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Wie er sie hielt

Ein Professor der Liebe hätte aber nun etwa so weiter zu erzählen:

»Bei einem jener seltenen und entsetzlichen Fälle von Leidenschaft, in denen die Anziehungskraft zweier Polaritäten sich gewitterähnlich entladen muß, bei solch einem Ineinanderbrechen zweier Menschenkörper also, die einander mit grauenhafter Unbedingtheit verlangen, da ist – erfahrungsgemäß – immer die erste Erfüllung die geringste, die kleinste und enttäuschendste, so wie der erste Blitzschlag nie der heftigste ist.«

Nun, wahr ist das schon: Oft sogar sind Liebesleute voll Enttäuschung auseinandergegangen, sind aber dann an der Trennung gestorben, weil sie nicht im ersten Ineinanderstürzen starben oder wahnsinnig wurden vor Glück, – wie sie erwartet hatten.

Weil die großen Leidenschaften, wie die großen Kaiserreiche von ihren Prätendenten, oft ein Menschenalter lang vergeblich erfiebert, erwartet und bereitet sein wollen, deshalb waren jetzt jene beiden, die Anfang und Ende gar zu schnell zusammen haben wollten, etwas enttäuscht.

Beide waren verlegen, daß es ihnen bald nach dem Worte erging: »Schlafe, was willst du mehr?«

Am andern Morgen kam der Papa Grete holen. Sehr schweigsam.

Grete ging, Hebedich gab sie heraus. Beide waren innerlich verletzt; der Oberleutnant, daß sie zu gehen vermochte; sie, daß er nicht Papa und sie selber ermordete, ehe er sie losließ.

Aber keines sagte bei der Auslieferung ein Wort. Grete war blaß, aber stolz und aufrecht, Hebedich war ungemein förmlich, ja steif. Der Vater schien bis in die Augen hinein gefroren. In seinem Innern aber dachte er: »Redet keins, so wird es auch für mich das Beste und Schicklichste sein, vorderhand nichts zu sagen. Vielleicht auch fürchten sie sich vor dem, der ihnen so wortlos droht. Schweigen ist Gold.«

Was er ihnen drohen sollte, das wußte er freilich selber nicht. Er hatte jetzt bloß eine Sorge: Der Oberleutnant könnte sich mit dem Erreichten zufrieden geben und nicht mehr um Grete anhalten. Und der Reservebräutigam könnte sich bedanken und nicht mehr reflektieren.

Es war für ihn beinahe eine Erleichterung, als er Grete in den nächsten Tagen Besuche über Besuche machen wußte. Er hatte gefürchtet, sie würde sich verkriechen und sehr viel und still weinen.

Aber das aufrechte Mädel handelte gleich nach zwei Richtungen hin. Fürs erste war es ihr eine Erregung, ihre christlichen Bekannten mit dem Entschluß zu überraschen, daß sie übertreten wolle, wie sie die Taufe nannte. Sie fragte bei den ersten Familien nach einem berühmten Lehrer und Unterweiser in den katholischen Geheimnissen. Und getauft wollte sie, womöglich, vom Fürsterzbischof in Person werden! Das gab ihr wieder Leben. Sie war glücklich. Sie wurde verhätschelt und umworben, und sie war voll Ergriffenheit, voll Eifer und auch schon halb voll Glaube.

Dann war das zweite, und das ging gleich bei der nämlichen Gesellschaft durchzusetzen, die ihr den Übertritt zur katholischen Kirche so festlich und schön als möglich bereiten wollte. Sie erkundete nämlich bei all' ihren Bekannten: bei denen von Adel, bei den Hofgeneralen, und dann bei allen vornehmen und einflußreichen Generalstäblern, wer wohl die tatkräftigsten Feinde und Gegner jenes Generals der Kavallerie sein möchten, der ihren Christoph bei der Prüfung zu Fall gebracht hatte.

»Aber er ist ja nun doch gefallen; da gibt es nichts mehr,« wehrte ihr Vater, dem sie einen neuen Plan entwickelte, müde ab.

»Alles gibts,« sagte sie.

»Aber es geht nicht.«

»Alles geht. Christoph ist sachlich gewesen als Soldat. Nun? Ich werde sachlich sein als Frau. Er weiß, wie man im Felde siegt. Ich weiß, wie man im Leben siegt. Er weiß, wie man sich opfert. Ich weiß, wie man dem Opfer ausweicht. Und wie's gemacht wird. Jetzt hab ich folgendes: einen Weg in den Salon des Kriegsministers; einen zu einer Dame, die dem Chef des Generalstabs nahesteht; dann einen zum Herausgeber der Armeezeitung, der im richtigen Augenblick ein hübsches Feuilleton über die Prüfungsgeschichte veröffentlichen wird. Denn diese Geschichte soll berühmt werden. Ferner, viertens, – und jetzt paß auf! Sogar unser berühmter Schönpflug hat schon eine satanische Karrikatur nebst Witz; für die ›Muskete‹. All' das wird zu rechter Zeit losgelassen.«

»Der Chef der Militärkanzlei ist über den Kavalleristen ebenfalls empört. Sie halten ihn nur noch, weil kein Skandal entstanden ist. Na: Den Skandal liefere ich ihnen noch. Und weil ich Christin werde, helfen mir alle. Ah, Papa, warum bist du nicht längst übergetreten!«

»Warum hätt' ich sollen? Hätt' man mir den Adel dafür gegeben? Nein. – Und mein Geschäft?«

»Papa, du hast keine Ahnung, was für Schönheiten, was für entzückend morbide Geheimnisse hinter diesem Weihrauchduft verschleiert sind! Die katholische Kirche ist doch einzig! Sie ist beinahe so alt, wie unser Exil; aber wir sind häßlich und sie ist schön. Sie ist –«

»Geh du deinen ästhetischen Liebhabereien ungestört nach. Aber sei froh, daß ich als Jud' das Geld dazu verdien', was sie kosten.«

»Glaubst du denn, Papa, mir ist das eine bloße Spielerei?! Ist das, was ich da leiste, eine Spielerei? Ich habe Zutritt in die abgeschlossensten Fürstenhäuser; ich bin im Begriff, einen mächtigen General zu stürzen, der demselben Adel angehört, zu dem ich Zutritt habe. Und ich –«

»Und soviel Intelligenz; soviel gefährliche Intelligenz und Energie, – alles nur um einen Oberleutnant!«

»Er wird in einem Monat Hauptmann!«

»Nicht gerührt hat er sich mehr! Weißt du denn, ob er überhaupt noch kommt?!«

» Ob er kommen wird! Wenn nur wir uns nicht rühren! Du, ich weiß, daß er eine Heidenangst hat, weil wir nichts mehr sagen und weil ich ihm nicht schreibe. Die Kameraden kommen schon und gratulieren ihm zu mir. Er aber weiß nicht: will ich, oder bin ich degoutiert. Denk' dich in seine Lage hinein.«

»Er wird jetzt in Erinnerungen wühlen an deinen Besuch – ja,« sagte der Vater nachdenklich. »Du bist zu schön, und diese Erinnerungen werden ihn sehr brennen.«


Wirklich; Christoph war fassungslos; er verbrannte; er war verloren.

Am ersten Tage, als Grete von ihm fortgegangen war, stand in ihm nur der dumpfe Schreck, daß sie so leicht und ruhig mit dem Vater gegangen war.

Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß sie sich scheinbar fügsam gezeigt, um zuhause für sie beide zu arbeiten. Dann auch ließ ihn die erste Ernüchterung, daß der Genuß des irrsinnig ersehnten Mädchenkörpers nicht viel anders gewesen war, als jener, den ihm irgend ein Vorstadtmädel zu geben vermocht hätte, nicht gleich aus seiner betroffenen und nachdenklichen, jedenfalls wunschlosen Stimmung heraus. Er war noch zu müde, um sich wieder sehnen zu können.

Dann aber schoß, langsam, das heißerwerdende Blut in seine ausgekühlten Adern wieder nach. Es dauerte kaum bis zum ersten Abende nachher, da fraß es schon leise in ihm.

Er begann, sich Grete in seiner Erinnerung nachzumalen. Wie sie aussah, wie sie zärtlich gewesen war und wie sie, weil sie sich zum ersten Male gab, gelitten und es verbissen hatte. Er dachte an die prallvollen Tränen, die ihr über das blasse Gesichtchen gelaufen waren. Die blauen, verschreckten Augen schwammen über von ihnen, und dennoch blieben sie zärtlich.

Er dachte an die magdhafte Verschneidung ihrer Körperlinien. An das straffende Zusammenziehen ihrer Arme, die sich um ihn gelegt hatten, als Schmerz und Lust sich in ihr mischten. Auch er war in alledem wie jeder andere. Eben das ist des Mannes Fluch, daß er, selbst bei der größten Liebe seines Daseins, immer den Eigensinn hat: »Nur dieser eine Körper auf Erden,« während das gute Weib in der Liebe mehr dem Gefühle zuneigt: »Nur diese eine Wesenheit auf Erden!«

Dieses Nagen der Phantasie und ihrer sinnlichen Erinnerungen entnervte ihn bald und es war in wenigen Tagen soweit mit ihm, daß er zu allem Ja gesagt hätte, was Grete von ihm gewollt.

Martha kam und ging; er gestand nichts. Sie fragte kaum mit den Augen; denn sie ahnte und schämte sich für den Bruder.

Das andere Mädel hatte inzwischen zu sehr mit ihren Ränken zu tun. Bald tröpfelte darum in der Gesellschaft die Sage hindurch, daß sie um eines armen Oberleutnants willen soviel umherliefe und daß Liebe sie zum Eintritt in die Kirche getrieben hätte. Das verlieh ihr ein zärtlich feines und geheimes Licht. Alle wußten es bald und alle waren gerührt; niemand spielte auf ihre Geschichte an und jedes, Mann und Weib, half ihr nach Kräften. In diesen Tagen, da sie wie ein schönes, verbotenes Lied, das man sich heimlich von Hand zu Hand abschreibt, durch die große Gesellschaft von Wien hindurchging, hätte sie einen Kaiser zu stürzen vermocht. So kam freilich die reiterliche Exzellenz bald nach den ersten öffentlichen Andeutungen, und besonders geschwind nach der ersten Karrikatur, weit nach dem Nordosten des Reiches, um dort die nachbarlichen Kosaken und ihre militärische Wichtigkeit recht in aller Muße zu studieren.

Dem Oberleutnant wurde mehr vertraulich als dienstlich bedeutet, daß er sich auf den Beschwerdeweg begeben könne. Grete schrieb ihm zur gleichen Zeit endlich den ersten Brief, wie seine Sache stünde. Er verstand sich, freilich erst nach umständlichem Gewissenskampfe gegen seine Gesinnung, die ihn weder Haß noch Widerwillen gegen den gesunden Reiterführer fühlen ließ, zu einem Einspruch gegen das Urteil der Prüfungskommission: Nicht ihres Vorsitzenden! Und damit hatte er ehrlich gehandelt und das richtige getroffen; denn nicht die Gereiztheit eines Mannes, sondern die Unterwürfigkeit und Dienerei mehrerer Bänke voll sogenannter Männer war es, die ihm den goldnen Kragen, der ziemlich rasch zu erwerben geschienen, entrückt hatte.

Hebedich war schonungsvoll und ehrlich geblieben. Aber das gleiche Geschmeiß, welches sich früher gegen ihn, schleimartig gefügsam, zusammengetan hatte, umzog jetzt seine Beschwerde mit ergänzenden Bemerkungen gegen den General, den man, wie offensichtlich bekannt, fallen lassen wollte. Die Einbegleitungen und Befürwortungen zu dem Aktenstück ergänzten, was Christoph selber an Anklage zurückgehalten hatte. Es stand eine hohe und einflußreiche Stelle in Aussicht und mit einer bloßen Wegbeförderung des Generals der Kavallerie nach Galizien war es den jetzt losbrechenden Lauerern und Wartern nicht getan. Der alte, aufrechte Herr mußte in Pension.

Nun hieß es bald überall tuschelnd von dem verhaltenen und zurückgezogenen Christoph Hebedich: »Respekt vor dem! Der hat's zuwege gebracht, einem hohen Herrn mit großem Wappen und Hofverwandtschaft den Hals zu brechen!«

Voll scheuer, interessierter und schmiegsamer Verehrung wurde fortab Christoph Hebedich von allen Bewerbern um Erfolg betrachtet. Viele suchten seine Freundschaft. Ein sonderbares Bemühen.

Christoph Hebedich blieb was er war und wurde durch seine Verschlossenheit immer gefürchteter, aber auch heimlich verhaßter. Immerhin, alles suchte ihn. Denn man ahnte bald etwas wie einen Napoleon bei dem, durch seine Machtprobe, mehr aber noch durch seine anekdotisch gewordene, humorvolle Kühnheit bei der »Erzengelprüfung« volkstümlich gewordenen Generalstabsoffizier, der er jetzt war und der mit einer völlig neuen Geste anzutreten beliebte: Nackensteifheit.

Hebedich vermerkte diese Wendung in seinem Schicksal mit etwas wie Unbehagen und gar keiner Freude. Nicht, weil sie aus dem liebevollen Bestreben eines klugen und willensstarken Mädchens, mehr weil sie aus der böswilligen Erfolgsucht der Kameraden höheren Ranges gekommen war. Er hatte seinen Erfolg nicht gewollt; wenigstens nicht so gewollt. Die Wichtigkeit, die ihm fortab beigemessen wurde, ja die Gefährlichkeit, die man ihm zutraute, machte ihn ganz unglücklich. »Arbeiten im Verborgenen und sich selber angehören,« das war, bisher unbewußt, sein Leitspruch und mit dem Begriffe von einem glücklichen Leben eins gewesen.

Jetzt erhob ihn zum großen Zukünftigen jene Gesellschaft, die ihren Schwerpunkt außer sich selber hat. Er gehörte nicht zu ihr; er fühlte, daß ihn diese Rolle, die er weder spielen wollte noch konnte, einmal zu Falle bringen müßte. Zu einem Falle, den er beinahe wünschte, um nur bald wieder das mythische Hirtenkleid des Ministers in der alten persischen Volkssage anlegen zu dürfen.

Wirklich bereitete er sich innerlich zur selben Zeit auf seinen Sturz vor, in der alle Beflissenen sich um ihn drängten nach dem Rate des Narren im Lear: »Geht ein großes Rad den Berg hinan, häng' dich dran. Geht ein großes Rad den Berg hinab, lass' es los.«

Alle, die vor seine grauen Augen kamen und an den ersten Satz dachten, sah er durchdringend an, indem er an den zweiten dachte; es fröstelte jeden vor diesem Blick.

Allein und zu Hause dann dachte er immerzu an jene wunderbare altpersische Sage. Sie ist so schön! Einmal erzählte er sie Martha:

»Es war ein tiefer und stiller Mann Großvezier des Schah geworden und durch seine Weisheit blühte der Staat; Hungersnöte vermieden die vollen Magazine des Veziers und fremde Bedrohung mehr seine Geschicklichkeit, Freunde zu gewinnen, als teure Heere. So bekam er sowohl die Kornwucherer als auch die Generale zu Feinden und sie verleumdeten ihn beim Schah, daß er sich aus dem Kornhandel und den Ersparnissen am Heer Reichtümer sammle, die in einer geheimen Schatzkammer seines Palastes aufgehäuft wären, märchenhaft zu schauen!

Endlich fraß sich das Gift des Mißtrauens sogar im edlen Herzen des Fürsten ein, und da wirklich solch' eine Geheimkammer im Hause des Veziers vorhanden war, in welcher er alle Abende ein Stündchen allein verbrachte und die niemand sehen durfte, so bedrohte ihn der Schah einmal darum.

›Ja; dort liegt mein größter Schatz,‹ sagte der Vezier traurig.

Der Großkönig brauste auf und drang in die Kammer ein. Vier kahle Wände, an denen ein Hirtenkleid, ein Hirtenstab, eine Rohrflöte und eine schaflederne Tasche hingen.

›Das war all' mein Hab und Gut, als ich meiner Seele allein diente und als ich glücklich war,‹ sagte der Vezier. ›Nun, da ich in deinen Diensten kein Vertrauen mehr finde, gewähr' mir die Gnade und lass' mich auf die abendlichen Berge meiner Kindheit dort droben zurück, nach denen ich mich täglich in Sehnsucht verzehre und lass' mich nichts mitnehmen, als diesen größten meiner Schätze.‹«


Aber bis dahin oder bis zum Pfluge des Cincinnatus schien es noch weit. Denn jetzt ging es mit Christoph Martin schnell aufwärts.

Er sah Grete nicht oft; aber er merkte ihre Kraft, ihn zu lieben und ihm Glück zu bringen, an seiner raschen Beförderung zum Hauptmann und zum Adjutanten eines Generals, der einen brutalen Eroberer an seine Seite wünschte, da er die eigene Behaglichkeit erkannt hatte und doch für die nächsten Jahre den Gewaltmenschen spielen mußte.

All' das mußte hier in dem Tone und mit den Worten aufgezeichnet werden, der in Christoph Hebedichs neuer Umgebung gefühlt, gedacht und gesprochen wurde, um das tiefe Unbehagen seiner armen, einsamen Seele deutlich zu machen, welche in solche Willensströmungen geraten war.

Er war nun Hauptmann, er war Adjutant; ja, er war schon ein in der Presse genannter, den satirischen Blättern als Ausnahmsmensch und Frondeur beliebter und von Vielen umschmeichelter Mann, ehe er noch der Verlobte Gretes geworden war.

Er selber wußte es nur aus ihrer Arbeit, daß sie ihn noch liebte, verzehrte sich in vergeblichem Begehren und trug seine neue Bürde deshalb mit sinnestötender Gewissenhaftigkeit und Arbeitsamkeit.

Er bewältigte alle dienstlichen Schwierigkeiten, von denen seines Generals an bis zu jenen seines Feldwebels, und sogar die Kanzleiunteroffiziere verspürten etwas von dem Unbehagen ihres Adjutanten, der sich zu Unrecht an eine behagliche Stelle gesetzt fühlte. Sie, die Unentbehrlichen, die oft genug Offiziersdienst ausfüllten, durften jetzt spazierengehen. Es war einer gekommen, der sie überflüssig machte. Sie waren empört.

Die ganze Division wurde allmählich von der Verwirrung über den rätselhaft verschlossenen und kühlen neuen Mann angesteckt. Alles schlängelte auf ihn zu, um ihn auszuforschen und alles fand ihn bloß sachlich; wortkarg in allem, was ihn enthüllen konnte, gegen andere stets hilfreich und gefällig, immer kühl.

Nur eines wußte man von ihm sicher. Er beherrschte seinen Chef dadurch, daß er entschlossen schien, jeden Augenblick seine Stelle hinzuwerfen und zur Truppe zurückzukehren. Entweder spielte er das bis zur Vollendung, oder es war eine, bei einem Generalstabsoffizier unerhörte Neuheit des Charakters. In den Offiziersmessen wurden Wetten für und wider diese Möglichkeit gehalten. Die älteren Herren mißtrauten ihm, die jüngeren schworen auf ihn, als dem letzten Halt ihres guten Glaubens auf die Mensch- und Mannheit.

Es war damals eine Zeit, da Österreich ahnungsvoll verzweifelte; nicht an seiner Armee, aber an den wühlenden Geheimgängen der Diplomatie ringsum. Es war um die Zeit, da ein Oberst die Festungspläne von Przsemysl an den fühlbarsten Feind ausgeliefert hatte, bloß um des Kitzels willen, der in dem Vergnügen lag, zwei Kraftwagen halten zu können. Es war die Zeit der Mordversuche eines zweiten Generalstäblers. Und es war sogar eine Zeit, in welcher solche Versuche als napoleonisch, als erste, unvermeidliche Staffeln zur Größe, heimlich bewundert wurden! »Größe beginnt mit einem oder mehreren, dem Gesetze geschickt ausweichenden Verbrechen.« Das Grauen vor solchen Symbolen der Zeit strich ahnungsvoll durch die Seele des damaligen Österreich.

Wohl war da die Schlichtheit Christoph Hebedichs. An ihn hätte man blindlings geglaubt, – aber nun war er mit einer Jüdin, mit einer reichen Jüdin verlobt. –

»Im Mantel sind sie nur mit ihren Frauen zu unterscheiden,« sagte ja damals der Volkswitz vom Regimentsarzt und den, regelmäßig die reiche Partie suchenden Offizieren des österreichischen Generalstabes: »Jüdelt er, so ist es ein Regimentsarzt. Jüdelt sie, so ist es ein Generalstäbler.«

Das nun hing an Christoph Hebedichs Rufe: »Er heiratet eine reiche Jüdin.«

»Eine schöne Jüdin,« riefen zwar die jüngeren Offiziere dagegen. Aber die älteren, die schon zuviel erlebt hatten, schüttelten nur die Köpfe.

»Auch er ist wie alle; die Flaschengrünen mit dem Wiener Saftel im Blut! Er inszeniert sich bloß geschickter. Bloß das geben wir zu: Er ist einer der gefährlichsten und zukunftsreichsten.«

Immer war um Hebedich Zulauf. Aber immer war enge um ihn ein Menschenvakuum.

Es kam niemand hinter sein Geheimnis, – eben weil es so schlicht war: – »König, gib mir meine Hirtenkleider wieder!«

Grete wurde immer noch selten neben ihm gesehen!

In derselben Zeit nämlich, da sie glauben mußte, daß ihr Bräutigam alles ihr und nichts sich selber verdanke, schwand ein Teil ihrer brennenden Neugierde nach dem Geheimnis seines Wesens, ja ein Teil ihrer beinahe geängstigten Achtung vor ihm. Denn nun war er ja nicht mehr, als eben ihr Werk.

Zudem hatte sie abermals ihre Sensation gewechselt. Sie war eben jetzt von einer nie gekannten, weil unsinnigen oder übersinnlichen Erregung angefaßt.

Seine Gnaden, der Fürsterzbischof waren es nämlich selber, dem sie in dieser Zeit nahestand wie etwa ein in den eigenen Vater verliebter Backfisch.

Der Fürsterzbischof war aus adeligem Blute, hatte die Weltherrschaft Roms mitgekostet, war sogar der päpstlichen Tiara nahe gewesen, hatte lächelnd entsagt, – und Menschen leiten gelernt.

Er war aus jener wunderbaren, seelisch freien und dennoch kirchentreuen Schule hervorgegangen, welche allein in Österreich das katholische Christentum erhalten konnte. Mehr als Tagesmenschentum gehört zu jenem heiteren Verzeihen, zu jenem Verständnis, wie es die Chorherren von Klosterneuburg, Melk und Heiligenkreuz, oder die Schottenmönche für Wiens drollige Weltlichkeit und Eitelkeit besitzen, ohne sich selber viel davon berühren zu lassen. Mitten im Börsespiel der Erfolgsuchenden machen sie lächelnd all' das mit und wissen sich so in jedem Reiche, das irgendwie und wann entstehen möchte, eine gewaltige Hypothek zu sichern. Die tragen ihr Menschentum auch durch den Kommunismus unbeschadet hindurch. Allgewaltig wie sie, war auch der milde, schöne Priester, der in seinem anmutig getragenem Alter kaiserlicher, weil klüger und ohne jede Eitelkeit und Verletztheit zu herrschen wußte, als der Kaiser selbst. So war der Erzbischof.

Grete Lobes war völlig benommen von der silberhellen Persönlichkeit des Kirchenfürsten. Sie erzählte überall von ihm; sie sagte: »Ah, wie sich dieser Verwalter im Reiche Gottes zu einer Sublimität erhoben hat! Einer Verklärtheit, von der die ersten Rüpel oder Hysteriker von Aposteln keine Ahnung hatten! Jene waren Demagogen Gottes! Er ist ein Paladin Gottes! Von so einem nehme ich mit tausend Wonnen Taufe und Chrysam! Gäb's lauter solche Christen, gäb's lauter solche Priester, es gäbe längst keine Juden mehr auf der Welt!«

Sie fühlte sich umsponnen mit Traumfäden aus Gold und Seide vor der ihr völlig unbekannten Erscheinung des fürstlichen Lehrers, der sich ihrer angenommen hatte und sie seine Tochter nannte. Ihr Vater? – nun ja: – er bewegte hundert Webstühle. Dieser, den man weder Mann noch Mensch zu nennen wagte, bewegte eine Million Seelen, unter denen sich die Großen und Mächtigen dieser Erde befanden. Ihr Vater schwitzte am Leben und war stets der Zuckerkrankheit nahe vor ewiger Aufgeregtheit. Dieser hier überschaute und segnete.

Sie schob es hinaus, Christin zu werden. Sie wollte solange als möglich die Tochter des fürstlichen Hochwürdigen bleiben. Wenn sie noch nicht getauft war, rechnete sie sich aus, blieb sie ihm wichtig. Dann legte er sie gütig lächelnd und lässig aus der Hand, und sie hatte nur mehr gelegentlich Audienz bei ihm; – jetzt ging sie als Kind im Hause aus und ein.

Den Bischof wiederum, der ja nichts als willenlos gezogene Schäflein oder völlig verstockte Parteigegner um sich kannte, beschäftigte das reizende und ruhelose neue Pfarrkind mit seinen zehnfältigen Gewissenszweifeln mehr, als seine ganze übrige Gemeinde. Sogar mochte vielleicht irgend etwas in dem ritterlichen Blute des reinen, alten Herrn zugunsten der entzückenden neuen Demut sprechen, die immer hilfesuchend zu ihm kam. Oder fügte auch er sich in die so menschliche Eigenschaft Gottes: »Es ist mehr Freude im Himmel über einen reuig Heimgekehrten, als über hundert Gerechte, die niemals gefallen sind?«

Wie es sein wollte: Es waren für seine fürstbischöfliche Gnaden reizvolle Stunden, in welchen er in Vorsicht und Liebe das unruhige und viel zu gut geschulte Zweiflerherz des entzückenden jungen Weibes bekriegen mußte. Auch seine fürstbischöfliche Gnaden trieben noch gar nicht zur Taufe. Welchem Bischof, seit der Heidenzeit, also in Österreich etwa aus Sankti Rupprechts Zeiten her, war denn das Glück vergönnt, die Seele der Zeit selber bannen und ihre Gier stillen zu können!?

Denn in Grete brannte alle Skepsis, alles Wissen, alles Unglück und alles Begehren dieser ganzen Weltperiode! Einer entsetzlich verlorenen, aber hier in ihre Hilflosigkeit entzückend drapierten Weltperiode.

Hilflos nur gegen sich selber. Er hatte völlig neue Rüstmittel zu erfinden, um ihren Einwürfen zu begegnen, denn jene, die er im Alumnat und später wohl auch im Leben gelernt hatte, – selbst die von den durchgearbeitetsten Jesuiten erlernten, – verfingen bei der erschreckend neuartig fragenden Jüdin nicht. Er mußte immer wieder mit der Seele bis nach Indien reisen, um die ewige Wahrheit seiner Kirche stützen zu können, und manchmal überdachte der seelenvolle aber gewissenhafte Mann, ob man ihn in früheren Jahrhunderten wegen solcher Worte nicht zwischen Ketzergericht und Scheiterhaufen gestellt hätte.

Er lächelte über all' das in sich selber hinein.

Wenn Grete ihn, nach einer Reihe von Widersprüchen, die sie entdeckt zu haben geglaubt hatte, fragte: »Wo, Hochwürden: Wo ist dann die katholische Kirche unantastbar?« da sagte er: »In den Mystikern. Im Eckhart und im Tauler. Im anfänglichen Protestanten Angelus Silesius, den Sie jedem Wissenschaftler überliefern dürfen; in Jakob Böhme, und im völlig vereinzelten Romanen, dem heiligen Franziskus. Gegen die Gesichte jener, mein Töchterl, kann in alle Ewigkeit keine Wissenschaft an!«

»Ah? – Bischöfliche Gnaden glauben, daß das Christentum, ohne romanischen Dogmenglauben, tiefer und weiter gekommen, unverwüstlich geworden wäre?«

»Rom soll da sein und soll die Glaubenskraft erproben,« sagte der hohe Herr lächelnd. »Es wird diese Probe für die Menge nie überlasten. Und selbst wenn Sankt Peters Sitz irrig verwaltet würde, wofür keinerlei Zeugnis redet, würde nicht, sobald man das erkannt und eingestanden hätte, gerade das katholische Christentum nur noch reiner, apostolischer und heller entstehen?«

»Lieber, hochwürdiger Herr,« sagte Grete schmeichelnd. »Ich glaube!«

Sie hatte in diesen Zeitläuften ihren Christoph Hebedich beinahe ein wenig vergessen.


Aber zwei Dinge trieben Grete bald wieder zu ihm. Jene einzige Liebesnacht hatte sie zur Mutter gemacht und dann kam die erste, große Kriegsdrohung Österreichs im Jahre Eintausendneunhundertundneun. Zerreißend für Gretes Nerven kam beides.

Jetzt flüchtete sie in rasender Angst zu ihrem Verlobten zurück.

Vor allem mußte auch etwas geschehen, um ihren Bruder Wolfgang vor dem Schützengraben sicherzustellen; Christoph sollte helfen.

Sie war wie erstarrt, als sie Christoph wiedersah. Er hatte ein eisern ruhiges Herrschergesicht bekommen. Und vielleicht legte sich bald der goldene Kragen darunter.

Das galt jetzt mehr, als Erzbischof!

Hätte damals die Gefahr monatelang gedauert, sie wäre in den geliebten Mann versunken, wie eine sehnliche Seele ins Angesicht der Ewigkeit. Aber bei der österreichischen Angst vor dem wahren Angesicht in den eigenen Ländern dauerte die Erregung nur Tage. Immerhin fiel in diese Zeit Christophs und Gretes Hochzeitsfest.

Damit hatte der junge Generalstabschef, von dem in der Division bisher die Sage ging, er hätte die verliebte Jüdin nur benutzt, um aufzusteigen, bei den Kameraden manches verloren. Die Puritaner murrten: »Was! Eben jetzt, wo ein Mann völlig er selber sein soll, klammert er sich an eine Frau?«

Die Kriegserregung ging vorbei, das Mißtrauen gegen den Mann Gretes blieb. Grete selber erfuhr davon durch die Frauen der Kameraden, wurde aber davon erst recht erregt. Jetzt eilte sie auf ihren neuen Kriegsschauplatz.

Sie trug, als sie zur Division in die Südprovinz hinabkam, um den Hals mutig und mit Inbrunst ein goldenes Kreuz. Sie wartete fast sehnlich auf höhnische Bemerkungen, und wußte, daß man sie in der neuen Division schon mit dem Kartengruß angekündigt hatte: »Grete Hebedichempor, geborene Lobes, Wirtshaus zum goldenen Kreuz.« Das wollte sie nun gleich lachend der ersten Bataillonskommandantin erzählen, damit man schwiege, bis man einen besseren Witz über sie fände.

Es wurde aber nichts dergleichen laut.

Sie war zu schön, zu lebhaft und vor allem zu liebenswürdig und sah in keinem Endchen ihres Gesichtes jüdisch aus. Alles nahm sie beinahe erleichtert auf. Christoph Hebedich gewann abermals durch dieselbe Frau, durch welche er beinahe schon die Achtung verloren hatte. Man verstand ihn jetzt.

»Ja, wenn es die war, die hätt' ich selber genommen!«

Grete Hebedich warb sogar um jeden Überzeugerling und Gotentümler wie um einen Geliebten. Bald waren gerade die lautesten Germanen der Division ihr gegenüber wie entkräftet. Es gab unter ihnen solche, welche fanden, daß der Wert des stillen Deutschen dem natürlich und aufrichtig hingegebenen Wesen seiner Frau nachstände. »Hebedich ist ihrer gar nicht würdig!«

Und die andern: »Eine solche Frau als Rückhalt in Wien haben! Da lohnt es sich freilich, zu arbeiten und fleißig zu sein, da kann man sogar frech gegen Vorgesetzte sein! Franz Josefsorden! Der Hebedich schuftet ja; aber die andere beleuchtet und vergoldet ihn! So geht's und so muß man's machen.«

Durch Frau Grete Hebedich konnte man vielleicht ebenfalls emporkommen? Wenn man als ihr Geliebter emporkam, war's um so vergnüglicher.

Aber Grete blieb treu; sie bekam noch vor Weihnachten Neun ein Kind. Und später noch eins und wieder eins.

In ihrer Liebe war sie stets von einer leisen Aufgeregtheit und Sorge; denn ihr Mann war auch für sie noch unnahbar und rätselhaft. War er bloß beleidigt, eifersüchtig, weil sie ihm seine Erfolge verschafft hatte? Seine Kameraden sagten ihr heimlich, daß es ihm nicht behaglich war, immer die reizende Frau hier neben sich zu sehen. Allein wollte er alles tun und abarbeiten. Nun hatte der unentbehrliche Helfer selbst eine Helferin; das war ihm unangenehm.

Ihr Mann war untadelig kavalierhaft in seinem Betragen gegen sie. Wie man ihm früher nachgesagt hatte, daß er vor Sehnsucht nach einem Vorzimmer stürbe, so wußte man jetzt, daß er in einem leidenschaftlich aber still geführten Kampfe gegen seine Frau den Luxus zweier getrennter Schlafzimmer verfochten und durchgesetzt hätte.

Christoph hatte, als Grete nicht nachgeben gewollt, einfach eine Woche lang neben seiner Frau die Nächte durcharbeitet. Da hatte sie, empört und dennoch ein wenig stolz auf ihn, nachgegeben. Das Ehepaar wohnte nun wie Fürstenleute, zwischen deren Vertraulichkeiten fortwährend die Audienzen und Nachtsitzungen des regierenden Herrn stehen.

Grete ärgerte sich manchmal bei den Sticheleien der Freundinnen bis zu Wut und Tränen.

»Sie sind seine Josefine Beauharnais,« sagte eine flinke Rittmeisterin einmal. »Er will einmal eine Kaiserstochter heiraten und Sie sind sein erster Staffel. Machen Sie's doch, wie Josefine und rächen Sie sich, soviel Sie bis dahin von Jugend übrigbehalten!«

Solche Worte hatten zur Folge, daß Grete sich in ihren Mann zum andern Male, jetzt aber in Angst verliebte und ihn unausgesetzt beobachtete.

Alles sah nach ihm hin, wenn eine Festlichkeit ihn ins Licht stellte. Er aber arbeitete und arbeitete. In der Nacht schob er seiner Frau das weinende und nach Stillung verlangende Kind selbst ins Zimmer, legte es ihr an die Brust und legte es, wenn die Frau schwach und müde war, wohl auch selber trocken. All' das mit heiterem Humor, oft mit ironischem, leisem Singen. All' das, als gehörte das zum Leben nur als Nebensache, während ihr die Kinder so wichtig waren wie sonst nichts. Gegen das Kind war er hart, wenn es boshaft zu schreien schien. Ihr verbrannte das Herz dabei.

Immer fremder, dabei aber immer neugieriger und immer verliebter wurde Frau Grete.

Sie wußte ihren adelig verhaltenen Mann den Rivalinnen, die unverhohlen nach ihm begehrten, nicht anders wegzunehmen, als daß sie immer wieder seine eigene Eifersucht reizte und so stets von neuem seine Geliebte wurde. So verging das Leben in der Provinz in beständigem Ringen des einen um das andere. Die reizende Frau wurde beständig von freigebliebenen und frechgewordenen Männchen umlagert und er stand als ein bald freizumachender Mann da, den man der Jüdin bei ihrem ersten Fehltritt wegführen konnte. Ihr Fehltritt mußte ja, – bei seiner Weltverlorenheit, – bald kommen. Dieses Mannes Zukunft lag aber sicher und die sich ihn dann nahm, erlebte Großes. So rechneten die hübschen Frauen. Heute allerdings war er noch in abwartender Verpuppung.

So dachten alle von ihr und ihm; aber das ahnte Grete.

Sie war um ihn immer in Angst. Von ihrem Gelde machte er nicht den geringsten Gebrauch, und in ihre Unterhaltungen und Feste fügte er sich nur in höfischer Gelassenheit. Er machte den Hausherrn so, daß man ihn eher suchen mußte, als daß er seinen Gästen nachgegangen wäre.

Er wurde Major und Oberstleutnant und Grete fühlte, daß er diese beiden Male nicht durch sie emporgestiegen war. Sie entbrannte in Angst, was wohl für Ungeahntes und Geheimes in ihm verborgen sein könnte, das ihn auch ohne sie mächtig machte. Ein reger Briefwechsel fing zwischen ihr und Martha neuerdings an, voll von Gretes zärtlichen Klagen und Fragen über ihren rätselhaften, verschlossenen Mann.

Martha war Gretes Hochzeit ferngeblieben, obwohl Mama, in ihrer Unnahbarkeit selbstverständlich, dabei gethront hatte. Grete, die schon damals alles um sich erobert hatte, mußte nun darangehen, die Schwester des Bruders wiederzugewinnen. Dann erst konnte sie vielleicht ihn, ihren eigenen Mann völlig erobern. Denn bisher war er eine schweigende, ferne und fremde, fremde Welt!

Auch hatte ihr Mann immer geheime Gänge in die Einsamkeiten hinaus. Sie argwöhnte lange Zeit irgend ein Liebesverhältnis; sie zitterte vor abwechselnden Stelldicheins mit reizenden Offiziersfrauen! Er ging, wenn er frei hatte, fast nie unter Menschen; immer berganwärts, waldeinwärts. Sie wagte nicht, ihm zu folgen, da er sich Einsamkeit ausgebeten hatte.

»Ich muß ruhen. Ich muß beten, wenn du willst,« sagte er ernst und flüchtig lächelnd auf ihre Fragen.

Das verstand sie nicht. »Ruhen! – Eben die Unruhe ist schön,« sagte sie. »Ich hätte niemals gedacht, daß diese kroatische Hauptstadt so viel Leben böte! Was willst du? Ich bin umworben, du bist umworben; wir beide sind hier beinahe die Ersten. In Wien wären wir nicht einmal die Zehnten und so gefällt es mir hier. Die Kinder wachsen heran und werden gesund; Dienstboten haben wir so viele, wie ein regierendes Kleinfürstenhaus und sie sind treu, ja beinahe unterwürfig; alles das obendrein noch mit der Liebenswürdigkeit und Grazie des Kroaten. Sie essen sogar manierlich und hübsch. Alles hier ist reizend. Nur du allein hältst dich immer wie Karl der Fünfte, der auf seinem Schilde wie auf seiner Stirne die Devise trug: ›Noch nicht‹.«

Hebedich lächelte: »Als Kaiser Karl dann, endlich einmal, auf seinen Schild die Devise setzte: ›Jetzt‹, da wurde es die größte Blamage seines Lebens! Ich trage mein Herz nicht auf der Zunge und ich weise auch keine Wahlsprüche vor.«

»Was willst du aber sagen, wenn jetzt ich dich frage: Was hast du vor? Man kennt sich bei dir nie aus!«

»Ich kenne mich bei mir leicht aus. Mein Rätsel ist keines. Außer eben für dich. Warum errätst du mich nicht? Ich bin so simpel konstruiert, wie das Vaterunser; du aber klagst immer, daß du mich nicht verstehst! Aber Grete, – vielleicht liebst du mich eben deshalb noch. Sonst hätte dich längst der Honvedrittmeister erobert.«

»Bist du eifersüchtig?« lächelte Grete.

»Ja; aber ich weiß, daß es mir nichts hülfe und daß doch nur alles bei dir selber liegt. Ich kann nichts machen, als zu versuchen, dich von einem Tage zum andern neu zu erobern.«

»Bist du in mich verliebt?«

»Hilflos verliebt!«

»Dann sag' mir dein Geheimnis oder gib mir wenigstens eine Formel für dieses dein Wesen. Weißt du, daß dich die einen für geschauspielert aristokratisch, die andern für ungeschminkt hochmütig, die dritten für eine Karrikatur hinabgepreßten Ehrgeizes halten? Man mutet dir heimliche Höllenqualen zu, weil du nicht an der Spitze einer Armee stehst.«

Christoph sah seiner Frau überrascht in die sonst so klugen und klaren Augen: »Und alle diese Dinge beschäftigen dich wirklich?« fragte er. »Und du, du überlegene Frau kannst dir keine einfachere Lösung denken, als alle diese sehr schmeichelhaften Versionen sie vorstellen?«

»Was soll ich tun? Ich höre zuviel von anderen und nichts von dir! Da zerreißt mich oft beinahe die Demütigung, daß ich über meinen eigenen Mann nichts zu antworten weiß! Ich verlängere die Frist, es eingestehen zu müssen und tue, als hätte ich mit dir zusammen ein Geheimnis. Das ist lustig, aber manchmal auch genug quälend.«

»Was stellst aber du dir vor,« begann Christoph nach einer Weile Nachdenkens. »Was stellst du dir vor, was mit mir geschähe, wenn ich wirklich eine Armee kommandiert, sie zum Siege geführt und, meinethalben mit vierundzwanzig blasenden Postillonen wie zu alten Zeiten, triumphaliter in Wien eingezogen wäre?«

Grete lachte: »Ja, dann? – Dann würdest du angefeindet, verleumdet, beschmutzt, gedemütigt und gestürzt und wenn du der leibliche Bruder des Kaisers wärest!«

»Na also; du bist ja doch eine gescheite Frau. Ich aber soll dumm sein? Du ahnst also, der Ehrgeiz ist es nicht, der frißt.«

»Aber der größere Ehrgeiz, das Ungeheure vollbracht zu haben; – möge dann kommen, was wolle. Und endlich: man kann ja zuletzt auch die Habsburger wegräumen, wenn man stark genug ist,« setzte sie kecklich hinzu.

Christoph lächelte: »Du hast ja saubere Ambitionen.«

»Ich. Ich: Was aber hast du? Was willst du von der Welt? Was suchst du auf ihr?«

»Einen Weg, so gut an ihr vorüberzugehen, als möglich. Sich auf ihr so gut zu benehmen, als möglich. Du kennst ja den alten Spruch aus Iran:

›Hast einer Welt Besitz du dir gewonnen,
Sei nicht erfreut darüber; – es ist nichts.
Und ist dir einer Welt Besitz zerronnen,
Bleib' nicht in Leid darüber; – es ist nichts.
Vorüber geh'n die Schmerzen wie die Wonnen,–
Geh' an der Welt vorüber; – es ist nichts.‹«

»Aber das ist ja das gerade Gegenteil von dem, was ein vernünftiger Mensch denken und tun soll!« rief Grete, aufgeregt und geängstigt. »Ich muß dir da einmal gehörig widersprechen, und zwar aus der Tiefe meiner Seele heraus! Was du da zitiert hast, ist ebenso wertvoll wie Wüstensand. Ich, ich lebendiges und leidenschaftliches Geschöpf, ich sag' dir: Geh' nie an der Welt vorüber; – – – es ist immer was los!«

Christoph lachte hell heraus und küßte seine Frau. »So gefällst du mir,« sagte er »und so mußt du sein.«

»Aber du, aber du,« rief sie fassungslos. »Sollen unsere Welten getrennt sein, wie Tag und Nacht?«

»Der Tag hat nur die Sonne. Die Nacht hat tausende von Sonnen,« sagte er, immer noch lachend.

»Was machst du dann also, immer so allein, im Wald und auf den Höhen?«

»Das hab' ich dir doch schon gesagt: Mich ausruhen. Mich in mir selber sammeln. Beten, wenn du willst; und herunterschauen lernen, auf alles.«

»Auch auf mich? Auch auf die Kinder?« rief Grete.

»Auf alles, was mir Widersache ist. Du und die Kinder sind mein teuerstes Besitztum; vorderhand. Wer sagt mir aber, daß mir die heranwachsenden Kinder nicht völlig fremd werden und entgleiten, ja sich feindlich entgegenstellen? Oder, daß deine Liebe sich einem andern zuwendet? Das alles ist leicht möglich und nun gut: ich trainiere mich da oben; ich präpariere mich auf deine Untreue, damit ich nicht einmal daran noch sterben muß!«

»Was, aber was soll mich denn untreu machen?«

»Deine Schönheit, deine Phantasie und dein Ehrgeiz. Und meine Unzulänglichkeit,« sagte er ernst und traurig.

Da warf sie sich mit einem erstickten Laut der Liebe an seinen Hals und küßte ihn so, daß er einsehen mußte, seine Übungen für die Tage des Unglücks wären heute noch verfrüht.

Es war eine glückliche Ehe; die Kinder, so verschieden sie aussahen, hatten keinen andern Fehler als den, daß es drei Mädchen waren. Alle waren gesund, alle waren klug, wenngleich die mittlere und schönste ein wenig träge und lässig schien und alle waren, ob blond oder braun oder schwarz, beinahe schön, mindestens hübsch zu nennen.


Es war nur ungelöst das Eine: Frau Grete hatte immer noch nicht vermocht, ihren Mann zu ergründen; – so wenig sie Martha, bei all' ihrer Ungeduld, jemals zu ergründen vermocht hatte.

Einmal war Martha mit einem jungen hübschen Manne zusammengetroffen, der ihr aus einem Kaffeehause nachgeeilt war und ihr dringlich und geheim etwas zu sagen hatte. Grete war diskret zurück- und weggeblieben, so daß Martha es erst bemerkte, daß beide allein gegangen waren, als sich der junge Mensch verabschiedete. Es hatte einer schuldlosen Landpartie gegolten, wiewohl freilich der junge Mensch in Martha verliebt war.

»Was bist du weggegangen?« hatte Martha gleichmütig gefragt. Aber Grete hatte damals nur gelacht.

»Lach' nicht so dumm verständnisvoll,« hatte Martha gesagt: »Wenn ich mit wem was vorhätte, würde ich's nicht vor wem Fremden abtun.«

»Vor wem Fremden.«

Das biß und nagte an Grete. Immer war und blieb sie die Fremde. Je mehr sie sich über sich selber ob der lernbegierigen Eilfertigkeit ärgerte, mit der sie in Marthas, in Christophs Wesen einzudringen versuchte, desto brennender stieg ihre Neugierde nach Dingen, die ihr, wie sie ebenfalls wußte, sicherlich klein, zum Gelächter und zum Spotte werden mußten, sobald sie sie kannte und abschätzen konnte.

Aber stets wollte sie soweit sein: Eingedrungen, eingeweiht, und damit drüber hinweg. Diese beiden Menschen waren unübersteiglich. Und, – solange Christoph ihr das Rätsel blieb, solange liebte sie ihn.

Auch Christoph mißtraute diesem Fundamente ihrer Liebe, das er ahnte.

Nun waren sie beinahe ein halbes Jahrzehnt in den Hauptstädten der südlichen Provinzen umher verschlagen gewesen und überall waren sie zuerst die Erwarteten und dann die Umdrängten. Ihr Haus war stets das erste; sogar die vorgesetzten Exzellenzen machten es gern zu einem erwünschten Stelldichein für alle Zusammenkünfte, die ihnen selber zu anstrengend oder auch zu kostspielig geworden wären. Bei Hebedichs traf man sich nun einmal ohne eigene Verbindlichkeit: – so war das Gewohnheit geworden. Ihr Haus hieß »Kaffee Generalstab« oder »Hotel zur Karriere«, oder »honoratiorsky dum«; je nach der Garnison.

Noch etwas. Hebedich mußte viel nach Wien reisen und es war immer ein leiser Ärger seiner schönen Frau gewesen, daß zwar er hoffähig war, nicht aber sie. Er erzählte manchmal vom Schauspiel der Hofbälle und der intimeren »Bälle bei Hof«, die er oft besuchen mußte. Da trat jeder kleine Leutnant mit einem Schritt ein paar Exzellenzen beiseite, denen er in der Provinz nie anders, als mit einem heißen Schreck begegnet wäre. Dort, in der Provinz, entschied solch' ein Herr das Schicksal eines Lebens. Hier stumpfte die Masse der Goldkragen und der getüpfelten Knöpfe an den dichtgedrängten, weißen Galaröcken jede Ehrfurcht ab. Und wäre noch etwas von einer solchen geblieben, so hätte sie in nichts zerrinnen müssen vor dem Schauspiel hier.

Wohin der Kaiser trat, dort staute sich eine abwartende, liebedienerische, rückenkrümmende Flutwelle von Uniformen und Fracks. Gleichwie junge Vögel würdelos schreiend den Schnabel nach dem mütterlichen Futter aufreißen, sich einander weg und dem guten Bissen entgegendrängeln, so machten es dort die Generale. Ihre Hände waren auch im unbeobachtetsten Zustande beständig an der Hosennaht, – für den Fall, daß ihnen die unerhörte Besonnung zuteil werden könnte, »angeredet zu werden«. Sie schoben mit einer, aus den Handgelenken kommenden, unmerklichen Bewegung, welche etwas Alkartiges hatte, so wie mit Stummelflügeln, ihre Rivalen zur Seite und schlängelten sich immer wieder kindisch vor; immer ins Gnadenlicht. Die Verdienstvollen, die Stolzen waren trotzig abseits und ließen sich suchen oder lieber gänzlich vergessen; – wie überall.

Hebedich sah all' das mit aufmerksamen Augen an und vermied, daß ihn auch nur ein Erzherzog bemerkte. Trat er aber einmal, wie es ihm widerfuhr, hinter sich und dem Kaiser beinahe auf die Beine (dem Kaiser, der froh war, diese Bedientenschar ärgern zu können), dann kam es vor, daß Franz Josef sagte: »Ah, der Hebedich! Vor dem muß man sich immer entschuldigen, daß man sich den Mut nimmt, ihn anzureden.« Da war der Neid erst recht losgebunden. Aber man begann die »Hebedichsche neue Taktik« zu studieren: sie rar und aufreizend zu finden.

Das Zusammentreffen zwischen dem Kaiser und dem gefürchteten und nackensteifen Generalstabsoffizier wurde überall beredet und in Wien weiter getragen. Der Kaiser hatte damals auch gefragt: »Mir scheint, Sie sind hier der einzige, der mich nicht braucht?« –

Da hatte Hebedich geantwortet: »Ich bin dazu da, daß Eure Majestät mich brauchen.«

»Aber heute? Warum kommen Sie dann heute her?« hatte der Kaiser mit jener liebenswürdigen Heiterkeit gefragt, welche er beinahe immer annahm, wenn er, so recht intim, den Hausherrn zu spielen hatte.

»Um mir meine Vorgesetzten außer Dienst anzusehen,« hatte Hebedich geantwortet.

Da blickte ihn der Kaiser, aus seinen erstaunlich blauen Augen, betroffen und beinahe erzürnt an, stutzte eine Weile nachdenkend und sagte dann: »Herr Oberstleutnant, Sie sind ein gefährlicher Mensch. Bleiben Sie es nur immer unsern Feinden gegenüber, bitte!« Und, wieder heiter geworden, wandte er sich ab.

Franz Josef verstand Hebedich recht gut. Der alte Kaiser hatte einen erschreckend nüchternen Hausverstand, der ihm alles nur zu klar zu sehen gestattete. Aber obwohl ihn das zum Menschenverächter machte, Wahrheit wollte er nicht hören. Er hatte kleine, dienernde Naturen nötig. Er war ein Mann, der seelisch nicht überragend war, groß sein wollte und eben deshalb nur Kleinere neben sich dulden konnte. Selber Mittelgut, hing er völlig von seiner hohen Stellung ab und wurde darum geradezu grob, wenn seiner apostolisch kaiserlichen Sendung gegenüber die Förmlichkeit durchbrochen wurde. Aber diesmal wandte er sich, durch seine eigene gute Antwort, wie er sie manchmal, aber nicht oft zu finden wußte, gutgelaunt, an einen leichenblaß wartenden Bürgermeister, der sich schon eine halbe Stunde immer wieder Seiner Majestät in den Weg geschoben und immer noch keine Ansprache aufzuweisen hatte.

Der Bürgermeister zerschmolz wie Honigbutter.

Hebedich war übel gelaunt. Er hatte dem Kaiser ein ehrlich warnendes Wort andeuten wollen über das Geschmeiß, das da umherluderte. Der Kaiser hatte ihn großmütig abgefertigt.

Er dachte nach, was für vergebliche Arbeit er hätte, wenn er selber nach Wien versetzt würde; wenn er nicht mehr, als eben ein Generalstabsoffizier neben hundert einflußreicheren war; wenn er sich nicht vordrängte und doch mißliebig wurde. Mußte seine erfolghungrige Frau dann nicht nach jenen sehen, welche sich in diesem Sonnenschein besser zu drehen wußten? Und blieb sie ihm auch dann treu, – was würde geschehen, wenn einer kam, der noch zurückhaltender, noch einzelhafter, noch mächtiger war, als er es mit seinem armseligen Provinzfeldherrntum zu erreichen vermocht hatte? Es gab so viele jüngere, reiche, mächtige Männer mit klingenden Namen. Sie aber war lüstern nach allem, was hoch aufragte. Kam er nach Wien, dann verlor er sie vielleicht.

Darum übte er sich stets. Er übte sich still in der Möglichkeit, dieses Weib zu verlieren, das es zustande gebracht hatte, dreimal Mutter zu werden und in ihren Formen Mädchen zu bleiben. Dieses Weib, das nur aufreizender als ehedem geworden war.

Er betete die skulpturelle Tadellosigkeit ihrer Formen mit einer Leidenschaft an, welche an Seelenangst reichte. Sonst immer nur für und in sich sinnend, war er ihr gegenüber völlig Auge und Betrachtung. Damals gab es Zeiten, wo er keinen andern Ehrgeiz kannte, als sich dieses eine Weib, das immer reizvoller und schöner zu werden verstand, gegen alle Männer der Erde zu sichern.

Geriet er darauf, daß solche Angst ihn schwach zu machen begann, dann suchte er Gottes freie Höhen auf, um über sich selber zu steigen. Er sah Form, Farbe und Ferne an, wiederholte sich das mahnende »Stirb und werde,« dividierte sich selber durch die Unendlichkeit der Erscheinungen und machte sich so unwichtig, als möglich. In solchen Stunden war er imstande, verzweifelnd auszurufen: »Wenn ich sie nur schon verloren hätte! Wenn ich nur die allerletzte Probe bestanden hätte!«

Einmal kam, auf kurze Zeit, ein großer, wohlgebildeter Generalstabsoffizier in seine Provinz. Nicht schön, aus kaum fünfzigjährigem Militäradel, aber mutig, makellos, völlig Soldat und aufrecht. Niemands Knecht und dazu geboren, zu befehlen, ohne anzuherrschen. Frau Grete, welche längst erkannt hatte, wie jämmerlich selten Männer sind, die ihr Wesen in sich selber haben, horchte auf, als sie die ersten Worte dieses freien und kühnen, langen Soldaten hörte. Da war einer, endlich, – den sie neben ihren Mann stellen konnte.

Der neue, große Major war Weltmann in allem, nur nicht im Dienste. Hier warf er sich hin, wie ihr eigener Mann. Er forderte von sich selber alles; er war lebhaft und leidenschaftlich in allen Ausführungen und nahm jedes Kriegsspiel so ernst, wie den Krieg selber. Im übrigen war er gebildet, doch nicht so versonnen, wie Herr Christoph. Er griff kühner und lachender nach dem Leben, das ihm die paar Urlaubsstunden freigaben und hatte weder soviel Wissen, noch soviel Sorgenballast angesammelt, wie Christoph Hebedich.

Die reizende Frau Grete drehte manchmal den Kopf hin und her in Gedanken, wer von diesen beiden im Ernstfalle den größeren, den hinreißenderen Führer abgeben könnte? Ihren Mann dachte sie sich immer abwartend, beinahe nervenlos gegen Glück und Unglück, aber meist weit hinter der Front seine Fäden ziehend. Jener war's imstande, wie ein Bayard oder mindestens wie der Erzherzog Karl dem gefallenen Fahnenträger eine Regimentsfahne zu entreißen und selber zum Sturme zu führen.

Sie fühlte an ihm das, was sich später wirklich genau so erfüllen sollte. So ist die Frau.

Und sie überlegte, was das größere und verzückenswertere wäre.

Es waren keine guten Stunden, welche Christoph Hebedich damals hatte.

Er ahnte, daß seine Frau abwägend so den Kopf neigte. Er wußte längst, daß jeder aufnahmefähigen Frau allzuschönes Köpfchen eine Wage ist, dazu bestimmt, den besten Mann abzuschätzen und ihm alles zu geben, wenn nur er sich die Mühe nimmt, sich an sie zu verlieren.

Eine Präzisionswage auch darin, daß Wärme oder Kälte des Mannes stets einen der Wagebalken beträchtlich verlängern oder verkürzen.

Die beiden Männer konnten ihre Wesensähnlichkeit nicht verleugnen. Aber weil Herr Christoph stille war und Herr Eberhard leidenschaftlich hochhin, so kamen sie eher nahe aneinander. Es waren im Grunde die beiden einzigen, wirklich überragenden Köpfe in der ganzen Provinz, aber sie hielten zusammen.

Frau Grete bemerkte mit seltsamen Gefühlen die unverhohlene Sympathie der beiden zueinander. Freund Eberhard machte ihr doch offenkundig den Hof, Christoph aber hatte ihn trotzdem lieb, hielt ihn näher bei sich, als je einen andern und war mit ihm so frei heraus und herzlich, wie noch nie mit irgendwem; selbst nicht mit ihr!

Die Eifersucht auf den Freund des Mannes überwog sogar ihr Aufatmen beim Anblick des Neuhinzugekommenen: »Endlich ein Ganzer!«

Einmal war sie, an einem Gesellschaftsabend, besonders umworben und besonders zerstreut. Denn Freund Eberhard war von ihr, nach vielen Liebenswürdigkeiten, die er ihr gesagt, fortgegangen und hatte sich in nächste Nähe, aber zu ihrem Manne gesetzt.

Frau Grete hörte fortab nicht das geringste mehr von dem, was ihr die andern, die schönsten und siegreichsten Offiziere zu sagen wußten. Sie horchte mit brennenden Wangen auf das Gespräch ihres Mannes mit jenem, der aus Wien gekommen war, wo er, im Ministerium und dann in der Abteilung für Kriegsgeschichte im Kriegsarchiv, gearbeitet hatte. Nun wollte er Truppenluft schöpfen, während es doch auch Frauen gab.

Eine Zeitlang sprachen die beiden, ermüdend genau, über den damals eben jahrhundertalten Feldzug von Anno Dreizehn.

Dann endlich kamen sie auf ein erregenderes Thema: Wie sich damals die Frauen den französischen Offizieren gegenüber verhalten hatten!

Hebedich erwiderte Eberhards leichtem Tone mit großem Ernst: »Ach – es ist und war so wie immer. Die sich selber bisher geheim gebliebenen Kanaillen fanden endlich zu sich heraus. Die unberührbar stolze Frau blieb damals ebenso treu, wie sie beim Zusammenbruch des weströmischen Reiches und aller alten Sitten treugeblieben ist und auch heute treubleiben würde, wenn unsere ganze offizielle Moral unter dem Motto der freien Liebe stürzen sollte.«

»Hör', du sagst das mit einer Wucht und Erregung, als ob es dir weiß Gott wie wichtig wäre, ob eine Frau sich vorübergehend einen neuen Nervenreiz vergönnt oder nicht!«

»Für mich hängt aller Glaube, ja Leben und Sterben von der Treue des Weibes ab,« erwiderte Christoph leise, aber betonend.

Ein eisiger Schauer durchfuhr die Sinne der erregt zuhörenden Frau beim Klang dieser Worte. Der andere aber klopfte ihm erheitert auf die Schulter und rief: »Aber, du Tragiker: Das ist ja ein lustiger Krieg, der Kampf um die Frau! Nimm sie doch nicht so wichtig, hast ja ernsteres zu tun! Wir wollen Reiche erobern und Millionen von Männerwillen beherrschen: was gilt da die mehr oder minder zufällige Erregbarkeit eines Geschöpfes!«

»Würde es dir auch nichts gelten, wenn du mit deiner Arbeitskraft, mit deiner Seele und allem deinem Lebensmut ein fremdes Kind, ein Kuckucksei aufziehen und erhalten müßtest? Um zu spät zu erfahren, daß es das Kind einer schamlos Preisgegebenen und eines Eindringlings war, dem dein Weib, vielleicht dein alles, nur das Spiel einer Minute bedeutete?«

»Mein Lieber, ich sage immer: Ein Künstler und ein ganzer Soldat, die zwei sollen nicht heiraten.«

Nach dieser ausweichenden Antwort lenkte das Gespräch der beiden Männer auf andere Dinge. Lange aber saß Frau Grete, innerlich von rätselhaften Tausendfältigkeiten durchströmt und unter ihnen erschauernd, stille und zerstreut.

Der neue Generalstabsoffizier, der ihr bisher offenkundig, beinahe frivol den Hof gemacht hatte, hielt sich ihr fortab mit einer merklichen Scheu fern, – sie aber fühlte etwas wie Auflehnung in sich. Freilich: Der tiefe Ernst, mit dem Christoph die Frauentreue wie etwas allerheiligstes hielt, an dem man eher zugrundegeht, als daß man davon ließe, er tat auch ihr wohl. Sie fühlte, wie wichtig sie ihm war. Aber zugleich lauerte die Angst in ihr: Werde ich ihm immer so wichtig sein? Oder werde ich, in meinem Lebenshunger, halten können, was er da von mir so selbstverständlich erwartet und fordert?

Schon der neue Gast hatte sie im Geheimsten erbeben lassen. Seine Frivolität beleidigte sie beinahe gar nicht; eher reizte sie das neugierige Weib an, ob es ihr nicht gelänge, ihn zu demütigen und diesen frechen Sieger wie ein Hündchen hinter sich dreinzuziehen.

All' das waren nur entstehende und sogleich wieder verwehende Gefühle. Aber es waren die ersten Regungen eines Weibes gewesen, das voll ungestillter Neugierde in die Jahre tritt, welche leise beginnen, zu mahnen: Erraffe, was du noch vermagst.

Frau Grete war klug; sie wußte beinahe alles, was man aus Büchern und dem Leben erlernen und durchschauen kann. Eines wußte sie nicht: Daß es nur zwei Möglichkeiten der Liebe gibt: Die nach der Menge der Erlebnisse, dem Quantum hin, und jene, welche im Leben womöglich ein einziges, aber ein ungeheuer tiefes Erlebnis sucht, an dem man lieber zugrunde gehen, als es wechseln und vertauschen will.

Sie fühlte nicht, daß hierin das Entscheidende jeglicher Frauennatur liegt. Sie tat nichts dazu, um etwa zu sprechen: »Gott, gib mir nur eine Liebe, aber eine erhebende und vernichtende.«

Ihr Mann war freilich einer von den Seltenen, denen man es anfühlte, wie einzelhaft, wie abgesondert und gänzlich original entstanden sie sind. Solche Männer erwecken jene Leidenschaften im Frauenherzen, die fürs Leben dauern. Denn was man auswechseln kann, das wechseln auch manchmal sogar die treuen Frauen aus, wenn sie besseres dafür eintauschen können. Wer in seiner Art einzig geartet ist, den läßt keine Frau so leicht gegen einen noch so liebenswürdigen Eindringling beiseite.

Aber nun war es das: Frau Grete liebte zwar ihren Mann, weil er stolz und sogar gegen sie unnahbar und ihr ebendarum rätselhaft war, aber eben das beunruhigte sie auch, wie wir wissen. Immer noch versuchte sie, in seine geheimste Welt einzudringen. Eine andere Frau nun wäre ihm vielleicht erst recht verfallen und verbunden gewesen, wenn sie das stille Leuchten seiner Seele erkannt hätte. Aber für stilles Leuchten der Seele, in jener schlesisch unpraktischen Art, wie es im armen Christoph Hebedich schimmerte, besaß gerade Frau Grete nicht das Auge. Ihr Mann glänzte, beherrschte, kam empor, das berauschte sie. Wohl erkannte sie, daß hinter alledem etwas wie rührende Menschenkindschaft lag und auch ihr war das ein herzlicher Gedanke, aber manchmal hatte sie ihm gegenüber deshalb nur etwas, wie ein mütterliches Gefühl. In den seltenen Augenblicken, da er sich nicht zu verbergen wußte und knabenhaft scheu wurde, wenn sie ihn etwas freches geradeaus fragte, kam dieses Gefühl, das schon der Beginn einer Geringschätzung sein konnte, in ihr empor.

Sie ahnte also ihre eigene Wanderlust; ahnte sogar, daß sie begann, sobald ihr der Mann nicht mehr unerforschlich blieb.

Die Kinder machten Frau Grete indessen alle erdenkliche Freude. Aber um ihretwillen gab es auch die einzigen, jähen Zerrissenheiten in dieser bisher heitern und unanfechtbar scheinenden Ehe. Frau Grete nämlich verwöhnte die Kinder auf jede Weise und ließ alles, was immer die Rangen begingen, ungestraft; – mit verliebten Augen zusehend. Wohl war sogar Christoph der Meinung, ein Mädel dürfe man schon ein wenig verziehen, pflegte aber bei einem Verstoß seiner wenig scheuen Kinder aufzufahren: »Wär das jetzt ein Bub', ich hätt' ihn halbtot geschlagen.«

Schon solche Worte erweckten Frau Gretes Widerspruch: »Und wenn ich einen Buben hätte, halbtot geküßt hätt' ich ihn jetzt, für diesen Lausejungenstreich!«

Einmal sah Christoph sie, nach einem solchen Ausbruch von Affenliebe, traurig und bedeutsam an.

»Gretel,« sagte er. »Die Juden würden nicht verhaßt sein, und sie würden durch bessere Dinge als durch ihr Geld zu herrschen vermögen, wenn sie ihre Kinder in scharfer Zucht halten und ducken wollten. Ebenso wie ein strenger König das Volk, das er großmachen will.«

Frau Grete sah ihn mit offenem Munde an.

»Ja; hör' nur,« wiederholte er: »Der von euch, der sich durch freie, bewußte und heitere Demut die Herzen eroberte, er fehlt sehr. Denn seine eigenen Kinder läßt selbst der Ausnahmsjude sogleich wieder zur Frechheit verwildern. Darum geht unser Haß in Ewigkeit, als unermüdlicher Mäher, durch eure Gefilde.«

»Es ist das erstemal, wo du bemerkst, daß ich Jüdin bin,« sagte sie und war blaß geworden. »Merk' dir's; du hast einen Riß aufgetan!«

Ein leichtes Erschrecken ging durch ihn. »Ich habe dich warnen wollen vor dem, was euer größtes Unglück und eure größte Gefahr ist,« sagte er beruhigend.

»Euer!« machte sie ihm nach und sah ihn an: »Der Riß; der Abgrund.« Und Frau Grete wandte sich und ging fort.

Die Wangen brannten ihr. Er sah sie als Fremde an.

Und sie ihn nicht? Sie grübelte. Dann nahm sie all' ihren guten Willen zusammen. »Bin ich ihm fremd, und fühle, daß auch er es mir ist, so ist es, weil er mir seine Innenwelt verschließt. Ich muß alles wissen: was er will, was er liebt, was ihn aufrecht hält.«

Inzwischen behandelte sie die Kinder jetzt vorsichtiger, wenn schon nicht strenge, wie er es wollte; aber sie umfragte und umschlich ihn fortan Schritt auf Schritt.

Es war das um dieselbe Zeit, in der beide nach Wien zurückkamen, wo ihr Mann den immer näher gefühlten, großen Feldzug vorbereiten helfen sollte: ganz nahe am Zentrum aller Ausheckungen. Er war mit dem Thronfolger bei der Enthüllung des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig gewesen und hatte, wie alle die Österreicher damals, den tödlich eisigen Hauch gefühlt, der von den russischen Kameraden zu ihnen, von ihnen zu jenen hinüberwehte. Höflich waren beide Teile gegeneinander gewesen; ebenso wie korrekte Todfeinde vor dem Duell.

Ihm hatte das Herz dabei merklich gepocht und er wußte: Nur mehr eine kurze, eine ganz kurze Frist! Da heißt es arbeiten.

So kam es, daß er fast ein jahrlang seine Frau wenig sah und sprach. Kam er spät nachts nach Hause, dann war er todmüde und oft auch todunglücklich. Denn die Zeitungen, die Abgeordneten, die Parteien, sie wollten durchaus weder sehen, noch ahnen, noch glauben. Sogar die Armee wäre ohne eine große, leitende Willenskraft allen Parteiströmungen ausgeliefert und noch lauer verstärkt worden als es geschah, wäre nicht die düstere Gestalt des Thronfolgers gewesen.

Mit diesem arbeitete Christoph am liebsten; von ihm mußte er auch Grete Abend für Abend erzählen.

»Er wird vielleicht der größte Kaiser werden, den Österreich jemals besessen hat; oder vielmehr der Österreich jemals besessen hat. Denn er will sein Land!«

»Und nicht das Land ihn,« sagte Grete lächelnd.

»Ja,« sagte Christoph andächtig. »Er ist seit Kaiser Joseph der erste und einzige Mann in diesem Staat der Verbastardierungen, der den Mut hat, verhaßt zu sein.«

»Es scheint, du ersehnst einen Kaiser, der so ist, wie du als Vater sein möchtest,« sagte Grete ein wenig spitz.

»In einer Hand meine Liebe und mein Herz für alle; in der andern aber eine gute und scharf zielende Peitsche,« sagte Christoph. »So muß es der Mensch haben von dem, der sein Schicksal behütet.«

»Säbelwirtschaft?« bemerkte Grete kurz und erhob sich, um allerlei Zerstreutes im Zimmer zu tun. Erstaunt sah ihr Christoph nach.

Seit Wien hörte er von ihr immer wieder neue Ausdrücke, neue Gedanken, neue Widersprüche. Ja, freilich, sie war viel ohne ihn und vor allem war sie nicht mehr im Unisono des Kameradschaftskreises draußen in der Provinz. Sie war vielmehr – –

»Sie ist wieder bei ihren Leuten,« sagte er sich erschreckend. Aber jetzt durfte er weder Kraft noch Zeit an seine Frau wenden; er gehörte sich selber nicht mehr. Und er biß die Lippen zusammen. Wohl ahnte er, daß ihm sein Weib verloren gehen könnte; in solcher Zeit aber mußte er auch das trotzig und gefaßt in Betracht ziehen.

Er arbeitete und arbeitete.

Dann kam der planvollste Mord, der jemals auf den Gefährlichsten und Richtigsten angelegt gewesen war. Und mit ihm der Krieg.

»Schade,« hatte Frau Grete gesagt, als ihr Mann, bleich vor Schreck und Kummer, ihr die Tat von Sarajewo mitteilte. »Ich hatte sicher damit gerechnet, ihm vorgestellt zu werden und mich hätte er nicht übersehen dürfen; schon weil ich ihn nicht übersehen hätte. Du hast geglaubt, ich verstünde ihn nicht? O, sehr gut habe ich ihn verstanden. Ich versteh' auch dich seither viel besser und jetzt wirst du ja deinen Krieg haben. Nun wirst du ein großer Mann,« fügte sie zärtlich hinzu.

»Es ist nicht mehr unser Krieg. Aber ich werde alles dazutun, um nicht klein zu bleiben, wenn ich zu fürchten beginne.«

»Du, du fürchtest dich?« rief Grete peinlich berührt.

»Jeder fürchtet sich. Und der, welcher die Furcht überwinden kann, gesteht sie. Jetzt brennt die Erde an allen Enden. Es heißt, durch's Feuer gehen und man sieht dessen Ende nicht. Der Krieg wird drei, vier Jahre dauern …«

»Aber Christoph, der deutsche Kaiser und Falkenhayn selber haben gesagt: Bis die Blätter fallen.«

»Ja; welche Blätter, und welchen Jahres! England wird mittun. So oft England Krieg führte, hat es den Krieg bis zur letzten Erschöpfung geführt und soviel ich ausrechnen kann –«

»Aber da sind wir ja viel früher erschöpft,« rief Grete.

»Ja. Und siehst du, Grete, ich fürchte mich immer vorher. Andere fürchten sich immer erst mitten drin.«

Er war trotz dieses Geständnisses ruhig; es leuchtete ein so stilles Feuer von Mannesgehaltenheit aus seinen Augen, daß Frau Grete doch wieder andächtig vor ihm stand, wie in ihren Mädchenjahren, da er ihr adlig fremd vorgekommen war.

Sie fühlte einen Hauch seines Wesens; seines unzerstörbaren Wesens und jetzt war ihr das nicht mehr beängstigend. Um diese Zeit betete sie ihn an. Immer alles von außen her an sich nehmend, unterlag sie der Sensation, der Begeisterung und dem Soldatenzauber jener Tage völlig.


Es war ja auch die Zeit, in der alle von ihrer eigenen Sippschaft ebenso begeistert waren. Teils glaubten sie an das arische Heldentum, teils sogar an ein sehr praktisches Unternehmen, als das dieser Krieg ausgehen müsse. Grete mußte dieser allgemeinen Hochgestimmtheit um so unskeptischer anheimfallen, als sie ihren schönen, jungen und großen Mann, kaum, daß sie ihn als Hauptmann aus der Erinnerung verloren hatte, auch schon in der Uniform eines eigenen, neuen Regimentes sehen durfte. Strahlend lag der silberne Kragen des Obersten um sein gut deutsches und ernstes Antlitz.

»Diesmal fürchtest du dich nicht?« sagte sie zärtlich, als er Abschied nahm, um hinauszugehen.

»Nein; für mich wahrhaftig nicht.«

»Für wen andern, für mich?«

»Für uns alle,« sagte er leise.

»Warum?«

»Es ist von uns aus kein ehrlicher Kampf. Er geht uns um keine Herzensfrage. Und darum könnte er zweifelhaft ausgehen. Nun; es tröstet mich, daß auch unsere Feinde keinen ehrlichen Krieg führen. Den Franzosen geht es um Rache, den Russen um Ablenkung der Revolution, den Engländern um geschäftliche Konkurrenz; uns aber bloß um die Machtstellung zweier Familien.«

»Ist das unehrlich?« fragte Grete.

»Ich will dir etwas sagen: Unsere Zeit liegt völlig unterm Banne des Sippschaftsgedankens; des Volkstums also. Der Deutsche will zum Deutschen, der Slave zum Slaven und so fort. Haben diese Menschen nun recht oder nicht, ihr Herz will es so. Und sie möchten sterben dafür, wie ehedem Katholische und Hugenotten für ihre Träume.

Nun widersteht eine einzige Familie dieser allgemeinen Sehnsucht der österreichischen Stämme, und es ist keine Familie, die würdig wäre, daß man um sie sein Liebstes hingäbe. Es ist auch keine Familie, die gewaltig genug wäre, das zu ertrotzen. Österreich ist ein gegen alle Moral zusammengehaltenes Familienfideikommis und eine zweite Dynastie hilft ihm, so zu bleiben, obwohl es seine eigenen Völker verfluchen. Das ist die Unmoral unseres Krieges: Zwei um ihre Macht zitternde Familien halten zusammen, um ihr verjährtes Recht zu retten. Wir Deutsche haben die Brüder draußen dreißig Jahre lang angefleht, haben sogar zu Bismarck geschickt: Nehmt uns! Nehmt uns, – aber was haben sie draußen mit uns getan? Zu den Slaven, Magyaren, Rumänen und Italienern haben sie uns zurückgewiesen! Warum?

Den deutschen Hofpastoren waren unsere Katholiken eine Angst. Dem deutschen Generalstab aber sind fünfundfünfzig Millionen erpreßter und fremdsprachiger Hilfsvölker lieber, als zehn Millionen treue, deutsche Herzen. So steht die Rechnung und das ist nun unser Krieg. Laß' uns halt sehen, ob wir Soldaten noch einmal das Wunder Radetzkys vermögen, gegen den Willen, nicht nur der eigenen Völker, sondern diesmal der ganzen Erde, zehn Sprachen unter einem babylonischen Turmbau zusammenzuzwingen. –«

»Christoph, du machst mir Sorge,« sagte die junge Frau.

»Das wäre übel,« erwiderte er traurig und faßte sie um die Mitte. »Du mußt trotz offener Augen mein ganzes Weib sein und ich dein ganzer Mann; jetzt, wo alles zu zerbrechen droht. Das kann man nur, wenn man wahrhaftig bleibt. Wir dürfen nichts Unaufrichtiges denken noch tun. Ich muß dich bis in die letzten Winkel meiner Seele sehen lassen, jetzt, wo ich gehe! Und nun, wenn du an Gott glaubst, dann bete, daß diese Schuld uns nicht vernichte, sondern bloß reinige.«

»Komm, komm bald zurück und tu dich mir immer so völlig auf,« schrie Grete. »Seit einem halben Jahrzehnt hungere ich nach dieser deiner Aufrichtigkeit. Ich möchte teilhaben an dir! Manchmal könnte ich aus Verzweiflung beinahe in die Jüdin rückverfallen, weil du mir nichts öffnest und nichts gibst! Jetzt, diese deine Worte sind unermeßlich kostbar für mich. Ich liebe dich! Ich bete dich an, du, wegen deiner Wahrhaftigkeit!«

Und fassungslos, beinahe in Ohnmacht zusammenbrechend vor qualvoller, neuer Sehnsucht nach ihm, ließ sie ihn hinausziehen.


Dann kam er, nach Tagen großer Siege und selber voll Hoffnung, wieder. Eine Wunde am Kiefer und der Oberlippe hatte ihn gezwungen, sich glatt rasiert zu halten, und jetzt umspannte die hellblaue Generalsuniform seinen sehnigen und schlanken Leib.

Grete war außer sich vor Liebe. Er sah so völlig neu und so berückend aus, daß sie jetzt einen andern, einen Geliebten fühlte, den sie neu hatte, ohne ihrem Manne untreu geworden zu sein.

Er war ihr zuerst wirklich so völlig fremd, daß sie schüchtern wurde und wie bei einem Vergehen erschrak, als sie den angelsächsisch aussehenden Mann, dessen Antlitz durch das Fehlen des verdrossenen Schnurrbartes weit heller, jugendhaft idealistisch aussah, umschlingen und küssen mußte.

Und dann war sie es imstande und verliebte sich völlig von neuem – in diesen fremden Mann!

Aber dabei kostete sie schon sich selber und ihre eigenen Gefahren. Sie wußte es klar zu durchschauen, daß sie entzückt war, mit ihm begehen zu dürfen, was er sonst tödlich geahndet haben würde. Sie empfand ihn als einen Andern und genoß den, zitternd und pervers, als einen Verbotenen.

Er ahnte von ihren neurasthenischen Verzückungen und Abgründen nichts, war glücklich, verliebt und zukunftstrunken.

»Erzähl', erzähle,« rief sie immer wieder. »Was ist aus Eberhard geworden? Er soll doch, zugleich mit dir, verwundet worden sein? Ah, – was hab' ich damals um dich ausgestanden!«

»Der arme Kerl ist tot. Der focht dir, in einer modernen Schlacht, wie ein Ritter aus alter Zeit; trotz aller taktischen Belesenheit. Mit der Fahne seines Regimentes in erhobener Hand ist er, von lächerlich vielen Kugeln durchsiebt, gefallen.«

»Und du damals? Und du?«

»Ich, mein Gott, ich hab' mich hingeworfen und für mich selber den Schützengrabenkrieg erfunden. Dabei hab' ich noch einem dicken, armen Kerl von Landsturmmann das Leben gerettet. Herrgott, der war schwer zu tragen!«

»Was war er denn?«

»Mein Gott, vielfacher Familienvater, Ledereibesitzer, vielleicht selber Lohgerber. Ich hab' ihn aus dem Feuer in eine Grube geschleppt und mit seinem eigenen Gewehr Gefangenschaft und Tod von uns abgehalten. Seit der Zeit liebt mich der gute Kerl, wie ein Hund seinen Herrn.«

»Das sieht dir gleich,« sagte Frau Grete stolz.

»Ja, wir haben in einer Zeit langer Genesung im Spital gute Freundschaft geschlossen; – der Gerber, dann sein Bruder, ein drolliger, verschlossener und grämlicher Schuster, und ich. Beim Schuster hab' ich auch dessen Kunst von neuem erlernt. Du, ich hab' mir sogar einen echten und rechten Lehrbrief von ihm erworben.«

»Nein, du Original,« sagte Frau Grete und lachte viel.

»Es war bang und langweilig im Spital und in der Etappe,« schloß der junge General gedankenvoll. »Vieles ließ mich damals den Weg zum Volke suchen, den niemand von den unsern sonst gehen wollte. Und – – es wäre erschreckend viel zu lernen gewesen …«

»Was denn, was?« forschte die Frau.

»Die sich bereitende neue Zeit wäre zu erlernen, jetzt. … Die unter Leiden und Fiebern sich bildende neue Zeit. Sie kommt; ich sage dir's, Grete, sie kommt. Und sie wird fürchterlich sein allen, die sich nicht in sie zu fügen verstehen werden!«


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