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Der Handelsvertrag mit Gott

Als Paul Duhalde, der Sohn eines Juweliers zu Paris, sechzehn Jahre alt war, verlor er seinen Vater. Die Mutter ließ ihn in allem, was zur Handelswissenschaft gehört, sorgsam unterrichten. Sobald er imstande war, das Geschäft seines Vaters zu betreiben, machte er eine Reise nach Amerika.

Schon damals führte er ein Tagebuch über alles, was er vornahm: man ersah später daraus, daß er ein Gelübde getan hatte, die Hälfte des Gewinnes, den er auf der Reise machen würde, den Armen zu geben. Allein er hatte keinen Erfolg, und sein Gelübde war also nichtig.

Auf einer weiteren Reise, die er nach Madrid machte, um dort in seinem und zweier anderer Kaufleute Namen eine Anzahl Edelsteine zu verhandeln, hatte er auch kein Glück. Er kam nach Paris zurück, ohne den geringsten Gewinn erzielt zu haben. »Seit ich wieder in Paris bin«, schrieb er um diese Zeit in sein Tagebuch, »muß ich alle möglichen Widerwärtigkeiten erdulden; Freunde und Verwandte scheinen sich ein Vergnügen daraus zu machen, mich zu quälen. Ich gestehe, daß ich mir jetzt weder zu raten noch zu helfen weiß.«

In dieser melancholischen Stimmung entstand bei ihm eine der sonderbarsten Ideen, die je ein Mensch gehabt hat; er entschloß sich, einen Handelsvertrag mit dem lieben Gott abzuschließen. Er schrieb am 24. September 1719 darüber eine ordentliche Bescheinigung in seinem Tagebuch nieder: »Da ich entschlossen bin, eine Handelsgesellschaft mit Gott zu errichten, so verspreche und gelobe ich, alle die Artikel, welche hier unten folgen, aufs genaueste zu erfüllen; und zugleich verpflichte ich meine Erben, wer sie auch seien, alle diese Dinge in Erfüllung zu bringen, wenn ich sterben sollte, ehe ich selbst sie vollziehen kann.«

Das Kompagniegeschäft mit Gott, welches den Handel mit Edelsteinen bezweckte, sollte fünf Jahre dauern, vom 1. Oktober 1719 bis zum letzten September 1724.

Duhalde gab sein Vermögen auf 15 000 Livres an. Dies ganze Kapital übermachte er der Handelsgesellschaft.

Ferner begab er sich der Befugnis, während dieser fünf Jahre in eine andere Gesellschaft einzutreten, doch behielt er sich vor, sich verheiraten zu dürfen. – Aus einigen Stellen seines Tagebuchs kann man schließen, daß er damals schon Absichten auf das Mädchen hatte, das nachher seine Gattin wurde.

Endlich machte er sich verbindlich, nach Verlauf von fünf Jahren eine richtige Bilanz zu ziehen. Er wollte sein Vermögen genau berechnen, alsdann von der ganzen Summe 1) die 15 000 Livres, die er zur Eröffnung des Handels vorgeschossen habe, 2) das Vermögen seiner Frau, wenn er heiraten würde, und 3) alles, was ihm während dieser fünf Jahre durch Erbschaften zufallen würde, abziehen; »und der Überschuß,« schließt er, »wird zwischen Gott und mir geteilt.«

Nachdem er diesen Vertrag entworfen hatte, reiste er noch einmal nach Spanien. Anfangs zeigten sich für seine Geschäfte wieder keine günstigen Aussichten. Der Kardinal Alberoni, an dem er einen Beschützer gefunden hatte, fiel kurz darauf in Ungnade, und so waren auch Duhaldes Hoffnungen zunichte gemacht. Der Marquis Scotti, bei dem er nun Unterstützung suchte, verschaffte ihm den Titel eines Juweliers des Königs und der Königin.

Einige Jahre darauf eröffneten sich ihm unvermutet bessere Aussichten. Eine Doppelehe, die zwischen Gliedern der königlichen Häuser Frankreichs und Spaniens bevorstand, gab ihm Hoffnung, einen ansehnlichen Gewinn zu erzielen. Er wandte alle Mühe auf, um es dahin zu bringen, daß die Lieferung der Edelsteine und Juwelen zu diesen zwei glänzenden Vermählungen ihm übertragen würde. Weil aber zugleich ein spanischer Juwelier namens Alfuzo als sein Konkurrent auftrat, und Duhalde fürchten mußte, daß ihm dieser den Rang ablaufen möchte, so blieb ihm kein anderes Mittel, als sich mit dem Spanier zu vergleichen und mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen. Nun reiste er im Oktober 1721 mit dem erhaltenen Gelde nach Paris zurück und besorgte den Ankauf der erforderlichen Juwelen. Der Gewinn überstieg seine Erwartung.

Jetzt beschloß er, Paris nie wieder zu verlassen, und verheiratete sich im Januar 1722 mit Marie Anne von Hansy, der Tochter eines Buchhändlers. Sein Vermögen war damals auf 86 000 Livres gestiegen, abgesehen von dem Kapital, mit welchem er den Handel angefangen hatte. Die Mitgift seiner Gattin bestand aus 30 000 Livres, wovon die Hälfte zu dem gemeinschaftlichen Vermögen geschlagen wurde. In dem Ehekontrakt befand sich die Klausel, daß keines von beiden Ehegatten gehalten sein solle, für die Schulden zu stehen, die der eine oder der andere von ihnen vor der Eheschließung gemacht hätte.

Seine Mutter, die um diese Zeit starb, hinterließ Duhalde überdies eine Summe von mehr als 70 000 Livres.

Am 1. Oktober 1724 hatte – nach der Bestimmung im Tagebuch – die Handelsgesellschaft mit Gott ihr Ende erreicht. Duhalde schloß nun seine Bücher ab, machte eine genaue Inventur, zog dann eine Bilanz und berechnete den Gewinn der Gesellschaft gewissenhaft nach den bei dem Handelsvertrage aufgestellten Grundsätzen.

In dem Vermerk, den er dieser Berechnung beifügte, erklärte er, daß ein Teil von den Edelsteinen, in denen der Reingewinn der Gesellschaft angelegt wäre, in Amsterdam, der andere in Madrid liege, und nur die übrigen in seinem Hause zu finden seien. Da der Gewinn, den Gott, und in dessen Namen die Armen erhielten, zum Teil auch in den Edelsteinen bestand, die ins Ausland verschickt und eben jetzt im Preise gefallen waren, so veranschlagte er ihren Wert nicht in Geld, sondern zeigte durch eine genaue Beschreibung an, welche von diesen Juwelen den Armen gehörten. Die Edelsteine aber, die er zu Paris hatte, verteilte er in verschiedene Pakete und schrieb auf jedes derselben: »Hiervon gehört die Hälfte den Armen.« Er trug die Rechnung über den Anteil, den er Gott zugeteilt hatte, in sein Handelsbuch ein und schrieb darunter: »Unglück und Fluch komme über meine Erben – sie mögen sein, wer sie wollen – wenn sie sich unter irgend einem Vorwande weigern, die Hälfte von dem Gelde, das aus den oben angezeigten Edelsteinen gelöst werden wird, den Armen zu geben, falls Gott über mich gebieten sollte, ehe ich noch selbst mein Gelübde eingelöst habe. Sollte sich aber mein Vermögen durch außerordentliche Vorfälle so verringern, daß ich nichts als die besagte, den Armen gehörige Summe hinterließe, so soll diese doch an die Armen gezahlt werden: denn es ist fremdes anvertrautes Gut, das unter keinerlei Vorwand zurückbehalten werden darf.«

Inzwischen traf Duhalde selbst Anstalten, um den Anteil, den Gott an dem Gewinn der Handelsgesellschaft zu beanspruchen hatte, nach und nach an die Armen zu überführen. Die Almosen, welche er auf diese Art unter sie verteilte, machten eine Summe von 13 684 Livres aus, wie sich aus den Rechnungen ergab, die er aufs genauste führte. Einer armen alten Jungfer sicherte er eine Leibrente von 150 Livres zu. Das betreffende Kapital von 2400 Livres trug er in seinen Büchern so ein, als hätte die Jungfer es wirklich an ihn bezahlt; in einem Revers aber, der von ihr ausgestellt und der Almosenrechnung beigelegt worden war, fand man, daß er kein Geld von ihr empfangen, sondern ihr die Rente aus seiner Armenkasse zugeteilt hatte.

Im Januar 1725 stellte er acht Wechsel aus, jeden von 1000 Livres, die nacheinander von Jahr zu Jahr – von 1725 bis 1732 – zahlbar waren. Diese Wechsel übergab er dem Vikar seines Kirchspiels mit dem Auftrag, zur jedesmaligen Verfallzeit das Geld von ihm oder seinen Erben zu fordern und zu Almosen zu verwenden.

 

Noch im Jahre 1725 fiel Duhalde in eine gefährliche Krankheit. Er machte sein Testament und bemerkte darin unter anderem: man werde in seinen Büchern verschiedene Rechnungen und Nachrichten finden, welche die Armen beträfen; er bitte den Vollstrecker seines Testaments, alle diese auf die Armen bezüglichen Artikel mit der größten Peinlichkeit zu beachten und sie in ihrem ganzen Umfange auszuführen. Zwei Monate darauf starb Duhalde und hinterließ eine minderjährige Witwe und einen Sohn von dreieinhalb Jahren. Man untersuchte hierauf seine Bücher. Der Testamentsvollstrecker ließ die Vorsteher des großen Hospitals von dem Vorfall benachrichtigen und in ihrem Beisein ein Inventar über den Nachlaß aufnehmen. Man fand alles in der schönsten Ordnung. Die Summe, die Duhalde noch an die Armen zu entrichten hatte, war in seinen Büchern unter seinen Schulden eingetragen worden.

Die Vorsteher des Hospitals verlangten, Herr de la Planche, der Vormund des Kindes und der Witwe, solle die den Armen gehörige Hälfte der Edelsteine, deren Wert nach der Taxe 18 828 Livres betrug, an das Hospital ausliefern.

Der Vormund trug anfänglich bloß auf eine Ermäßigung dieser Forderung an und schloß einen Vergleich: 15 000 Livres sollte das Hospital noch erhalten; zu seiner Sicherstellung verlangte er, daß man diesen Vertrag durch einen Gerichtsbeschluß genehmigen lassen solle.

Sobald aber die Sache bei dem Gerichtsparlament anhängig war, änderte er auf einmal seine Absicht, wollte von keinem Vergleiche mehr etwas hören, sondern verlangte, daß alle von Duhalde zum Besten der Armen getroffenen Verfügungen für null und nichtig erklärt werden sollten. Zuerst machte er den Einwand: die Sache gehe überhaupt die Vorsteher nichts an, denn die Verfügung des Verstorbenen spreche nicht vom großen Hospital, sondern von den Armen überhaupt, und man müsse vermuten, Duhalde habe vorzüglich die Armen seines Kirchspiels gemeint, weil er für diese dem Vikar bereits jene acht Wechsel ausgehändigt habe. Allein der Einwand war dadurch hinfällig, daß die Gesetze des Königreichs bestimmt verordneten, jedes Vermächtnis zum Besten der Armen – wobei nicht gewisse Arme ausdrücklich genannt seien – wäre auf das große Hospital zu beziehen.

 

Nunmehr entwarf der Vormund eine ausführliche Denkschrift, in welcher er die Forderung der Hospitalvorsteher bestritt:

»Einen Handelsvertrag mit Gott errichten,« sagte er, »ist ein Gedanke, der schwerlich zum zweitenmal in eines Menschen Kopf entstanden ist. Man mag sich noch so sehr bemühen, dieser Idee einen religiösen Anstrich zu geben, so bleibt es doch ein wunderlicher Einfall, dessen Beweggründe der Richter zwar entschuldigen kann, aber dessen Ausführung er doch hindern muß, weil es ein Vertrag ist, den ein Vater, ein Ehemann zum offenbaren Nachteil seiner minderjährigen Gattin und seines unmündigen Kindes abgeschlossen hat.

Es sind verschiedene Gründe, um derentwillen dem Hospital jeder Anteil am Erbe abgesprochen werden muß. Fürs erste ist diese seltsame und einzigartige Verfügung ihrer selbst wegen ungültig. Fürs zweite, wenn sie auch nicht an sich schon unmöglich wäre, so war doch Duhalde nicht befugt, sie zum Nachteil seiner rechtmäßigen Erben zu treffen.

Was den ersten Punkt anlangt, so läßt sich leicht dartun, daß die Verfügung, von der die Rede ist, schon an sich nicht gültig sein kann. Soll sie als ein Vertrag mit Gott angesehen werden? Offenbar kann man mit Gott keinen Vertrag schließen; Gott kann sich zu keiner Gegenleistung verbindlich machen. Dies folgt aus dem Wesen der Gottheit selbst, deren Freiheit durch nichts eingeschränkt zu werden vermag. Jeder Vertrag muß aber gegenseitig sein, das heißt, er setzt voraus, daß eine wechselseitige Verbindlichkeit zwischen den kontrahierenden Teilen stattfinde. Aber auch Duhalde selbst ist nicht einmal zur Erfüllung einer Verbindlichkeit verpflichtet. Er hat keine formelle Vertragsurkunde unterzeichnet, und hätte er das selbst getan, so würde auch dieser Umstand dem Vertrag keine Kraft geben können, weil es überhaupt nicht in Duhaldes Macht stand, einen Vertrag mit einem Wesen einzugehen, das sich zu keiner Gegenleistung verbindlich machen kann.

Oder soll man des Testators Absicht als ein Gelübde ansehen? – Es gibt nur zwei Arten von Gelübden, das einfache und das feierliche. Ein feierliches Gelübde muß öffentlich in die Hände des geistlichen Oberen abgelegt und in einer Urkunde niedergeschrieben werden, die der Gelobende selbst unterzeichnet. Alle unsere Rechtsverordnungen fordern dies und erklären jedes Gelübde für nichtig, dem diese Sanktionierung fehlt. Das einfache Gelübde bedarf zwar dieser Formalitäten nicht; allein es muß doch auch zu Papier gebracht und von dem Gelobenden unterschrieben werden, zum Unterschied von einem bloß in Gedanken abgelegten Gelübde, welches gesetzlich zu nichts verpflichtet, weil es im Grunde weiter nichts als ein Entschluß ist, den man nach Belieben zurücknehmen kann. Das kanonische Recht sagt: Angenommen, du hättest den Vorsatz gehabt, einst das Klostergewand zu tragen, hättest aber diesen Vorsatz nicht ausgeführt, so bist du deshalb noch nicht als ein Übertreter eines Gelübdes anzusehen, sobald nur jener Vorsatz bloßer Vorsatz geblieben ist.

Überdies ist es Grundsatz, daß jedes widerrechtliche und unbesonnene Gelübde an und für sich nichtig ist, wenn es auch förmlich zu Papier gebracht und unterschrieben wäre. Das Gelübde aber, von welchem hier die Rede ist, ist offenbar widerrechtlich, denn es enthält im Grunde eine gänzliche Beraubung der rechtmäßigen Erben. »Auch dann,« sagte Duhalde, »wenn mein Vermögen durch außerordentliche Vorfälle so verringert werden sollte, daß ich nichts weiter als die besagte Summe hinterließe, soll diese doch an die Armen bezahlt werden.«

Angenommen also, Duhalde hätte, seitdem er mit Gott geteilt, durch irgend ein Unglück sein Vermögen verloren, und es wären ihm nichts als die Kleinodien übriggeblieben, die er als Eigentum der Armen ansah, so würden die letzteren den ganzen Nachlaß weggenommen haben, und Duhaldes Kind würde ohne Vermögen geblieben sein. Kann ein solches Gelübde Verbindlichkeit haben?

Ein anderer ganz unumstößlicher Grundsatz besagt, daß ein Gelübde ungültig ist, wenn die Erfüllung desselben von dem Willen eines Dritten abhängt, der berechtigt ist, sich zu widersetzen. Nach diesem Grundsatze heißt es in dem kanonischen Recht ausdrücklich: daß der Sklave ohne Erlaubnis seines Herrn, die Frau ohne Einwilligung ihres Mannes, und der Mann ohne Mitwissen seiner Gattin kein Gelübde tun könne. Duhalde gelobt den Armen die Hälfte des Gewinns, den eine Handelsgesellschaft, die er mit Gott errichtet hatte, erzielen würde. Während diese Gesellschaft noch fortbesteht, verheiratet er sich; ob sein Gelübde Bestand haben sollte, das war also von der Entscheidung der Frau abhängig.

Duhaldes Verfügung ist also, man mag sie als Vertrag oder als Gelübde ansehen, ungültig. Aber vielleicht hat sie Berechtigung, wenn sie als Legat anzusehen ist? – Man muß nur die Klausel des Testaments, die als Legat allenfalls anzusehen wäre, aufmerksam betrachten. Der Testator bezieht sich darin auf einen Handelsvertrag, dessen genaue Vollziehung er anordnet. Er verweist also den Testamentsvollstrecker an die Artikel jenes Vertrags und trägt ihm auf, sich nach ihnen zu richten. Kann nun jener erste Handelsvertrag, der, wie wir erwiesen haben, an sich ungültig und nichtig war, durch eine andere spätere Urkunde, nämlich durch das Testament, bestätigt und gültig gemacht werden? Nach der Meinung der Rechtsgelehrten ist das unmöglich: kein Mensch kann etwas bestätigen, was an sich null und nichtig ist.

Wollte man aber auch alles bis jetzt Vorgebrachte nicht anerkennen, so wäre darum die Forderung der Armen hinfällig. Duhaldes Nachlaß beträgt 150 000 Livres. Davon muß man zuerst 70 226 Livres abziehen, die er von seiner Mutter geerbt hat, und 30 000 Livres, aus welchen die Mitgift seiner Frau besteht. Von den 49 774 Livres, die nach diesem Abzug übrigbleiben, müssen wieder zwei Fünfteile abgerechnet werden, da die Edelsteine nach dem Anschlag, den Duhalde im Jahre 1724 gemacht hat, jetzt um so viel an Wert gefallen sind. Es bleiben also nur noch 29 865 Livres. Von dieser Summe gehen nun ab die sämtlichen Schulden: 8000 Livres für jene acht ausgestellten Wechselbriefe, das für die Leibrente von 150 Livres zu gunsten der alten Jungfer ausgesetzte Kapital von 2400 Livres, ferner die übrigen in den Büchern noch stehenden Schulden, die Begräbniskosten, die Ausgaben wegen Berichtigung der Erbschaftsangelegenheiten, das, was die Witwe für die Trauerkleidung und für andere Bedürfnisse nach dem Rechte vorauserhält usw. Auf diese Art geht der ganze Nachlaß auf, ohne daß etwas an das Hospital kommen kann.

Vergleicht man überdies die Forderung der Armen mit den Gesetzen der Ehe und mit den Pflichten des Ehemannes und Vaters und bedenkt man, daß Duhalde bereits 25 000 Livres an die Armen verteilt hat, so wird man gestehen müssen, daß das Opfer groß genug ist, welches der Erblasser schon gebracht hat; man wird überzeugt sein, daß Gott kein Opfer zum Nachteil der Witwe und des unmündigen Kindes verlange; und die Richter werden nicht länger anstehen, jene Verfügung für ungültig zu erklären. Wenn mehrere unserer Pflichten in Widerstreit geraten, so müssen wir diejenigen erfüllen, die uns zunächst obliegen. Liebeswerke gegen Fremde müssen allzeit den Verbindlichkeiten nachstehen, die dem Vater gegen seine Kinder und dem Ehemann gegen seine Gattin auferlegt sind.«

 

Dieser gründlichen Erörterung der Sache setzten die Vorsteher des Hospitals eine ebenso eingehende entgegen:

»Man findet,« sagen sie, »worauf es wesentlich ankommt, an der Person des Duhalde nicht das geringste, was ihn der freien Befugnis, über sein Vermögen zu verfügen, hätte unwürdig machen können. Er war ein Mann von gesundem Verstande, der sehr richtig urteilte, wie man aus den Eintragungen in seinem Tagebuch deutlich ersieht. Er hat seine Geschäfte immer mit großer Vorsicht und Klugheit geführt. Er war religiös, ohne ein Frömmling zu sein, dessen Schwäche gewisse Personen mißbrauchen konnten, um ihn zu übelangebrachten Liebeswerken zu bereden. In seiner Liebhaberei zu den Wissenschaften scheint er zwar veränderlich gewesen zu sein, denn er erzählt selbst in seinem Tagebuch von sich: »Ich legte mich auf das Studium der heiligen Schrift, verfaßte eine Erklärung der fünf Bücher Mosis und entwarf nach der Bibel einen Grundriß der alten Geschichte, zu dem ich Anmerkungen machte. Ich verfertigte auch ein kleines geographisches Lexikon. Endlich fing ich an, Musik zu treiben.«

Allein um dieser Veränderlichkeit willen kann man doch nicht auf Schwäche des Charakters schließen, oder man müßte denselben Vorwurf auch allen anderen machen, die sich mit mehreren Wissenschaften beschäftigen und über ganz verschiedene Materien Bücher geschrieben haben.

Wir haben berühmte und allgemein geschätzte Schriftsteller, die lateinische Klassiker übersetzt, theologische und moralische Abhandlungen geschrieben, und zugleich griechische und lateinische Grammatiken verfaßt haben.

Mit einem Wort, es findet sich kein Zug in Duhaldes ganzer Lebensgeschichte, wegen dessen man ihm die Befugnis absprechen könnte, über sein Vermögen zu verfügen, eine Befugnis, die das Gesetz jedem Bürger zugesteht, der sie vernünftig gebrauchen kann.

Der Gegenstand seiner Verfügung ist das Beste der Armen oder – was auf dasselbe herauskommt, da das Gemeinwesen die Armen zu versorgen hat – das Beste des Gemeinwesens. Eine Bestimmung mit so edlem Ziele ist unstreitig nicht nur erlaubt, sondern aller Förderung würdig. Auch verdient eine Verfügung für die Armen aus dem Grunde begünstigt zu werden, weil sie ohnehin mehr die Bezahlung einer Schuld, als ein freiwilliges Geschenk darstellt. Wir sind nur die Verwalter des Vermögens, das die Vorsehung in unsere Hände gelegt hat; die Armen haben einen Anteil daran, der ihnen von Rechtswegen zukommt. Ihnen diesen Anteil ausliefern, heißt viel eher eine Schuld abtragen, als etwas von unserem Eigentum verschenken. Die Armen sind unsere Gläubiger.

Zudem, worüber hat eigentlich Duhalde verfügt? – Nicht über sein ursprüngliches Eigentum, sondern bloß über einen erworbenen Gewinn. Er hat seinen Erben das Vermögen ganz unversehrt übermacht, das von seinen Eltern auf ihn gekommen war; seine Verfügung betraf bloß dasjenige, was er durch seinen eigenen Fleiß erworben hatte: Die Armen verlangen nur hiervon den Anteil, den ihnen der Erwerber selbst zugewiesen hat, die Erben hingegen wollen diesen Gewinn ganz behalten, obwohl doch entschieden mehr zu gunsten der Armen, als zu gunsten der Erben spricht.

Die Beweggründe, welche Duhalde zu seiner Verfügung bestimmten, sind gerecht und vernünftig. Er versprach die Hälfte des Gewinns den Armen, um sich des göttlichen Segens bei seinen Geschäften zu versichern. Und in der Tat scheint die Vorsehung selbst den Armen diese unverhoffte Hilfe zugewendet zu haben, da in den gegenwärtigen trübseligen Zeiten ihr Elend und ihre Anzahl in eben dem Verhältnis wächst, als die Zahl und die Mildtätigkeit ihrer Wohltäter abnimmt.

Unser Prozeßgegner macht darauf aufmerksam, daß Duhaldes Verfügung gesetzlich weder als Gelübde, noch als Legat, noch als irgend eine Art Vertrag Gültigkeit hat. In Wahrheit aber ist Duhaldes Wille nichts als eine Schenkung zum Besten des Gemeinwohls. Um dessentwillen ist sie nach rechtens auf alle Art zu begünstigen. Zu ihrer Gültigkeit wird nicht gefordert, daß sie schriftlich abgefaßt sei. Sie ist an keine Form gebunden; ihre Verbindlichkeit besteht, sobald der Wille dessen, der sich zu einer solchen Leistung verpflichtet, bekannt ist.

Die schlechten Zeiten, der Geldmangel, der Verfall so mancher wohlhabender Häuser waren wohl hinlängliche Veranlassungen und gewiß auch die wahren Beweggründe, durch welche Herr Duhalde zu seiner Verfügung bestimmt wurde.

Vergebens wird eingewendet, der Ursprung des den Armen zugedachten Geldes: die Handelsgesellschaft mit Gott sei ein Nichts, ein leerer Gedanke gewesen. Diese Gesellschaft bestand tatsächlich, und aus ihrer Existenz leitete ja Duhalde seine Erfolge ab!«

 

Mit allgemeinster Spannung wurde das Urteil erwartet, das diesen seltsamen, einzigartigen Streit schlichten sollte.

Es lautete:

»Das Testament des Duhalde und die übrigen Verfügungen desselben, auf die er sich in dem Testamente bezieht, sind nach ihrem wörtlichen Inhalt zu vollziehen. De La Planche als Vormund der Witwe und des Kindes ist also schuldig und gehalten, die von Duhalde durch ein Legat den Armen bestimmten Edelsteine den Vorstehern des großen Hospitals auszuliefern oder ihnen den wahren Wert derselben nach dem Anschlag zu bezahlen. Doch soll es statt alles dessen besagtem De La Planche, wenn er dies zuträglicher finden sollte, auch gestattet sein, durch eine Summe von 18 000 Livres, die er im Namen der Erben an das Hospital bezahlt, die Forderung zu tilgen.«

Also kam die Partei des lieben Gott zu ihrem Rechte.


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