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Von allen Menschen, deren Sinnen nach Villa Eden gerichtet war, wurde keiner von den so scharfen Ereignissen schwerer betroffen, als der Major. Er hatte keine Ruhe mehr im Hause, und schon seit der Erzählung Sonnenkamps hatte er auch sein Bestes verloren, »die Ablösung,« wie er es nannte, nämlich seinen gesunden Schlaf. Er ging unruhig hin und her und sprach oft mit der Laadi. In der Nacht war ihm das unruhige Denken so beängstigend, daß er leise mit sich selber sprach, manchmal aber auch Fräulein Milch weckte, daß sie ihm darüber weghelfe; die Flucht Sonnenkamps und die Nachricht, daß Bella mit ihm entflohen wäre, verwirrte ihn noch mehr.
Als er nun mit Knopf und dem Neger kam, bat Fräulein Milch Herrn Knopf, dazubleiben; sie gestand ihm offen, sie fühle eine Furcht, die sie nicht bemeistern könne.
Knopf bedauerte, daß er nicht bleiben könne, er habe Pflichten gegen den Fürsten Valerian.
Er beschwichtigte keineswegs die Angst der Fräulein Milch, steigerte sie vielmehr noch, da er mit großem Behagen darlegte, welch ein prächtiger Gauner dieser Adams sei.
Wenige Tage, nachdem Adams ins Haus genommen worden, wurde der Major krank und mußte sich zu Bette legen.
Der Doctor gab beruhigende Mittel, sie halfen dem Major, aber für Fräulein Milch konnte er keine beruhigenden Mittel verordnen. Diese gab ihr ein Mann, der nichts von Medicin verstand. Es war Professor Einsiedel. Ihm klagte sie über die Anwesenheit des Negers und sie sagte:
»Ich muß mich hüten, durch diesen einen Neger nicht ein Vorurtheil gegen alle Neger anzunehmen.«
»Wie meinen Sie das?«
Fräulein Milch erröthete und erwiderte:
»Wenn man ein fremdes Volk oder einen fremden Stamm nicht kennt und eine nicht günstige Vormeinung von denselben hat, kommt man leicht dazu, den Einzelnen, den man kennen lernt, als den Vertreter der Gesammtheit anzusehen, seine Eigenheiten und Fehler der Gesammtheit aufzubürden. Dieser Neger nun ist ein Mann, der nichts lernen und arbeiten will, er ist als Sklave und dann als Lakai gewöhnt worden, daß Andere für ihn sorgen. Nun könnte man leicht auf das Vorurtheil kommen, daß alle Neger so sind, und das wäre doch ungerecht.«
»Wohl bedacht,« gab der Professor seine Censur ab. »Ich möchte nur wissen, wie Sie dazu kommen, sich gegen Vorurtheile zu wehren? Ich kenne freilich das weibliche Geschlecht nur wenig, aber ich meine, daß dies Behüten vor Vorurtheilen selten bei Frauen ist.«
Fräulein Milch preßte die Lippen zusammen; sie hätte wohl sagen können, woher in ihr die Forderung stammte, daß jeder Einzelne für sich betrachtet werden müsse.
Nach einer Weile fuhr sie fort:
»Glauben Sie nicht auch, daß die Neger nie vollkommen frei werden, wenn sie sich nicht selbst befreien, wenn nicht ein Moses aus ihrer Mitte ersteht und sie aus ihrer Sklaverei führt? Glauben Sie nicht, daß auch dies Geschlecht, das in der Sklaverei war, verkommen und absterben muß und erst das neue, in Freiheit erwachsene Geschlecht ins gelobte Land der Freiheit kommt?«
»Da haben Sie es,« fiel Professor Einsiedel ein, »ich hoffe, Sie verstehen mich. Die schwarze Rasse hat keine selbständige Culturentwickelung, sie bringt, so weit wir bis jetzt sehen, nichts mit in das geistige Familiengut der Menschheit. Allerdings sollten nicht Fremde sie befreien, aber der Erlöser, den wir allein kennen, heißt Bildung, und die wird übertragen und sie allein erlöst. Sie kennen wol die neueren Forschungen über die Japhetiden?«
»Ach nein.«
Der Professor war eben daran, Fräulein Milch zu erklären, wie man in egyptischen Papyrosrollen überraschende Aufschlüsse gefunden; es zeige sich, daß der Verfasser oder Redacteur der Bibel nicht vollkommen Egyptisch verstanden, ja es finde sich das Wesentliche, was die Bibel enthalte, bereits in egyptischen Schriften, nur die Befreiung der Sklaven bleibe die große That des mythischen Moses und stehe einzig da in der ganzen alten Welt.
In seiner Freude, eine so gute Zuhörerin zu haben, wollte der Professor eben weitläufig werden, als der Krischer mit seinem Sohne, dem Küfer, und der Tochter des Siebenpfeifers kam. Zum Hause des Majors gingen sie zuerst, um hier zu verkünden, daß Alles wieder gütlich ausgeglichen sei; der Siebenpfeifer hatte die Einwilligung gegeben. Noch mehr. Man hatte das »nahrhafte Wirthshaus,« wie der Krischer es nannte, das Wirthshaus zum Karpfen im Städtchen angekauft und der Krischer wußte schön auszumalen, wie glücklich er sei, daß er nun Vater eines Wirthshauses sei.
Der Major, der in der Kammer von den Ankömmlingen gehört hatte, ließ nicht ab, bis sie zu ihm hereinkamen, denn solch eine Freude mache ihn halb gesund; er ermahnte nur den Krischer, sich nicht dem Trinken zu überlassen. Der Krischer gab ihm die Hand und sagte:
»Da haben Sie meine Hand drauf. Von heute an trinke ich keinen Tropfen mehr über den Durst. Aber meinen Durst löschen darf ich doch? Ich habe Gottlob einen gesunden Durst, aber an der Hochzeit – Sie müssen auch dabei sein – da trink ich mir einen Allerweltsrausch! Unser Herrgott soll vom Himmel herunter lachen: ja, so kann's doch Keiner, wie mein Krischer.«
Dieses einfache freudige Ereigniß brachte in die dumpfe Schwüle, in die alle Menschen im Umkreise von Villa Eden versetzt waren, eine Erfrischung und Belebung; Professor Einsiedel hatte einen guten Gedanken, er sagte dem Krischer, daß er als Dank für seine Freude auch ein Gutes thun und den Neger ins Haus nehmen möge. Der Krischer war sofort bereit. Leise sagte ihm Fräulein Milch, es werde schwer halten, Adams zur Arbeit zu bringen, und sie bat, er möge ja recht gut gegen den Neger sein. Der Krischer versprach's und nahm Adams mit.
Die Hunde bellten laut, als der Neger in das Haus des Krischers kam, und die Frauen schrien in Angst; das Angstgeschrei verstummte bald, das Bellen der Hunde aber hörte nicht auf, sobald Adams aus dem Hause trat, bellten die Hunde aufs Neue . . .
Als der Doctor mit der Professorin zum Hause des Majors kam, war er sehr befriedigt, daß Adams bereits das Haus verlassen hatte, und noch mehr, daß der Major wieder aufrecht im Bette saß und seine lange Pfeife rauchte. Er bat nur, daß der Major sich noch ruhig verhalte, dann ging er mit den beiden Frauen in die Wohnstube. Hier theilte er ihnen mit, daß er stolz sein könne; Bella habe an ihn aus Antwerpen geschrieben. Der Brief lautete:
Sie allein haben mir nie Freundlichkeit geheuchelt, darum sollen Sie auch ein Andenken von mir haben. Ich schenke Ihnen meinen Papagei. Der Papagei ist das Meisterstück der Schöpfung, er spricht nur, was man ihm einlernt. Adieu!
Bella.
Die beiden Frauen sahen einander erschreckt an und der Doctor war nicht wenig erstaunt, als Fräulein Milch sagte, sie habe gewiß nie etwas Freundliches von Herrn von Prancken erfahren, aber es sei doch hart, daß ihn ein solch schweres Schicksal betroffen. Nachdem er die Braut verloren, habe auch die Schwester ihn verlassen, bereite ihm so viel Kummer und bringe Schande über ihn.
Hätte Prancken geahnt, daß Fräulein Milch ihm jetzt Mitleid widmete, es wäre vielleicht das Härteste gewesen, was er in seiner jetzigen Lage empfunden.
Der Doctor erzählte von der Verwirrung, die nach der Flucht Bella's auf Wolfsgarten geherrscht; es sei nicht recht klar, ob sie die bedeutenden Ersparnisse mitgenommen oder zurückgelassen habe.
»Mir fehlt etwas,« sagte er, »seitdem Bella verschwunden ist, ein Barometer für das rechte Denken und eine Quelle von Betrachtungen. Jetzt da diese Frau fort ist, merkt man erst, wie breit ihre Wirkung war, vielleicht ausgedehnter, als ihr zustand. Uebrigens freut mich diese Geschichte, sie ist wieder einmal ein Beweis, daß es noch kühne, gewaltige Menschen gibt.«
»Sie lieben die Bizarrerie,« warf die Professorin ein.
»O nein. Was Andern als Bizarrerie erscheint, sehe ich als folgerichtige Handlungsweise; so und nicht anders mußte Bella handeln, das gehört zu ihrem Heroismus. Herr Erich kann mir bezeugen, daß ich geraume Zeit vor dem Ereignisse etwas der Art ahnte. Bella und Sonnenkamp haben Aehnlichkeit, sie sind Beide geistreich, scharf denkend in allem Unpersönlichen, aber tyrannisch, boshaft, selbstisch in allem Persönlichen. Jetzt, da sie fort ist, kann ich es sagen, sie ist auch als Mörderin geflohen; nicht mit Gift und Dolch, aber mit tödtenden Worten hat sie Clodwig ins Herz getroffen, er hat es mir gestanden.«
»Wie ist bei so viel Bildung Alles das möglich?« sagte die Professorin.
»Ja, eben darin liegt's,« warf der Doctor ein. »Alles Geistesleben ging Frau Bella nie etwas an, sie kam hinein und wußte nicht wozu; sie mußte verwüsten, denn was sollte sie mit all dieser Bildung? Bisher gab es nur Religionsheuchelei, jetzt gibt es auch Bildungsheuchelei. Aber nein, Frau Bella war keine Heuchlerin und eigentlich nicht bös, sie war einfach roh.«
»Roh?«
»Ja. Denken an ein Anderes ist Bildung des Geistes und des Herzens; Frau Bella dachte stets nur an sich, an das, was sie zu sagen, zu empfinden hatte. Ich habe lange nach einer Grundlage in dieser Natur geforscht, bis ich es, wie ich glaube, gefunden habe. Es ist das Beauté-Bewußtsein. Ich bin eine Beauté, ist das Princip, auf das sich ein ganzes System stellt; die anderen Menschen sind nur dazu da, die Beauté zu sehen und zu bewundern. Es war ein Verrath an sich selbst, als Bella den Grafen Clodwig heiratete, es konnte nur in einem Momente sein, wo sie ihr Beauté-Bewußtsein verlor. Wie können wir solche Menschen gerecht beurtheilen?«
Der Major rief laut aus der Kammer, man solle ihm doch mittheilen, was der Doctor so laut und heftig spreche. Fräulein Milch beruhigte ihn und sagte: es sei keine Unterhaltung für einen Kranken; sie gestand indeß, daß von Bella die Rede sei. Als Fräulein Milch wieder in die Wohnstube eintrat, kam ein Bote von Villa Eden, der den Doctor und die Professorin heimrief; Frau Ceres sei in Lebensgefahr.
Der Doctor und die Professorin eilten nach der Villa.