Henry Benrath
Die Mutter der Weisheit
Henry Benrath

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Da mir die alte Christine vertraulich mitgeteilt hatte, daß die Damen kurz vor sieben – also unmittelbar vor Geschäftsschluß – noch einmal zum Friseur Kolbmann gerannt seien, brauchte ich mich keinesfalls vor acht Uhr auf den Weg zu machen . . . Als ich gegen halb neun vom Südwall her in die nur schwach erleuchtete Ahornallee einbog, sah ich im Schein einer Gaslaterne zwei schwarze Schatten eilig die ansteigende Straße hinaufhuschen und in einem der letzten Vorgärten verschwinden. Ich verlangsamte also abermals meine Schritte und ging nach etwa zehn Minuten durch die gleiche Gittertür gegen die schmale, gußeiserne Pforte des Hauses Nr. 15. Ein mir unbekanntes Mädchen öffnete und bat mich, die Damen im Salon zu erwarten . . . Nach einer Viertelstunde hörte ich hastige Schritte die Treppe vom oberen Stockwerk herunterkommen . . . Ich bereitete mich vor . . .

Tante Eugenie schoß vom nebenanliegenden Herrenzimmer in den Salon, mir beide Hände hinstreckend:

– Willkommen, lieber Henry, willkommen, mein guter Junge! Ein wahres Glück, daß du verspätet bist! Wir hatten ein paar dringende Besuche in der Stadt zu machen und sind dann noch zu allem Überflusse bei Tante Agathe Malkomesius aufgehalten worden. Man kommt dort niemals los. Daß sie so schwerhörig ist, verzögert den Abschied jedesmal um mindestens eine Viertelstunde . . . 21

Ich küßte Tante Eugenie die blasse, ringbeladene Hand:

– Ich danke dir für deinen lieben Brief und deine liebe Einladung an meinem ersten Abend in Philippinenthal . . .

– Und ich fühle mich genötigt, dich sofort auszuschimpfen. Denn ich finde es eigentlich einen Skandal, daß du dich nicht für die Zeit deines hiesigen Aufenthaltes zum Wohnen bei mir angemeldet hast . . .

– Du bist wirklich zu gütig, liebe Tante Eugenie, aber du begreifst wohl, daß ich dieses Angebot nicht annehmen kann. Ich muß mein eigner Herr sein . . .

– Unwandelbar der Alte! Unverbesserlich! Hartnäckig – und starr wie Eis, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat!

– Ja. Du hast recht. Aber es ist nun einmal so . . .

Renate war vom Speisezimmer her in den Salon gekommen. Sie trug ein weißes Abendkleid und sah frischer aus als ich erwartet hatte.

– Guten Tag, Henry, sagte sie etwas verlegen. Wie nett, daß du nun wieder bei uns bist . . .

– Guten Tag, Renate . . . Ich gratuliere dir zu deiner Verjüngung! Du hast um mindestens fünf Jahre gewonnen! Auch finde ich dich außerordentlich vorteilhaft frisiert . . .

– Wirklich?

– Aber unbedingt! Und daß man in diesem Haus 22 endlich wieder einmal eine helle Farbe sieht, möchte ich als einen sehr großen Gewinn bezeichnen . . .

Tante Eugenie seufzte . . .

– Ja – die hellen Farben haben hier lange gefehlt – und sie sind auch heute noch die Ausnahmefarben . . .

– Warum?

– Was würdest du wohl sagen, Henry, wenn du mich plötzlich hier in Weiß oder Silbergrau umhergehen sähest?

– Ich würde mich herzlich freuen.

– Wir leben mit unsren Vergangenheiten . . .

– Nein. Die Vergangenheiten leben in uns und mögen in uns leben. Aber wir leben nur mit unseren Gegenwärtigkeiten . . .

– Kommt, wir wollen essen gehen, brach Tante Eugenie das Gespräch ab, das ihr unbequem geworden war.

– Laß dich doch übrigens einmal richtig betrachten, sagte sie, als wir in die Helle des Speisezimmers traten  . . . Na . . . Etwas angegriffen siehst du aus – und zugenommen hast du auch nicht. Kein Wunder: Paris!

– Zugenommen? Da sei Gott vor!

– Na, Henry! sagte Renate. Du dürftest schon etwas voller sein . . .

Als wir uns setzten, gewahrte ich zu meinem Erstaunen, daß außer unseren drei Gedecken noch fünf andere am unteren Ende des riesigen Tisches 23 aufgelegt waren und daß neben dem Kachelofen eine ganze Batterie von Rotweinflaschen stand.

– Kommen denn noch Leute? fragte ich.

– Nein, Henry. Ich lasse jeden Abend ein paar Teller mehr hinstellen, weil Kuno oftmals Corpsbrüder mitbringt, wenn er spät nach Hause kommt.

– Und die essen dann noch hier?

– Junge Leute pflegen Appetit zu haben  . . . Es ist mir lieber, ich weiß sie hier als in Kaffeehäusern, Kneipen oder Gott weiß, wo  . . .

– Du darfst nicht vergessen, Henry, sagte Renate, daß Kuno sich einer geradezu einzigartigen Beliebtheit im Corps erfreut. Besonders bei den Füchsen, denen er als das Muster eines gebildeten Corpsstudenten gilt. Übrigens genießt die gleiche, wenn nicht noch größere Verehrung Mama.

– Wie heißt Kunos Corps? Ich kann mich nicht auf den Namen besinnen . . .

– Na, na, sagte Tante Eugenie . . . Es ist das vornehmste Corps in Philippinenthal: Burgundia. Es wird gut sein, wenn du dich über die studentischen Dinge hier etwas unterrichtest.

– Ich glaube nicht, Tante Eugenie, daß mir hier sehr viel Zeit für dieses Studium bleiben wird. So lehrreich es auch sein mag . . .

– Andere Leute machen auch ihr Doktorexamen und haben dennoch Zeit für diese Dinge, sagte Renate. 24

– Gewiß, weil »diese Dinge« ihnen etwas bedeuten . . . Mir sind sie fremd, das weißt du doch.

– Ja, Henry, das wissen wir leider Gottes! seufzte Tante Eugenie.

– Wieso: »leider Gottes«?

– Na – weil ich immer gefunden habe, daß dir eine Erziehung in einem guten Corps ganz gewiß nichts geschadet, aber sehr viel genützt hätte. Es wären dir viele deiner Eigensinnigkeiten ausgetrieben worden, und du hättest gelernt, dich an anderen Menschen abzuschleifen . . .

– Liebe Tante: darf ich dich bitten, dieses Thema, das wir ja reichlich besprochen haben, als ich noch Primaner war, nicht wieder aufs Tapet zu bringen. Es quält mich. Ich bekümmere mich niemals um etwas, das gut gewesen wäre – ich bekümmere mich nur um das, was gut ist. Gut ist, unserem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Und gut wird sein, es niemals mehr auf diesen Punkt zurückzuführen.

Tante Eugenie sah mir ins Gesicht – Lange . . . Dann warf sie Renate einen Blick zu . . .

– Wenn du damals, sagte Renate, nicht diesen Herrn von Amersfoort in Baden-Baden kennen gelernt hättest . . .

– Nun – und was wäre dann deiner Ansicht nach geschehen? schnitt ich ihr das Wort ab.

– Dann, sagte Tante Eugenie, ihre heiße Hand auf die meine legend, dann hättest du mit Kuno 25 gemeinsam hier studiert, wärest ebenfalls in die Burgundia eingetreten und hättest nicht daran gedacht, dich in Paris festzusetzen . . .

– Ich fange an, euch beide sehr amüsant zu finden! Aber es ist vor dem Advent doch wohl angebracht, die Dinge noch einmal richtigzustellen. Also: auch wenn Adrian von Amersfoort nicht in mein Leben getreten wäre, hätte ich niemals daran gedacht, in irgend eine studentische Verbindung einzutreten. Kuno wird euch das bestätigen. Er wird euch auch bestätigen, daß lange, ehe ich Adrian kennenlernte, mein Plan, mir die Welt anzusehen, feststand . . . Haltet ihr es denn wirklich für möglich, daß ich mich in diesem . . . in dieser Stadt semesterlang ohne zwingenden Grund aufgehalten hätte? . . .

– Kuno hatte zwingende Gründe, betonte Renate . . .

– Wer hat denn von Kuno gesprochen? Was Kuno tut und läßt ist seine Sache. Ich habe ihm nie in seinen Kram hineingeredet! . . .

– Das ist es ja gerade, was ich dir so sehr verarge! rief Tante Eugenie. Hättest du damals, in der letzten Hälfte der Oberprima, Kuno nicht einfach fallen lassen, hättest du ihn nicht diesem Adrian Amersfoort geopfert . . .

– Aber Tante Eugenie . . .

– Hättest du ihn nicht, sage ich, diesem Herrn von Amersfoort geopfert, so wäre alles ganz anders gekommen! Er hätte dann mit dir ein paar Semester 26 im Ausland studiert, ihr konntet zusammen reisen, euch die Welt ansehen . . .

Ich legte Gabel und Messer auf den Teller . . . Vielleicht sperrte ich vor Staunen den Mund auf . . .

Tante Eugenie wischte sich mit dem Tuch über die feuchten Augen . . .

– Aber was ist denn? fragte ich, die Gesichter der Frauen prüfend . . .

– Nichts ist, schluckte Tante Eugenie . . . Schwer ist das Leben – und grenzenlos die Verantwortung einer alleinstehenden Mutter für einen Sohn, dem im allerentscheidendsten Alter der Vater genommen wurde . . . Und welcher Vater! Wenn ihm dann wenigstens der Freund geblieben wäre . . .

– Weißt du, Tante, daß nicht ich den Kuno, sondern der Kuno mich hat fallen lassen?

– Wieso?

– Als ich ihn fragte, was er nach unserer Reifeprüfung wählen würde: das Corps oder die Freundschaft mit mir, sagte er, ohne sich eine Sekunde zu besinnen: das Corps. Und diese Antwort erhielt ich wochenlang, ehe der wirkliche Freund meiner Jugend auf dem Plan erschien . . . Kindergeschichten? Nein, Tante Eugenie. Wir waren keine Kinder mehr. Kuno ging ins zwanzigste, ich ins achtzehnte Jahr!

– Glaubst du denn nicht, daß du heute einen Einfluß auf Kuno gewinnen könntest?

– Ich? Auf Kuno? Aber wieso denn? Ich habe Kuno 27 volle fünf Jahre nicht mehr gesehen. Als ich vor zweieinhalb Jahren hier war, fuhr er gerade auf irgend ein Stiftungsfest in München oder Erlangen – und in Paris hat er mich nie besucht, obwohl es ihm doch ein leichtes gewesen wäre, einmal hinüber zu fahren . . . Tante Eugenie: ich kenne ja Kuno gar nicht mehr – und er mich noch weniger!

– Gebe Gott, daß ihr euch wieder kennenlernt . . . Du mußt mir versprechen, Henry, dich etwas um ihn zu bemühen.

– Er wird das gleiche mit mir tun müssen . . . Seine Abwesenheit heute abend ist nicht gerade ermutigend. Es hätte einen schönen Auftakt gegeben, wenn er da gewesen wäre.

– Er mußte unbedingt aufs Corpshaus, beteuerte Renate.

– Kein Mensch muß müssen. Wenn man dort oben auf seine Anwesenheit so großen Wert legte, konnte man sich nach ihm richten. Er ist ja kein Fuchs mehr.

– Bitte kreide ihm seine Abwesenheit heute abend nicht an, sagte Tante Eugenie sehr mild. Glaubst du, er wirft mich noch in die Waagschale, wenn es um Dinge des Corps geht?

– Mama übertreibt, lächelte Renate.

– Nein, mein Kind, ich übertreibe nicht. Kuno hat einen einzigen Gott, und der heißt: das Corps. Dieses aber muß ihm allerdings sein schlimmster Feind lassen: 28 was er für sein Corps getan hat, das ist eine außergewöhnliche Leistung.

– Jede wirkliche Leistung zählt, ganz einerlei, auf welchem Gebiet sie liegt. Es muß nur jeder Mensch selbst genau wissen, welche Art von Leistung dem Sinn seines Lebens am dienlichsten ist.

– Darüber, lieber Henry, sollst du dich mit Kuno unterhalten . . .

– Hat dir eigentlich niemals Germaine von Kuno gesprochen? warf Renate ein, während sie mich fragend ansah.

– Germaine? Warum sollte mir Germaine von Kuno sprechen?

– Er hat sie schön abfahren lassen  . . .

– Wie, wann, wo?

– In Lugano, letzten Sommer  . . .

– Warum sagst du ›abfahren lassen‹, Renate?

– Na, Gott, weil sie ihm nachgestellt hat . . .

– Renate, so einen Unsinn glaubst du doch selbst nicht . . . Soweit ich Kuno kenne, würde er Germaine, falls sie ihm fruchtlose Avancen gemacht hätte, auf eine sehr liebenswürdige und feine Weise in ein kühleres Klima zurückgeführt haben, denn Kuno ist der geborene gentleman – – soweit ich aber Germaine kenne, ist Kuno so ziemlich das Gegenteil des Typus, der ihr liegt.

Tante Eugenie stieß mich unter dem Tisch mit dem Fuß an und warf mir einen Blick zu, in dem der Dank funkelte. 29

– Daß du immer wieder diese unselige Geschichte auftischen mußt, Renate, sagte sie verweisend.

– Was war denn das für eine Geschichte?

– Gar keine, Henry! Germaine hat sich sehr schlecht gegen Kuno benommen. Sie hat ihn dauernd wegen seiner Schmisse gehänselt und sich darüber lustig gemacht, daß er gerne gegen Abend im Café Gambrinus sein Glas Pilsner trinken ging. Auch seine Liebe zur Salamiwurst hat sie ihm vorgeworfen.

– Ich denke, das genügt, ergänzte Renate . . .

– Wozu?

– Zum Beweis, daß sie sich für ihre Abfuhr rächen wollte . . .

– Nein, Renate, dazu genügt es nicht. Aber deine Auslegung genügt, um die Stärke deiner Phantasie zu beweisen.

– Gott, Henry, daß du natürlich die Partei von Germaine ergreifst, liegt ja auf der Hand . . .

– Auf wessen Hand? Offenbar abermals auf deiner!

– Und wenn schon . . .

– Gut – aber was besagt das?

– Ich weiß, daß du mit Germaine unter einer Decke steckst, rief Renate und ließ ihre matten Augen aufflammen.

– Möchte ich doch, liebe Renate, möchte ich doch! Germaine ist ja so bezaubernd!

– Was sagst du da? warf Tante Eugenie ein, fühlend, daß es nun wieder an der Zeit sei, die Partei 30 Renates zu ergreifen . . . Bezaubernd soll Germaine sein?

– Nicht nur bezaubernd, liebe Tante, sondern sogar hinreißend!

– Da haben wir's! Da haben wir's! triumphierte Renate und klatschte in die Hände.

– Also du bist ihr auch ins Garn gegangen? rief Tante Eugenie und setzte ihre Brille auf, als ob das Garn zu sehen sei  . . . Ist das möglich? Du, Henry, du?

– Ich bin aufs engste mit Germaine befreundet. Und was könnte es euch schließlich ausmachen, wenn wir uns eines Tages heirateten?

Renate sprang vom Stuhl auf und lief durchs Zimmer.

– Aber Renate! mahnte Tante Eugenie, Kind! Beherrsche dich doch!

Renate kam auf ihren Platz zurück. Sie klopfte vor Erregung mit dem Fuß gegen den Querbalken des Tisches.

– Heiraten wollt ihr euch? sagte Tante Eugenie, während sie ihre Brille wieder absetzte, heiraten? Germaine ist dreißig und du bist vierundzwanzig? Heiraten? sagst du? Ist das Scherz oder Ernst?

– Wie es euch gefällt! Aber warum sollten wir uns denn nicht heiraten? Wir passen vorzüglich zusammen, haben uns sehr gern – und würden uns sicher das Leben sehr erträglich machen . . . 31

– Was ihr ja höchst wahrscheinlich schon tut, ergänzte Renate.

– Diesmal hast du recht . . .

– Dann wundert es mich nur, daß du sie nicht mit hierher gebracht hast . . .

– Wer sagt euch denn, daß sie nicht hier bei mir ist?

– Was? schrien die beiden Frauen zugleich wie aus einem Munde . . . Was?

Und Tante Eugenie fuhr fort, nachdem sie sich durch einen kräftigen Schluck gewappnet hatte:

– Du wirst uns doch so etwas nicht antun? So eine Schande! Die Tochter meines Bruders, die Witwe eines Mannes, der noch nicht zwei Jahre unter der Erde liegt, hier, in dieser kleinen Stadt, wo jeder Krämer uns kennt und uns auf die Finger sieht, als deine . . .

– Als was?

– Als deine . . . Gott, ich mag das Wort nicht aussprechen . . .

– Oder ich als ihr . . .

– Wie?

– Oder ich als ihr . . .

– Henry! sagte Tante Eugenie, während sie mir die Hand auf die Schulter legte, wenn ich nicht ganz genau wüßte, daß du Allotria mit uns treibst . . .

– Tante Eugenie: ich treibe wirklich kein Allotria mit euch. Was wäre denn dabei, wenn mir Germaine 32 hier von Zeit zu Zeit Gesellschaft leistete? Kannst du ihr das verbieten?

– Gewiß nicht. Aber ich würde sie dann einfach nicht empfangen. Und dich auch nicht mehr.

– Wenn du diese Unvorsichtigkeit begingest, dann wäre allerdings der Skandal da!

– Das ist ja die reinste Erpressung! rief Renate.

– Ich kann nicht mehr, sagte Tante Eugenie. Ich kann und will nicht mehr. Machen wir Schluß mit dieser unerquicklichen Geschichte, die du so leichtfertig vom Zaun gebrochen hast.

– Ich? Ich? Dort sitzt der Bösewicht, Renate! Hätte sie nicht angefangen, hättet ihr nie eine Silbe von meiner engen Freundschaft mit Germaine erfahren . . .

– Es ist mir schon lieber, wir haben etwas davon erfahren. Dann wissen wir doch wenigstens, woran wir sind . . .

– Ja – was wißt ihr denn nun eigentlich?

Die beiden Frauen schauten sich verdutzt an.

– Antwortet mir doch! Aha! Ihr könnt nicht antworten. Warum nicht? Weil ihr gar nichts wißt! Weil ihr nicht einmal wißt, ob ich euch nicht etwas vorgeflunkert habe!

– Du bist mit Germaine um die Dämmerstunde des dritten Oktober Arm in Arm im Park von St. Cloud von meiner Freundin Lily Zumbusch gesehen worden, die dich in einer Pariser Familie kennenlernte. 33

– Ich bin mir zwar nicht bewußt, einer Dame Zumbusch jemals vorgestellt worden zu sein – aber was diese Dame gesehen und berichtet hat, stimmt, liebe Renate.

– Den Rest kann man sich denken, wenn man Germaine und dich kennt . . .

– Stimmt ebenfalls. Denken kann man sich immer einen Rest. Und damit hört die Geschichte auf, die gar keine ist, weil sie, ehe du dachtest, nicht einmal angefangen hat. Hast du mich jetzt verstanden, Renate? Und willst du mir erlauben, noch einen frommen Wunsch für dich zuzufügen? Nämlich den, du mögest im Lauf der nächsten Woche im Stadtwald um die Dämmerstunde Arm in Arm mit einem recht netten Herrn gesehen werden . . .

– Du bist und bleibst doch der Lausbub, der du immer warst, sagte Tante Eugenie. Mein Gott, Renate, hole mir doch einmal einen Boonekamp auf den Schreck hin!

Es wurden drei Boonekamp getrunken . . .

– Wo siehst du denn Germaine in Paris? fragte Tante Eugenie.

– An sehr viel verschiedenen Orten. In dem, was man komischerweise »le monde« nennt, bei Essen, auf Bällen, oder in ihrer reizenden Wohnung in der Avenue Velasquez – und manchmal auch bei mir . . .

– Bei dir? Ich denke, du wohnst doch mit Herrn von Amersfoort zusammen?

– Ich habe ihm zwei Zimmer abgemietet, die von der 34 übrigen Wohnung getrennt sind. Ich kann von meinen Räumen in die seinen nur über den Korridor gelangen.

– Ach so . . . Und ihr führt keinen gemeinsamen Haushalt?

– Aber wir denken ja nicht daran!

– So . . . Und hast du diese Wohnung beibehalten?

– Adrian hat sie für die Dauer meiner Abwesenheit einem Freunde vermietet.

– Ich sehe.

– Was siehst du?

– Plan und Aufbau. Hier das Examen – und dort Germaine . . . die Heirat vielleicht. Eines nach dem anderen . . .

– Und noch vieles andre dazu, liebe Tante . . .

– Ja, ja . . . Noch vieles andre dazu . . . So warst du immer – und so wirst du bleiben . . . Du hast immer gewußt, wo die Aprikosen blühn . . .

– Nicht nur die Aprikosen . . . Auch die Pfirsiche, sagte Renate. 35

 


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