Björnstjerne Björnson
Der Bärenjäger
Björnstjerne Björnson

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Der Vater

(1858)

Der Mann, von dem hier erzählt werden soll, war der mächtigste in seinem Kirchspiel; er hieß Thord Överaas. Eines Tages stand er in dem Arbeitszimmer des Pfarrers, hoch aufgerichtet und mit feierlichem Ernst. »Ich habe einen Sohn bekommen«, sagte er, »und will ihn getauft haben.« – »Wie soll er heißen?« – »Finn, nach meinem Vater.« – »Und wer sind die Gevattern?« – Sie wurden genannt und waren die angesehensten Männer und Frauen des Kirchspiels, welche sämtlich zu der Familie des Vaters gehörten. »Hast du sonst noch etwas mitzuteilen?« fragte der Pfarrer und blickte zu ihm auf. Der Bauer stand einen Augenblick schweigend da. »Ich würde ihn gern für sich allein getauft haben«, sagte er. – »Das soll heißen an einem Wochentage?« – »Am nächsten Samstag, mittags zwölf Uhr.« – »Hast du sonst noch etwas?« fragte der Pfarrer. – »Sonst wüßte ich nichts.« Der Bauer drehte den Hut in den Händen, als wollte er gehen. Da erhob sich der Pfarrer. »So laßt mich Euch noch einen Wunsch auf den Weg mitgeben«, sagte er, ging auf Thord zu, nahm seine Hand, blickte ihm in die Augen und sprach: »Gebe Gott, daß dir das Kind zum Segen gereiche!«

Sechzehn Jahre nach diesem Tage stand Thord wieder in dem Zimmer des Pfarrers. »Du hältst dich gut, Thord«, sagte der Pfarrer, der keine Veränderung an ihm wahrnahm. »Ich habe ja auch keine Sorgen«, versetzte Thord. Hierzu schwieg der Pfarrer. Nach einer Weile fragte er: »Was ist heute abend dein Anliegen?« – »Heute abend komme ich wegen meines Sohnes, der morgen konfirmiert werden soll.« – »Er ist ein tüchtiger Junge.« – »Ich wollte Ihnen Ihre Gebühren nicht bezahlen, ehe ich wüßte, welchen Platz er in der Kirche erhalten würde.« – »Ich habe ihm den ersten angewiesen.« – »Nun bin ich dessen doch sicher – und hier sind zehn Taler für Sie.« – »Wünschest du sonst noch etwas?« fragte der Pfarrer, indem er Thord anblickte. – »Ich wüßte nichts weiter.« Thord ging.

Wieder waren acht Jahre verflossen, als man eines Tages vor dem Arbeitszimmer des Pfarrers lautes Geräusch vernahm, denn viele Männer kamen, und Thord eröffnete den Zug. Der Pfarrer blickte empor und erkannte ihn. »Du kommst heute abend in zahlreicher Begleitung.« – »Ich will das Aufgebot meines Sohnes bestellen; er soll sich mit Karen Storliden verheiraten, der Tochter Gudmunds, der hier steht.« – »Das ist ja das reichste Mädchen im ganzen Kirchspiel.« – »So sagt man«, entgegnete der Bauer, indem er sich das Haar mit der einen Hand in die Höhe strich. Der Pfarrer saß eine Weile wie in Gedanken da; ohne etwas zu sagen, schrieb er darauf die Namen in seine Bücher ein, und die Männer unterschrieben. Thord legte drei Taler auf den Tisch. – »Mir steht nur einer zu«, sagte der Pfarrer. – »Ich weiß, was Sie zu verlangen haben, aber er ist mein einziges Kind – ich möchte meine Sache gern gut machen.« Nach dieser Erklärung nahm der Pfarrer das Geld. »Jetzt stehst du um deines Sohnes willen schon zum drittenmal hier, Thord.« – »Jetzt bin ich mit ihm aber auch fertig«, erwiderte Thord, schnürte seinen Geldbeutel zu, sagte Lebewohl und ging – die Männer folgten ihm langsam.

Vierzehn Tage darauf ruderten Vater und Sohn bei stillem Wetter über das Wasser nach Storliden, um sich über das Hochzeitsfest zu besprechen. – »Die Ruderbank liegt nicht fest unter mir«, sagte der Sohn und stand auf, um sie zurechtzulegen. In demselben Augenblick gleitet das Brett, auf dem er steht, aus; er greift mit den Armen um sich, stößt einen Angstschrei aus und stürzt in das Wasser. – »Halte dich an dem Ruder fest!« rief der Vater, sprang auf und hielt es ihm hin. Aber als der Sohn einigemal danach gegriffen hatte, wurden seine Hände steif und starr. »Warte, warte!« rief der Vater und ruderte auf ihn zu. Da stürzt der Sohn rücklings über, wirft dem Vater einen langen Blick zu – und versinkt.

Thord wollte es nicht recht glauben, er hielt das Boot still und starrte auf den Fleck, wo der Sohn versunken war, als müßte er wieder emportauchen. Einige Blasen stiegen auf, noch einige, dann nur eine einzige große, welche zersprang – und spiegelhell lag die See wieder da. Drei Tage und drei Nächte lang sahen die Leute den Vater um diesen Fleck herumrudern, ohne zu essen oder zu schlafen; er suchte nach seinem Sohn. Erst am Morgen des dritten Tages fand er ihn und trug ihn selbst über die Berge nach seinem Hof.

Seit jenem Tage konnte wohl ein Jahr verflossen sein. Da hört der Pfarrer noch spät an einem Herbstabend jemanden sich draußen vor der Flurtür bewegen und nach der Türklinke umhertasten. Der Pfarrer öffnete die Tür, und herein trat ein hochgewachsener, vornübergebeugter Mann, mager und mit weißen Haaren. Der Pfarrer blickte ihn lange an, ehe er ihn erkannte; es war Thord. »Kommst du so spät?« sagte der Pfarrer und blieb vor ihm stehen. »Leider ja, ich komme spät«, versetzte Thord, indem er sich niedersetzte. Der Pfarrer nahm voller Erwartung ebenfalls Platz; lange herrschte Stillschweigen. Endlich sagte Thord: »Ich habe etwas bei mir, das ich gern den Armen geben möchte; ich beabsichtige eine milde Stiftung zu gründen, die meines Sohnes Namen tragen soll.« – Er erhob sich, legte Geld auf den Tisch und setzte sich wieder. Der Pfarrer zählte es. »Das ist viel Geld«, sagte er. – »Es ist die Hälfte des Preises für meinen Hof, den ich heute verkaufte.« – Lange blieb der Pfarrer schweigend sitzen; endlich fragte er mit sanfter Stimme: »Was denkst du jetzt zu beginnen?« – »Etwas Besseres!« – Wieder saßen sie eine Weile schweigend da, Thord mit auf den Boden gerichteten Blicken, während der Pfarrer ihn fragend ansah. Da sagte der Pfarrer mit einem Male leise: »Jetzt denke ich, daß dir dein Sohn endlich zum Segen geworden ist.« – »Ja, nun bin auch ich davon überzeugt«, versetzte Thord, blickte auf, und zwei Tränen rollten langsam über sein Antlitz hinab.


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