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XI

Der dicke Chauffeur, der begeistert war, an unseren Nachforschungen teilzunehmen, fuhr uns nach dem Nordbahnhof, wo wir einige Gepäckträger ausfragten.

Der erste, ein kleiner Mann mit einem schwarzen Schnurrbart, den der Chauffeur mit Sicherheit als denjenigen erkannte, der den Handkoffer getragen hatte, erinnerte sich an nichts. Wir drangen mit Fragen in ihn, und schließlich fiel ihm eine wichtige Tatsache ein: an dem Tage, an dem Marteau in den Zug gestiegen war, hatte er überhaupt nicht Dienst gehabt und war gar nicht auf dem Bahnhof gewesen. Diese Bezeugung, welche die Erklärung des Chauffeurs widerlegte, entmutigte diesen durchaus nicht, denn mit noch größerer Sicherheit wies er auf einen Mann mit rotem krausen Haar und schläfriger Miene, der mit herunterhängenden Armen an der Gepäckausgabe stand.

Der Rotkopf sah mich blöde an und beschränkte sich darauf, die Fragen, die ich an ihn richtete, langsam zu wiederholen. In diesem Augenblick näherte sich ein anderer Gepäckträger, der unserer Unterhaltung zuhörte und den der Chauffeur noch nicht bemerkt hatte, und sagte, er erinnere sich sehr genau, und beschrieb den überaus schweren, wie es schien, mit Papieren gefüllten Handkoffer, den er selbst um zehn Uhr morgens in den Boulogner Zug getragen hatte.

Obwohl wir diese Auskunft nicht dem Chauffeur verdankten, schien dieser sehr stolz darauf zu sein, und ich bemerkte, wie verächtlich er den Rotkopf anblickte, weil dieser sich an nichts erinnerte. Es schien dem Chauffeur nicht einzuleuchten, daß, wenn der rothaarige Dienstmann mit der Angelegenheit nichts zu schaffen gehabt hatte, es doch nur zu entschuldigen war, wenn er sich ihrer nicht erinnerte.

Nun ging ich an den Schalter, an dem die Billetts nach London verkauft wurden, um mir diese Mitteilung noch bestätigen zu lassen. Ich fragte die Beamtin, ob sie sich vielleicht erinnere, an dem von mir genannten Tage ein Billett zweiter Klasse an einen großen älteren Herrn, den ich ihr beschrieb, verkauft zu haben. Ich fragte sie auch, ob sie beim Bezahlen zwei Fünffrankstücke bekommen habe, weil ich mich an die Auskunft erinnerte, die ich auf dem kleinen Bahnhof bei Toul erhalten hatte. Ich sagte mir, daß Larcier dieses Geld vielleicht Marteau gegeben hätte. Aber die Beamtin erinnerte sich an nichts.

Übrigens hätten ihre Mitteilungen nur die genaueren Angaben, die ich von dem Dienstmann empfangen hatte, bekräftigen können.

Während dieser ganzen Untersuchung war Blanche im Wagen geblieben. Ich ging zu ihr, um ihr das Ergebnis meiner weiteren Nachforschungen mitzuteilen. Wir beschlossen, sofort nach London abzureisen. Jedoch war dieses Unternehmen ein wenig schwierig, und besonders darum, weil wir beide sehr schlecht Englisch sprachen. Ferner hatten wir doch auch nur zu schwache Anhaltspunkte, um Marteau wiederzufinden.

Ich war aber des Kampfes überdrüssig und hatte den Wunsch, jemand zu unserer Hilfe zu nehmen. Obgleich ich nur ein sehr mäßiges Vertrauen zu der unfehlbaren Geschicklichkeit der Detektive hatte, beschloß ich doch, die Kenntnisse und die Erfahrung eines berufsmäßigen Kriminalbeamten, der Englisch sprechen konnte, in Anspruch zu nehmen.

Ich hatte im Innenministerium einen Schulkameraden, der Beziehungen zu dem Sicherheitsdienst hatte. Er konnte sich die Adresse eines der verfügbaren Beamten verschaffen, die auch private Untersuchungen übernahmen. Ich bat ihn ebenfalls um eine Empfehlung für das Kriegsministerium, denn mein Urlaub mußte verlängert werden ... Um für die neuen Ausgaben, die unsere Londoner Reise verursachen würde, sorgen zu können, schrieb ich an einen Notar nach Chalon-sur-Saône, bei dem ich einige Wertpapiere deponiert hatte, und beauftragte ihn, mir Geld nach London zu senden.

Ich erinnere mich noch des entsetzlich aufgeregten Briefes, den ich einige Tage später erhielt, und dem zweitausend Frank beigefügt waren.

Dieser Notar hat nie begriffen, weshalb ich, ein Unteroffizier, nach London zu reisen beabsichtigte. Er wagte keine Vermutungen aufzustellen, aber aus seinem Brief, in welchem er mich, ohne eine Begründung anzugeben, inständigst bat, meine Reise nach dem Ausland nicht zu lange auszudehnen, las ich die Furcht heraus, daß ich desertieren könnte.

Blanche und ich waren abends ins Theater gegangen, und ich begleitete sie in ihr Hotel nach der Rue Vivienne. Nachher begab ich mich ins Hotel Savarin und hoffte, dort noch Näheres über Marteaus Aufenthalt zu erfahren.

Erst am nächsten Tage um zehn Uhr morgens suchte ich meinen Freund im Innenministerium auf.

Er zeigte für meine Angelegenheit so viel Interesse, daß gleich nach dem Mittagessen ein Beamter des Sicherheitsdienstes sich im Hotel Rue Vivienne bei mir und Blanche melden ließ.

Er hieß Galoin. Wie einen Arzt, den man noch nicht kennt, und den man prüfend ansieht, um festzustellen, ob man Vertrauen zu ihm haben kann oder ihm mißtrauen soll, betrachtete ich ihn.

Bevor ich ihn sah, hatte ich viel an ihn gedacht und versucht, mir eine Vorstellung von ihm zu machen. Ich fürchtete, einen kleinen, trockenen und anmaßenden Polizisten kommen zu sehen, der nur nach einer feststehenden Methode arbeitete. Und ich fragte mich, ob das nicht doch die wertvollsten Menschen sind. Bis ins kleinste richten sie sich nach einem System, das sich durch die gesammelten Erfahrungen von Generationen von Polizisten gebildet hat, und dieses System ist darum wertvoller als die intelligente und sogar erfindungsreiche Initiative eines einzelnen.

Andererseits ist zu befürchten, daß es manchen dieser Beamten an Intelligenz fehlt, um dieses System anzuwenden. Ihre Anstellung ist noch kein Beweis ihrer Tüchtigkeit, denn ihr Beruf ist so verschrien, daß, um Inspektor im Sicherheitsdienst zu werden, von einem offenen Wettbewerb zwischen allen klugen Leuten aller Gesellschaftsschichten keine Rede sein kann. Die Auswahl ist deshalb eine sehr beschränkte.

Ich war von dem ersten Eindruck, den Herr Galoin auf mich machte, sehr befriedigt.

Es war ein brünetter, fünfunddreißigjähriger Mann, der einen langen Bart hatte und das Haar zurückgebürstet trug.

Ich lasse mich in meinen Eindrücken bei Beurteilung von Männern durch den Schnitt ihres Bartes und ihres Haares beeinflussen. Ich finde darin analoge Anzeichen, wie die Graphologie sie liefert, mit dem Unterschied, daß meine Beobachtungen sozusagen unbewußt sind. Instinktiv habe ich Mißtrauen gegen Männer, deren Frisur zu gepflegt, deren Scheitel zu genau gezogen ist. Es scheint mir, daß sie kein anderes Interesse als diese ein wenig kindische Beschäftigung haben.

So ziehe ich einen nicht gestutzten Bart, ein rasiertes Gesicht jener gesuchten Mode des Spitzbartes und des Backenbartes vor.


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