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Anders geartet als die übrige Menschheit von Schattendorf war der Großbauernsohn Stephan Niedermaier von jeher gewesen. Das hatten auch seine Eltern gemerkt und deshalb den Spintisierer und Sinnierer, der lieber mit offenen Augen träumend unter dem Blätterdach eines Baumes lag und den ziehenden Wolken nachsah, statt im Feld und auf den Wiesen mitzuhelfen, nach Regensburg geschickt – zum Studieren. Sie waren der Meinung gewesen, in dem Stephan stecke das Zeug zu einem geistlichen Herrn. Warum gerade zu einem solchen, blieb unaufgeklärt. Vielleicht dachten die guten Alten, ein geistlicher Herr hätte nichts anderes zu tun, als den Wolken nachzuschauen, sobald er nur mit seinen kirchlichen Verrichtungen fertig wäre.
Ehe Stephan Niedermaier an sich selbst erproben mußte, wie irrig und grundfalsch diese etwaige Meinung seiner Eltern war, machte der liebe Gott einen Strich durch der letzteren 2 Rechnung. Denn in einem und demselben Jahre starben sein Vater und sein jüngerer Bruder, der voraussichtliche Erbe des großen Besitztums, an den Pocken und dem Stephan blieb, da weder ein anderer Sohn noch eine Tochter vorhanden war, nichts übrig, als die lateinischen und griechischen Bücher in die Ecke zu stellen und nach Schattendorf zu seiner verwitweten, einsam zurückgebliebenen Mutter heimzukehren.
Und mit dieser hauste er jetzt schon an die zwölf Jahre zusammen, bewirtschaftete sein Bauerngut – wider alles Erwarten und zur Verwunderung des ganzen Dorfes – mit Fleiß und Geschick, legte Geld auf Zins und galt schon lange für den reichsten Großgrundbesitzer im ganzen Landgericht. Dabei hatte sich Stephan aber wenig verändert; er war noch der nämliche nachdenkliche, stille und bescheidene Mensch, welcher er zur Zeit gewesen, als er in Regensburg fremdsprachliche Vokabeln lernte. Auch machte er nicht die geringste Anstalt, eine Hausfrau in seinen Bauernhof einzuführen. So sehr ihm auch die Mutter vorstellte, daß sie, vom beginnenden Alter gedrückt, sich nach einer Schwiegertochter sehne, blieb er doch dabei, daß er noch kein Mädchen gesehen hätte, mit dem er den langen Weg durchs ganze Leben wagen möchte. Das nahmen ihm nun nicht nur die heiratsfähigen Dorfschönen, sondern 3 auch deren Eltern gewaltig in übel, und um ihrem Ärger Luft zu machen, sprengten sie aus, Stephan habe sich geäußert, eine Bauerntochter wäre zu gering für ihn. Wahrscheinlich warte er auf eine Prinzessin; einem solchen Gischpel und Träumer sei ja jede Dummheit zuzutrauen.
Daß diese übeln Nachreden schließlich auch Stephan zu Ohren kamen, ist bei der Kleinheit des Dorfes leicht erklärlich. Die Klatschfraubasen sorgten schon dafür. Er machte sich aber nichts daraus, sondern ging unbeirrt seine stillen Wege. Nur ließ er die Außenwände seines Bauernhofs neu tünchen und die hölzernen Fensterläden mit grüner Ölfarbe anstreichen. Wenn wirklich einmal eine Prinzessin käme, sagte er gleichsam als Antwort auf die in Schattendorf herumgehenden Gerüchte, so solle sie auch eine saubere und freundliche Wohnung vorfinden. Da aber zum verjüngten Aussehen des Hauses das alte, schadhafte, hier und da schon verfaulte Strohdach nicht mehr passen wollte, erschien eines Tags der Maurermeister aus der Amtsstadt und deckte das Haus mit Schieferplatten ein.
Das gab ein Gerede im Dorf! Schmähsucht und Neid wetzten an Stephan ihre giftigen Zähne und überschütteten ihn und sein Werk mit Spott und Hohn. Einen Hoffartsnarren hießen ihn die Leute, einen Neuerer, der sich über 4 althergebrachten Brauch hinwegsetze, indem er seinem Bauernhof ein Schieferdach überstülpe. Ob er sich denn wirklich für etwas Vornehmeres halte als alle anderen in Schattendorf, weil ihm das Strohdach, unter dem seine Vorfahren gewohnt, nicht gut genug mehr sei? Oder ob er deshalb kein Stroh mehr auf dem Hause sehen könne, weil er schon genug davon in seinem Hirnkasten mit herumtrage? Ja, es kam so weit, daß die verbissensten von Stephans Neidern sich vor sein Haus hinstellten und taten, als müßten sie sich vor Lachen darüber den Bauch ausschütten. Das geschah regelmäßig, wenn sie wußten, daß der junge Bauer daheim war und den Vorgang beobachten konnte. In Schattendorf galt es nämlich jetzt als ausgemachte Sache, daß Stephan wirklich kein Mädchen aus dem Ort heiraten würde, sondern irgend eine Putzdocke aus der Stadt, welche die Renovierung des alten Hauses zur Bedingung ihres Einzugs gemacht hätte. Und diese Zurücksetzung der einheimischen Schönheiten, wenn sie auch nur in der Phantasie der Schattendorfer Einwohnerschaft bestand. wollte man ihn entgelten lassen, indem man seinen neu hergerichteten Bauernhof laut verspottete.
Doch auch das brachte Stephan nicht aus seinem beneidenswerten seelischen Gleichgewicht. Der einzige Erfolg, den die Schmähsüchtigen 5 erzielten, erwies sich darin, daß bald ein zweiter Handwerksmeister aus der Stadt in Schattendorf eintraf. Diesmal war es ein Tüncher, und der brachte an der Giebelwand des Hauses mit großen Buchstaben eine weithin sichtbare Inschrift an. Sie lautete:
Was schad'ts dem Haus?
Einer macht's,
Der andere betracht's,
Ein dritter acht's,
Oder er verlacht's.
Was macht's?!
Nichts macht's dem Haus,
Und wer eingeht und aus.
Schön waren die Verse nicht und von Poesie steckte wirklich blutwenig in ihnen. Aber die Bauern begriffen doch, daß Stephan damit auf seine Weise Antwort auf ihr hämisches Benehmen erteilte und gleichzeitig zu erkennen gab, daß sie nicht imstande wären, ihn zu ärgern und seinen Frieden zu stören. Da ließen sie ihn denn endlich in Ruhe. Vom Spruch an der Hauswand aber nannten sie ihn den Spruchbauer und so heißt, sechzig Jahre nach den Ereignissen, die ich erzählen will, sein Sohn und Nachfolger auf dem großen Hofgut noch heutigen Tags. –