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Manna übergab Erich einen Brief des Professor Einsiedel. Der gute Mann hatte ihr in Karlsbad gesagt, daß er im nächsten Winter nicht lese; nun hatte sie ihn gebeten, da Erich so vielfach in Anspruch genommen sei, zu Roland nach Villa Eden zu kommen; es werde Allen dort ein willkommener Halt sein. Der Professor hatte geantwortet, daß er komme.
Manna erklärte, daß sie zunächst wieder ins Kloster müsse; sie halte es für ihre Pflicht, dort vor Allem ihre Umwandlung zu bekennen, sie wollte ein so Schweres nicht verschieben, sondern sofort auf sich nehmen.
»Bedenke nur,« sagte Erich, »daß Du nicht mehr berechtigt bist, Dir Kasteiungen und Martern aufzuerlegen oder auferlegen zu lassen; Du darfst meine Manna nicht quälen oder quälen lassen.«
Manna sah ihn strahlenden Auges an, indem sie sagte:
»Ich will nur, daß die Seelen derer dort im Kloster durch meinen Austritt, den sie einen Abfall nennen müssen, nicht belastet sein sollen.«
Sie wünschte, daß Tante Claudine sie begleite, Erich aber fand es angemessener, daß sie mit Roland reise.
Manna ging zu ihrem Vater und sagte, daß sie nach dem Kloster wolle.
Sonnenkamp erschrak, er ward aber schnell beruhigt, da Manna hinzufügte, daß sie nur dorthin reise, um auf ewig Abschied zu nehmen, denn sie sei entschlossen, nie ins Kloster zu gehen. Aus all seiner Verzerrung leuchtete eine triumphirende Heiterkeit in den Mienen Sonnenkamps.
Manna hätte gern dem Vater sofort Alles bekannt, aber sie wagte es noch nicht . . .
Der Tag war nebelig und kalt, an dem die Geschwister und Fräulein Perini stromab fuhren.
Gegen Mittag drang die Sonne durch, die Nebel zerflossen und es hellte sich auf. Das Schiff schwamm zu Thal und schoß schnell dahin auf der hellen Fluth zwischen den sonnenbeschienenen Bergen, auf denen hier und dort noch geherbstet wurde. Die Reisenden standen und wandelten auf dem Verdeck und schauten wohlgemuth ins Weite, drunten aber in der Kajüte lag Manna mit geschlossenen Augen. Vergeblich mahnte Fräulein Perini, oben am Ausblicke und der freien Luft sich zu erfrischen; Manna bat, man möge sie allein lassen. Und so lag sie und dachte halb träumend, was Alles geschehen war mit den Ihrigen und mit ihr selbst.
Der Confessionsunterschied zwischen ihr und Erich ging wieder auf. Aber was blieb ihr? Untreu zu werden den frommen Schwestern oder hier gegen Erich . . . nein, das ist nicht mehr möglich. Sie hoffte, die große Seele der Oberin solle ihr Beruhigung geben. Und so lag sie während der ganzen Reise im Halbschlaf versunken.
Roland stand beim Steuermann und ließ sich von ihm in der Lenkung des Schiffes unterrichten.
Fräulein Perini war nun doch froh, daß Manna verborgen geblieben, denn unter den Reisenden wurde hin und her gesprochen über Sonnenkamp. Die Sage ging, der Mohr des Fürsten habe Sonnenkamp mit beiden Händen in die Luft gehoben und die Treppe hinabgetragen, bis die Diener ihn befreiten und in den Wagen brachten.
Ein Agent, den Fräulein Perini kannte, sprach davon, wer wol das Landhaus kaufen werde; denn daß der Mann nicht bleibe, war entschieden.
Lutz, der sich auf der Vorkajüte niedergelassen, mußte dort hören, wie die Händler, die das Obst von dem Obergärtner Sonnenkamps gekauft und nach dem Niederrhein brachten, einander erzählten, sie möchten keinen Mund voll von dem Obst haben, was dieser Mann gezogen.
An der letzten Station vor dem Inselkloster stiegen zwei Nonnen ein. Fräulein Perini kannte die Eine derselben, es war die Französin, die immer so scheu war. Sie ging mit den Nonnen in die Kajüte, wo Manna schlief. Sie setzten sich ihr gegenüber, nahmen ihre Gebetbücher heraus und beteten für die arme Seele, die hier im Schmerzensschlummer lag.
Manna schlug die Augen auf, sie sah verwundert drein, sie wußte nicht, wo sie war. Schwester Seraphine hieß sie in französischer Sprache willkommen und sagte ihr tröstend, sie solle, was sie erleiden müsse, geduldig über sich nehmen.
Manna richtete sich auf. So war die Kunde auch schon ins Kloster gedrungen! Sie ging mit Roland und den drei Frauen nach dem Verdeck; das Inselkloster wurde sichtbar. Alles war hell und glänzend. Manna hatte die Empfindung, als käme sie plötzlich wieder auf die Erde, und Alles sähe sie fragend an: Wo warst Du denn so lange?
Man stieg in den Kahn und fuhr nach der Insel. Wehmüthig sah Manna auf den schönen runden Sitz am Landungsplatz, das sogenannte Vogelnest, da hatte sie so oft mit Heimchen gesessen; jetzt lagen nasse welke Blätter auf der Bank.
Sie ließ sich sofort bei der Oberin melden; sie erhielt die Antwort, sie möge vorher eine Stunde in der Kirche bleiben, und dann zu ihr kommen.
Manna verstand, was das sein sollte. Wußte denn die Oberin bereits ihre Abtrünnigkeit? Sie ging nach der Kirche, an der Thüre blieb sie stehen, sie ging nicht hinein, sie scheute sich wegen des Bildes darin; sie wußte, daß sie nicht anders kann, als zu demselben aufschauen, und doch darf das nicht sein. Sie kehrte um und ging hinaus nach dem Park. Sie hörte droben die Kinder scherzen, sie hörte singen, sie wußte, wie sie alle sitzen, sie kannte jeden Raum, jede Bank. Sie kam nach der Tanne, wo sie so oft gesessen, die Bank unter der Tanne war nicht mehr da, auf dem Kniebänkchen, wo Heimchen gesessen, lagen welke Blätter. Zum Grabe Heimchens! sprach es in ihr. Sie kehrte um und ging am Kloster vorüber, es erschien ihr wie Empörung und Frevelthat, daß sie dem Befehle der Oberin nicht gehorcht. Sie kam in den Kirchhof. Auf dem Grabe Heimchens stand ein Kreuz mit der Inschrift in goldenen Buchstaben: Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft. Marcus 5, 39.
Wie? dachte Manna. Warum diese Worte hier? Sie sind ja in der Schrift von jenem Kinde gesagt, das auf dem Todtenbette wieder zum Leben erweckt wurde, nicht aber von einem Begrabenen.
Sie sank auf das Grab nieder und wirr gingen ihre Gedanken durcheinander; sie wußte nicht, wie lange sie hier gelegen, endlich faßte sie sich und kehrte nach dem Kloster zurück.
Sie wurde in das Ansprachzimmer eingelassen; noch mußte sie hier allein warten, die Bilder an der Wand schienen sich in die Ferne zurückzudrängen, wenn sie die Augen auf sie richtete.
Endlich kam die Oberin.
Manna eilte ihr entgegen und wollte sich ihr an den Hals werfen, aber die Oberin stand starr und wickelte die beiden Enden des hänfenen Gürtels um den Zeigefinger der rechten und linken Hand, so daß der Strick einschnitt.
Manna sank zu ihren Füßen nieder.
»Steh auf,« sagte die Oberin streng. »Wir dulden hier keine Leidenschaftlichkeit. Das hast Du hoffentlich noch behalten . . . Warst Du in der Kirche?«
»Nein,« sagte Manna sich aufrichtend.
Lange sprach die Oberin kein Wort, sie erwartete, daß Manna den Frevel erkläre; diese aber konnte nur schwer einen Ton hervorbringen.
»Ich bin hierhergekommen,« begann sie endlich, »damit Sie, ehrwürdige Mutter, keinen Gram über meine Undankbarkeit in der Seele hegen. Sie haben groß an mir gehandelt, Sie haben . . .«
»Nichts von mir. Sprich von Dir.«
»Mein Andenken soll Ihnen keine Kränkung sein. Ich bin gekommen, um Sie zu bitten . . .«
»Was zögerst Du so lange? Sprich aus, was willst Du?«
»Sie bitten, daß sie an mein ehrliches Ringen glauben. Ich konnte nicht anders. Ich bin in die Welt zurückgekehrt, um mich zu prüfen . . . ich habe die Prüfung nicht bestanden . . . Ich kann nicht dem Leben entsagen . . . mein Leben ist nicht mehr mein eigen . . .«
»Ich mache Dir keinen Vorwurf. Es ist besser, Du bist die Gattin des Herrn von Prancken.«
Manna bedeckte sich mit beiden Händen das Gesicht.
»Was thust Du? Was ist das?« fragte die Oberin. »Du bist doch nicht doppelt abtrünnig? Sprich! Habe ich noch ein Recht, Dich zu fragen? Hast Du noch eine Pflicht, mir zu antworten? Was soll das?«
In Manna kämpfte es. Darf sie Erich verleugnen? Nein. Und wenn alle Qualen über sie herabgerufen werden, sie bekannte sich zu ihm.
»Erich Dournay,« sagte sie leise.
»Wie? Habe ich recht verstanden? Ist Herr von Prancken todt?«
Treu und offen berichtete Manna Alles, was geschehen; sie stand aufrecht und ihre Stimme war fest. Als sie geendet, fragte die Oberin:
»Du bist also nicht gekommen, um Buße zu thun?«
»Nein.«
»Wozu denn?«
Manna griff sich an die Stirn und sagte:
»Habe ich denn nicht deutlich bekannt, daß ich mich nicht sündhaft fühle? Ich bin gekommen, um Ihnen Dank, innigen Dank zu sagen für das Gute, das Sie mir gethan, und damit mein Andenken Ihnen nicht ein Kummer sei. Sie selbst haben mir einst gesagt, es komme ein schwerer Kampf, den ich mit dem Leben kämpfen muß; ich habe ihn nicht bestanden, oder doch . . . Ich bitte nur, bewahren Sie mir eine friedliche Heimstätte in Ihrem Denken.«
»Das willst Du und jetzt noch? Ja, so sind sie, die Weltkinder! Die Selbstmörder verlangen noch ein geweihtes Grab. Du hast Dich selbst ermordet und erhältst bei uns kein Grab in heiligem Boden. Du streckst Deine Hand aus zur Versöhnung . . . Deine Hand wird nicht gefaßt.«
Eine dienende Schwester trat ein und brachte die Bitte von Fräulein Perini, daß sie zur Oberin und Manna eintreten dürfe.
»Haben Sie noch etwas?« wendete die Oberin sich an Fräulein Perini.
»Ja. Hier steht Fräulein Manna, ich erinnere sie vor Ihnen, würdige Mutter, an ein heiliges Versprechen, das mir Fräulein Manna abgenommen.«
»Ein Versprechen? . . . Ihnen?«
»Ja. Sie, Fräulein Manna, haben mir das Versprechen abgenommen, daß ich Sie mit allen Strafen und Banden festhalten solle, wenn je eine Abtrünnigkeit in Ihrer Seele Platz greife. Manna! ich habe es vermieden, Sie anzurufen dort im Hause der Wirrniß. Hier muß ich es. Ich kenne Ihre Seele, die, ohne Falsch, nicht an die Fallstricke glaubt, die man ihr gestellt. Der Augenblick ist entscheidend, rufen Sie Ihre reine Seele in sich zurück. Sie sollen nicht Nonne werden, aber Sie werden es nie ertragen, daß Sie der Kirche abtrünnig werden, und das jetzt, wo Alles Sie zurückführen müßte in das Eine, das ewig feststeht. Manna, hier liege ich auf den Knieen vor Ihnen. Ich habe Sie geleitet, gelehrt, ich habe Sie im Herzen getragen – Manna! Sie tödten mich, Sie tödten sich, Sie tödten das Heiligste!«
»Ich bitte,« sagte Manna, »bestürmen Sie mich nicht. Sie können kaum ermessen, wie weh es mir thut, auch Sie zu kränken. Ich wollte mich der Kirche widmen, ich glaubte, dort Trost zu finden, ich kann nicht mehr. Ich sehe ein – ich spreche es nicht gern aus – das Opfer ist nicht möglich . . . Ich will nicht durch Heuchelei entweihen, was Ihnen heilig ist, mir heilig war. Nicht Leidenschaft, nicht Leichtfertigkeit . . .«
»Genug, genug!« unterbrach die Oberin. »Hast Du dem Pfarrer gebeichtet?«
»Nein.«
Die Oberin hatte sich abgewendet und sprach gegen die Wand gekehrt:
»Wir zwingen, wir binden Dich nicht; wir könnten es, aber wir wollen nicht. Geh! . . . Geh! Ich will Dein Antlitz nicht mehr sehen. Geh! Wehe, welch eine Hölle trägst Du in Dir! Die Spur Deiner Schritte hier soll verwehen . . . Nein, ich will nichts weiter sagen. Geh! . . . Ist sie fort? Du sollst mir nicht antworten. Liebe Perini, antworten Sie mir. Ist sie fort?«
»Sie geht,« antwortete Fräulein Perini.
»Wo ist meine Schwester?« hörte man plötzlich die laute Stimme Rolands.
Die Thür wurde gewaltsam aufgerissen; Roland übersah schnell, was geschehen, und rief:
»Du hast Dich genug gedemüthigt, komm mit mir!«
Er faßte Manna an der Hand und verließ mit ihr das Kloster.
Draußen sagte Roland, daß er es vor Angst nicht mehr ausgehalten; er habe gefürchtet, Manna wolle sich mißhandeln lassen und dies als Buße tragen.
»Und das darfst Du nicht, auch wenn Du es könntest, um Erichs willen nicht.«
Wie leuchtete das Auge Manna's, als sie in das glühende Angesicht Rolands sah!
»Es ist vorbei,« sagte sie. »Eine Welt versinkt hinter mir. Es ist vorbei.«
Fräulein Perini blieb noch eine Weile bei der Oberin, dann folgte sie Manna nach. Sie saß mit ihr im Kahn; mit einem eigenthümlichen, heimlich flüsternden Ton sagte sie:
»Ich mußte das noch sagen, ich konnte nicht anders.«
Manna streckte ihr die Hand entgegen und sagte:
»Sie thaten nach Ihrer Pflicht, ich zürne Ihnen nicht. Verzeihen Sie mir.«
Manna wußte nicht, wie sie aus dem Kloster gekommen; erst als Roland sie umarmte, konnte sie weinen. Bei der Rückfahrt auf dem Schiff ging sie nicht mehr in die Kajüte, sie saß neben Roland und ihr großes dunkles Auge schaute weit offen in die Landschaft hinein.