Björnstjerne Björnson
Der Bärenjäger
Björnstjerne Björnson

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Eine gefährliche Freite

(1856)

Seitdem Aslaug eine erwachsene Dirne war, gab es in Husaby nicht mehr viel Frieden. Die hübschesten Burschen des Kirchspiels rauften und schlugen sich jetzt dort Nacht für Nacht. Am ärgsten ging es in der Samstagnacht her; aber dann legte sich der alte Knud Husaby, ihr Vater, auch nie schlafen, ohne seine Lederhosen anzubehalten und einen Birkenknüttel an sein Bett zu stellen; »Habe ich ein schmuckes Mädel bekommen, so werde ich es auch zu hüten wissen«, sagte der Husaby.

Thore Nässet war nur ein Kätnerbursch, aber gleichwohl gab es Leute, welche behaupteten, daß er am häufigsten zu der Bauerntochter auf Husaby käme. Dem alten Knud gefiel das nicht, auch versicherte er, es wäre nicht wahr, da er ihn dort nie gesehen hätte. Allein die Leute lächelten untereinander und meinten, hätte er, um sich mit allen herumzuzanken, die in Haus und Hof lärmten und ihr Wesen trieben, nur in allen Winkeln und Ecken genau nachgesucht, so würde er Thore schon gefunden haben.

Der Frühling kam, und Aslaug zog mit dem Vieh nach der Alm. Wenn sich nun der Tag heiß über das Tal legte, die Felsenwand kühl über den Sonnenrauch emporragte, die Schellen der Kühe erschallten, der Hirtenhund bellte, Aslaug oben auf den Berghalden jodelte und auf dem Hirtenhorne blies – dann wurde es den Burschen, die unten im Tale in der Nähe auf den Wiesen arbeiteten, wehe ums Herz. Und am ersten Samstagabend eilte einer immer schneller als der andere hinauf. Aber noch schneller ging es wieder hinunter, denn oben bei der Sennhütte stand ein Bursch hinter der Tür, und dieser empfing jeden, welcher kam, und wirbelte ihn dermaßen im Kreise herum, daß er für immer der Worte gedachte, die ihm dabei zugerufen wurden:

»Komme ein andermal wieder, dann sollst du mehr erhalten!«

Nach der Burschen Gedanken gab es in dem ganzen Kirchspiel nur einen einzigen, der eine solche Faust besaß, und dieser war Thore Nässet. Und all den reichen Bauernburschen kam es doch zu arg vor, daß der Kätnerbock dort hoch oben auf der Husaby-Alm so um sich stoßen dürfte.

Derselben Meinung war auch der alte Knud, als er davon hörte, und er äußerte zugleich, wenn kein anderer da wäre, der ihn festbinden könnte, so wollten er und sein Sohn es versuchen. Knud fing zwar bereits zu altern an, aber wenn er auch fast sechzig Jahre zählte, pflegte er doch gern, wenn es ihm einmal zu stille im Hause herging, mit seinem ältesten Sohne einen oder zwei Ringkämpfe zu bestehen.

Zu der Husaby-Alm führte nur ein Pfad hinauf, und dieser ging gerade über das Gehöft. Am folgenden Samstagabend, als Thore zur Alm wollte und sich, als er erst die Scheune erreicht hatte, immer schnellfüßiger über den Hof schlich, packte ihn ein Mann vor der Brust. »Was willst du von mir?« sagte Thore und schlug ihn zu Boden, daß alles in ihm zu singen begann. »Das sollst du gleich erfahren«, sagte ein anderer hinter ihm mit einem Nackenschlag, und das war der Bruder. »Hier kommt der Dritte«, sagte der alte Knud und stürzte sich auf ihn.

In der Gefahr nahm Thores Kraft zu; er war geschmeidig wie eine Weidengerte und schlug zu, daß seine Gegner es fühlten; er schlüpfte ihnen unter den Armen hinweg und duckte sich; wo der Schlag hinfiel, war er nicht; wo sie es nicht erwarteten, traf sie seine Faust. Prügel bekam er freilich zuletzt doch, und zwar gründliche, aber der alte Knud sagte später doch oft, daß er sich mit einem tüchtigeren Kerl noch nie gerauft hätte. Die Schlägerei dauerte fort, bis Blut floß, aber dann sagte der Husaby »Halt!« und fügte hinzu: »Kannst du den nächsten Samstagabend dem Wolf Husaby und seinen Jungen entkommen, dann soll die Dirne dein sein!«

Thore schleppte sich heim, so gut er konnte, und als er nach Hause gekommen war, legte er sich nieder. Über die Rauferei in Husaby wurde viel geschwatzt, aber ein jeder sagte: »Was hatte er auch dort zu suchen?« Eine jedoch sprach nicht so, und das war Aslaug. Sie hatte ihn an jenem Samstagabend erwartet, und als sie jetzt nun zu hören bekam, welche Bewandtnis es mit ihm und dem Vater hatte, setzte sie sich hin und weinte und sagte auch bei sich selbst: »Bekomme ich Thore nicht, so habe ich hienieden keinen frohen Tag mehr.«

Thore blieb den Sonntag über im Bett liegen und fühlte den Montag, daß er noch liegenbleiben müßte.

Der Dienstag kam, und es war ein so schöner Tag. Während der Nacht hatte es geregnet, die Berge lagen so frisch und grün da, das Fenster stand offen, der Duft des Laubes strömte hinein, die Glocken der Herde tönten über die Berghalden hinfort, und droben jodelte jemand; hätte seine Mutter nicht im Zimmer gesessen, so würde er vor Ungeduld geweint haben.

Der Mittwoch kam, und er lag noch immer; den Donnerstag begann er sich darüber zu wundern, ob er nicht bis zum Samstag wieder gesund sein könnte, und am Freitag war er wieder auf. Er erinnerte sich recht gut der Worte, welche der Vater gesagt hatte: »Kannst du den nächsten Samstagabend dem Wolf Husaby und seinen Jungen entkommen, dann soll die Dirne dein sein.« Er blickte wieder und immer wieder nach Husaby hinüber – »dort ernte ich nichts weiter als Prügel«, dachte Thore.

Nach der Husaby-Alm führte, wie gesagt, nur ein Weg hinauf; allein ein tüchtiger Kerl mußte doch wohl imstande sein hinaufzukommen, wenn er auch nicht eben den geraden Weg ging. Ruderte er dort um die Landspitze herum und landete an der jenseitigen Bergseite, so mußte es doch Mittel geben, sie zu erklimmen, wenn sie auch allerdings so steil war, daß auch eine Ziege dort nur mit Mühe Fuß fassen konnte, und sie pflegt sich doch vor einer Felsenwand nicht zu fürchten.

Der Samstag kam, und Thore ging den ganzen Tag aus; die Sonne strahlte, daß es sich überall in den Gebüschen regte, und dann und wann hallte das Jodeln lockend von den Bergen hernieder. Er saß noch draußen vor der Tür, als der Tag sich neigte und ein rauchender Nebel längs den Felsenwänden emporstieg. Er blickte hinauf, und dort war es so still, er blickte nach dem Hofe Husaby hinüber, und dann stieß er das Boot vom Lande ab und ruderte um die Landspitze herum.

Nach vollbrachter Tagesarbeit saß Aslaug oben auf der Alm. Sie dachte daran, daß Thore diesen Abend nicht kommen könnte, daß aber an seiner Statt desto mehr andere kommen würden; deshalb machte sie den Hirtenhund los und sagte niemandem, wohin sie ging. Sie setzte sich so, daß sie die Aussicht über das Tal hatte; aber der Nebel stieg empor, und sie fühlte sich auch nicht imstande, dort hinabzuschauen, denn alles erinnerte sie an ihr Schicksal. Sie wechselte deshalb den Platz und setzte sich, ohne sich etwas dabei zu denken, so, daß sie über die See blicken konnte. Es gab solchen Frieden, dieser Fernblick über die See!

Da stieg in ihr die Lust zu singen auf; sie wählte eine Melodie mit lang aushaltenden Tönen, und weithin schallte ihr Gesang in der stillen Nacht. Sie war selbst davon ergriffen und sang deshalb noch einen Vers. Aber da kam es ihr vor, als ob ihr jemand aus der Tiefe antwortete. ›Was in aller Welt kann das nur sein?‹ dachte Aslaug. Sie trat an den Rand des steilen Abhanges, schlug die Arme um die schlanke Birke, die sich zitternd über den Abgrund abwärts neigte, und blickte hinunter; aber sie gewahrte nichts. Still und ruhig lag der Fjord da, nicht ein Vogel flog über ihn hin. Aslaug setzte sich aufs neue nieder und sang abermals. Da antwortete es wirklich und in demselben Tone, diesmal näher als das erstemal. »Das muß doch etwas sein!« Aslaug fuhr empor und beugte sich über die Tiefe vor. Und nun erblickte sie unten an der Felsenwand ein Boot, welches angelegt hatte und sich bei der gewaltigen Tiefe wie eine kleine Muschel ausnahm. Sie blickte schärfer hin und sah nun eine rote Mütze und unter derselben einen Bursch, der an der fast senkrechten Felsenwand emporkletterte. »Wer mag das nur sein?« fragte Aslaug, ließ die Birke los und sprang weit zurück. Sie wagte nicht, sich selbst die Antwort zu geben, denn sie wußte ja, wer es war. Sie warf sich auf den Rasen nieder und erfaßte das Gras mit beiden Händen, als ob sie es wäre, die das Ergriffene nicht wieder loslassen dürfte; aber die Graswurzeln lockerten sich, sie schrie laut auf und flehte Gott, den Allmächtigen, an, ihm zu helfen. Aber da kam es ihr in den Sinn, daß dieses Unternehmen Thores Gott versuchen hieße und er deshalb keine Hilfe erwarten dürfte. »Nur dieses eine Mal«, betete sie, und sie umschlang den Hund, als ob er Thore wäre, den sie festhalten wollte; sie rollte sich mit ihm über den Rasen hin, und die Zeit schien ihr endlos zu sein.

Aber jetzt riß sich der Hund los. »Wau, wau!« bellte er in die Tiefe hinab und wedelte mit dem Schweife. »Wau, wau!« sagte er zu Aslaug und legte ihr die Vordertatzen auf den Schoß. »Wau, wau!« grüßte er noch einmal in den Abgrund hinaus und nun tauchte eine rote Mütze über den Rand der Felsenwand empor, und Thore lag an ihrer Brust.

Da lag er minutenlang, ohne ein Wort hervorbringen zu können, und was er schließlich hervorstammelte, war auch ohne allen Verstand.

Der alte Knud Husaby sagte dagegen, als er davon hörte, ein Wort, in welchem Verstand war, denn er sagte:

»Der Bursch ist wert, sie zu haben, die Dirne soll die Seine sein.«


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