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VII

Es war der erste Bahnhof, der auf der Strecke nach Paris lag. Ich hatte nicht daran gedacht, meine Forschungen nach dieser Richtung hin auszudehnen, denn ich glaubte bestimmt, daß der Mörder sich nach Belgien gewandt hatte.

Ich hatte mich an einen Tisch vor das Gasthaus gesetzt, trank ruhig mein Glas Limonade und überlegte mir, daß es doch überflüssig sei, auf diesem Bahnhof Erkundigungen einzuziehen. Denn es war mir schon über, immer dieselbe verneinende Antwort zu erhalten. Wenn es auch nicht dieselbe Person war, an die ich mich richtete, so hatte ich doch die Empfindung, weil ich immer dasselbe fragte, ich müßte den Leuten mit meiner Beharrlichkeit lästig fallen.

An dem Nebentisch saß der Wirt und trank ein Glas Bier mit einem Pferdehändler aus der Umgegend, dessen Wagen vor der Tür stand. Ich war auch durch die lange Wagenfahrt etwas ermüdet, träumte vor mich hin, und von Zeit zu Zeit tauchte vor meinem geistigen Auge das Gesicht von Blanche Chéron auf ... Aber plötzlich rüttelte mich ein Wort aus meinen Träumen, und ich sah neben mir den Beamten der kleinen Station, der mit dem Wirt sprach. In meiner Zerstreutheit hatte ich ihn nicht aus dem Bahnhof herauskommen sehen. Er hielt dem Wirt einen mit Blut befleckten Hundertfrankschein entgegen und bat ihn, diesen zu wechseln. Ich hatte kleines Geld bei mir, das ich mir eingesteckt hatte, um herausgeben zu können, falls ich einen dieser berühmten Scheine auf irgendeiner Station fände.

Da der Wirt in seinen Taschen umhersuchte und das verlangte Geld nicht zu finden schien, so bot ich dem Beamten an, ihm den Hundertfrankschein zu wechseln. Ich nahm die blutige Banknote in die Hand und fragte ihn, wann er sie erhalten habe.

»Meine Frau hat sie vor zwei Tagen von einem Herrn bekommen,« sagte er, »der hier in den Zug stieg. Sie hat dem Mann fast das ganze Kleingeld, das wir überhaupt hatten, gegeben, und jetzt fehlt es uns.«

Sorgfältig steckte ich den Schein in die Tasche, und da ich nicht alle Leute über meine Nachforschungen unterrichten wollte, beschränkte ich mich darauf, den Beamten zu fragen, ob der Zug nach Toul bald kommen würde. Er erwiderte, daß ich noch eine halbe Stunde warten müsse, denn der gemeldete Schnellzug hielte auf dieser Station nicht. Ich wartete, bis der Beamte wieder auf den Bahnhof zurückgegangen war, und einige Minuten darauf ging ich ihm nach und traf ihn auf dem Bahnsteig.

Ich fragte ihn, ob seine Frau mir nicht eine Beschreibung des mysteriösen Reisenden, der diesen Schein gewechselt hatte, geben könnte.

Die Frau, die gerade dabei war, in dem an das Bahnhofsgebäude anstoßenden Garten Wäsche aufzuhängen, wurde von ihrem Manne geholt, und sie konnte mir sofort alle Einzelheiten, deren ich bedurfte, geben.

Sie hatte am Morgen nach dem Verbrechen gesehen, wie ein Reisender um sechs Uhr fünfundvierzig in den Personenzug stieg, der von Toul kam und in der Richtung nach Paris fuhr. Dieser Reisende, der das Billett von ihr verlangt hatte, sei ziemlich groß, etwas größer als ich gewesen, erklärte die Frau.

Es war Larciers Figur. Sie hatte das Gesicht des Herrn nicht gesehen, er schien verschnupft zu sein, denn er hielt sich ein Taschentuch vor Nase und Mund.

Der Reisende war entschieden Larcier gewesen. Ich mußte jetzt nach Toul zurück, den Schlächter aufsuchen und ihn fragen, ob diese Banknote einer von den drei Scheinen sei, die er am Abend vor dem Verbrechen zu dem alten Bonnel getragen hatte.

Als ich nach Toul zurückfuhr, versuchte ich, mir die Reise Larciers vorzustellen. Ich konnte mir nicht denken, daß er nur eine kurze Strecke in der Richtung nach Paris gefahren und dann wieder zurückgekehrt war, um die Polizei auf eine falsche Spur zu bringen. Das wäre kompliziert und überflüssig gewesen. Ich weiß wohl, daß in dem Augenblick entsetzlicher Erregung, die einem Verbrechen folgt, die Mörder solche absonderlichen Vorsichtsmaßregeln treffen. Aber es war eigentlich natürlicher, daß Larcier einen Personenzug bis zur letzten wichtigen Station benutzt hatte, um dann den Schnellzug zu besteigen. Die Fahrkarte, die er sich auf dem Bahnhof gelöst hatte, war nach Bar-le-Duc gewesen, und die Frau des Stationsvorstehers hatte mir eine wichtige Auskunft gegeben: Larcier hatte zuerst eine Fahrkarte nach Paris verlangt, dann hatte er sich besonnen und ein Billett nach Bar-le-Duc gefordert.

»Ich hatte große Schwierigkeiten,« erzählte sie, »auf den Hundertfrankschein herauszugeben. Hätte der Herr eine Fahrkarte nach Paris genommen, so hätte ich genug in der Kasse gehabt, aber für ein Billett nach Bar-le-Duc mußte ich noch mehr Kleingeld geben. Ich hatte zwei silberne Fünffrankstücke, die ich beiseitegelegt hatte und eigentlich nicht ausgeben wollte. Ich hatte sie in meinem eigenen Portemonnaie und wollte sie für meine Enkelin aufheben.«

So hatte mir der Zufall durch diesen mit Blut beschmierten Schein einen sehr wichtigen Anhaltspunkt gegeben. Ein zweiter Fingerzeig waren die beiden Fünffrankstücke, um die Spur des Schuldigen zu finden. Mein Entschluß war gefaßt. Noch abends nach dem Essen würden wir nach Bar-le-Duc fahren, um unsere Forschungen bei der dortigen Schalterbeamtin fortzusehen. Dort würden wir uns erkundigen, ob ein Reisender ein Billett nach Paris mit einem Vierzigfrankstück gelöst hatte. Übrigens konnte er auch mit anderem Geld bezahlt haben, und eine verneinende Auskunft der Schalterbeamtin bewies durchaus noch nicht, daß Larcier nicht nach Paris gefahren war.

Auf dem Bahnhof in Toul nahm ich mir einen Wagen, der mich zu dem Schlächter Felix führte. Dieser erkannte sofort den Hundertfrankschein wieder, den er dem alten Bonnel gegeben hatte. Sodann ging ich in das Hotel und erstattete Blanche, die mich im Salon erwartete, Bericht über das Ergebnis meiner Untersuchungen.


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