Otto Julius Bierbaum
Stilpe
Otto Julius Bierbaum

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Viertes Buch

Ecce poeta

Reich mir einen Lorbeerkranz, Schicksal,
oder aber
Einen Bund voll Haber.

Aus Stilpes zerstreuten Weisheiten.

Erstes Kapitel.

Ein junger Lyriker und ein noch jüngerer Dramatiker saßen im Café Kaiserhof in Berlin und erörterten die Zukunft der deutschen Litteratur. Da ging ein Herr an ihrem Tisch vorüber, und der Lyriker hielt mitten in der Bemerkung, daß erst nach völliger Austilgung der Tagespresse wieder an eine anständige Litteratur zu denken sei, inne, um diesen Herrn, der sehr elegant gekleidet war und ein etwas blasiertes Wesen zur Schau trug, mit tiefer Verbeugung zu begrüßen. Der Herr, an dem eine Fülle schwarzer, weit in die Stirn gekämmter Haare und ein Klemmer mit sehr breitem schwarzem Bande besonders auffiel, sagte mit einem schiefen Lächeln: Nächste Woche kommen Sie dran! Die freien Rhythmen habe ich schon klein gehackt. Man thut, was man kann.

Der Lyriker machte noch eine Verbeugung und wollte etwas sagen, aber da war der Herr mit dem schwarzen Klemmerbande schon weiter gegangen. An einem Ecktisch, wo der Kellner bereits den Absinth filterte, ließ er sich nieder.

– Wer war denn das? fragte eifrig der Dramatiker.

– Kennst Du denn den nicht! antwortete erstaunt der Lyriker. Stilpe!

– Was? Den Kerl grüßt Du? Dem schickst Du Deine Bücher? Das ist ja der infamste Hund, der je kritisch gebellt hat!

– Schrei doch nicht so! Mit dem ist Freundschaft besser als Feindschaft. Übrigens hat er wirklich Geist.

– Ach was: Geist! Ein Molch ist er! Eine niederträchtige Bestie! Ein impotenter Neidbold, der sich einbildet, mit Schnoddrigkeit alles totmachen zu können. Die Reitpeitsche gehört ihm! Eine Witzwanze ist er!

– Was hat er Dir denn gethan?

– Mir wird er erst noch was thun, aber ich hasse ihn schon vorher. Dieses Gezücht muß ausgerottet werden, Du hast es ja vorhin selber gesagt!

– Bitte recht sehr! Ich war noch nicht fertig! Leute wie Stilpe nehme ich aus. Er ist freilich ein Pamphletist, aber, zum Teufel, er hat einen alten Hut voll Talent.

– Ich pfeife auf diese Art von Talent, hinter dem kein Charakter steckt. Galle, Neid und Größenwahn, nichts weiter! Den alten Hut haben hier Viele auf.

– Du irrst Dich, es steckt mehr dahinter. Stilpe ist eine der interessantesten Erscheinungen in der Berliner Litteratur. Ein giftiges Aas, meinetwegen! Aber: Unerschrocken! Kennst Du denn seine Karriere?

– Ach was! Er wird sich durchgebohrt haben wie alle diese Holzpapierwürmer.

– Urteile doch nicht so ins Blaue! Ich sage Dir offen: Ich habe Respekt vor dem Mann!

– Oder Angst.

– Unsinn! Respekt sage ich.

– Auch Hochachtung?

– Ach! Hochachtung. Vor einem Kritiker hat man nie Hochachtung. Aber er imponiert mir. Die Art wie er sich durchgesetzt hat, gefällt mir, weil sie beweist, daß ihm der ganze Journalismus nur eine Gelegenheit zu Stilübungen ist. Vor drei bis vier Jahren ist er hier in einem Coupée vierter Klasse angekommen, ganz abgerissen, ohne die geringsten Verbindungen. Als Reporter hat er angefangen, d. h. eigentlich blos als Hilfsreporter, und bei was für Blättern! Es heißt übrigens, daß er damals in verschollenen modernen Revüen Gedichte veröffentlicht hat. Jedenfalls hat er, während er hier beim literararischen Troß mitschuftete, nach auswärts in Litteraturblättern die unerhörteren Brandartikel geschrieben, als wäre er der heimliche Kaiser der deutschen Litteratur. Ich sage Dir: Dreck und Feuer, aber angemacht mit Flammpunsch! Durch eine Serie von Ohrfeigen, die er von einem Schauspieler kriegte, wurde er berühmt.

– In der That: Imposant!

– Ist es auch! Denn diese Ohrfeigenserie war nichts weiter als ein abgekarteter Coup, wie sich später herausstellte. Er und der Schauspieler prügelten sich programmmäßig nach gemeinsam aufgestelltem Regieplan und zwar mit nachdrücklichster Naturtreue. Wie der Streich geglückt und ihr Name in allen Zeitungen war, fuhren sie zusammen in einer offenen Droschke durch die Friedrichstraße und Stilpe ließ eine höchst amüsante Ehrenerklärung, die von Witz sprühte, durch die Blätter laufen, und die Aufmerksamkeit der Redaktionen galt nun nicht mehr seinen Ohrfeigen, sondern seinem offenbar großen journalistischen Talent. Er kam an einem konservativ-antisemitischen Blatte an und schrieb nun das boshafteste Zeug, was sich nur denken läßt, gegen die »koschere Litteratur«. Er hat geradezu den antisemitischen Knüppelstil erfunden. Und auf einmal, wie mit einem Krach, saß er auf der anderen Seite und drasch auf die Antisemiten los, daß es nur so knackte.

– Na, das ist doch der Cynismus der Charakterlosigkeit in frechster Form!

– Aber es hat Stil, mein Junge, und, übrigens: Denkst Du heute noch über Arminius so, wie in Sexta?

– Erlaube mal, damit läßt sich jede Käuflichkeit entschuldigen.

– Ich behaupte ja nicht, daß er ein moralisches Exempel ist. Er ist ein Landsknecht der Feder, jedem zu Diensten und in jedem Dienste ein Draufgänger. Wie ein General zur Zeit der italienischen Renaissance, der seinem Feldherrnstab bald das, bald jenes Wappen als Knauf aufsetzte, so schwang er bald diese, bald jene Fahne. Ans dem Raddau-Antisemiten und fortschrittlichen Losgänger wurde erst noch eine Art litterarischer Volkstribun der Sozialdemokratie, und es schien, als würde er dabei stehen bleiben. Er schrieb damals mit einer merkwürdigen nüchternen Härte und hieb besonders auf den »Bourgeois-Anarchismus« der jungen Litteratur los. Aber plötzlich ein wilder Quersprung, und er enthüllte die Kunstfeindlichkeit der Sozialdemokratie mit einer solchen Unerbittlichkeit und bekannte so flammend seinen Irrtum, daß man wirklich glauben mußte, er sei vom Geiste aller freien Künste apollinisch besessen. Seitdem datiert sein Ruf als litterarischer Kritiker. Er verließ die Politik und wurde der Schrecken der Belletristen. Er fing an, fein zu werden, Du verstehst mich: Fein im Berliner Sinne, also witzig und scharf. Natürlich muß er infolgedessen mehr verreißen, als loben. Kritik ist Scheidekunst sagt er; also: Scheidewasser her! Aber gerade deshalb liebt ihn sein Leserkreis.

– Und das findest Du also imposant!

– Nein, das gerade nicht, aber diese ganze Schamlosigkeit, mit soviel Witz und frechem Mute vertreten, zwingt mir sehr viel mehr Respekt ab, als die langweilige Leisetreterei der furchtbar ernsthaften Leute, die konsequent und reputierlich sind, weil ihre Beschränktheit es nicht anders gestattet. Sie schulmeistern die Litteratur, er macht sich über sie lustig. Nenne ihn einen Lump, aber ist er es in Großfolio. und wenn Du etwa sagen willst, daß er Schaden anrichtet, so behaupte ich, daß er das Interesse für Litteratur hundertmal stärker anregt, als die anständigsten kritischen Registratoren. Übrigens interessiert er mich im Grunde als Mensch. Ich bin zwar blos Lyriker, aber ich wittere hier einen tragischen Fall.

– Köstlich! Wenn ein Lyriker es mit der Psychologie hält! Jaja! Ich sage Dir, dieser Mensch fühlt sich in seinem Salonrocke unendlich wohl und verachtet die gesammte schöpferische Litteratur, wenn er nur immer genügend hohes Zeilenhonorar kriegt, um gut essen und trinken zu können. Die Absinth-Flasche hat er schon bald leer.

– Ja, man sagt, daß er säuft, und das stützt wieder meine Meinung von der Tragik, die hinter diesem Menschen steckt.

– Du bist wirklich ein Lyriker.

Dann sprachen sie wieder von der Zukunft der deutschen Litteratur.

Der psychologische Lyriker hatte recht: Stilpe fühlte sich in seiner bevorzugten Lage sehr unglücklich.

Er lebte allerdings sehr gut, seitdem er »in der Feuilletonmanege die Pausen durch schwierige Scherze ausfüllte«, wie er sein kritisches Amt umschrieb. Er aß bei Kempinsky, ließ bei einem englischen Schneider arbeiten, trank nur ausgesuchte Spirituosen und hatte, wenn auch kein ständiges, so doch eine Art von Wanderharem, »wohlassortiert«.

Daß darunter keine eigentliche Geliebte war, empfand er nicht als Mangel. Dieses Bedürfnis hatte er nicht, wenn ihn auch manchmal so etwas wie Sehnsucht darnach anwandelte.

– Vielleicht wäre es gut, wenn ich mich einmal richtig verliebte, sagte er sich; das wäre doch wenigstens ein Surrogat für das Andere. Aber es gelang ihm nicht.

Was aber war »das Andere«?

Ein paar Stellen seines »Heftes der Aufrichtigkeiten« geben darüber Aufschluß.

Dieses Heft legte er zu dem Zeitpunkte an, als seine Stellung anfing, gesichert zu werden; und das war dieselbe Zeit, um die er begann, sich unzufrieden zu fühlen.

Auf der ersten Seite stand dies:

»Jede Pflichtgewohnheit ist gemein, also auch das Lügen, als welche Kunst ich jetzt gewerbsmäßig und, wie ich mir sagen darf, nicht ohne Begabung, aber ich will ja hier ehrlich sein, also: Mit ungewöhnlichem Talente betreibe. Deshalb will ich wenigstens zuweilen diese Gewohnheit brechen und auf diesen Blättern die Wahrheit sagen.

Daß ich auch dabei lügen werde, versteht sich am Rande. Aber diese Lügen werden eine eigene und amüsante Nüance haben.

Ich stelle es mir sehr anmutig differenziert vor: Lügen, die Wahrheiten sein wollen, aber nicht daran glauben, und Wahrheiten, die sich selber keineswegs trauen, aber ihrer Lügenhaftigkeit immerhin nicht ganz sicher sind und sich manchmal im Stillen zweifelnd sagen: Wer weiß, am Ende sind wir wirklich wahr?

Eine liebliche Sorte Schlinggewächs also, – mein Gehirn mag eine ähnliche Struktur haben.«

»Es scheint wirklich: Der Mensch lebt nicht von Brot allein und auch nicht von dem, was besser schmeckt; er braucht ein Ziel, was er lieb hat, um »glücklich« zu sein. Aber er muß dran glauben.

Beispiel: Ich war glücklich, als ich das Ziel lieb hatte, ein – Dichter zu werden, obwohl ich damals lauter Schulden und keine Aussicht hatte, sie zu zahlen.

Oder: Ich war glücklich, als ich das Ziel lieb hatte, ganze Stiefeln zu bekommen. Und ich hatte doch nichts zu essen.

Nun aber: Bitte, wo ist das Ziel, das ich lieb hätte? Ganze Stiefeln hab ich, und ein Dichter mag ich einstweilen nicht werden . . . Alles wüste und leer . . .

Das Ziel, einen Rausch zu bekommen . . .! . . .?

Ach, wie erbärmlich sind jetzt meine Räusche! Ich trinke, weils schmeckt, und das ist niedrig neben dem eigentlichen Ziel des Trinkens, dem großen Rausch.

Vielleicht Morphium? Aber ich fürchte den Selbstmord . . . Meine Krankheit heißt überhaupt Feigheit . . . Ich habe mich zu sehr an Kempinsky gewöhnt . . .

Halt! Ich werde nach Dressel streben! Jede Woche zwei Feuilletons mehr, und es geht! . . .

Ach, wie kümmerlich und einfältig! Bin ich denn schon ganz verblödet? Jeder Tag Dressel, das wäre ja eine Rohheit und unsagbar stümperhaft. Ich würde mir ja selbst die Möglichkeit zu Magenidealen rauben . . .

Also: Ideale fehlen mir? Schau, schau, wie tugendhaft ich bin . . .

Unsinn: Ideale! Schon das Wort ist die verkörperte Maulsperre: I . . . e . . . a! Pfeifen wir lieber darauf! . . .

Aber das schweiß- und lustlockende Ziel . . . Sollte es die Liebe sein, die Li–a–bee? Oh nee!

Indessen . . . manchmal . . .? . . . hm . . .! . . .

Kürzlich liebte ich sehr stark in der Gegend des Weddings. Ich zog mich schlecht an (wie schade, daß ich meine letzte Leipziger Garderobe nicht mehr habe!) und entzündete den Scharlachfeuerbrand bei einem recht süßen Ding von Mantelnäherin.

Oh ja, es hatte was. Die Armeleutliebe hat ihre Reize wie die Armeleutmalerei, und ich kam mir vor wie der dicke Commerzienrat Katz, der einen Uhde in seinem Speisezimmer hängen hat. Er vertritt ihm die Stelle des Tischgebets. Aber ich bin wohl nicht so christlich veranlagt wie der Commerzienrat. Ich zog mich wieder in die Nähe des Wintergartens zurück . . .

Nein, die Liebe ist es nicht . . . Zur Liebe bin ich jetzt entschieden zu ästhetisch geworden . . . Oder zu niederträchtig? Nur keine Gêne, werter Freund! Den Sport will ich mir wenigstens bewahren, daß ich mich selber beim rechten Namen nenne.

Und jetzt will ich zu Emmy gehn, die mich »Caviarbrödchen« nennt.«

»Ich nähre mich jetzt hauptsächlich von Lyrikern, und was ich dann von mir gebe, ist das Entzücken meines reizenden Publikums. Nichts erfreut es so von Grund auf, als wenn man ihm einen gerupften Dichter vorsetzt.

Es besteht also in dieser deutschen Welt von heute immer noch eine Art Neid gegen diese Profession?

Und, wenn ich mir selber auf die Plombe fühle: Beneide ich das Geflügel nicht auch im Grunde ein bischen? Zumal die, die sich so verdorben stellen und so selig in der Einbildung sind, gewaltige und verruchte Sünder zu sein, – sind sie nicht wirklich beneidenswert? Kerls, die sich noch geißeln können, muß man die nicht beneiden?

Und überhaupt dieses Behagen, sich in Versen auszuschwemmen. Es ist ganz sicher eine ejakulative Wollust.

Und der Rhythmus ist das Leben,
Und die Prosa ist der Tod . . .

Hol sie der Teufel! Sie genieren mich. Sie erinnern mich an Zeiten, da ich gerade so dumm und pueril war wie sie, und ich finde, es ist ungerecht, daß ich leiden muß, weil ich klüger wurde . . .

Also: Ich leide? Sehr schön gesagt. Ein dekoratives Wörtchen. Schon die Stimmgabel zum lyrischen Gesang.

Ich werde mir auch so eine dicke schwarze Halsbinde kaufen, die Einem so was Biedermeierisch halbabgewürgtes giebt und zur lyrischen Livree von heute gehört.«

»Im Grunde genommen, werter Herr, sind Sie den Idealen Ihrer Jugend ein wenig untreu geworden. Fanden Sie nicht dermaleinsten, daß es die Gemeinheit der Gemeinheiten sei, ein Dichter sein zu können und um der besseren Speise- und Weinkarte willen ein Journalist zu werden?

Ganz richtig. Nur erlaubt sich irgend wer die Frage. Kann ich denn ein Dichter sein?

Lächerlich! Höchst lächerlich! Sind Sie ein Lump, daß Sie sich verstellen? Wissen Sie nicht ganz genau, daß Sie ein Dichter wären, wenn Sie nicht, leider, es für bequemer hielten, ein Schubiak zu sein?

Hm; vielleicht nehmen wir blos ein Schlammbad! . . . So zur Austreibung böser Säfte, wissen Sie . . .

Aber wer hat es Ihnen denn verschrieben?

Meine Natur, meine schlechte, niederträchtige, gemeine Natur. Durch Schlamm zum Rosenöl! sagt sie.

Reizend, in was für Tropen Ihre Natur lügt. Aber: Sie glauben ihr doch nicht?

Ih wo! Ich kenne sie ja.«

»Es fängt an, geschmacklos zu werden, wie unwohl ich mich fühle.

Mein Ruhm stinkt zum Himmel, daß Pietro Arretino vor Neid semmelblond wird, meine Honorare könnten einem Cirkusklown den Schlaf rauben, mein Stil, dieses Gemachte aus Sprachnotzucht und Drehkrankheit, wird mehr kopiert, als die sixtinische Madonna, – und ich bin der Gelbsucht nahe.

Was, zum Teufel, sitzt mir in der Leber!?

Oh, ich fühls! Es ist ein Ekel an dieser Comödie, die ich aus mir gemacht habe mit dem Vorsatz, sie vom Repertoire zu streichen, sobald ich genug an ihr hätte, und die ich nun Tag für Tag seit Jahren spielen muß, weil ich sonst hinter die Coulissen geschmissen würde.

Ein schundgemeines Kassenstück, aber wehe, wenn ich ein anderes gäbe!

Es gilt nur die Frage: Verlohnt die Einnahme wirklich den Ekel? Wäre es nicht besser, ich träte endlich einmal vor und spiee dem werten Publikum ins Gesicht?

Hollah! Amende gäbe das erst recht einen Erfolg, und ich wäre obendrein die Ekelplage los?

Wie, wenn ich Va-banque spielte?«

»Ich sehne mich nach Unordnung, nach Verrücktheit, nach dem Gelächter derer, die nichts zu verlieren haben.

Ah, Du altes, treues Wort: Bohème! Ein gelangweilter Lump zu sein, ein Lump in Wohlsein und Ängsten vor dem bischen Daseinsgefahr, – wie schaal und schäbig! Aber ein lachender Lump, ein königlich selbstherrlicher Lump mit leerem Beutel und den Taschen voll Hoffnung, ein dichtender Lump, ein Lump voll Laune und närrischen Plänen, ein freier Lump mit der Grazie des selbst bewegten Lebens, – wie köstlich und groß!

Bohème! Bohème! Der Gedanke läßt mich nicht mehr los: Heraus aus diesem behäbigen Lumpentum und hinein in freche Abenteuer!

Ich muß mich wieder berauschen können und nicht blos trinken.

Ich muß wieder einen Kreis um mich haben, in dem man betrunken wird an sich selber.

Diese schweren Weine machen faul, diese Champagner lügen blos von Räuschen, diese kostbaren Liköre sind wie Seidenpolster, in denen man versinkt, ohne daß man glaubt, Houri-Arme schlängen sich um Nacken und Brust.

Was ist das für ein Leben! Kein Ruck und Zuck, kein Taumeln und Drehen. Geradehin, auf Gummirädern, hinter verschlossenen Kaleschenfenstern, allein.

Diese »Collegen«! Wie ernst! Wie bedeutend! »Beamte der öffentlichen Meinung. Richter im Reiche des Schönen. Staatsanwälte des Geistes. Pioniere des Fortschritts. Enkel Lessings. Verantwortliche Redakteure der Moral.« Oh, ihr . . .!

Na! Ich kenne euch doch? Ihr habt doch allerhand Respekt vor mir? Ich unterstehe doch annoch makellos eurem Ehrengerichte? Wißt ihr denn nicht, daß ich täglich Unzucht mit allen Lastern des Witzes treibe? Warum werft ihr mich denn nicht hinaus?

Solltet ihr . . . auch . . .? Blos nicht mit soviel Frechheit . . .? . . .

Wie, wenn ich einmal meine Comödie, die ja ein Stück der euren ist, ohne Schminke auf eure Papierbühne brächte? Wenn ich die litterarischen Hungerleider, die von Gnaden des Elends noch anständig sind, aufriefe gegen die gewürdeten litterarischen Beutelschneider und Gaudiebe? Wenn ich zeigte, was für Wäsche unter den schönen Röcken der Würdenträger der öffentlichen Meinung steckt? . . .

Halt! Das ist Stil für die Öffentlichkeit; ich kann die Passage in meiner Brochüre verwenden, die ich wie einen Klotz in den Tintensumpf werfen will.

Ah! Da haben wir ja schon Plan und Titel: Eine Brochüre: Der Tintensumpf. Schon bin ich inspiriert!

Aber hier wollen wir doch lieber nach Möglichkeit ehrlich sein, – was habe ich also vor!? Wenn ich es mir recht überlege: Ich will mir, da ich von dieser Bühne abzutreten gesonnen bin (bin ichs wirklich?) einen guten und womöglich praktischen Abgang verschaffen. Ich will sensationell abtreten, um – drüben ein anderes gutes Engagement zu bekommen?

Nein, das nicht.

Aber es wäre vielleicht möglich, daß mir dieser Abgang die Möglichkeit gäbe, eine eigene Bühne, eine Protestbühne zu gründen .? . . Hm. Die Perspektive ist gut . . . Geht die Brochüre, so findet sich wohl ein spekulativer Herr, der mir meine eigene Zeitung gründet: Die Zeitung der Zurückgewiesenen, das Blatt der Bohèmes auf jedem Gebiete . . .

Und: Kein Zweifel, daß die Brochüre gehen wird! Welcher Skandal ginge nicht? Aber ich muß rücksichtslos sein, wie ein Wilder und boshaft wie ein Affe.

Sagen wir ruhig: Es muß ein braves Pamphlet sein.

Machen wir! Ist nicht der Tintensumpf unleugbar? Bin ich mir nicht das schönste Modell? Hat mich dieser Sumpf nicht ruiniert? . . .

Der Teufel, ich komme immer in den Stil für die Öffentlichkeit. Ich bin wirklich allerliebst eingeseucht; es scheint, ich kann mir schon selber nicht mehr die Wahrheit sagen. Aber für diesen Zweck ist das eigentlich ausgezeichnet! Ich werde teilweise unbewußt lügen, und eine unbewußte Lüge knattert viel stärker als zehn bewußte Wahrheiten.

Eben rieb ich mir die Hände. Es scheint, die Bösewichter auf dem Theater sind echter, als wir glauben.

Bösewicht! Ich möchte jetzt mal in den Spiegel sehn.

Wie sonderbar aufgeregt ich bin. Rein wie betrunken. Oh, ich ahne Räusche! Wenn ich jetzt schon so außer mir gerate!

Und nun hab ich endlich das Wort für mich: Ich will wieder außer mir geraten können!

Komme, was will: Ich muß aus mir heraus, heraus aus diesem meinen Sumpf, und ich will mit gewaltigem Spektakel ans Land springen! Platschen soll es.«


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