Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Für Jonathan Wilds Verbrechen hat unsere Sprache keinen Namen. Er war kein Räuber und Dieb, auch eigentlich kein Hehler; er war der Vorsteher eines großen Diebstahlkommissionsgeschäfts, wo ein jeder für gutes Geld das finden konnte, was ihm fehlte: der Bestohlene das ihm entwandte Gut, der Dieb einen Abnehmer für die gestohlenen Sachen und – wenn es ihm an Beschäftigung fehlte – Anweisung, wo etwas für ihn zu verdienen sein könnte. Kein Mann war im ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts in London so allgemein bekannt wie Jonathan Wild. Hoch und nieder, wem durch Einbruch, Raub oder Diebstahl Sachen von Wert abhanden gekommen waren, wandte sich an Jonathan, der ihn freundlich anhörte und in den meisten Fällen die gestohlenen Gegenstände wieder schaffte.
Er tat aber noch mehr. Er verhalf nicht allein den Beraubten, sondern der Justiz selbst zu dem Ihren, indem er Diebe entdeckte, Räuber ergriff, Mörder aufspürte, sie der Polizei überlieferte und eine große Anzahl gefährlicher Verbrecher auf diese Weise an den Galgen förderte.
So half er Herzögen und Lords, Witwen und Waisen zu ihrem Eigentum, zuweilen sogar mit dem Anschein großer Uneigennützigkeit. So säuberte er die Straßen von schlechtem Gesindel, füllte die Kerker und befreite die bürgerliche Gesellschaft von manchem verwegenen Bösewicht, der ihn unter dem Galgen zähneknirschend verfluchte. Aber jedermann wußte, daß Jonathan Wild selbst der ärgste Betrüger und Schurke sei, wenn auch nicht dem Buchstaben der Gesetze nach.
Geboren war Jonathan Wild um das Jahr 1682. Er heiratete früh, verließ aber bald Weib und Kind, um in London sein Glück zu versuchen. Vorerst nicht eben mit dem besten Erfolg: nach einigen Monaten saß er im Schuldgefängnis, in dem er vier Jahre verblieb.
Hier lernte er Mery Milliner, eine Straßendirne, kennen, und ging mit ihr, nachdem sie beide frei geworden, eine neue Ehe ein, ohne für die Einsegnung den Pfarrer zu bemühen.
Er nährte sich mit seinem Weibe redlich durch ein Geschäft, das gemeinhin gute Früchte trägt: Die junge Frau ließ sich mit einem Verehrer von dem eifersüchtigen Ehemanne überraschen, der wutschnaubend zum Degen griff und mit der Polizei drohte, sich aber endlich doch durch eine mehr oder minder große Barzahlung beschwichtigen ließ.
Einige reiche junge Edelleute, welche sich mit schwerem Geld loskaufen mußten, setzten die beiden bald in den Stand, sich ein kleines Haus zu kaufen. Jonathan war durch die früheren Verbindungen seiner gewitzigten jungen Frau bald mit allen Galgenstricken von einigem Rufe bekannt geworden. Mit angeborener Schlauheit hatte er sich zum Vertrauten aller ihrer Geheimnisse gemacht; er kannte ihre Schlupfwinkel, ihre besonderen Talente und Neigungen und die Art, auf welche sie ihre Beute veräußerten. Kurz, er wußte so viel von ihnen, daß er ihr Leben in seiner Hand hatte und aus einem Vertrauten ihr Tyrann wurde.
Vordem konnte ein Dieb, wenn er eine Beute gemacht, sie leicht wieder in andere Hände bringen; das Gesetz hatte damals noch keine Strafe für die Käufer gestohlener Sachen. Aber nachdem eine gegen die Hehler gerichtete Parlamentsverordnung durchgegangen war, nahm der Handel mit gestohlenen Gegenständen notgedrungen ab. Die wenigen Trödler, welche das Geschäft noch fortzusetzen wagten, liefen große Gefahr und ließen sich ungeheuer bezahlen, dermaßen, daß den armen Dieben für sich selbst fast nichts blieb.
Da faßte Jonathan Wilds erfinderischer Geist einen großartigen Plan, welcher dem Geschäfte einen neuen Aufschwung gab. Er berief die vornehmsten Diebe zu sich und hielt ihnen etwa folgende Rede:
»Ihr wißt, meine wackeren Freunde, daß Ihr, wie der Handel jetzt geht, die erbärmlichsten Aussichten habt. Denn wenn ihr was an euch bringt und tragt es zu den Trödlern, so lassen euch diese gewissenlosen Schacherer höchstens ein Viertel von dem zukommen, was die Sache wert ist. Wie kann bei solch traurigem Zustande ein Mensch von seinem Verdienste leben? Wenn er nicht verhungern will, so läuft er Gefahr, gehenkt zu werden – und, meine Freunde, das ist eine verdammt häßliche Sache. Folgt ihr aber meiner Anweisung, so weiß ich euch ein Mittel: Wenn ihr auf einen Gang aus waret und mit Erfolg mit einem Dinge gesprochen habt,« – mit einem Ding sprechen, das ist der Ausdruck, den zartsinnige Diebe gern gebrauchten, um das häßliche Wort ›Stehlen‹ zu vermeiden – »laßt mich dann alles wissen. Ich mache mich anheischig, dem Schelm, der von Euch erleichtert ward, sein Sach zurückzugeben und für Euch dafür mehr zu erhalten, als Ihr von dem schuftigen Trödlergesindel je erwarten könnt.«
Der Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. Sobald nunmehr ein Diebstahl oder Einbruch, ein Straßenraub von den vereinigten Dieben begangen worden, wurde Jonathan in Kenntnis gesetzt. Ihm mußte gemeldet werden, was – wann – wie – wem – etwas gestohlen worden, und welchem Trödler es übergeben war.
Darauf ging Jonathan oder auch Mery Milliner zu den Beraubten und sprach zu ihnen: »Zufällig hörte ich neulich, daß Sie bestohlen worden seien. Ein Freund von mir, ein rechtlicher Trödler, hat einige Sachen, weil sie ihm verdächtig scheinen, bei sich behalten. Ich hielt es für meine Pflicht, Sie davon in Kenntnis zu setzen, obgleich ich nicht weiß, ob die ihrigen wirklich darunter sind. Sollte dies der Fall sein, was ich von Herzen wünsche, so werde ich meine ganze Mühwaltung darauf verwenden, sie Ihnen wieder zu verschaffen, vorausgesetzt, daß Sie niemanden deshalb in Ungelegenheit bringen und dem ehrlichen Trödler etwas für seine Bemühung zuwenden wollen.«
Jonathan machte bald ungeheuere Geschäfte – War der Bestohlene indessen mißtrauisch und richtete zu viel Fragen an Wild, so setzte der sich aufs hohe Roß und antwortete: »Mein Herr, ich kam nur her, um Ihnen nützlich zu sein. Denken Sie etwa anderes von mir, so muß ich Ihnen sagen, daß Sie sich in einem Irrtume befinden. Ich teilte Ihnen nur mit, daß eine verdächtige Person einige Sachen angeboten und der Trödler die Rechtlichkeit gehabt hat, sie anzuhalten. Wenn Sie aber die Dreistigkeit haben, mich nach Dieben zu fragen, so habe ich Ihnen nur noch Rechenschaft über mich selbst zu geben. Mein Name ist Wild, mein Haus, in dem Sie mich an jedem Tage in der Woche antreffen, liegt da und da, und ich bin Ihr ergebenster Diener.« Diese Sprache verfehlte selten ihre Wirkung. Man verhandelte aufs neue mit ihm; in solchen Fällen pflegte er seine Forderungen bedeutend höher zu schrauben.
Da Jonathan Prozente vom Trödler erhielt, nahm er anfänglich von den Bestohlenen selbst gar keine Bezahlung und erwarb sich dadurch beim Publikum einen ziemlichen Ruf. Mit steigendem Glück änderte er indessen sein Verfahren. Er kam jetzt nicht mehr zu den Bestohlenen, sondern ließ diese sich bei ihm melden. In seinem Bureau empfing er sie nicht anders, als wäre er irgendein Beamter. Er gab ihnen zu verstehen, daß sie zuvörderst einen Kronentaler als Gebühr erlegen müßten. Dann fragte er nach ihren Namen, wann und wie sie beraubt worden wären, wen sie wohl im Verdacht hätten und wieviel sie wohl für Wiederbeschaffung der gestohlenen Sachen zahlen wollten? Ihre Antworten wurden genau in ein Buch eingetragen, und er entließ sie mit der Versicherung, daß er alle möglichen Nachforschungen anstellen werde, und wenn sie sich nach einigen Tagen wieder zu ihm bemühen wollten, hoffe er ihnen Auskunft geben zu können.
Bei ihrem nächsten Besuche lautete gewöhnlich der Bescheid: »Allerdings habe ich etwas über Ihre Sachen in Erfahrung gebracht, aber die Person, die ich ausschickte, um Erkundigungen einzuziehen, berichtet mir, daß die Schufte behaupten, sie könnten die Sachen für mehr Geld versetzen, als Sie bieten. Wenn Sie daher auf ihrer Wiedererlangung bestehen, müßte ich Ihnen raten, bessere Bedingungen zu stellen.«
Indessen nahm er nicht immer das mehr gebotene Geld an. Es war oft nur ein Manöver, um den Leuten zu zeigen, wie uneigennützig er verfahre.
Die ausgedehnten Verhöre, die er mit den Bestohlenen anstellte, hatten immer einen Zweck. Entweder wußte er bereits alles; dann galt es, die Befragten zu täuschen und ihnen einen hohen Begriff von seinem Eifer beizubringen. Wußte er aber noch nichts, oder war er noch nicht im klaren, auf welche Weise der Dieb verfahren war, so erfuhr er es durch den Bestohlenen. Die Diebe konnten ihm dann nichts verbergen.
Durch sein Institut erhielten mit einemmal Dinge einen Wert, von denen früher niemand gedacht hatte, daß es sich lohne, sie zu stehlen. Taschenbücher, Rechnungen, welche bis dahin bei jedem Einbruch unberührt liegen geblieben waren, wurden jetzt fortgenommen; denn da sie für den Eigentümer von Bedeutung waren, wußte man, daß er für ihre Wiedererlangung etwas erkleckliches geben werde.
Jonathan wurde jetzt allgemach ein Gentleman. Er trug einen Degen an der Seite. Doch soll der erste Gebrauch, den er von demselben machte, nicht viel adligen Sinn verraten haben: er hieb seiner sogenannten Frau im Zorn ein Ohr damit ab. Dies veranlaßte eine Trennung; doch erwies er sich großmütig gegen Mery Milliner. Sie war es ja gewesen, die ihn in die Gesellschaft seiner jetzigen Freunde eingeführt; er setzte ihr eine Pension aus, welche sie ihr Leben lang erhielt.
Ehe Jonathan indessen ein Gentleman wurde, hatte er sich während einiger Zeit mit einem nicht minder berüchtigten Manne seines Gelichters assoziiert oder war vielmehr als dessen Gehilfe aufgetreten. Es handelte sich um niemand anders als den Stadtmarschall Charles Hitchen. Dessen Geschäft war es, liederliches Gesindel festzunehmen und Diebe zu ergreifen. Jonathan hatte es, um sich einen guten Ruf zu verschaffen, für vorteilhaft gefunden, sich auch auf dies Handwerk zu werfen, welches ihm obrigkeitliche Belohnungen und – was mehr war – großen Respekt bei dem Diebsgelichter verschaffen konnte. Aber schon 1715 trennte er sich von dem Marschall und betrieb nun auch dieses Geschäft auf eigene Rechnung.
Der Stadtmarschall war wütend darüber und drohte, er wolle Jonathans Schurkereien aufdecken. Die beiden bekämpften sich merkwürdigerweise mit – Flugschriften, in welchen jeder die Kniffe und Schlechtigkeiten des andern aufdeckte, wahrscheinlich zur großen Belustigung des Publikums, aber, wie es scheint, ohne daß die Obrigkeit weder gegen den einen, noch gegen den andern vorging. Diese Flugschriften sind uns erhalten. Die des Stadtmarschalls ist plump und ungeschickt abgefaßt. So schildert er seinen Gegner: »Seht diesen König unter den Dieben, diesen Generallügenmeister von England, diesen Generalkapitän der Armee aller Plünderer, diesen außerordentlichen Ambassadeur des Königs von Dunst und Wind, seht, wie er seine Residenz aufgeschlagen hat im Palast der Königin der Hölle, wo er fortwährend Audienz erteilt, um gestohlenes Gut zu empfangen, um es zurückzuzahlen, nämlich wenn man Sr. Exzellenz genug bietet! – – O London! London! ehedem so berühmt wegen deiner guten Ordnung, warum denn bist du itzo eine Hölle und ein Schlupfwinkel für alle Diebe, Räuber und den Abschaum aller Schurken?
Weshalb ergreift Jonathan Wild die armen Dirnen auf den Straßen, weshalb dringt er in die schlechten Häuser und faßt und schleppt, wen er da trifft, in die Gefängnisse? Die Antwort ist: damit die halb Schuldigen in der großen Lasterschule der Kerker vollkommen verderben und, wieder entlassen, von den rechtlichen Leuten ausgestoßen, gezwungen sind, zu Jonathan ihre Zuflucht zu nehmen und den großen Troß seiner dienstbaren Geister zu vermehren! Um sich vor dem Galgen zu schützen, müssen sie sich ihm ganz zu eigen ergeben und sind auf Lebenszeit verloren.«
In seiner Antwortschrift wirft Wild seinem Gegner derartige Dinge vor, daß dieser um nichts besser als er selbst erscheint. Auch der Marschall stand offenbar in großer Vertraulichkeit mit dem Gesindel, das er zu verfolgen bestimmt war: so läßt ihn Jonathan ein paar öffentliche Dirnen, welche eine gestohlene Uhr nicht herausgeben wollen, anreden: »Ihr seid die undankbarsten Dinger von der Welt, da ich Euch doch, wenn ich nur was wußte von einem Herrn, der was Wertvolles hatte, nie daraus ein Geheimnis machte, sondern die Person so genau beschrieb, daß Ihr gar nicht fehlgreifen konntet. Und solche Lumperei mir verweigern! da mag der Teufel mit Euch handeln!« – Es finden sich in Wilds Schilderung dieses nichtsnutzigen Beamten manche Züge, welche uns die Überzeugung geben, daß die englischen Dichter von Shakespeare an ihre ergötzlichen trunkenen, habsüchtigen und groben Polizeibeamten mehr der Wirklichkeit als ihrer Phantasie entnahmen. – Der Stadtmarschall ward übrigens nach mehreren Jahren, noch vor dem Ende seines gelehrigen Schülers, seines Amtes entsetzt und wegen Sittlichkeitsverbrechen, die in England mit besonderer Strenge bestraft wurden, hingerichtet.
Mittlerweile hatte Jonathan Wild nicht nur das Kleid eines Gentleman angenommen, er hielt auch in seiner Weise auf Ehre. Seine Lords, wie er die Diebe nannte, gehorchten ihm pünktlich, weil sie wußten, daß sie sich auf ihn verlassen konnten. Und wenn er unter Zusicherung, daß keine Gefahr dabei sei, irgendeinen von der Polizei gesuchten Verbrecher zu sich entbieten ließ, so erschien dieser sogleich, wiewohl er wußte, daß sein Leben von Jonathans gutem Willen abhing. Wurden sie bei ihren Verhandlungen einig, so schieden sie als gute Freunde; andernfalls entließ Jonathan den anderen mit den Worten: »Geh in Sicherheit: sehen wir uns wieder, so bin ich dein Feind!«
Es war für die Verbrecher ein größeres Wagnis, den Zorn Jonathans zu reizen, als mit der Polizei anzubinden. Wer sich schlecht mit ihm stellte, den verfolgte er unnachsichtlich; besonders energisch aber wandte er sich gegen die »unabhängigen Diebe«, das heißt diejenigen, welche seine Autorität nicht respektierten und die Keckheit besaßen, ihre Geschäfte zu erledigen, ohne ihn zu Rate zu ziehen. So war es ihm einmal gelungen, vier bei einem Raubmord beteiligte »Unabhängige« zu fassen, der fünfte und wichtigste aber, Timotheus Dun, konnte nicht ergriffen werden. Aber für Jonathan war es eine Ehrensache geworden, auch diesen Mörder zu fassen. Er wußte, daß ein Mensch von dessen Gelichter nicht allzu lange in seinem Versteck ausdauern könne: er mußte aufs neue seinem Geschäfte nachgehen oder verhungern.
Dun ward auch in der Tat bald müde, sich zu verbergen. Er schickte seine Frau aus, um sich unter der Hand in Jonathans Hause zu erkundigen, wie die Dinge stünden, und auf den Busch zu klopfen, ob eine Übereinkunft mit dem erzürnten Regulator, wie Wild genannt wurde, möglich sei. Aber Jonathan entließ sie ohne tröstlichen Bescheid. Als sie am Abend fortging, sandte ihr Wild Abraham, seinen Getreuen, nach, um ihrer Fährte zu folgen. Die gewitzigte Frau des Diebes merkte es. Sie schiffte über die Themse. Der Spürhund setzte ihr in einem anderen Boote nach. Sie merkte es und schlug die entgegengesetzte Richtung ein; aber er blieb immer hinter ihr. Sie fuhr zum zweitenmal über die Themse: er folgte ihr wieder. Endlich in der Dunkelheit glaubte sie, er habe ihre Spur verloren, da er sich in gehöriger Entfernung hielt. Aber sein scharfes Auge ließ sie nicht außer acht und sah, daß sie in ein Haus in Southwark ging. Er machte an der Haustür ein Zeichen.
Am frühen Morgen des nächsten Tages führte Abraham seinen Herrn mit noch zwei Begleitern hin.
Duns Haus war von den Vieren umstellt. Als der Verbrecher die Verfolger auf der Treppe hörte, stieg er aus dem Hinterfenster auf ein niedriges Dach. Abraham stand aber schon im Hinterhofe und feuerte seine Pistole auf ihn. An der Schulter verwundet, stürzte Dun in den Hof hinab. Er ward gefangen genommen, den Gerichten überliefert und gehängt. Jonathan gewann eine große Belohnung, welche die Obrigkeit ausgesetzt hatte, und noch größeren Ruhm.
So leistete Wild wohl hier und da einmal – wenn auch nur aus egoistischem Grunde – dem Gemeinwesen einen gewissen Dienst; da aber gleichzeitig, dank der vorzüglichen Organisation, die er dem Diebesgewerbe gegeben, die Unsicherheit in London immer größer wurde, so hätte man dem schlauen Patron gern das Handwerk gelegt.
Wie aber konnte das geschehen? Wild war kein Dieb, es ließ sich auch nicht erweisen, daß er als Hehler fungierte. So blieb zuletzt nichts übrig, als daß im Jahre 1718 – eigens eine Parlamentsverordnung erlassen wurde, die es als ein Verbrechen bezeichnete, Geschenke von Bestohlenen anzunehmen, um ihnen zu dem ihren zu verhelfen, wenn nicht der Vermittler nachweisen könne, daß er mit den Dieben nicht unter einer Decke stecke.
So konnte sich Jonathan der Ehre rühmen, auf die Gesetzgebung seines Landes von gutem Einfluß gewesen zu sein. Man meinte allgemein, daß diese Verordnung sein Geschäft ruinieren müsse. Sie tat ihm indes nur auf kurze Zeit Abbruch; er änderte einiges im Verfahren, ward vorsichtiger, und der Handel blühte wieder auf.
Jetzt mußten die Bestohlenen zwei- oder dreimal zu ihm kommen, und er hatte stets die Antwort: aller seiner Bemühungen ungeachtet habe er nichts ermitteln können. Endlich hatte er denn die Spur gefunden und wußte den Besitzer der gestohlenen Güter. Nun hieß es: wenn Ihr da und dahin soundso viel Geld schickt, wird man dem Überbringer die Sachen ausliefern. So wurde das Geschäft jetzt – gewöhnlich an einer Straßenecke – in einem fernen Stadtteil, wo ein Unbekannter rasch das Geld in Empfang nahm, erledigt; Jonathan war nicht mehr direkt beteiligt.
In andern Fällen veranlaßte er die Bestohlenen, den ersten Schritt zu tun und durch öffentliche Anzeige soundso viel Belohnung demjenigen auszusetzen, welcher die Sachen zu Jonathan Wild bringen würde. Wild ward somit bevollmächtigt, sie ohne weitere Nachforschung in Empfang zu nehmen. Er hatte die Hand nicht im Spiele, er tat nur, was jeder andere unbescholtene Mann gleichfalls getan haben würde.
Hatten die Bestohlenen nun ihre Sachen wieder erhalten und fragten, was sie ihm für seine Mühe schuldig wären, so antwortete er mit der gleichgültigsten Miene von der Welt, sie möchten ganz nach ihrem eigenen Gutdünken handeln, er verlange gar nichts für sich. Er sei froh, daß es in seiner Macht gestanden, ihnen einen Dienst zu leisten. Wenn man ihm aber durchaus ein Geschenk machen wolle, so stände das freilich bei jedem, er betrachte es aber als einen reinen Akt der Freigebigkeit, und würde es nicht als Belohnung, sondern als Ehrengabe annehmen.
Auf diese Weise vergrößerte sich noch sein Geschäft, und da seine Kunden aus allen Teilen der Stadt ihm zuliefen, errichtete er zu ihrer und seiner Erleichterung eine Filiale jenseits der Themse und ernannte zu deren Chef seinen getreuen Abraham.
Um den Handel weiter zu vergrößern und um gestohlene Sachen, deren vormalige Besitzer sich nicht meldeten, bequem im Ausland an den Mann zu bringen, kaufte er eigens ein Schiff, das ein kühner Seeräuber, Roger Johnson, kommandierte. Nach Ostende wurde jeweilig das geraubte Gut geschafft, und bei der Rückreise Schmuggel mit Spitzen und Leinwand getrieben.
Von der Allwissenheit, die Wild sich allmählich in London erworben hatte, erzählt man manch ergötzliche Geschichte.
Einmal hatte ein Seidenhändler seinen Hausdiener mit einer Kiste von Stoffen im Wert von 200 Pfd. Sterling ausgeschickt. Drei Diebe folgten ihm und hatten große Lust, mit der Kiste ein »Gespräch« zu führen. »Heda, Hausknecht, willst du einen Sixpence verdienen?« – »Warum nicht!« war die Antwort. – »So laufe schnell dort nach der Schenke, wo ich meinen Überrock gelassen habe. Weise meine goldene Uhr hier vor, und man wird dir ihn geben. Ich passe auf deine Kiste auf. Aber mach schnell!«
Die Herren waren anständig gekleidet, die Uhr hielt der Diener in der Hand; woran sollte er Anstand nehmen? Er setzte die Kiste nieder und lief, was er laufen konnte. Aber in der Schenke wußte niemand von einem Überrock, der zurückgeblieben. »Schon gut, Ihr traut mir nicht,« sagte der Hausknecht. »Aber ich habe von dem Herrn ein gutes Pfand – da ist seine goldene Uhr.« – Gold? – Es war nur lackiertes Zinn. Der betroffene Hausknecht stürzte zurück, wo er die Herren gelassen, aber da war weder Herr noch Kiste zu finden. Der unglückliche Diener ging mit sich zu Rate. Was sollte er seinem Herrn sagen? Ihm gestehen, daß er ein Dummkopf gewesen, der sich so grob hatte übertölpeln lassen? – Er sann auf eine Lüge. Die Straße war voll Kot. Er warf sich auf die Erde und wälzte sich im Schmutz. Heulend kam er nach Hause und erzählte, er sei von drei Kerlen überfallen worden, die ihn geschlagen und niedergeworfen hätten und mit der Kiste auf und davon gerannt wären.
Die Sache klang so wahrscheinlich, daß der Seidenhändler keinen Augenblick zweifelte und sich augenblicklich an Jonathan Wild wandte. Wild hörte ihn ruhig an: »Mir scheint es, Ihr Hausknecht ist ein Lügenmaul. Erlauben Sie, daß ich ihn holen lasse, und ich hoffe, Sie davon zu überzeugen.« Der Hausknecht kam und ward von Abraham in ein Zimmer gebracht, das nur durch eine dünne Wand von dem getrennt war, in welchem der Händler mit Jonathan war. Abraham examinierte den Knecht. Der erzählte ausführlich von den drei furchtbaren Kerlen, die ihn angefallen. Abraham zuckte die Achsel und meinte, das wäre schlimm, denn da es sich um einen offenbaren Raub handele, würden die Spitzbuben so bald nicht wiederkommen: es ginge um ihr Leben. »Aber die Wahrheit werden wir schon herausfinden. Gaben sie Euch denn die Uhr, als Ihr schon lagt, oder als Ihr noch auf den Beinen standet?« – »Die Uhr?« fragte der erschreckte Diener. – »Nun, das Pfand, um den Überrock zu holen.« – »Zum Teufel! woher wißt Ihr das?« rief der Mann und bekannte seine Dummheit. Der Seidenhändler erhielt seine Waren, Wild seinen Lohn.
Fünfzehn Jahre waren so hingegangen, ohne daß man Wild persönlich jemals mit Ernst zu Leibe gerückt wäre: Er war für die öffentliche Sicherheitspflege von zu großer Bedeutung geworden, kannte alle Verbrecherfährten und war in vielen Fällen allein imstande, die Schuldigen zu entdecken. Man duldete das kleinere Übel, um größerem leichter abhelfen zu können.
Aber Jonathan war allmählich selbst zur größten Plage für die Hauptstadt geworden. Sein Beispiel wirkte demoralisierend auf das Volk. Man mußte gegen ihn vorgehen.
Im Jahre 1725 wurde der völlig Überraschte auf Grund einer Anklage, welche alle seine Verbrechen in elf Artikeln zusammenfaßte, verhaftet.
Der Prozeß hätte sehr weitläufig werden können. Es war schwer vorauszusehen, ob nicht der geriebene Schurke, den man kaum aller seiner Verbrechen überführen konnte, sich nicht doch aus der Schlinge ziehen würde.
So entschloß man sich, die Anklage auf ein einziges Verbrechen zu beschränken, das er in allerletzter Zeit begangen hatte: Es war ein Vergehen wider jene Parlamentsverordnung, die erlassen worden, um ihm das Handwerk zu legen. Es handelte sich um eine sehr geringfügige Sache, aber sie genügte, Wild an den Galgen zu bringen. Man beschuldigte ihn, mit einigen anderen im Laden der Katharina Stetham fünfzig Ellen Spitzen gestohlen und von besagter Frau Stetham zehn Guineen angenommen zu haben, um die Diebe zu entdecken.
Jonathan wurde vor die Geschworenen gestellt. Er ließ ihnen eine gedruckte Liste von siebenundsechzig Verbrechern überreichen, deren Gefangennahme sein Verdienst war; unter der Liste standen die Worte:
»Wegen dessen, was dieses Papier enthält, haben einige bis jetzt den Händen der Gerechtigkeit entschlüpfte Verbrecher den Versuch gemacht, das Leben zu rauben dem besagten
Jonathan Wild.«
Das war seine Verteidigung.
Der Hauptzeuge Kelly sagte folgendermaßen aus:
Freitag am 22. Januar ging ich zu Master Wild. Wir tranken eine Flasche Gin zusammen. Da kam auch Peg Murphey, wir waren recht lustig und tranken noch drei Flaschen miteinander. Als wir nun fortgehen wollten, die Peg und ich, fragte uns Jonathan, welchen Weg wir nähmen? Wir sagten es ihm. »Nun gut,« sprach er, »dann will ich euch was sagen: da ist ein altes blindes Mensch, die hält einen Laden, etwa zwanzig Schritte von Holbournbridge, und verkauft feine flander'sche Spitzen. Und ihre Tochter ist so blind wie sie. Wenn ihr euch nun die Mühe nehmen wollt, bei ihr einzutreten, da könntet ihr mit einer Schachtel Spitzen sprechen. Ich will mit euch gehen und euch die Tür zeigen.« Wir willigten ein und gingen, bis wir an der Tür waren. »Und nun«, sagte er, »geht nur dreist rein, und ich will hier warten und euch schon fortschaffen, wenn irgend was Störendes kommen sollte.« Die Peg und ich, wir gingen nun dreist in den Laden und ließen uns ein Stück Spitzen nach dem andern zeigen, aber keins wollte uns gefallen: das Stück war uns zu breit, und das zu schmal und das nicht fein genug. Endlich kletterte das alte Weib die Treppe hinauf, um von oben noch andere Stücke herunterzuholen, und da griff ich schnell eine Zinnschachtel mit Spitzen und reichte sie der Peg, die sie unter ihren Rock steckte. Nun kam das alte Weib mit einer neuen Büchse herunter und zeigte uns alle ihre Herrlichkeiten; aber nun war uns alles zu teuer, denn was wir wollten, hatten wir schon um den Preis, der uns recht war, und da nahmen wir unsern Hut und fanden draußen den Jonathan und sagten ihm, wir hätten mit einer Spitzenschachtel gesprochen. Stracks ging es nun in sein Haus zurück, wo die Büchse aufgetan ward, und da fanden wir elf Stück Spitzen. Er fragte uns, ob wir auf der Stelle bar Geld haben oder warten wollten, bis eine öffentliche Anzeige käme. Du lieber Himmel, mit unserm Mammon stand's dazumal gerade verflucht schlecht, da griffen wir zum Baren, und er gab uns drei Guineen und etwas Silber. »Ich kann euch nicht mehr geben,« sagte er, »denn das alte Mensch hat ein hartes Gebiß, und ich kriege nicht mehr als zehn Guineen aus ihr raus.«
Margarete Murphey – von der uns beiläufig die trostreiche Versicherung gegeben wird, daß sie drei Jahre später auch gehängt wurde, weil sie mit einer silbernen Teekanne gesprochen hatte – sagte ungefähr dasselbe aus. Die bestohlene Ladenbesitzerin aber, die als Anklägerin auftrat, bekundete, daß sie Wild zehn Guineen gegeben, und daß er noch im Gefängnis mit ihr über die Sache verhandelt hatte.
Somit war festgestellt, daß Jonathan mit den Dieben gemeinsame Sache machte und zugleich den Anwalt der Bestohlenen spielte.
Das genügte zur Verurteilung. Trotz der schönen Liste, die er dem Gericht übergeben, wurde die Todesstrafe gegen ihn ausgesprochen.
Er ging mit geringer Fassung dem Ende entgegen. Er suchte sich im Gefängnis zu vergiften, brachte es aber nur zu einer Art Betäubung, die anhielt, bis der Henker ihm den Strick umwarf.
Mit lautem Jubel sah der Pöbel seinen letzten Zuckungen zu.