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Dar-Nuba, das Hochland des schwarzen Nuba-Volkes, ragt aus der trostlosen Ebene des südlichen Kordofan malerisch empor: ein Gefüge von Bergketten, zwischen denen es schöne Täler gibt, nicht dürre »Wadis«, in denen nur selten Wasser ist, sondern »Khors«, durch die häufiger Bergströme rauschen; eine dichte tropische Vegetation erfüllt sie, die Bäume werden riesengroß, das Dickicht ist voll von Getier. Mehr als hundert hohe und weniger hohe Berge enthält die zerklüftete Landschaft. Dschebel Tagalla heißt ein Bergmassiv, eins Dschebel Gadîr, eins Dschebel Delen. – –
Obwohl eine Gegend voll Affen und Elefanten nicht ganz so aussehen kann wie Südtirol, heimelt das Nuba-Bergland doch einen jungen Tiroler an, der jetzt hier lebt, den hochwürdigen Pater Josef Ohrwalder aus Lana bei Meran. Er ist erst fünfundzwanzig Jahre alt und noch nicht lange bei der Sudanmission. Zu Neujahr 1881 ist er mit dem Bischof Comboni und noch zwei anderen Missionaren in Suakin gelandet; ein paar Wochen lang hat er im österreichischen Missionshaus zu Khartum ausgeruht (das einen so schönen Garten hat) – dann hat der neuernannte Generalgouverneur von Dar-Fur, Rudolf Slatin, der sich in seine Provinz begeben hat, den Pater Ohrwalder, seinen Landsmann, ein Stück Weges mitgenommen: der junge Geistliche soll in der neuen Station wirken, die die österreichische katholische Mission zu Delen im Nubagebirge errichtet hat. Von El Obeïd, der Hauptstadt Kordofans, muß der Pater allein reisen, und das öde Steppenland mißfällt diesem Tiroler Gebirgsmenschen sehr. Dafür ist er dann von Dar-Nuba und der Station Delen sehr entzückt. Hier gibt es doch Berge, grüne Wälder, rauschendes Wasser!
Auch seine Tätigkeit findet Pater Ohrwalder angenehm, – er, der ein ganz einfacher, also ein guter Mensch ist, bereit, sich mit jedermann zu vertragen und sein Stück Arbeit ohne Murren zu tun. Mit dem Superior der Mission von Delen, Pater Bonomi, kommt er gut aus. Beide haben eine Freude an kräftigem, tüchtigem Schaffen. Das provisorische Missionsgebäude muß erweitert werden, denn es gibt schon eine ganze Menge bekehrter Schwarzer, die in der Mission leben; da muß also angebaut werden. Pater Ohrwalder versucht sich mit Glück als Ziegelbrenner; mit großem Stolz kann er bald zweitausend ausgezeichnete Ziegel vorzeigen, die er mit seinen schwarzen Gehilfen gemacht hat. Unterdessen hat sein Vorgesetzter, Pater Bonomi, mit der Hilfe des Missionszimmermanns Mariani sogar den ersten Maultierkarren zustande gebracht, den Kordofan kannte; nun kann man Ziegel und Palmholz karren und den vortrefflichen Kalk vom Saburiberge. – –
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Auch seine Schützlinge, die Nuba, gefallen dem Pater Ohrwalder. Sie sind zwar vollkommen nackt, aber, weiß der Pater zu rühmen, sehr sittenrein. Es ist etwas Bäuerisches an ihnen, was dem Tiroler gefällt. Viel anbauen müssen sie nicht, außer ein wenig Mais, der Wald ist voll von Früchten. Aber sie halten Rinder und Ziegen, machen gute Butter. Vielleicht trinken sie an Festtagen ein bißchen viel Merissabier. Auf diesen Festen tanzen sie, nicht die Männer allein, wie es sonst im Negerland Sitte ist, und die Weiber unter sich, sondern Buben und Mädel gemeinsam, wie in Tirol. Obgleich jedes Tanzkostüm fehlt, findet der gute Pater die Tänze doch nicht allzu anstößig. Er mag seine Nuba gut leiden!
Sie sind halb Mohammedaner, halb Heiden; ihr religiöses Oberhaupt, zugleich ihr oberster Häuptling, heißt der Khodschur. Was er in seinem Herzen von der christlichen Mission halten mag, verrät er den Patres nicht, aber diese Mission bedeutet jedenfalls für das Völkchen der Nuba einen schätzenswerten Vorteil. Die Nuba haben von alters her böse Feinde; das sind die Baggara, die wilden Nomaden der Ebene. Immer wieder fallen sie in die Gebirgstäler ein, rauben das Vieh oder führen die Menschen als Sklaven fort. Aber jetzt gibt es, der Mission wegen, in Delen eine kleine Garnison von Regierungstruppen, und es herrscht leidliche Ruhe.
Bis zum April 1882 lebt Josef Ohrwalder in Delen wie in einem friedlichen Paradies. Dann auf einmal dringen wilde Gerüchte in diese stille tropische Bergwelt.
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Nicht sehr weit vom Dschebel Delen, auf dem die Mission liegt, erhebt sich ein höherer Berg, der Dschebel Gadîr, – und dort hat sich, scheint es, auf einmal eine ganze Bande niedergelassen, irgendein toller Derwisch mit seinem Gefolge, ein schrecklicher Heuchler und Schwindler, der dem schwarzen Volk vormacht, er sei wer weiß was, eine Art Heiliger, sogar mehr noch, der Messias. – –
Von Anfang an muß der katholische Missionar den Derwisch Mohammed Achmed hassen. Aber fällt es dem Mann aus Meran nicht einmal ein, daß dieser sogenannte Mahdi vielleicht auch noch etwas anderes ist, als ein religiöser Schwärmer von einem anderen Glauben? Merkt der Mann aus Meran nicht, daß der Mahdi auch so etwas wie ein sudanesischer Andreas Hofer ist?
Bald übrigens bekommen die Patres von Delen jeglichen Grund, den Mahdi auch persönlich zu hassen.
Dieser seltsame Nachbar stört den Frieden. Schon fangen die Schwarzen, ja, die getauften Schwarzen des Missionsdorfes, an, unruhig zu werden. Unter sich sprechen sie von nichts anderem mehr als von diesem Wundermann Mohammed Achmed. Wer oder was immer er sein mag, das eine ist doch natürlich gewiß: daß er den Talisman Tebrîd besitzt, – der bekanntlich feindliche Kugeln zu Wasser verwandelt, so daß sie harmlos von dem Gefeiten zur Erde rinnen. Das muß doch wahr sein, denn wie hätten seine Anhänger sonst die Soldaten unseres Herrn in Kairo geschlagen?
Die Patres von Delen belehren die Schwarzen liebreich: das ist Aberglaube! Aber gleich darauf kommt eine schreckliche Nachricht nach Delen: der Mudir, Regierungsstatthalter also, von Faschoda, Raschid Bey, hat die Derwischrebellen am Berge Gadîr vernichten wollen – und ist selbst vernichtet worden, auch er. Ein Deutscher, der Photograph Berghof (seit kurzem Inspektor zur Unterdrückung des Sklavenhandels), war auch bei der Truppe, die im Urwald in den Hinterhalt fiel. Nicht einmal Zeit haben sie gehabt, von den Kamelen abzusitzen! – Der falsche Mahdi hat viele Gewehre erbeutet und Vorräte aller Art. Daß sein Gebet seine Anhänger kugelfest macht, ist nun gänzlich bewiesen. – Man hört in Delen, daß er von allen Seiten Zuzug erhält! Es kommen die zahlreichen Stämme der Baggara: einer von den Ihren, der um den Mahdi ist, hat sie gerufen. Es kommen entflohene Sklaven und es kommen auch die Sklavenjäger, die die Regierung jetzt brotlos zu machen drohte. Es kommen die schwarzen Soldaten, die der sparsame Raûf Pascha gerade vor kurzem entlassen hat, weil der Friede so tief war.
Die frommen Väter von Dschebel Delen erleben es, daß von ihren eigenen braven Schwarzen der oder jener auf einmal nicht da ist, – zum Mahdi gelaufen. Beim Mahdi wird reiche Beute verteilt, und es ist nicht gefährlich, für einen zu kämpfen, der den Talisman Tebrîd hat.
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In dem Lager der Rebellen am Berge Gadîr (den sie beharrlich den Berg Mâsa nennen) zweifelt auch niemand an den Wundern Mohammed Achmeds. Nein, er heißt nur noch: »Mohammed der Mahdi, – auf dem der Segen sei und das Gebet.« Diese fromme Formel hat sonst nur dem Propheten Mohammed gebührt. Aber sind Mohammed der Prophet und Mohammed der Mahdi nicht einander in allen Stücken ähnlich, beinahe gleich? Beide mußten flüchten, der Prophet nach Medina und der Mahdi nach Mâsa. So wie die Ansar sich zu Medina um den Propheten scharten, um für ihn zu kämpfen, um ihm erst Arabien zu erobern und dann die halbe Erde, so werden die neuen Ansar dem Mahdi erst den Sudan erobern, dann aber werden sie das Weltreich des Islams vollenden. So steht es geschrieben.
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Die wilden Krieger, die von allen Seiten zum Mahdi strömen, zweifeln nicht. In der Schlacht gegen Raschid sind alle türkischen Kugeln zu Wasser geworden! – Aus den Lanzen der Ansar lohten verderbliche Flammen gegen den Feind! Man sah ein mystisches Banner, ganz aus Licht!
Auch verbreitet sich die Nachricht, daß man auf den Steppen Eier von Vögeln gefunden hat und in den Wäldern Blätter, auf denen deutlich der Name des Mahdi geschrieben stand. Die Schriftgelehrten können es lesen!
Von weither kommen begeisterte Anhänger. Es kommen die Baggara, Abdullahis Stammesgefährten. Drei seiner leiblichen Brüder sind in der Lagerstadt aus Kegelhütten, die auf dem Abhang des Berges entstanden ist. Die Leute von Dongola, Landsleute des Mahdi selber, kommen in Scharen, um mit ihm sein Glück und auch die Beute zu teilen. Zwischen ihnen und den Baggara herrscht von Anfang an Eifersucht, aber der Mahdi gebietet Frieden und Eintracht unter den Ansar; aus dem wilden Haufen macht der starke Wille des Führers ein Heer, ein Volk, einen Staat.
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Wie Mohammed der Prophet in Medina organisiert auf dem Berge Gadîr Mohammed der Mahdi die beduinischen Horden. An die Spitze des Heeres, das erst den Sudan den Türken entreißen und später zweifellos auch Kairo, Mekka und den Rest der Erde erobern wird, – aber vom Rest der Erde sind seine Vorstellungen unklar – stellt der Mahdi seine Khalifen. So wie es im Beginn des Islams vier große Khalifen gegeben hat, Gefährten und später Nachfolger des Propheten, so will auch Mohammed Achmed seine vier Khalifen haben, einen, der dem untadeligen Abu Bekr vergleichbar sein soll, dem ersten Khalifen des Islams, und drei andere, die den Rang haben werden des Imâms Alî, Othmans und Omars.
Die Stellung des Ersten Khalifen erhält Abdullahi: er soll im Heere seine Stammesgenossen führen, die Baggara, und als Abzeichen behält er das schwarze Banner, das er schon bisher dem Mahdi vorangetragen hat. – Ein junger Verwandter des Mahdi, Mohammed esch-Scherif, bekommt das Zweite Khalifat, ein rotes Banner und den Oberbefehl über die Danagla, zu denen er selbst gehört. Die Leute aus dem Flußland Dschesireh zwischen den beiden Nilen wird der Vierte Khalif führen, Alî Wad Helu, ein Mann von den Degheim, die auf Abba mitgefochten haben. Sein Banner ist grün. – Aber das Dritte Khalifat (das Khalifat Othmans) verleiht der Mahdi keinem seiner Ansar. Ein Brief ist unterwegs, quer durch die ganze Sahara, bis zu der Oase im fernen Westen, auf der der große Senussi lebt, das Oberhaupt der gewaltigen geistlichen Bruderschaft, deren Macht im Norden des Erdteils so stark ist. Ihm hat der Mahdi das Amt seines Dritten Khalifen angeboten und das gelbe Banner, ihn zum gemeinsamen Krieg gegen die Ungläubigen ladend. Die Antwort kann noch lange nicht kommen: der Weg durch die Wüste ist endlos.
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Das Lager bekommt seine Ordnung. Jeder der Khalifen, mit seinen Emiren und Unterführern, bezieht einen Bezirk der Hüttenstadt, die auf dem Berghang entstanden ist; in der Mitte liegen die Hütten des Mahdi selber. Der Mann aus der Höhle von Abba braucht schon mehrere Hütten, denn die Zahl seiner Weiber vermehrt sich: es ist gute Politik, die Töchter mächtiger Scheichs nicht abzuweisen, die ihm für seinen Harem angeboten werden; auch gebührt dem Führer ein Teil der erbeuteten Sklavinnen.
Inmitten des Weiberdorfs, das um ihn entsteht, sitzt der Mahdi, noch hager und aszetisch, in seiner eigenen Hütte und diktiert seinem Schreiber Proklamationen:
»Im Namen Allahs«, muß der Schreiber schnörkeln, »des Erbarmers, des Barmherzigen. Und das Gebet auf unseren Herrn, den Propheten – –
»Von dem Sklaven, der Allahs bedürftig ist, Mohammed el-Mahdi Ibn Abdallah an seine Freunde, die da glauben an Allah und an Sein Buch – – «
»Weiter!« gebietet der Mahdi dem Schreiber Abi Saffîjja, der mit Rohrfeder und Tintenfaß neben ihm hockt, und er befiehlt ihm, weiter niederzuschreiben, wie die Veränderung der Zeit und der Abfall vom Glauben längst die Getreuen und Redlichen bekümmert habe; »jetzt«, diktiert er, »ist es am besten, um dessentwillen Lebensziele und Heimat aufzugeben zur Wiederaufrichtung der Religion; denn für den Gläubigen ist der Eifer um den Islam zwingend«.
»Alsdann, meine Freunde«, diktiert der Mahdi das Rundschreiben an die Scheichs des Sudans, die Stammeshäupter und die Beamten, ... alsdann, wie es Allah in Seinem ewigen Ratschluß gefallen hat, hat er Seinen Sklaven, seinen geringen, begnadet ... Der Prophet, der der Herr der Geschöpfe ist – auf ihm sei das Gebet und der Gruß –, tat mir kund, ich sei der Erwartete Mahdi. Und in der Stunde des Kampfes wird mit Euch vor meinem Heere anwesend sein der Herr der Geschöpfe in eigener Person und desgleichen die vier Khalifen des Islams. Und er verlieh mir das Schwert des Sieges. Und der Herr der Geschöpfe sprach zu mir: Siehe, du bist aus dem Lichte der Wolke meines Herzens geschaffen – – «
Der hockende Schreiber vergißt zu schreiben und wirft sich, ganz hingerissen, nach vorn, so daß seine braune Stirn vor dem Mahdi den Boden berührt.
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Viele Tage bleibt der Mahdi in seiner Hütte, mit den Schreibern beschäftigt. In vielen Briefen verkündet er seine Berufung. Er spricht von dem Muttermal auf seiner rechten Wange, und daß er in Wahrheit aus dem Blute Mohammeds stammt, des Propheten. »Mein Vater war ein Hassanide von Seiten seines Vaters und seiner Mutter, desgleichen meine Mutter von Seiten ihrer Mutter, während ihr Vater ein Abbasside war; und das Wissen ist Allahs.« –
– Alle vorbestimmten Zeichen sind eingetroffen, verkündet der Mahdi. Den Schriftgelehrten in Khartum, die aus den alten Büchern beweisen wollen, er sei nicht der Mahdi, antwortet er mit anderen Stellen aus den Büchern anderer Weisen: »Das Wissen um den Mahdi«, hat der große Scheich Muhdschi ed-Din geschrieben, »gleicht dem Wissen um die Stunde des Gerichts, und von der Stunde weiß niemand in Wahrheit, wann sie kommt, außer Allah!« – Und der Scheich Achmed Ibn Idrîs: »Vierzehn Folianten der Gelehrten Allahs haben über den Mahdi Lügen geredet.« »Mir aber«, sagen die Proklamationen vom Berge Gadîr, »hat der Herr der Geschöpfe kundgetan: ›Wer an deiner Mahdîjja zweifelt, der glaubt nicht an Allah und seinen Gesandten.‹«
»Nun bis hierher genug und Friede!« diktiert der Mahdi den Schluß. – Der Schreiber siegelt mit dem neuen viereckigen Siegel, auf dem die drei Zeilen verschnörkelt sind:
Es gibt keinen Gott außer Allah.
Mohammed ist der Gesandte Allahs.
Mohammed el-Mahdi Ibn Abdallah.
Die Briefe gehen, verborgen in Derwischkutten und Lanzenschäften und unter den Sätteln beduinischer Reiter, in alle Städte und Dörfer des ganzen Landes Sudan und weit darüber hinaus. Wer sie lesen kann, liest sie, und wer es nicht kann, hört zu. Hier und dort, in allen Provinzen ertönen, gedämpft erst, die Trommeln des heiligen Krieges.
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Die katholischen Missionare von Dschebel Delen hören immer öfter von ihrem bedrohlichen Nachbarn, und was sie hören, erfüllt sie mit frommem Entsetzen. Dieser Zimmermannssohn aus Dongola scheint ihnen nicht nur seinen Mohammed nachzuäffen, sondern gar auch Jesus Christus, – auf den er sich in Reden und Briefen sehr oft beruft. Die Berichte, die nach Delen gelangen, schildern, wie der Teufelsmahdi seine Bergpredigt hält, auf dem Steine sitzend, auf dem nach der Sage schon der Prophet Mohammed geruht haben soll.
Und aus seinen Predigten klingt, kaum verkennbar, ein Echo der Bergpredigt Christi. Lehrt nicht auch der Zimmermannssohn von Dongola Armut, Demut, Enthaltsamkeit, Hingabe des irdischen Guts für das ewige Heil?
»Brüder«, spricht auf dem Berge Gadîr der Mahdi, »in Seinem heiligen Buch hat uns Gott befohlen, fromm zu sein.
»Ein weiser Mann wünscht den Befehlen seines Vaters zu gehorchen, warum sollten nicht auch wir trachten, die Gebote des Herrn zu befolgen?
»Wenn du issest, iß zu Gott, wenn du trinkest, trink zu Gott, wenn du reitest, reite zu Gott!
»Du gefällst Gott, wenn du zu Fuß gehst, statt zu reiten. Wenn du reiten mußt, reite nur auf einem Esel. Sei nicht stolz. Wenn der Esel des Propheten müde wurde, stieg er ab und ging mit seinen Dienern hinterdrein wie ihr Bruder. Wenn ein Sklave krank war, ritt er und der Prophet ging zu Fuß.
»Gott in Seinem heiligen Buch hat gesagt: ›Lasset die Anbeter Gottes demütig schreiten auf dieser Erde!‹
»Und sehet: ich selbst bin nur ein Sklave, dem befohlen ist, das Buch und die Lehre wieder ans Licht zu bringen.
»Wenn Gott euch gnädig ist, kniet nieder und danket ihm. Wisset aber, daß nicht wegen eurer Tugend euch Gnade wird, sondern weil Gott voll Erbarmen ist.«
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Worte der Demut, der Milde. Aber diese neue Bergpredigt lehrt dennoch Zorn und Haß – und den Krieg:
»Folget nicht«, ruft der Mahdi, »folget nicht dem Beispiel eurer Unterdrücker, den Türken. In Hochmut und Überschwang leben sie!
»Dies ist ein Wort des Propheten, durch mündliche Tradition zu uns gelangt:
»Sage meinen Brüdern: Lebet nicht, wie meine Feinde leben, traget nicht die Tracht, die sie tragen, ihr würdet sonst zu meinen Feinden!«
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Sich vom Turk zu unterscheiden, auch im Äußeren, das ist die große Pflicht des Ansar. Eines Tages weist der Mahdi vor dem versammelten Glaubensheere in einer verzückten Geste auf die »Dschubba«, die er trägt, auf das rauhe Frieshemd des Wanderderwischs, das mit bunten Flicken benäht ist, zum Zeichen der Bettlerarmut. In einer großen Vision, sagt der Mahdi, hat der Prophet es ihm offenbart, daß zwischen diesem Symbol der geflickten Dschubba und der Schöpfung des Menschen selber die tiefste Beziehung besteht:
»Am Menschen selbst sind Flicken: sein Haupt ist ein schwarzblauer Lappen, und seine Zähne sind weiße Lappen, und das Innere seiner Lippen ist ein roter Lappen, und seine Nägel sind gelbe Lappen. – Viererlei, spricht der Prophet, sind die Farben der Lappen: weiß, rot, schwarz und gelb.«
Das sind die vier Farben, die die Banner des Mahdiheeres zeigen.
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Immer meint die religiöse Lehre des Mahdi vor allem das Heer, den heiligen Krieg.
Wenn er gottgefällige Armut predigt, – gebietet er zugleich, alle irdischen Güter in seinen großen Kriegsschatz zu legen, dieses gemeinsame Schatzhaus des Heeres, das er gegründet hat.
Und das Bettelkleid mit Flicken, dieses mystische Kleid der Demut, – wird zu einer militärischen Uniform. Bald finden die jungen arabischen Krieger und die muskelkräftigen Schwarzen, daß dieses Derwischgewand, wohlgegürtet und mit den vier Farben in regelmäßigen Mustern besetzt, eine schmuckere Kriegstracht gibt als die ägyptische Uniform. Man trägt ein buntes Käppchen dazu oder den Turban und weite Hosen. Das ergibt ein Gewand der Demut, auf das man wohl stolz sein könnte. – –
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Die Missionare von Delen hoffen einige Zeit lang, daß sich das neue Reich des Mahdi nicht halten kann: er ist viel zu streng, seine Lehren verbieten den Sudanesen alles, was sie lieben. Das Merissabier, das Tabakrauchen, die schönen Gewänder, den Gold- und Silberschmuck, selbst die gewohnte Haartracht der Weiber!
Werden diese kindlichen, eitlen Menschenkinder sich alles nehmen lassen, was ihr Leben verschönert hat? Der Mahdi untersagt Gesang und Tanz, jede Musik, es sei denn die Trommeln des Glaubenskrieges! Das Reiten von Pferden ist untersagt, es sei denn im Heere. – Gegen die Festlichkeiten, die dem Sudanesen so teuer sind, eifert der Mahdi mit aller Macht. Vom Übel ist der gewohnte Brautkauf. Von nun ab sollen bei der Hochzeit nicht mehr als zehn Maria-Theresien-Taler gezahlt werden dürfen, und fünf für eine Witwe. Als Geschenk für die Braut sollen zwei Gewänder genügen, ein Gürteltuch, ein Paar Schuhe, Öl zum Salben und Wohlgerüche. Ein Hochzeitsmahl von Datteln und Milch, mehr ist nicht gestattet.
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Die Missionare von Delen denken, daß sich das sudanesische Volk solcher Strenge nicht lange fügen wird; so wie zur gleichen Zeit die gelehrten Ulema in Khartum wissen, daß die entsetzliche Ketzerei dieses Lügenmahdi die Gläubigen abstoßen wird. Hat er nicht die vier Riten des Islams aufgehoben, nämlich den der Malikiten, Hanafiten, Safiten und Chanbaliten? Nur wie er selber das Gebet zu vollziehen pflegt, das soll für alle die Regel sein. Er verbietet die Wallfahrt nach Mekka und den Besuch der Heiligengräber, denn, sagt er, nötiger ist jetzt der Glaubenskrieg als die Pilgerfahrt. Er läßt die Bücher der Gottesgelehrtheit verbrennen und die Rechtsbücher des Scheriats ins Wasser werfen. Das Ärgste aber: er stellt sich selbst dem Propheten Mohammed gleich!
Das kann sich nicht halten. Der Ordensscheich Mohammed Scherif beweist das auch in seinem auf R gereimten großen Lehrgedicht.
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Aber der Prediger auf dem Berge Gadîr weiß, was er tut. Nicht durch Erlauben, durch Verbieten werden die neuen Religionen geschaffen; die Menschen sind so. Durch unerhörtes Gebot und Verbot unterscheidet der Mahdi seine Ansar von allen anderen Menschenwesen, das wollen sie, danach haben sie sich gesehnt. Dieser neue Glaube greift in den eintönigen Alltag ein, macht alles anders, selbst die Strenge der neuen Gesetze ist köstlich. Ein neues Kleid ist gekommen, eine neue Fahne, eine neue Hoffnung!
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Während der Mahdi predigt und Proklamationen schreibt, ist der Baggara Abdullahi, sein Erster Khalifa, mit dem Sammeln von Waffen beschäftigt, mit den Berichten der Späher, mit Rüstung und Musterung. Im ganzen Sudan, von Dongola bis zu den Sümpfen am oberen Nil, beginnen auf einmal die Trommeln des Aufruhrs zu gehen. Kleine Trommeln, große Trommeln, hölzerne Trommeln, Kürbistrommeln und die große kupferne Pauke des Emirs:
»Tomtom tomtom tomtomtom Turk!
Tomtom tomtom tomtomtom, tötet den Turk!
Wir zerstören die Welt und schaffen die nächste Welt! Tomtom tomtomtom, Allahs Glaube ist das Schwert! Nicht Tote sind, die im Glaubenskrieg fallen, sie sind lebendig!
Tomtom tomtomtom, Paradies!«
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Der Widerhall dieser Trommeln gellt den Missionaren von Delen wohl in den Ohren, ihre eigene Lage wird immer bedrohlicher, sie sind dem Herd des Aufstands so nahe, aber sie hoffen noch immer, daß die Regierung der Rebellen bald Herr werden wird!
Die Hoffnungen wären geringer, wüßten die Patres, daß eben um diese Zeit nicht nur in Khartum alles drunter und drüber geht, sondern auch in Kairo. Dort ist der Nationalist Arábi jetzt Premierminister geworden; er treibt das Land in einen Konflikt mit England; schon liegt die britische Flotte vor Alexandrien, was in Ägypten bevorsteht, das ist das Bombardement der Hafenstadt, die Landung des britischen Heeres, die Vernichtung der Nationalarmee unter Arábi bei Tel el-Kebir, die britische Okkupation für viele Jahrzehnte. – – Das sind nicht die Zeiten, in denen sich die ägyptische Regierung um den fernen Sudan bekümmern könnte, Truppen hinsenden, Waffen, gar Geld. – –
In Khartum ist der Generalgouverneur Raûf denn doch endlich gestürzt worden, sein Nachfolger ist unterwegs. Unterdessen regiert Giegler Pascha, ein Deutscher, der schon lange im Orient lebt und nicht mehr allzu energisch ist. Immerhin versteht er den Schall der Trommeln vom Berge Gadîr, versteht die große Gefahr, die der Mahdi bedeutet, und schickt eine Expedition nilaufwärts: sechstausend Mann unter Jussuf Pascha esch-Schellâli; einem Offizier aus der Schule des armen Gessi. Der rückt vor, fordert den Mahdi auf, sich zu ergeben.
Die Missionare von Delen atmen auf. Endlich!
Emin Bey, in den Sümpfen am Äquator bereits abgeschnitten, wartet atemlos auf eine gute Nachricht. Man wartet in Khartum, wartet in El Obeïd.
Dann kommt die Nachricht. Der Mahdi hat im Morgengrauen des 7. Juni 1882 Jussufs schlecht befestigtes Lager überfallen. Man weiß nicht genau, was dann geschehen ist, es ist kaum ein Mann des Expeditionskorps entronnen, der die Geschichte erzählen könnte. Alle tot, gefangen oder übergelaufen, Jussuf Pascha ist in seinem Nachthemd erschlagen worden. Alle Waffen, die Vorräte, die Soldatenweiber sind im Besitz der rebellischen Derwische.
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Tomtomtom! Der halbe Sudan ist nun schon in Aufruhr. Überall brennen die Dörfer, die ägyptischen Garnisonen sind in den Städten belagert. Überall erschlägt man die Steuereinnehmer, die Baschi-Bosuks. Ganz Kordofan, ganz Dar-Fur erheben sich. Die Bederiaaraber massakrieren die Leute von Abu Haraz, die Hammada, Dschehena, Hawazma überfallen die Stadt Sennaar, sogar an der Küste des Roten Meeres werden die Hadéndoa unruhig (Osman Digna, ein Emir des Mahdi, wiegelt sie auf), und selbst an der ägyptischen Grenze plündern die Bischarin die Karawanen. Elias Pascha, das Stadtoberhaupt von El Obeïd, schickt Boten zum Mahdi, er möchte doch kommen, die Hauptstadt Kordofan sei voll von Beute! – –
Der Mahdi bricht mit seinem Heere vom Berge Gadîr auf, um El Obeïd zu belagern. Wie zur Regenzeit plötzlich ein Bergstrom von den dürren Wüstenbergen rauscht, so stürzt sich die fromme Gemeinde des demutsvollen Bergpredigers vom Berge Gadîr auf das Flachland. – –
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Armer Emin Pascha! Deine große afrikanische Odyssee beginnt nun!
Arme Missionare von Delen, armer Pater Bonomi, armer Ohrwalder! Am Abend habt ihr noch gehofft und gebetet, am Morgen weckt euch der Klang der Derwischtrommeln, und als elende Sklaven werdet ihr fortgetrieben!
Die sudanesische Derwischtrommel wird bis nach Europa vernommen.