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Lene hatte richtig vorausgesetzt, daß der Spruchbauer auch am Erntedankfest den Rosenkranz nicht versäumen würde. Er ging wirklich in die Andacht, in welcher er sich unter einer kleinen Anzahl von Greisen, alten Frauen und Kindern als der einzige junge Mann befand. Die Freuden des heutigen Tages hatten andere Teilnehmer von der sonst sehr beliebten religiösen Übung ferngehalten.
Nach Beendigung des Gebets verschloß der Küster die Kirche und begab sich in seine neben dem Pfarrhaus gelegene, von diesem nur durch ein schmales Gemüsegärtchen getrennte Wohnung. Die übrigen Kirchgänger verliefen sich schnell; die Kinder hatten es eilig, nach dem Tanzplatz zu kommen und die an den Ästen der Linde befestigten, bunten Papierlaternen anzustaunen, die nach völligem Hereinbruch der Nacht angezündet werden sollten. Denn die Sonne war bereits untergegangen, und es wurden allgemach dunkel. Deshalb hielten sich auch die alten Männer und 199 Frauen nicht mehr auf dem Platze vor der Kirche auf, um noch eines über dies und das zu plaudern, sondern sie schlichen oder trippelten nach kurzem Gute Nacht ihren Heimstätten zu.
Niemand war mehr um die Wege, ausgenommen Stephan, der vom Kirchenportal aus den Platz überschritt und sich dem Pfarrhof zuwandte. Freude und stille Glückseligkeit in der Brust, stand er im Begriff, Kreszenz abzuholen, um sie in den Spruchbauernhof zu begleiten, wie seine Mutter es erlaubt hatte. Die Sehnsucht nach dem geliebten Mädchen beschleunigte seinen Fuß; kein anderer Gedanke lebte in ihm, als jener an das Glück der nächsten Stunden, während welcher die Waise wieder in seinem Hause bleiben und mit an seinem Tisch sitzen durfte.
Schon hatte er den Kirchplatz überquert, und nur noch einige Schritte trennten ihn von seinem Ziel. Im nächsten Augenblick konnte er die am Pfarrhof angebrachte Türklingel ergreifen und um Einlaß schellen.
Da – plötzlich – geschah etwas Furchtbares.
Eine Gestalt löste sich los aus dem schmalen Raum zwischen der Seitenwand des Pfarrhofs und dem Gemüsegarten des Küsterhauses und sprang dem Spruchbauer mit einem jähen Satz entgegen. Fast in der gleichen Sekunde sauste ein Stock durch die Luft und traf den Kopf des jungen Bauern 200 mit solcher Wucht, daß er zurücktaumelte. Hätte sein Filzhut den gewaltigen Schlag nicht abgeschwächt, wäre er wohl betäubt in die Knie gesunken oder ganz zusammengebrochen.
»Tò, bestia maledetta!« rief, während der Stock niederfuhr, eine starke Stimme.
Wenn der meuchlerische Schuft aber geglaubt hatte, sein Feind müßte, durch den schweren Schlag halb bewußtlos geworden, jetzt außerstande sein, sich zu verteidigen, so daß er dem Wehrlosen die ihm zugedachten Hiebe bequem und ohne Gefahr aufladen dürfte, dann hatte er sich arg getäuscht. Im Gegenteil, der heimtückische Überfall schreckte den Spruchbauer mit einem Male auf aus aller Sehnsucht und Träumerei und weckte die in ihm schlummernden, vom Anhauch einer lässigen Indolenz verhüllten Seelenkräfte zur energischen Tätigkeit. Seine überlegene Körperkraft brauchte ohnehin nicht erst aufgestachelt zu werden; durch tägliche Übung und angestrengte Arbeit war sie vor jeder Verweichlichung bewahrt geblieben.
Der Italiener war daher sehr unangenehm überrascht. Wie ihm der Spruchbauer von Lene geschildert worden war, hatte er erwartet, es mit einem von Kretinismus angefressenen, geistesschwachen Menschen zu tun zu bekommen, der seine 201 muskulöse Leibesstärke nicht anzuwenden wisse, und mit dem daher das bewußte Geschäft abzuwickeln eine Kleinigkeit wäre. Statt dessen fand er sich einem nicht zu unterschätzenden, einem gleichwertigen Kämpen gegenüber. Denn kaum war Stephan aus seiner gelinden Betäubung zur Erkenntnis der Lage erwacht, da wäre er jedem Zuschauer wie ausgewechselt erschienen. Stramm richtete er sich zu seiner vollen Höhe auf, dann stürzte er seinerseits ohne viel Besinnens und Federlesens auf den hinterlistigen Angreifer los, faßte ihn mit eiserner Faust an der Gurgel und zerrte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt zu sich heran.
»Wer will da etwas von mir?« rief er laut, »welcher malefizischer Lump hat mir jetzt den Weg ab'paßt?«
Und ebenso kaltblütig wie entschlossen drehte er den heftig sich wehrenden Italiener so gegen das Licht des verglimmenden Abendrots, daß die letzten Strahlen desselben auf dessen Gesicht fielen.
»Ja, was wär' das alsdann!« schrie er, wie er den Elenden erkannte, in jäh aufloderndem Zorn; »das ist ja der Akkordant, der die Naabbrucken baut! Haderlump, schlechter Zigeuner – Raubersbub, was hab ich Dir jemals z'leid 'tan, daß D' über mich herfallst wie noch einmal ein 202 Schinderhannes? – Red'!« schrie er noch lauter, »oder ich erwürg' Dich!«
Wenn schlaffe Naturen infolge einer heftigen Gemütsbewegung aufgerüttelt werden, daß sie ihre scheinbar unverrückbare Ruhe einmal abstreifen und sich zu lebhafteren Affektionen entflammen, dann sind sie nicht mehr leicht zu bändigen. So ging es jetzt auch mit dem Spruchbauer. Kein Mensch hätte in dem leidenschaftlich erregten Mann den stillen Sinnierer und Träumer wiedererkannt, als welchen ihn die Schattendorfer von jeher bespöttelten und – verachteten. In diesem Augenblick haftete ihm nichts an von trägem oder gleichgültigem Hindämmern, sondern das Gefühl des ihm widerfahrenen Unrechts hatte ihn derart in Feuer und Flamme versetzt, daß er an nichts anderes mehr dachte, als den erhaltenen Schlag mit Zinseszinsen zurückzuzahlen.
Deshalb üherlegte er auch nicht, daß der Italiener, solange er ihm den Hals zusammenpreßte, gar nicht imstande war, ihm Rede zu stehen, weil er kaum genug Luft erhielt, um nicht zu ersticken. Er schrie nur wiederholt:
»Wenn D' mir nicht gleich sagst, Du Satanas, was das z' bedeuten hat, alsdann mach' Dich auf 'was anderes g'faßt!«
»Laß mich los!« quetschte Bonatesta mühsam heraus. »Laß mich schnell los; – sonst – –«
203 »Was?! Drohen willst auch noch, Du Hundsknochen?« brüllte Stephan und schlug bei diesen Worten seinen Gegner, ohne ihn locker zu lassen, mit der freien Faust mitten ins Gesicht.
Da ließ der Italiener seinen Stock zur Erde fallen und fuhr blitzschnell mit der rechten Hand in die Tasche seines Beinkleides. Der Spruchbauer hatte die Bewegung nicht wahrgenommen. Er war so außer sich, daß er auch die Klingel am Pfarrhof nicht hörte, obwohl sie in diesem Augenblick überlaut bimmelte. Denn die Tür war mit einem heftigen Ruck aufgerissen worden und Kreszenz flog mehr als sie ging auf die zwei sich balgenden Männer zu.
»Z'ruck, Herr! Um Gotteswillen z'ruck!« rief sie in einem Ton, welchem man ihre Todesangst anmerkte. »Er hat ein Messer!«
Und sie bemühte sich, den Spruchbauer von seinem Feinde wegzuzerren.
Doch schon war es zu spät.
Stephan kam es vor, als fahre plötzlich etwas Blinkendes von seinen Augen vorbei – im gleichen Moment drängte sich jemand zwischen ihn und den Italiener – und dann hörte er wiederum des Mädchens Stimme:
»Jesus, Maria! Ich bin g'stochen!« – –
Die schrecklichen Worte gaben ihm im Nu die Besinnung wieder. Er ließ den Italiener los und 204 fing die zusammensinkende Gestalt der Waise in seinen Armen auf. Kaum fühlte der meuchlerische Messerheld sich frei, da floh er auch schon eiligst das Dorf hinab und hinaus in die Nacht, um sich vor der strafenden Gerechtigkeit in Sicherheit zu bringen. – –
Seit Kreszenz auf dem Schauplatz der ruchlosen Tat erschienen war, und bis sie in Stephans Armen zusammenbrach, hätte man kein Vaterunser beten können, so überaus schnell hatte sich die entsetzliche Szene abgespielt. Gleichwohl war schon Hilfe da. Das laute Schreien des Spruchbauern und das Getöse der Rauferei war in die nächsten Häuser gedrungen; der Pfarrer und sein Vikar, der Küster und einige Nachbarn erschienen, wagten sich aber anfangs nicht nahe herbei, weil sie nicht wußten, was vorging. Es war nämlich mittlerweile schon ziemlich finster geworden, und im ungewissen Zwielicht konnten sie nur die Umrisse zweier Gestalten erkennen, von denen die eine die andere zu umklammern oder zu tragen schien. Deshalb schwirrten verschiedene Fragen durcheinander.
»Was gibt's?« – »Wer macht denn gar einen solchenen Spitackel?« – »Ist 'leicht einer schon am frühen Abend b'soffen?« – »Wer hat g'schrien?« hörte man rufen.
205 Der Spruchbauer war wieder ganz Besonnenheit.
»Leuteln,« gab er kurz und bündig zur Antwort, »ich bitt' euch, bringt's g'schwind eine Latern' oder ein paar Windlichter daher! Ich bin's, der Stephan Niedermaier, und in meinen Armen – da hab' ich halt die Kreszenz. – Sie ist g'stochen worden von dem Italiener Bonatesta.«
Das zündete. In kürzester Zeit kamen der geistliche Herr und der Vikar mit Windlichtern herbei. Im Pfarrhof waren sie am schnellsten zu haben gewesen, und der flackernde Schein derselben fiel auf das wachsbleiche Gesichtchen der armen Kreszenz, die mit geschlossenen Augen und fest zusammengepreßten Lippen, anscheinend ohnmächtig durch den erlittenen Blutverlust, von des Spruchbauern Armen gehalten an seiner Brust ruhte. Aus ihrer linken Schulter sickerte ein kleines rotes Bächlein und färbte ihr Gewand mit dunklen Flecken.
Ein Schrei des Entsetzens entrang sich bei dem traurigen Anblick dem Mund der nach und nach herbeigeströmten Nachbarn. Von einem Mord flüsterten sie zu einander, von einer Schandtat, wie seit Menschengedanken keine in Schattendorf vorgekommen wäre.
»Ruhig, ihr Leute,« beschwichtigte sie der Pfarrer, nachdem er einen langen, forschenden 206 Blick auf die Waise geworfen. »Von einem Mord dürfte – so Gott will – keine Rede sein. Verwundet ist das Mädchen, das ist wahr; und ohnmächtig ist sie auch, was durch den Schrecken und das verlorene Blut sich leicht erklären läßt. Dennoch scheint mir keine dringende Gefahr vorzuliegen; denn der Stich ist, wie deutlich zu ersehen, und zu allem Glück im Unglück, nicht in die Brust oder das Herz, sondern hoch oben in die Schulter gedrungen, wo er keine edlen Teile verletzen konnte. Somit halte ich es für's Beste, wir bringen die Kreszenz schnellstens zurück in den Pfarrhof und in ihr Bett. Dort kann sie von meiner Wirtschafterin einstweilen ausgekleidet werden, bis der Landarzt kommt, den Ihr, Herr Küster, mir eilends herbeiholen müßt. Er ist sicher zu Hause, weil ich vor dem Rosenkranz noch mit ihm gesprochen hab'. Sollte die Verwundung aber dennoch gefährlicher sein, als ich denke, so ist der Aufenthalt des Mädchens im Pfarrhof auch deswegen vorteilhaft, um etwa sofort meines Amtes als Seelsorger walten zu können. Augenblicklich aber – ich sage es noch einmal – scheint mir das nicht nötig.«
Der Spruchbauer atmete tief auf.
»Hochwürden!« sagte er, »ich hab' zwar 'glaubt, ich will die Kreszenz nehmen und will s' 'nuntertragen in meinen Hof und sie niemals wieder 207 von meiner Seite lassen. Denn das Mädel hat sich für mich aufg'opfert; sie hat sich dem Haderlump entgegeng'stellt und den Stich aufg'fangen, der mir vermeint g'wesen ist. Drum g'hören wir zwei von deriger Stund' an untrennbar zusammen. – Aber ich seh' auch ein, Herr Pfarrer, daß Ihr Rat der bessere ist; 'leicht könnt man das Übel ärger machen, wenn man die arme Dingin den weiten Weg schleppen tät' bis in meinen Hof. Also, ihr Leuteln – leuchtet's mir voran, damit ich die Kreszenz in dem geistlichen Herrn sein Haus trag'.«
Mit diesen Worten hob Stephan die leichte Gestalt der Ohnmächtigen ganz auf seine Arme, trug die süße, liebe Last in den Pfarrhof und legte sie dort in der für sie bestimmten Kammer auf das Bett nieder.
Nun fing freilich ein neues Fragen, Jammern und Wehklagen an, bis die alte Haushälterin begriffen hatte, was vorgefallen war, und was man von ihr begehrte. Die wenigen Minuten aber, während welcher sie sich entfernte, um mit dem Pfarrer und Vikar nach Verbandleinwand zu suchen, sowie alles für die Ankunft des Landarztes vorzubereiten, blieb Stephan mit der bewußtlosen Verwundeten allein.
Da sank er denn, überwältigt von den widerstreitendsten Gefühlen, vor dem Bett nieder auf 208 die Knie und vergrub das Haupt in die Kissen. Wie sehr hatte er sich auf diesen Abend gefreut, und wie bitter war seine Freude vergällt worden! Er hatte Kreszenz in sein Haus führen, hatte sich einige Stunden an ihrem lieblichen Anblick erquicken wollen; – statt dessen befand er sich hier vor dem Schmerzenslager des Mädchens, das, wie seine Ahnung ihm richtig sagte, sich dem Messer des Unholds freiwillig entgegengestellt hatte, um den geliebten Mann davor zu bewahren. Denn Kreszenz hatte, von der Spruchbäuerin benachrichtigt, sich, als es dämmerte, an das Fenster ihrer Kammer begeben, um den Spruchbauer zu erspähen, dessen Erscheinen auch sie mit zärtlicher Ungeduld erwartete. Vom Fenster aus sah sie ihn dann den Kirchplatz überschreiten und auf das Pfarrhaus zukommen. Aber gleich darauf hörte sie lautes Geschrei und erblickte nun neben ihm einen zweiten, mit einem Stock bewaffneten Mann, mit welchem der Spruchbauer sich im Handgemenge befand. Da wurde sie von namenloser Angst erfaßt; ohne viel zu überlegen, nur vom dunklen Drange geleitet, an der Seite des Geliebten zu stehen, um demselben zu helfen und vor etwaiger Gefahr zu schützen, eilte sie hinaus auf den Kirchplatz und kam gerade noch recht, um das gezückte Messer blinken zu sehen. Den starken Mann zurückzureißen, reichte ihre Kraft nicht 209 aus; deshalb warf sie sich opferfreudig als sein Schild zwischen ihn und die Waffe, und – der Stoß, welcher seinem Herzen gegolten, traf ihre Schulter. – –
Als Stephan sich das soeben erlebte Ereignis noch einmal vergegenwärtigte, fühlte er sein Inneres von den schmerzlichsten Empfindungen durchwühlt; er hob den Kopf empor, und wie er, in stumme Qual versenkt, das schöne bleiche Antlitz des lieblichen Mädchens betrachtete, drängten sich Tränen in seine Augen. Er beugte sich über die regungslos auf den Kissen liegende kalte Hand der Verwundeten und drückte einen Kuß darauf, nicht mit heißem gierigen Mund, wie der Liebende der Geliebten huldigt, sondern fast mit ehrerbietiger Scheu, wie man sich einem höheren Wesen naht. Und indem er die Hand küßte, fiel ein Tropfen aus seinen Augen auf die schmalen Finger. –
Da – war es der Kuß, war es die Träne, welcher eine solche erweckende Kraft innewohnte? – schlug Kreszenz mit einem Mal die Augen wieder auf. Sie war aus ihrer Ohnmacht erwacht, schaute aber mit halb irren Blicken noch verständnislos um sich.
Als sie den vor ihrem Bett knienden Spruchbauer erkannte, schien ihr die Erinnerung an den 210 entsetzlichen Vorfall aufzudämmern. Denn mit unverkennbarer Angst im Blick fragte sie leise:
»Sie sind's, Herr? – Fehlt Ihnen 'was?«
»Nein, Kreszenz, mir fehlt nichts nicht,« antwortete er, tief ergriffen, daß ihre erste Frage einer Erkundigung nach seinem Befinden galt; »aber Dir, liebes Mädel, wie geht's denn Dir?«
»O, wenn nur Ihnen nichts passiert ist, – alsdann ist ja alles recht,« sagte sie im Flüsterton; »ich sterb' gern, es tut gar nicht weh. Früher hab ich mich schon g'fürcht davor – aber jetzt kein bißl mehr – denn ich sterb' ja für Ihnen, und das hab ich mir schon die ganz' Zeit über g'wünscht. Wissen S' Herr,« fuhr sie engelhaft lächelnd noch leiser fort, während ein geschämiges Rot ihre blassen Wangen mit verklärendem Schimmer überhauchte, »jetzt, wo ich bald hinübergeh' zu Vater und Mutter selig, darf ich's ja sagen, – jetzt ist es keine Sünd' mehr, wenn ich's eing'stehen tu', daß ich Ihnen gern g'habt hab' – o, so viel gern und lieb, – und daß ich alltag unsern Herrgott bitt' hab', er soll mich sterben lassen für Ihnen, weil ich Ihnen meine große Lieb' anders doch nicht hätt' zeigen können. Und heunt ist mein Gebet erhört worden.«
»Nein, Kreszenz,« schluchzte Stephan, nicht sterben, sondern leben – leben sollst Du für mich 211 und mit mir, als meine Bäuerin, – als mein seelengut's, herzliebes Weib!«
Ein tiefer Seufzer vom Bett her traf sein Ohr. Die Lider hatten sich wieder gesenkt über die süßen Augen der Verwundeten. Stephan erhob sich von den Knien; denn die Türklingel ging, auf dem Vorplatz wurden Schritte laut und der Landarzt trat in Begleitung der Köchin in die Krankenstube. Als er nach einer halben Stunde sich wieder entfernte, konnte er Stephan die beruhigende Versicherung geben, daß von einer Lebensgefahr keine Rede sei; doch könnte die Heilung wohl längere Zeit in Anspruch nehmen, weil durch den mit gewaltiger Kraft geführten Messerstoß das Schlüsselbein der linken Schulter nicht unerheblich verletzt worden sei. Wenn man die körperlichen Verhältnisse des Mädchens und des Spruchbauern in Betracht zieht, war der Stich auf das Herz des letzteren abgezielt und hätte es auch sicher getroffen, wenn nicht Kreszenz sich als Schutzwehr vor dasselbe gestellt hätte.
Als der junge Bauer in dieser Nacht den Heimweg einschlug, war seine Brust, ungeachtet der stürmischen Gemütsaffekte, die er an dem ereignisreichen Abend durchgekostet, dennoch von stillem Jubel erfüllt. Denn nun war ihm ja das Zeichen vom Himmel geworden, das er so lange erwartet, das er in sehnsüchtiger Hoffnung erfleht hatte. 212 Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: Kreszenz liebte auch ihn, aber nicht aus Berechnung, nicht wegen seines stattlichen Hofes, seiner vielen Äcker und Wiesen und wegen seines Geldes, sondern innig, aufrichtig um seiner selbst willen und mit so schwärmerischer Selbstlosigkeit, daß sie Gott gebeten hatte, für ihn in den Tod gehen zu dürfen. Und daß sie es mit diesem Gebet buchstäblich ernst genommen, hatte sie heute durch eine Tat bewiesen, die sie nahe an die Pforten des Todes hätte bringen können. Glücklicher Stephan! Du, trotz aller noch übrigen Sorgen und Kümmernisse glücklicher, durch das reizendste und zugleich unschuldigste Liebesgeständnis beseligter Spruchbauer! – –
* * *
Wir überspringen nun einen Zeitraum von zwei Jahren; denn meine Geschichte ist eigentlich zu Ende, weil die Leser sich bereits selbst gesagt haben, was in Schattendorf auf die unerhörten Vorfälle folgte, welche sich am Abend des Erntedankfestes vor dem Pfarrhof abgewickelt hatten. Die Voraussage des geistlichen Herrn und des Landarztes erfüllte sich: Kreszenz genas und übersiedelte, weil jetzt auch Stephans Mutter zur Überzeugung gekommen war, daß die Elsenfelder Waise im himmlischen Heiratsregister als Hochzeiterin 213 ihres Sohnes vorgemerkt stand, zum zweitenmal in den Spruchbauernhof. Diesmal geschah aber ihr Einzug in festlichster Weise; sie trug den Brautkranz in den Haaren, an ihrer Seite ging stolz der junge Bauer und vor dem Paar zogen die Dorfmusikanten her und bliesen mit voller Lungenkraft einen weithinschallenden Marsch. Der Wunsch der alten Spruchbäuerin war endlich in Erfüllung gegangen; Stephan hatte ihr eine Nachfolgerin gegeben, die von jetzt an statt ihrer in Haus und Hof schaltete und waltete. Und nicht der geringste Makel trübte den Ruf des jungen Weibes; die Pfeile der Bosheit waren kraftlos abgeprallt vor der schützenden Mauer, welche Stephan und seine Mutter um sie aufrichteten, als die Wiesenbauernlene die Waise mit Schimpf und Schande aus dem Dorf bringen wollte. Und jetzt nach zwei Jahren voll Freude, Friede und ehelichen Glücks, gerade wieder am Tage des Erntedankfestes, trug man den Erstgeborenen des Spruchbauern in die Kirche, wo ihn der greise Herr Pfarrer mittelst der heiligen Taufe in die christliche Gemeinschaft aufnahm. –
Der Neid, daß sie all dieses Glück mit anschauen mußte, brachte die Wiesenbauernlene zwar nicht um, aber schöner machte er sie auch nicht. Von einer passenden Partie, die sie noch in Schattendorf hätte treffen können, war ebensowenig mehr 214 die Rede. Es ging ein sonderbares Gerücht über sie herum. Man erzählte sich, ihre nächtlichen Zusammenkünfte mit Bonatesta seien nicht unbeobachtet geblieben, und da man wußte, wie feindselig sie Kreszenz und dem Spruchbauer gesinnt war, machte man sich wegen des Überfalls vor dem Pfarrhof einen Vers darauf. Etwas Gewisses kam ja nicht an den Tag; aber was man sich in die Ohren raunte, genügte, um ihr jede bessere Heirat im Dorf unmöglich zu machen. Sie gab deshalb einem Amberger Schenkwirt, der sich um ihr Geld bewarb, das Jawort und hielt Hochzeit einige Wochen, nachdem Stephan seinen Sohn hatte taufen lassen. Es ging ihr aber nicht gut in der Stadt. Ihr Mann war dem Trunk ergeben und sehr zornmütig, und da sie ihre böse Zunge auch ihm gegenüber nicht im Zaun zu halten verstand, bekam sie mehr Schläge als Brot. –
Von Bartolo Bonatesta hat man, wenigstens in Deutschland, nichts mehr gehört, weil alle Nachforschungen des Gerichts nach seinem Aufenthalt erfolglos blieben. Der Umstand, daß er vom Spruchbauer und von Kreszenz erkannt worden, sowie daß sein Knotenstock am Tatort zurückgeblieben war, hatte ihn dergestalt in Angst versetzt, daß er seine Kaution und das im Brückenbau steckende Geld im Stich ließ und noch in derselben Nacht unbekannt wohin floh. Er wollte lieber 215 eine große finanzielle Einbuße erleiden, als die schweren Folgen seiner letzten verbrecherischen Tat und mancher andern, die er auf dem Kerbholz hatte, auf sich nehmen. Seine Spekulation auf Lenes Vermögen war eben ein faules Geschäft gewesen und nichts mehr daran zu ändern. Die von ihm nicht ausgebaute Naabbrücke ließ die Bausektion dann in Regie vollenden. –
Stephan Niedermaier und seine Frau, die schöne Kreszenz, sind schon lange eingegangen zur ewigen Ruhe; aber ihr Sohn lebt noch heute. Welche Freude derselbe an seinem großen, ihm von den Eltern im besten Zustand hinterlassenen Besitz hat, geht schon daraus hervor, daß er eine Ehre in den Namen setzt, welchen die Schattendorfer dem Anwesen einst nur zum Spott anhängten. Deshalb ließ er auch den von seinem Vater am Wohnhaus angebrachten Spruch, der im Lauf der Zeit vom Regen verwaschen und unleserlich geworden war, neu auffrischen und einen zweiten darunter setzen. Der heißt.
»Dies Haus steht fest in Gottes Hand,
Der Spruchbauernhof wird es genannt.«
Ende.