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Die russischen Filme stürzten auch in Deutschland wie Gewitter in die alten Bilder einer alten Welt, und Daniel Kreß, der ja auch aus dem Osten kam, besah sie sich nicht nur als Geschäftsmann. Er lebte in Deutschland und wußte, daß hier zwanzig Millionen Fabrikarbeiter und Angestellte in den Betrieben schufteten. Sie waren in den Gewerkschaften, in den Kulturverbänden, Sportorganisationen, Genossenschaften und in den politischen Parteien organisiert, Sie machten Geschichte auch an den Maschinen und veränderten den Erdball. Sie hatten selbst eine grandiose Geschichte hinter sich. Ihr Aufstieg in den letzten achtzig Jahren war ein Heldenepos.
Aus der Geschichte der Revolution schöpften die Russen mit Vorliebe die Vorbilder ihrer Filme. Jeder gute Russenfilm wirkte sich auch in Deutschland bei den Wahlen als Machtfaktor aus. Warum drehten die Deutschen keine Arbeiterfilme? Warum ließen sie ihre Geschichte nur in Leitartikeln, historischen Broschüren oder dicken Wälzern behandeln? Warum rückten sie ihre historische Vergangenheit nicht in das richtige Licht?
Darüber dachte Daniel Kreß manchmal nach. Den Anstoß zu diesen Gedanken hatte Glaß gegeben, der einmal ausführlich von seinem nächtlichen Streifzug durch das östliche Berlin berichtete. Zuerst hatte Kreß müde abgewinkt, aber dann kam ihm die Erleuchtung. Er ließ sich Glaß noch einmal kommen und seine Ideen entwickeln. Glaß hatte viele Ideen, und als er nun um Vorschläge befragt wurde, sagte er:
»Deutschland ist groß und gewaltig, Kreß, und was wissen wir von Berlin? Berlin bei Nacht im dunkeln Osten! Dort lebt das Volk! Wie lebt aber das Volk? Das müßten wir einmal schildern, Daniel, Deutschland muß ja noch einmal entdeckt werden! Vierundsechzig Millionen! Und das sind vierundsechzig Millionen Schicksale! Jedes Schicksal, wenn man es recht betrachtete, rollt wie eine Kugel aus dem Dunkel ins Licht und wieder in das Dunkel zurück. Fangen wir bei Berlin an! Drehen wir einen grandiosen Film über Berlin, Kreß!«
»Den gibt es ja schon,« meinte Kreß, »den von Ruttmann. Ich bitte um konkrete Vorschläge, lieber Freund. Greif eine Kugel heraus!«
»Gut. Ich greife. Ruttmann hin, Ruttmann her, mir schwebt so etwas wie »Dokument von Berlin« vor. Eine grandiose Sache. Das Volk. Wie lebt das Volk? Wovon träumt das Volk.«
»Wir hatten im vorigen Jahr »Das Dokument von Schanghai« von den Russen. Die Idee ist nicht neu. Strenge dich an, Meister, andre Bilder!«
»Andre Bilder. Gut. Mein Vorschlag ist, einen Film zu machen: Der Bahnhof. Was kommt auf einem Bahnhof alles zusammen! Die ganze Welt trifft sich da. Nehmen wir einen östlichen Bahnhof in Berlin. Zeigen wir die Bewegung der Landschaften, der Völker. Zeigen wir die Straßen um diesen Bahnhof. Die Oberwelt. Die Unterwelt. Lassen wir einen Provinzonkel auftauchen. Er will sich den Nachtbetrieb ansehen. Rollen wir die Geschichte einer Nacht auf. Der Mann fällt unter die Räuber und wird durch ein kleines Mädchen gerettet.«
»Ausgeschlossen,« sagte Kreß mürrisch, »das können wir nicht zeigen. Dieser Film wird uns von der Zensur so zerschnitten, daß wir einpacken können. Denke nach, Meister. Wir brauchen eine ganz ausgefallene Sache.«
»Ich denke nach,« antwortete Glaß und versank in sich. Dann fuhr er auf und sagte triumphierend: »Ich hab's, wir machen einen Film: Die Perlenkette!«
»Was ist das?« fragte Kreß mißtrauisch.
»Eine ausgefallene, aber ausgezeichnete Geschichte,« erwiderte Glaß. »Zuerst ein Querschnitt durch ein Hinterhaus. Da haben wir viele Schicksale. Das ist aber nur der schwarze Hintergrund, vor dem sich eine rührende Liebesgeschichte abspielt. Höre zu, Daniel!« Und dann erzählte er die Geschichte von dem kleinen Chinesen, der sich in die blonde Berlinerin verliebte, von ihr abgewiesen wurde und ins Gefängnis kam. Und als er dann frei kam, war sein erstes, der weißen, schönhäutigen, kühlen und bösen Frau eine Perlenkette zu schenken.
China war modern. Die Revolution hatte es in den Blickpunkt des Weltinteresses gerückt. Die kühle und schöne Frau würde eine Bombenrolle für Marianne Hull sein. Als Glaß endete, sagte er:
»Die Idee ist gut. Schreibe sofort ein Exposé. Aber mehr als zwohundert Mille darf die Perlenkette nicht verschlingen.«
»Wir werden bescheiden sein, aber ich sehe nicht viel Möglichkeit, in der Perlenkette eine große Rolle für unsern Freund Lyssander zu schaffen.«
»Ich werde mit Lyssander sprechen,« murrte Daniel. »Mit Lemansky schweben Verhandlungen wegen einer anderen Sache. Lemansky nimmt Lyssander mit Kußhand!«
»Ist Lyssander nicht an der »Lux« beteiligt?«
»Wir haben Verträge,« sagte Kreß gleichgültig, »aber Verträge kann man ja lösen.«
»Lieber Kreß, wir kennen uns schon dreißig Jahre. Das ist eine lange Zeit. Dreißig Jahre, Kreß! Darf ich dir einen guten Rat geben?«
»Bitte.«
»Daniel, laß die alten Verträge. So eine Kanone wie Lyssander bekommst du nicht wieder. Ich weiß,« fuhr er verlegen fort, »ich weiß, dich interessiert die kleine Hull, und darum willst du Lyssander abschieben und glaubst du, er ließe sich einfach so glatt erledigen?«
»Das will ich eben ausprobieren, Bernhard,« sagte Kreß. »Ich denke, die Hull hat kein Herz im Leibe,« fuhr er fort, »ich weiß, sie hat sich einfach an Lyssander verkauft. Sie geht zu dem Manne, der das meiste Geld hat.«
»Nein, sie geht nicht zu dem Manne, der das meiste Geld hat, Dan,« ereiferte sich Glaß, »ich kenne die Hull vom ersten Tag an, sie war eines der kleinen Mädchen, eines der armen Dinger, denen nur ein Weg zur Höhe übriggeblieben ist. Und jetzt ist sie oben auf der Höhe. Und wenn sie einmal von Lyssander geht, geht sie nicht zu einem alten Mann, Dan, geht sie nicht zu dir oder zu mir, sie geht zur Jugend, wo sie hingehört. Ich habe das Gefühl, Daniel, daß sie schon jetzt manchmal über uns lacht, ich habe das Gefühl, sie benutzt uns nur und läßt uns einmal lachend und herzlos fallen. Eben weil sie ein Herz hat. Dann Adieu, schöne Hull!«
»Du hast wie ein Rabbi gesprochen, Bernhard. Du siehst Gespenster. Ich sehe da viel viel klarer. Mit Geld kann man alles machen,« antwortete Kreß. »Und jetzt laß mich allein. In einer Stunde kommt Lyssander.«
Kreß war mürrisch, aber klug genug, seinen Groll zu unterdrücken. Die beiden Männer besprachen die Idee des neuen Films. Lyssander fand die Geschichte mit der Perlenkette ausgezeichnet.
»Das kann ein Schlager werden, Kreß,« sagte er und übersah dabei, daß eigentlich für ihn, den Frauenliebling, keine tragende Rolle in dem Spiele war, aber er dachte nicht an sich, er dachte an Marianne und sah große Möglichkeiten für sie. In vierzehn Tagen sollte mit den Aufnahmen schon begonnen werden.
»Ja, und was ich noch sagen wollte, Lyssander,« bemerkte Kreß am Ende der Unterhaltung. »Wir führen seit einiger Zeit mit Lemansky Verhandlungen wegen einer Interessengemeinschaft. Sie sind davon unterrichtet. Haben Sie was dagegen, im nächsten Film bei Lemansky ganz groß herauszukommen? Es soll eine ganz unerhörte Sache werden.«
Lyssander stutzte.
»Ich denke, wir drehen die Perlenkette? Soll dabei auch schon Lemansky beteiligt sein?«
»Nein, die macht die »Lux«, die machen wir. Aber ich sehe im Augenblick keine Möglichkeit, Sie in diesem Film groß herauszubringen. Da haben wir den Chinesen und die Hull. Das sind die beiden Hauptrollen.«
»Ausgeschlossen, lieber Kreß, zu Lemansky gehe ich nicht. Ich bin ja schon ganz groß und unerhört herausgekommen. Deshalb haben wir ja unsern Laden aufgemacht. Gefällt Ihnen mein Gesicht nicht mehr?«
»Aber Freund,« wehrte Kreß mit beschwingten Gesten ab, »aber lieber Freund, davon kann ja gar keine Rede sein! Wir haben so viele Jahre immer im besten Einvernehmen miteinander gearbeitet. Stimmt's oder stimmt's nicht? Sie nicken mit dem Kopf. Gut. Sie haben in den ganzen Jahren immer ihren Willen durchgesetzt, und wenn ich nun einmal einen Vorschlag mache, lehnen Sie ab. Das ist nicht recht von Ihnen, Lyssander,« schloß er weinerlich.
»Lieber Kreß, hören Sie gut zu,« sagte Lyssander, »zu Lemansky gehe ich nicht allein. Ich bin bereit, dort einen Film zu machen, aber nur mit Marianne Hull als Partnerin. Nur mit der Hull! Soll ich vielleicht einen Schmarren mit der King zusammen spielen?«
Kreß hob beschwörend die Hände.
»Ich habe kein Wort von Dolora gesagt, obwohl sie sich in den letzten Filmen ganz gut macht. Sie können spielen, mit wem sie wollen. Aber die Hull spielt doch unterdes in der Perlenkette! Nehmen Sie Vernunft an, seien Sie nicht ein Narr, Herr Lyssander!«
Lyssander war kein Narr und versprach, sich die Sache zu überlegen.
Er erbat sich zehn Tage Bedenkzeit.
Kreß sagte ohne weiteres Ja.
Diese Unterhaltung ging am selben Tage, als Flora bei Marianne saß, weinte, den Kampf aufgab und nach dem Bodensee zu ihrem Maler reiste.
Als Lyssander in seine Wohnung kam, fand er Glaß vor. Der alte Schauspieler war aufgeregt. Natürlich wußte er schon, wie es gemacht wird, wenn ein Mann einem anderen Mann die Freundin ausspannt, aber jetzt revoltierte sein Gefühl dagegen. Auch er war in die kleine Hull verliebt. Er wollte nicht, daß sie in die harten Hände von Daniel Kreß falle. Dann sollte sie schon lieber bei Lyssander bleiben.
»Was für Botschaften bringt der Meister?« fragte Lyssander.
»Lyssander, verhülle dein Haupt,« antwortete Glaß und erzählte dann leise und stockend von den Anschlägen, die Daniel Kreß plante.
Lyssander pfiff durch die Zähne.
Jetzt sah er vollkommen klar.
»Ich danke Ihnen, Glaß,« sagte er. »Um eins bitte ich: sagen Sie zu Marianne kein Wort. Das ist eine Männersache, lieber Freund. Sie erfährt es noch früh genug.«
»Ich werde still sein wie das Schweigen im Walde und werde mich dann über das Echo freuen,« antwortete Glaß. »Und ein Echo wird wohl kommen, wenn geholzt wird, Lyssander!«
»Und Späne werden fliegen, Glaß!«
Sie schüttelten sich die Hände.
Am nächsten Tag reiste Lyssander mit Marianne nach Paris.
Er hatte ihr kein Wort von den Anschlägen erzählt.
Nur den neuen Film hatte er erwähnt und die große Möglichkeit, in der Perlenkette einen ganz anderen Typ hinzustellen, nicht mehr die hilfslose Schönheit, sondern die kühle, kluge Frau. Marianne sah sich schon als herzlose Berlinerin, die über die Liebe eines gelben Mannes lächelnd höhnt, ihn der Polizei ausliefert und grenzenlos verachtet.
Von der plötzlichen Reise erfuhr Kreß erst am kommenden Tag.
Er war wütend.
Diese Reise hatte ihn vollkommen überrascht.
Lyssander hatte seine Pariser Hoteladresse angegeben und erbat sich das Exposé des Films: Die Perlenkette.
An einem der Tage saß Kreß mit Lemansky zusammen und schmiedete ein Komplott. Lemansky war durch Dolora aufgestachelt gegen Lyssander. Der neue Film sollte ihm das Genick brechen. Diese Bilder sollten keine Lichtbilder des berühmten Schauspielers und Herzensbrechers sein. Die kleinen Mädchen sollten nicht mehr von ihm träumen, die jungen Frauen nicht mehr von ihm schwärmen. Der neue Film sollte so schlecht geschnitten, so schlecht photographiert und ausgestattet sein, daß auch die Presse Partei gegen Lyssander ergreifen mußte.
Kreß versprach, die ganze Geschichte zu finanzieren.
Dann hatte er Verhandlungen mit den Gewerkschaften und mit der Arbeiterpartei. Er rechnete ihnen den psychologischen Einfluß der Russenfilme vor und erbot sich, eine Serie deutscher sozialer Filme zu drehen, kurze, dreihundertmeterlange Bildstreifen, die in wenigen Minuten Einblick in die deutsche Bewegung ergaben. Dramatische Ausschnitte aus der Geschichte sollten es sein, interessante Episoden, gewaltsame Höhepunkte, die auch in den großen Kinos als Beiprogramm gern genommen wurden.
Die Gewerkschaften zögerten.
Die Partei bestellte einen Film.
Dieser Film wurde in zehn Tagen zusammengedreht und war, als er dann aufgeführt wurde, ein Mißerfolg. Der ahnungslose Regisseur hatte die ganze Sache als honigsüße Spielerei aufgezogen.
Das Drehbuch von der Perlenkette war fertig.
Der Film sollte zweihunderttausend Mark kosten.
An den Dekorationen wurde schon gebaut.
Die Fassaden eines Berliner Hinterhofes standen da, der dunkle Treppenaufgang eines Hauses, eine chinesische Spelunke und ein Berliner Zimmer. Das Drehbuch war in der Abschrift nach Paris an Marianne geschickt worden, die Schauspieler waren engagiert. Den Chinesen spielte Mister Li, ein bekannter Darsteller aus London.
Marianne und Lyssander stürzten sich in den gleißenden Strudel der Stadt Paris. Die Tage gingen pfeilgeschwind dahin, die Nächte rasten. Mit Lola Lopez und Mister Guerra, der ein sehr friedlicher Herr war und seinen kriegerischen Namen gar nicht verdiente, schwärmten die beiden durch die Stadt. Sie besahen sich nicht nur Versailles und ein Sechstagerennen, sie besahen sich auch einige Revuen und Nachtlokale, und Lyssander fand immer noch Zeit, einen Gegenschlag gegen Daniel Kreß vorzubereiten.
Er verhandelte mit den Franzosen über die Gründung einer eigenen Gesellschaft, die sich auf Marianne und auf dem zierlichen Star aufbauen sollte, der damals in Deutschland filmte. Lyssander fühlte, daß er als Schauspieler den Höhepunkt überschritten hatte. Er wollte die Lasten eines Direktors übernehmen. Die Franzosen versprachen auch, einen ihrer jungen und begabtesten Regisseure zur Verfügung zu stellen.
Lyssander weihte auch Lola Lopez in die neuen Pläne ein.
Er fand ein williges Ohr.
Die Argentinierin war kein flatterhaftes Geschöpf, wie es erst schien, sie wurde plötzlich sehr kühl und sehr ernst und versprach dann, sich mit einer größeren Summe zu beteiligen.
»Vielleicht filmen ich auch mit, Mister Lyssander,« sagte sie. »Ich haben schon große Lust. Aber bei unsre Gesellschaft müssen bezahlt werden die Extraspringer extra gut. Ich werde kommen im Frühling nach Berlin. Wir wollen machen eine Film, der soll nichts sein als ein grandioses Gelach. Es sein viel zu viel Kummer und Traurigkeit in die Welt. Zu viel Elend... Aber,« fuhr sie fort, »warum sollen ich nichts sagen Miß Hull von die Plan?«
»Ich muß mich erst mit Mister Kreß auseinandersetzen. Das wird laut hergehen. Und wenn wir uns auseinandergesetzt haben, soll Marianne selber entscheiden. Jetzt können und dürfen wir sie in den Kampf der Männer nicht hineinreißen.«
»So lieben Sie Marianne sehr, Lyssander?«
»Ja, sehr, mehr als mich selbst.«
»Schicken Sie eine Kabel,« sagte Lola energisch. »Machen Sie eine ganz genaue Kalkulation. Ich lieben zu gehen mit offenen Augen in ein neues Geschäft.« Dann seufzte sie ein wenig. Sie wiederholte: »Sie lieben Marianne sehr? O, das sein sehr schön und gut... Mister Guerra sein eine viel zu zarte Boy für mich.«
Den Seufzer überhörte Lyssander.
Er versprach, genaue Kalkulation zu schicken, wenn sich die Geschichte geklärt habe. Er machte Lola mit der französischen Filmschauspielerin bekannt, und nach einer heiteren Nacht, in der sich Deutschland mit Frankreich verbrüderte und von Argentinien gesegnet wurde, reiste Lyssander mit Marianne im Flugzeug nach Berlin zurück.
Von Daniel Kreß war ein Korb Rosen für Marianne abgegeben worden.
»Wie schön!« rief Marianne. »Wie lieb von Herrn Kreß, daß er uns so in Deutschland begrüßt!«
»Uns?« fragte Lyssander, »dich begrüßt er, Liebling, nur dich.«
Sein Gesicht verfinsterte sich.
Marianne lief auf ihn zu und lachte.
»Bist du eifersüchtig auf den alten Mann, Eugen?« fragte sie und umarmte ihn. »Laß ihm doch die Freude! Er ist wie ein Vater um mich besorgt.«
Lyssander behielt sich in der Gewalt und verriet kein Wort von den Plänen des väterlichen Herrn Kreß. Er lächelte sein berühmtes Lächeln. Zum erstenmal hatte sie ihn mit seinem Vornamen gerufen. Er nahm das als gutes Zeichen für den bevorstehenden Kampf.
Am nächsten Morgen brachte Lyssander seine Freundin nach Staaken hinaus.
Sie wurden von Kreß begrüßt, als sei nichts geschehen.
»Da sind ja unsere Weltreisenden wieder,« sagte er jovial und schüttelte Lyssander und küßte Marianne die Hand. »Wie hat Ihnen Paris gefallen, schöne Marianne? Sie waren zum erstenmal dort?«
»Eine wundervolle Stadt,« antwortete sie. »Paris war herrlich. Und ich danke schön für die Rosen.« Dabei machte sie einen Kleinmädchenknicks. Kreß wurde verlegen.
Glaß griente.
»Was macht unsere Freundin Lola Lopez?« »Ihr geht es gut. Ausgezeichnet. Sie läßt alle schön grüßen. Und Mister Guerra natürlich auch. Sie haben wahnsinnig viel Bekannte in Paris, und Lola kommt vielleicht im Frühling wieder nach Berlin.«
Der chinesische Schauspieler Li trat aus der Dekoration.
Als er Marianne und Lyssander sah, stutzte er und verzog das Gesicht. Er war schon zwei Monate in Berlin. Seinen Urlaub hatte er dazu benutzt, die deutschen Verhältnisse zu studieren. Durch gute Empfehlung kam er in Berlin in die Loge als Diener. Er erkannte Marianne und Lyssander sofort. Als der Urlaub abgelaufen war, verschwand er auf leisen Sohlen aus der Pension, reiste nach London zurück und war wieder der gelbe Star Mister Li.
Kreß machte die Herrschaften mit dem Chinesen bekannt.
»Das ist Mister Li, der Held in unserm Film: Die Perlenkette. Wir beginnen noch diese Woche mit der Aufnahme. Unser Freund Glaß ist so liebenswürdig, mit Fräulein Hull das Manuskript durchzusehen. Herr Lyssander, darf ich bitten? Wir haben viele Dinge zu besprechen.«
Lyssander nickte.
»In einer Stunde treffen wir uns in der Künstlerklause, Madonna!« sagte er lächelnd zu Marianne.
Kreß war schweigsam und verdrossen und sprach kein Wort, bis sie das Bureau erreicht hatten. Dort setzte er sich schwerfällig in einen Ledersessel, zündete sich eine Zigarre an, seufzte und fragte dann rasch:
»Haben Sie sich meine Vorschläge überlegt, Lyssander?«
»Ja.«
»Und?«
»Nein!«
Kreß verlor die Ruhe.
»Wollen Sie sich nicht ein bißchen ausführlicher ausdrücken, lieber Freund?« fragte er. »Ja und Nein, das ist reichlich unklar. Was haben Sie gegen meinen Vorschlag? Herrgott, das ist doch alles so einfach! Sie gehen vier Wochen zu Lemansky und machen dort einen Film. Wir drehen in der Zeit »Die Perlenkette« und uns beiden ist geholfen. Ich habe mit Lemansky so gut wie abgemacht, daß er Sie im nächsten Film haben kann.«
»Lieber Kreß,« antwortete Lyssander ganz langsam und betont, »lieber Kreß, ich bedaure, daß Sie schon mit Lemansky abgeschlossen haben. Aber ich mache nicht mit. Ich berufe mich auf meinen Vertrag mit der »Lux«. Ich muß bei meinem Vertrag bleiben. Ich lasse mich nicht in eine Firma drängen, über die ich keine Kontrolle habe. Wenn Sie wollen, können wir ja unsern Vertrag lösen. Ziffer 4 b besagt, daß der Partner, der vor der Zeit kündigt, das eingelegte Kapital und 20 000 Mark Konventionalstrafe innerhalb dreier Tage bei der Deutschen Bank hinterlegen muß. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Verdammt klar und einfach, Lyssander!« antwortete Kreß und sprang auf: »Sie wollen also den Vertrag vor der Zeit kündigen?«
»Ich vor der Zeit kündigen? Behüte, Sie wollen ja kündigen, lieber Kreß!«
»Unsinn. Ich bin doch kein Narr... Also gut,« schnaufte er. »Lassen wir die Sache mit Lemansky fallen. Aber ich sehe keine Möglichkeit, Sie in der Perlenkette groß herauszubringen.«
»Schaffen wir die Möglichkeit! Ich habe in Paris das Drehbuch studiert. Ich sehe eine Möglichkeit. Ich übernehme die Rolle des Mannes von der kleinen Hull!« sagte er voller Hohn.
»Sie sind ein Teufel,« ächzte Kreß. »Wir müssen also die Besetzung wieder umschmeißen. Wir hatten für den Mann schon den Petrojitsch engagiert. Jetzt müssen wir den Vertrag ungültig machen. Das ist ja eine schöne Geschichte!«
»Das tut mir furchtbar leid, lieber Freund, aber das hätten Sie vorher überlegen müssen.«
Kreß gab sich geschlagen.
»Ich hoffe,« sagte er, »die ganze Unterhaltung bleibt unter uns Männern. Ich bin gegen den Filmklatsch. Meinungsverschiedenheiten müssen sein, aber wir haben uns geeinigt und bleiben die alten Freunde. Abgemacht, Lyssander?« – »Abgemacht, Kreß!«
»Gehen wir zu Glaß,« sagte Kreß seufzend. »Also Sie wollen die Rolle des Mannes haben?«
»Ja, aber diese Rolle muß erweitert werden, Kreß. Der Mann einer Frau, in die sich ein oller Chinese verliebt, darf keine kleine Rolle spielen. Er darf kein schöner Trottel sein. Ich werde ihn schon auf die Beine stellen und menschlich machen.«
»Sie haben freie Hand!« antwortete Kreß.
Er war ruhig, aber er hatte den Kampf noch lange nicht aufgegeben.
In der Künstlerklause trafen sie Marianne und Glaß. Auch der Chinese saß an dem kleinen Tisch und lächelte höflich. Er verstand nur englisch. Kreß verwickelte ihn in ein Fachgespräch und Lyssander lud Glaß für den Abend nach dem Reichskanzlerplatz ein.
Er sollte auch Bencke mitbringen. An diesem Abend sollte das Drehbuch noch einmal durchgesprochen und vor allen Dingen die Rolle des Mannes erweitert werden. Glaß machte Eulenaugen, als er das hörte und lachte innerlich. Marianne nahm es als gegeben und selbstverständlich hin, daß Lyssander in dem neuen Film eine tragende Rolle spielt. Am Abend erschienen die Gäste.
Glaß war guter Laune und erzählte viele Anekdoten vom Theater, von seiner Wanderschmierenzeit und von der alten Bekanntschaft mit Daniel Kreß, der damals noch anders hieß. Die kleine Gesellschaft kam aus dem Lachen nicht heraus. Der Regen klatschte an die Scheiben. Also rückten die Menschen näher zusammen. Glaß schwenkte dann eine amerikanische Filmzeitung und begann mit einer Rede.
»Wir haben unsere eigenen Gesetze, Herrschaften,« rief er, »wir Leute vom Theater und vom Film. Wir machen dem Volke den Traum vor. Wir zeigen, wie Liebe und wie Haß sein sollen. Und nun hat sich ein amerikanischer Kritiker des armen Publikums erbarmt und zehn Gebote für das zahlende Volk geschrieben! Hört die neuen Tafeln der neuen Gesetze!«
Er machte eine Kunstpause und las dann pathetisch vor:
»Gebot eins: Wenn du in einem Film lachen mußt, o Volk, dann lache so laut, daß alle Leute wissen, daß dir der Film Spaß macht. Schlage heftig mit den Händen auf die Knie und brülle: »Großartig! Wundervoll! Fabelhaft!«'
Gebot zwei: Bei Naturaufnahmen versäume niemals, den neben dir Sitzenden zu erzählen, daß du die Gegend auf der Leinwand gut kennst, damit jeder sieht, daß du nicht nur ein weitgereister und wohlhabender, sondern auch ein gebildeter Mann bist!
Zum dritten: Wenn du den Inhalt eines Filmes schon aus einem Roman kennst, dann flüstere deinem Nachbar immer zu, was in der kommenden Szene zu sehen ist. Du hast keine Ahnung, wie dankbar er dir ist!
Vorschrift Nummer vier: Den Text mußt du stets laut lesen. Es könnte ja sein, daß Analphabeten im Saale sind, die nicht lesen können!
Fünftens: Kümmere dich nicht um die Musik. Sei so laut, daß du die Musik überdröhnst. Sei immer Mittelpunkt!
1 Gebot sechs: Wenn du deinen Platz eingenommen hast, lieber Freund, kannst du ruhig wieder aufstehen und deinen Überzieher ausziehen. Oder du kannst auch deinen Hut aufbehalten. Die hinter dir Sitzenden werden erfreut sein, wenn sie für einige Augenblicke oder in der Hauptsache von den Vorgängen auf der Leinwand nichts sehen.
Ratschlag Nummer sieben: Du mußt kritisch sein! Stelle dich als Fachmann vor! Schimpfe auch über solche Filme, die dir gefallen! Du hast gar keine Ahnung, wie hoch du in der Achtung deiner Mitmenschen steigst!
Achtens: Die beste Zeit fürs Kino ist der Frühling oder der Herbst, die Zeit also, wenn du erkältest bist. Huste dich mal ruhig aus, das tut gut und gibt Abwechslung in dem öden Filmallerlei.
Zum neunten: Sei rücksichtslos! Benimm dich im Kino immer so, als ob du zu Hause wärst, mein Junge!
Und zum Schluß, zum zehnten: Geniere dich nicht. Du bist ein Mensch, die Krone der Schöpfung. Zeige das aller Welt. Du hast deinen Eintritt bezahlt. Die Leute auf der Leinwand leben von deinem Geld. Und weil sie es nicht merken, zeige es wenigstens den anderen Gästen des Kinos, zeige es immer, und auch dann, wenn du ein Freibillet hast!«
Diese freie Übersetzung wurde manchmal von lautem Gelächter begleitet.
Aber Glaß blieb ernst dabei.
»Die Amerikaner!« sagte Bencke. »Diese Jungens verstehen die Welt. Sie werden das Rennen machen.«
»Sie haben es schon gemacht, Alfred,« antwortete Glaß. »Wir humpeln hinter ihnen her. Aber letzten Endes kommt es im Leben gar nicht auf das Wettrennen an. Es kommt auf das Leben an. Auf das Ziel des Lebens. Auf den Sinn.«
»Was ist der Sinn? Was ist das Ziel des Lebens?« fragte Marianne.
»Schöne Marianne, wer das wüßte! Nur das weiß ich, das Geld und die Jagd nach dem Gelde ist nicht Ziel und Sinn des Lebens,« sagte Glaß.
Dann zogen sich Lyssander und der alte Schauspieler in das Rauchzimmer zurück. Sie besprachen zuerst die Erweiterung der Rolle des Mannes und waren sich bald einig. Lyssander erzählte dann doch von seiner Unterredung mit Daniel Kreß.
Glaß wußte von dem Plane, Lyssander bei Lemansky den Hals zu brechen und freute sich, daß alle Angriffe abgeschlagen waren. Er staunte über Lyssanders Klugheit. Und als er von den Pariser Verhandlungen hörte, sagte er schnell:
»Auf einen Schelm einen anderthalben, Lyssander! Ich mache mit, wenn es soweit ist. Daniel war ein alter Bekannter von mir, manchmal mein Freund, aber nun geht er Irrwege. Er glaubt, er könne mit seinem Geld alles kaufen. Passen Sie auf die schöne Marianne auf, Lyssander, Kreß ist listig und verschlagen. Soviel ich ihn kenne, hat er seine Pläne noch nicht aufgegeben.«
»Ich passe schon auf. Ich passe höllisch auf, Meister! Und Sie sind willkommen. Was machen wir mit Bencke?«
»Mit Alfred werde ich reden, wenn es soweit ist.«
In den nächsten Tagen begannen die Aufnahmen zu dem Film »Die Perlenkette.« Herr Gramp war zu seiner Firma zurückgegangen. Lemansky wütete, weil er Lyssander nicht bekam, aber er gönnte Kreß den Reinfall. Die Geschichte von dem Zerwürfnis hatte schon die Runde durch die Ateliers gemacht.
In der Perlenkette spielte auch Gritt Eisemann.
Sie brauchte nicht mehr zur Börse gehen. Sie war ein beliebter Extra geworden und wurde jetzt schon von den Firmen telephonisch verpflichtet. Sie hatte sich gemacht, die kleine Gritt und entwickelte sich schnell zu jenem amerikanischen Typ, der schön und kalt ist und Herrschaft über die Männer gewinnt. Wenn sie Marianne traf, sagte sie nicht mehr »Gnädige Frau« zu ihr, sie sagte: »Liebe Marianne« und tat gleichberechtigt.
Dolora filmte immer noch bei Lemansky. Die Lampen gleißten. Die Regisseure brüllten.
Daniel Kreß sah elend aus.
Seine schwermütigen Augen lagen tief in dem aufgeschwemmten Gesicht. Er war fast immer bei den Aufnahmen zu der Perlenkette anwesend und vernachlässigte das andere Geschäft. Er starrte verzückt in das Spiel der Marianne Hull und war glücklich, wenn sie ihm zulächelte. Und eines Tages, Lyssander hatte spielfrei, bat er sie in das Kontor.
»Marianne,« sagte er väterlich, »liebes Fräulein Hull, wie gefällt Ihnen die Perlenkette?«
»O,« antwortete sie. »Der Film ist gut. Mister Li spielt ausgezeichnet. Ich habe eigentlich Mitleid mit dem kleinen Chinamann und muß doch kalt und hartherzig sein.«
»Marianne,« sagte er dann und stand schwerfällig auf. »Marianne, wenn Ihnen die Perlenkette gefällt, darf ich mir erlauben, Ihnen eine richtige Perlenkette zu schenken?«
Sie wurde verwirrt.
»Eine Perlenkette?«
»Das ist ja wie ein Film, Herr Kreß! Das ist ja wie der Film, den wir spielen! Eine Perlenkette!«
»Liebe Marianne, liebe, liebe Marianne, mit dem Chinesen haben Sie Mitleid, und von mir wollen Sie das kleine Geschenk nicht annehmen?«
Er stand vor ihr und blickte sie verzehrend an.
Sie hatte Angst vor ihm.
»Nein, nein!« sagte sie schnell und atemlos. »Nein, nein, das kann und darf ich nicht annehmen!«
»Kindchen, ich bin ein alter Mann und brauche ein wenig Freundschaft und Wärme. Es ist sehr einsam um mich. Machen Sie mir die Freude und nehmen Sie das kleine Geschenk an,« sagte er leise. Dann holte er ein flaches Kästchen aus der Tasche und öffnete es. Auf veilchenblauem Samt schimmerte eine Perlenkette.
»Herr Kreß, ich kann die Kette nicht annehmen!« sagte sie und trat einen Schritt zurück.
»Warum nicht?« flüsterte er.
»Das wissen Sie ja, ich bin schon gebunden.«
»Marianne, schöne Marianne, ich will ja nichts als Freundschaft!« begann er wieder und kam näher. »Freundschaft will ich. Geben Sie mir einen Kuß, Marianne, und die Kette gehört Ihnen. Ich will ja nichts als nur einen einzigen Kuß, Marianne!«
Er legte eine Hand um ihre Hüfte.
»Lassen Sie mich los, Herr Kreß, oder ich schreie!«
Aber Kreß ließ nicht los.
Er drängte sie in eine Ecke, das Blut schlug über ihm donnernd zusammen, die Welt vereinfachte sich und verschmolz in Marianne Hüll. Er umarmte die Welt, er umarmte Marianne und wollte sie küssen. Die Perlenkette fiel dabei auf den Boden, löste sich auf und verrollte im Zimmer. Marianne wehrte sich.
Daniel Kreß keuchte.
»Einen Kuß, einen Kuß, Marianne, nur einen Kuß,« bettelte er und wimmerte. »Nur einen Kuß, schöne Marianne. Ich bin reich, ich habe Geld, ich habe viel Geld, ich werde Sie machen glücklich, ich werde Sie machen reich, ich werde legen alle Schätze der Welt vor Ihnen hin, es wird sein Freude und Wohlleben um Sie, einen Kuß, geben Sie mir einen Kuß, Marianne!«
»Nein, nein!« schrie sie. »Nein, nein, lassen Sie mich los, Herr Kreß, ich will nicht! Ich will nicht!«
»Warum wollen Sie nicht? Ich bin ein alter Mann, Marianne, das weiß ich, aber ich habe ein Herz, ich habe ein gutes Herz, ich habe ein dankbares Herz!« schrie er haltlos und versuchte, das Mädchen zu küssen.
»Nein, nein,« schrie sie. »Ich will nicht! Ich will nicht!«
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Lyssander stürzte ins Zimmer.
Er war nach dem Atelier gekommen, um Marianne abzuholen. Mister Li hatte ihm lächelnd erzählt, daß sie bei Kreß sei. Und nun sah er sie bei Kreß und hörte ihr Geschrei. Mit einem Satz war er bei dem besinnungslosen und mehr lächerlichen als schrecklichen Mann und stieß ihn zurück.
Marianne fiel weinend und kraftlos in Lyssanders Arme.
Er führte sie behutsam aus dem Zimmer.
Dann kam er zurück und schlug Kreß zweimal mit der Faust in das aufgeschwemmte Gesicht.
»Ich bin der Mann in der Perlenkette!« sagte er voller Hohn. »Sie haben verspielt und verloren, Daniel Kreß!«