn. Also auch dieser so feine Mann kann solche Keulenschläge führen! Ohne gerade auf Sonnenkamp unmittelbar angewendet zu sein, kam das Wort »Brutalität« mehrfach in dem Gutachten vor. Der Herr Graf, dachte er vor sich hin, soll auch ein Gutachten erhalten, mit Keulenschlägen ganz anderer Art. Auch dazu sollte das sogenannte Ehrengericht dienen.
Die Frage, ob er bis zu dem Ehrengerichte sich vor der Welt verbergen oder gerade kühn herausfordernd sich zeigen solle, quälte ihn und dazwischen verdroß ihn diese weichliche Rücksichtsnahme, die man in Europa nehmen muß, sobald man einmal in die Ehrenstraße eingelenkt hat.
Er wollte Lutz nach Wolfsgarten schicken und überlegte lange, welchen Auftrag dieser zum Vorwand nehmen solle. Am besten ist es zuletzt, Lutz macht sich eine beliebige Ausrede, nur muß er sich der Gräfin zeigen, sie wird ihm dann schon einen schriftlichen oder mündlichen Auftrag geben. Er gab ihm Geld für die Kammerfrau der Gräfin, wenn dies nöthig sei.
Zuletzt aber entschloß er sich, selbst nach Wolfsgarten zu reiten. Soll er sich dem aussetzen, daß Graf Clodwig ihn nicht empfängt? Gut, um so besser, er wird dann Bella allein sprechen.
Er ritt nach Wolfsgarten, und wie er erwartet, geschah. Clodwig ließ sich entschuldigen, daß er ihn jetzt nicht sprechen könne. Er ging zu Bella, sie schien erstaunt, daß er kam; er gab ihr zunächst das Gutachten wieder zurück, sie dankte für seine Vorsorge, aber sie war seltsam befangen; sie wurde aufgeregt, da Sonnenkamp ihr den Plan mit dem Ehrengerichte darlegte.
Wohlgemuth ritt Sonnenkamp wieder nach Villa Eden zurück.