Otto Julius Bierbaum
Das Schöne Mädchen von Pao
Otto Julius Bierbaum

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IX.
Die Mission des Herrn We.

Wie männiglich weiß, haben die Dichter in weiblichen Angelegenheiten durchschnittlich mehr Glück, als die Minister. Und so gelang es Herrn We-tê-king sehr bald allein, was den drei Ministern mit all ihren Agenten nicht gelungen war.

Er hatte sich gesagt: je weniger offiziell ich auftrete, um so mehr werde ich erreichen. Die Ministerialagenten haben den Fehler gemacht, daß sie zu sehr mit kaiserlichen Edikten operierten. Da sind dann natürlich nur Mandarinentöchter und höchstens noch Mädchen aus Literatenfamilien gekommen, denn das Volk, wenn es nur ein Edikt auf gelbem Papiere sieht, denkt gleich: das ist nichts für mindere Leute, da gibt es genug Mandarinenlöffel, den Rahm abzuschöpfen. So werd ich es also nicht machen. Denn grade im Volke wachsen die nettesten Pflanzen, und ein Bauernmädel wird am allergeeignetsten sein, Seiner Majestät besondere erotische Sensationen zu verschaffen. Alles andere kennt er ja mehr als genug. Aber Frische, Frische! Heublumenduft und Volkslied!

Meine Laute auf dem Buckel, ein baumwollenes Habit an, auf dem strohenen Vagantenhut ein paar Hahnenfedern, – so will ich von Dorf zu Dorf ziehen und die Dirnen am Ziehbrunnen zusammenklimpern. Ein Haderlumpenlied zieht mehr als zehntausend kaiserliche Edikte.

Und so tat er, der pfiffige Hofliebesdichter und gute Psychologe. Es machte ihm auch außerdem ein Heidenvergnügen und dünkte ihn besser, als an der kaiserlichen Tafelrunde sitzen und Zweideutigkeiten reimen oder gar die kaiserlichen Verse korrigieren.

Von Dorf zu Dorf sich durchsingend und manches hübsche Mädchen am Kinne fassend kam er schließlich in die Gegend von Pao. Ein großes Dorf lag in Mittagssonne. Männer und Weiber schnitten draußen den Reis, am Bache aber, der durch das Dorf floß, knieten die Mädchen und wuschen. Pitsch-patsch klang es, wie sie das Leinenzeug auf die glatten Steine schlugen.

Da setz ich mich irgendwohin, wo's schattig ist, und befingere die Laute, dachte sich der erfahrene Herr We-tê-king und tat auch so.

Erst bloß ein bischen Saitengerupf: ping-pang-pong-dewing, ping-pang-pong, dann ein paar kichernde Läufe, und nun los:

Heißer Himmel, Sonnenbrand,
Weiß vom Staub die Stra-a-ßen,
Ach, ich bin zu weit gerannt
Über krumm und grades Land,
Heißer Himmel, Sonnenbrand
Macht durstig aus der Ma-a-ßen.

Die Mädchen drehten sich schon rum und stießen einander an: Schaut da, Einer mit der Laute, und singt!

Jetzt machte es Herr We-tê-king recht zum Erbarmen:

   Hätt ich nur ein bissel Wein,
Würd ich balde hei-ei-ter,
Bin ein armes Singerlein,
Fahr landauf, landab, landein,
Hätt ich nur ein bissel Wein!
Laßt mich nicht durstig wei-ei-ter!

– Der arme Bursch! Hört nur, wie kläglich er tut! Bringen wir ihm die Kürbisflasche! Nimm sie, Pao-Szö!

Der ganze Schwarm machte sich auf und kam nahe. Die Kleinste trug die Flasche und bot sie dem Sänger.

Himmel, was machte Herr We-tê-king für ein paar Augen, als er das Mädchen sah!

Die, die ist es! Bei allen kaiserlichen Ahnen: die und keine andre! Eine Blume aus dem Garten der Götter! Die Blume Wundergruß!

– Mädchen, wie heißest du?

– Pao-Szö, Herr!

– Wer ist dein Vater?

– Szö-ta, Herr!

– Führ mich schnell zu ihm.

– Warum, Herr?

– Weil du schön bist, Pao-Szö, schön und für den Kaiser gemacht!

– Warum spottet der Herr?

– Nicht Spott, du Lieblichste des Reiches! Nicht Spott! Laß dich anschaun, laß dich . . . oh! Wie sind deine Brauen fein! Feiner im Schwunge als die Bogen im Waffensaale des Himmelssohnes! Und deine Lippen, wie rot! Röter, als der Zinnober des kaiserlichen Namenzuges! Und weiß die Zähne wie das seidene Bett der Kaiserin, das für dich gerichtet ist! Für dich, du Allerholdseligste, deren Haar wie eine schwarze Wolke ist, hangend auf dem blühenden Gipfel des Pfirsichberges im Kaiserparke! Sind deine Finger nicht kunstvoll geschnittene Edelsteine? Aber dein Antlitz ist lieblich wie der klare Mond! Oh du Schönheit du! Du Schönheit du! Länder und Städte wird er für dich hinfallen lassen wie faule Brombeeren!

Die Mädchen griffen sich an die Stirnen und meinten: Du hast wohl Wind im Gehirn, oder bist du trunken, vor du noch getrunken hast?

– Schweigt, alberne Gänse! Ich bin der Hofdichter We-tê-king, und dieser da sollt ihr noch die Füße küssen, schnatterndes Volk: ehe eine Woche ins Land geht, sitzt sie dem Kaiser auf dem Schoße.

– Er ist besessen! Er ist besessen! kreischten die Mädchen auf und liefen davon. Herr We-tê-king aber kniete vor Pao-Szö nieder und sprach: Als Erster huldigt dir dein niedriger Sklave We-tê-king. Wolle dich in Gnaden dessen erinnern, wenn du das Kopfkissen des Kaisers hast. Und nun geruhe, mich zu deinem Vater zu führen.

Pao-Szö lachte: Ist das auch alles wahr?

– So wahr, als ich über ein kleines Hausminister sein werde. Schnell, schnell zu deinem Vater!

Der alte Szö-Ta war ein armer Bauer und ein bischen ungehobelt. Er stand gerade nacktbeinig im feuchten Reisfelde und sichelte, als Pao-Szö zu ihm lief und also sprach: Vater, der Herr da will mit dir reden!

– Reden? Was will er reden? Mein Reis ist schon verkauft.

– Nicht deinen Reis will ich, sagte Herr We-tê-king, sondern deine Tochter, alter Biedermann!

– Meine Tochter will er? Die brauch ich selber. Wenn sie auch faul ist wie eine genudelte Hochzeitsgans, 'n bischen hilft sie mir doch in der Wirtschaft.

– Nicht für die Wirtschaft will ich sie, nicht als Magd, Alter.

– Wozu denn?

– Ich will sie ausbilden lassen.

– Ist schon ausgebildet genug und eingebildet dazu. Soll sie etwa 's Tanzen lernen? Oder die Laute schlagen? Der schöne Herr ist wohl ein Lautenmeister?

– Ich bin Hofdichter Seiner Majestät.

– Äh! Was ist denn das?

– Ich mache Lieder für den Kaiser.

– Lieder? Die gibts ja schon so.

– Neue Lieder, Alter, nicht solche gewöhnliche, wie ihr sie singt.

– So! Meinetwegen. Heiß Wetter heute.

– Hört mal, mein guter Mann, macht keine Flausen: was ist's mit der Pao-Szö! Gebt ihr sie mir?

– Ich denke gar nicht dran.

– Was? Ich bin Beamter der dritten Rangklasse.

– Geht schon gut.

– Ich bin Vertrauter des Kaisers.

– Ich brauche nichts.

– Was soll das heißen!?

– Daß ich nichts brauche.

– Ihr gebt das Mädchen also nicht freiwillig?

– Unfreiwillig auch nicht. Was meine ist, ist meine.

– Nichts ist euer! Dem Kaiser gehört alles! Wißt Ihr das nicht?

– Dem Kaiser? Ja, das ist richtig. Das ist so. Freilich. Aber: seid Ihr der Kaiser?

– Nein, aber der Kaiser will Euere Tochter!

– Das kann jeder sagen.

– Es ist so, Alter.

– Zeig her!

– Was denn?

– Den Brief vom Kaiser, mit dem Drachen und der roten Unterschrift. Hähä! Nee, mein Lieber. Es heißt zwar:

Der Bauer und der Stier,
Das sind zwei dumme Tier,

aber so gescheidt wie ein abgerissener Bänkelsänger sind wir doch noch. Weg aus meinem Felde, Vagabund! denkst du, ich seh's deinem Rock nicht an, wie dein Beutel aussieht, du – Beamter der dritten Rangklasse?

Er hob einen Lehmkloß auf, ihn nach Herrn We-tê-king zu werfen.

In diesem Augenblick merkte der Hofdichter, woran er es hatte fehlen lassen. Er zog seinen Geldriemen, an dem an die fünfzig Kupfermünzen hingen und warf ihn dem Bauern vor die Füße: Da!

– Hä? Hat der Herr Münze? Laßt sehn!

Der biedere Szö-Ta zählte das Kupferzeug.

– Hm! Achtundvierzig Stück Große. Er kraute sich hinter den Ohren:

– Das wäre für die da?

– Ja, und später kommt noch mehr, viel mehr, wenn sie erst beim Kaiser . . .

– Ti-ti-ti-ti . . . Kaiser! Lassen Sie mich mit dem Kaiser zufrieden. Mit Ihnen handle ich. Mit dem Kaiser hat unsereins bloß zu tun, wenns ans Halsabschneiden geht . . . . Noch so ein Riemelchen voll!

Herr We-tê-king fuhr in den Brustbausch und zog eine Silberstange hervor.

– Ich hab kein Kleingeld, aber, damit Ihr seht, daß ich mich nicht lumpen lasse –: Da!

Die Silberstange flog dem Alten vor die Füße.

– Silber? Das kenn ich nicht. Silber? Nee! Das kann falsch sein. Und: wer solls wechseln? Gebt mir Kupfer, Herr!

– Das Silber da ist hundertmal so viel wert, als der Riemen! Seid nicht blöde!

Szö-Ta betrachtete die Stange, wog sie in der Hand, schlug sie auf einen Stein, machte Hum! machte Hem! rieb sie an seinem Kittel, schabte an ihr mit seinem Messer und schrie schließlich: Lao-Mu! Lao-Mu!

Aus dem Reisfelde kam eine alte Frau und rief: Was ist?

– Der Herr da will die Pao-Szö kaufen; kennst du Silber, Alte?

– Zeig her!

– Da!

– Das ist Silber. Sind ja Stempel drauf.

– Stempel!? Ja so! Ja dann!

Szö-Ta zog sich mit Lao-Mu etwas ins Reisfeld zurück. Nach einer Weile tauchten sie wieder auf, und Szö-Ta erklärte: Die Mutter will mit Euch handeln.

– Nun in Gottes Namen! Aber Ihr habt wahrhaftig genug jetzt!

– Nein, Herr, sprach Lao-Mu. Nein, Herr! Das Kind da, wahrhaftig, ist mehr wert. Wärs unser geborenes Kind, – ja, dann wärs schon zu viel, denn wir sind erbärmliche Leute. Aber, Herr (und nun flüsterte sie): Pao-Szö ist ein Kind der Wundervögel mit Perlmutterflügeln! Rote Schnäbel haben sie und gelbe Augen und am Bauche den Flaum, der genannt ist: Kaiserwiegenflaum, – schneeweiß und weicher, als Altweiberfäden, die im Spätjahr fliegen! Der Himmel weiß, was für ein Wunder an dem Mädchen ist! Als ich sie kriegte, da mein eigenes Kind gestorben war, und ich nahm sie in den Arm, da lief durch meinen Leib ein Zittern und seltsames Geriesel, und mir war, ich darf nicht sagen wie. Auch hat sie keine Milch von mir getrunken und auch nicht Milch von Kühen und Ziegen oder Eselinnen, und gedieh doch mehr, als alle anderen Kinder im Dorf. Und nachts habe ich an ihrer Wiege zwei rote Vögel stehen sehen, die Vögel Fung-Hoan; die sangen:

Es steigt der Mond!
Die Sonne sinkt!
Schlaf dich schön!
Schlaf dich schön!
Mädchen, das den Mondstrahl trinkt.

Und wirklich: Der Mond kam an ihr Bett und legte sich über sie wie Mutterbrust, und Pao-Szö saugte an ihm. Das ist wirklich wahr!

– So? – Und ich soll nun die Mondamme bezahlen? Laßt mich doch mit solchen einfältigen Päppelkinds-Geschichten zufrieden, Alte. Kurz und gut: Wie viel wollt ihr noch?

– Noch so ein Stängelchen, Herr, noch so ein Silberstängelchen! Denkt doch: sie hat am Monde getrunken, das liebe Kind, das süße.

Sie wurde plötzlich sehr ergriffen und bedeckte Pao-Szö mit Küssen.

– Also gut! Hier!

We-tê-king produzierte noch eine Silberstange und gab sie hin:

– Dafür kriegte man die Tochter des Kultusministers, Verehrteste. Aber nun ist es genug! Bestellt mir eine Sänfte mit vier Trägern! Nehmet Abschied, Fräulein Pao-Szö!

Das ging sehr schnell. Die Sänfte war auch bald da, und der glückliche We-tê-king hatte das Vergnügen, in ein paar Stunden die Gegend von Pao hinter sich zu haben.


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