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2.

Die beiden Kompagnons.

In ein elegantes Herrenzimmer waren die Schatten der anbrechenden Nacht gesunken und die Dämmerung ließ nur die Schatten zweier Männer erkennen, die sich gegenüberstanden.

Der eine war groß und breitschulterig, der andere ungefähr von gleicher Größe, aber schmäler.

Von den rotbraunen Tapeten kontrastierten die hellen Eichenmöbel und gleich weißen Lichtern stachen die weißen Marmorbüsten eines Dante und Goethe ab. Die Bilder an den Wänden zeigten sich nur als dunklere Flächen.

»Gab es keine andere Möglichkeit?« fragte der Schmächtigere soeben sein Gegenüber.

»Nein!«

»Das aber wollte ich nicht.«

Der andere ging mit schweren Schritten auf und nieder und lachte zu diesen Worten, gellend und schneidend wie aus Hohn:

»Nicht gewollt? Wer frägt danach? Der Wille ist nichts! Nichts! Wir alle sind nur Marionetten eines Schicksals, dem niemand entrinnen kann. Was kümmert sich der Tod darum, wenn sein Opfer sagt: ich will nicht.«

»Anders hätte es geschehen können.«

Wieder standen sie sich gegenüber und die Blicke begegneten sich, prallten zusammen wie zwei Stahlklingen, die sich in entscheidendem Kampfe kreuzen; aber keiner senkte den Blick.

Da mochte wohl jeder in dem anderen den Feind erkannt haben! Da sah vielleicht jeder, daß in den Augen der Haß auftauchte, daß jeder über den anderen hinwegschreiten würde, wenn er hindernd seinen Schicksalsweg kreuzte.

So lange Jahre waren sie scheinbar als Freunde nebeneinander hergegangen, sie hatten stets freundlich miteinander gesprochen, jeder hatte dem anderen geglaubt und jeder hatte heimlich den anderen gehaßt.

Und in diesem Augenblick verstanden sie, daß dieser Haß ein gegenseitiger war, da hatten sie erkannt, daß sie sich Feinde waren, immer schon. Jeder hatte geheuchelt, um den anderen zu täuschen, jeder hatte an die Freundesmaske des anderen geglaubt. Nun war die Maske gefallen und sie sahen sich zum ersten Male in Wahrheit.

Der stärkere von den zweien, Frank Esdeale, war ein geborener Amerikaner, lebte schon seit mehr als einem Jahrzehnt in der Stadt und war der Geschäftsteilhaber des anderen, Hans Sontheimer.

Diese zwei waren die einzigen Inhaber des größten Bankinstituts der Stadt, Sontheimer-Esdeale.

Und sie waren sich in ihren Herzen die größten Feinde gewesen; jeder wollte über den anderen hinaus zu eignen Zielen.

Schweigend standen sie sich gegenüber, als fürchtete jeder das nächste Wort, jeder bereit zur Parade, aber keiner zum Angriff.

So rasch war diese Erkenntnis gekommen, daß sie beide sich immer gehaßt hatten, daß jeder den anderen als Werkzeug, als Mittel zum Zweck angesehen hatte.

Nun mußte ein Ende kommen.

»Was nun?«

Wer von den beiden hatte gefragt? Vielleicht beide und jeder wartete auf die Antwort.

Frank Esdeale war an das Fenster getreten und sah in die Nacht hinaus, die ihre schwarzen Fittiche immer tiefer senkte.

Hans Sontheimer war an den Schreibtisch gegangen und setzte sich, wobei er mit tonloser, aber fester Stimme, die frei von jeder Erregung war, erklärte:

»Dann hat es so kommen müssen. Wer aber trägt die Schuld?«

Esdeale schwieg und sah den dunklen Wolkengestalten nach, die in den seltsamsten Formen über den Nachthimmel jagten.

Da er nicht antwortete, fuhr Sontheimer in seiner Rede fort:

»Wir beide! Und wenn wir die Verantwortung fürchten, wenn wir die Last der Schuld nicht tragen können, das Schicksal. Das Schicksal hat alles verschuldet. Es ist so bequem, die Vergeltung auf die Schultern eines anderen abzuladen. Schicksal, Fatum, Kismet, Verhängnis, so viele Namen für das nämliche, für die Furcht vor der eigenen Verantwortung. Es ist nicht nur jeder seines Glückes Schmied, sondern auch seines eigenen Unheils Schmied.«

Esdeale blickte nach seinem Kompagnon zurück; seine Stimme klang scharf und schneidend, kalt und rücksichtslos:

»Was sollen uns viele Reden nützen? Es ist geschehen. Ein Zurück gibt es nicht mehr, sondern nur ein Vorwärts. Also –«

Er vollendete seine Gedankenfolge nicht, denn Sontheimer bedeutete ihm durch eine Geste mit der Hand zu schweigen.

»Ich weiß! Was Sie sagen wollten, habe ich verstanden. Nun sind wir zusammengekettet und keiner kann frei von dem anderen werden. Wir verstehen uns, wir hassen uns, wir bedürfen keiner Lüge, und keiner Heuchelei mehr. Und doch können wir voneinander nicht loswerden.«

»Also!« warf Esdeale dazwischen.

»Schon gut!«

Hans Sontheimer, dessen Bart fast bis auf die Brust niederfiel, griff nach der Feder und unterzeichnete das auf dem Schreibtisch liegende Schriftstück mit seinem Namenszug, der Hunderttausende repräsentierte. Als er dann die Feder zurückwarf, geschah es wie vor Abscheu, und seinen Lippen entrang sich ein erlösendes Ausatmen.

Esdeale war herangetreten und nahm das unterzeichnete Schriftstück, das er in seine Tasche steckte.

»So sind wir beide gebunden.«

Sontheimer nickte nur.

Er wandte dann Frank Esdeale den Rücken zu und konnte deshalb nicht wahrnehmen, mit welch haßerfüllten Blicken ihn dieser ansah, als er ihn fragte:

»Und Robert Willig?«

Sontheimer schrak zusammen wie in einem furchtbaren Traum; seine Hand glitt über die hohe Stirn, als könnte er so das Bild verscheuchen, das ihn wohl geschreckt haben mochte.

»Ich weiß nichts von ihm. Ich will nichts wissen.

»Dann gibt es nichts mehr zu besprechen. Gute Nacht.«

Frank Esdeale ging hinaus, hoch aufgerichtet wie im Bewußtsein seiner Macht, wie ein Sieger.

Sontheimer aber stützte seinen Kopf schwer auf beide Hände und blieb in Sinnen versunken.

Dabei hatte er nicht bemerkt, daß er nicht mehr allein war. In der Dunkelheit des Herrenzimmers leuchtete ein helles Kleid und hellblonde, fast weiße Haare. Ein junges Weib mußte es sein, denn die Gestalt war schlank und geschmeidig, jede Bewegung jugendlich und kraftvoll.

Eine weiche Hand legte sich auf die Schulter Hans Sontheimers, der den Kopf noch immer auf beide Hände gestützt hatte. Dieser blickte zurück und fragte mit weicher Stimme, da er die Gestalt erkannt hatte:

»Du bist es, Erna? Was führt Dich hierher?«

»Die Sorge, Väterchen. Du sollst nicht so lange arbeiten. Glaubst Du, ich habe nicht bemerkt, daß Deine Stirne Kummerfalten aufweist. Ich habe gestern ein graues Haar in Deinem Bart gefunden. Ich weiß, Du hast schwere Sorgen.«

»Denke nicht daran, Erna! Ich weiß nichts von Sorgen.«

Und er lachte, aber sein Lachen klang gequält, gezwungen, es klang wie das Lachen der Verbitterung.

»Das war nicht Dein frohes, sorgloses Lachen, Väterchen. Du kannst mich nicht täuschen!«

»Ich will Dich nicht täuschen. Ich habe auch nicht mehr gearbeitet. Das wirst Du mir wohl glauben müssen, denn in dieser Dunkelheit konnte ich nichts mehr schaffen.«

Erna beugte sich zu ihrem Vater nieder, bis ihre Wange die seine berührte, und sagte dann mit ihrer glockenhellen Stimme:

»Du hast Dich gesorgt. Du warst in Nachsinnen verloren.«

»Aber Kind! Geschlafen habe ich, nichts als geschlafen!«

Und wieder lachte er hart und gezwungen.

Noch schmeichelnder redete sie auf ihn ein, während ihre Hand sein Haar streichelte:

»Ich weiß es doch!«

»Nichts! Du kannst nichts wissen!« fuhr Sontheimer wider Willen erregt auf.

»Du hast Dich verraten! Sage mir, Väterchen, was Dir Sorgen macht! Ich möchte Dir ja helfen, so gerne helfen, wenn ich es nur kann.«

»Es ist nichts! Wirklich nichts! Sprechen wir von anderem, von etwas, das Dir Freude machen könnte. Sage mir, was Dir am liebsten ist!«

»Du, Väterchen!«

»Schmeichelkatze!«

»Oh!«

»Ich kenne Dich! Sicherlich hat Dich nur ein Wunsch hergetrieben.«

»Ganz gewiß nicht.«

»Wirklich? Wenn ich nun aber sage, Du darfst Deinen Wunsch verraten, denn ich werde ihn Dir erfüllen!«

»Das sagst Du doch nur.«

Dabei beugte sie sich zurück, als fürchtete sie, es könnte sie eine heiße, brennende Röte verraten, die in ihr Gesicht aufgestiegen war.

»Ich verspreche es.«

»Ganz gewiß?«

Hans Sontheimer nickte. Welchen Wunsch hätte er seinem einzigen Kinde versagen können?

Noch zögerte sie; dann flüsterte sie schüchtern und kaum hörbar:

»Er liebt mich.«

»Er?« fragte Hans Sontheimer erstaunt. »Er? Ich kenne diesen »Er« ja nicht! Er liebt Dich! Du ihn also nicht?«

»Ja, Väterchen. Mehr als – ich sagen kann.«

In der Dunkelheit konnte sie sein Gesicht nicht sehen, aber der Ton seiner Stimme verriet ihr, daß seine Stimme umwölkt war.

»Du hast nie davon gesprochen. Fast könnte es mir scheinen, als scherzest Du bloß.«

»Väterchen! Die Liebe hatte sich in mein Herz geschlichen, ehe ich etwas merkte; sie war in mir, ehe ich daran dachte. Väterchen, hast Du nicht auch das tote Mütterchen einmal geliebt? Und so liebe ich jetzt.«

Ein banges Schweigen lag im Raum. Nur die Standuhr in der Zimmerecke tickte ihr gleichmäßiges, dumpfes Ticktack.

Dann stand Hans Sontheimer auf und blickte auf sein blondlockiges Kind.

»Wer ist es?«

Nur ganz leise wagte sie den Namen auszusprechen:

»Robert Willig.«

Die Dunkelheit ließ die erschütternde Wirkung nicht erkennen, die dieser Name auf Hans Sontheimer bewirkt hatte. Dieser war erregt zurückgetreten und mußte erst nach Worten ringen, um sich nicht zu verraten.

»Willig! Dieser! Robert Willig!«

»Väterchen!« kam es flehend von ihren Lippen. »Du kannst nicht so grausam sein. Ich liebe ihn so sehr, ich kann nicht ohne ihn leben.«

»Man stirbt nicht so leicht. Was Du willst, werde ich Dir geben, aber fordere das nicht! Das nicht! Ich weiß, warum ich das verweigern muß. Es kann nicht sein! Und ich darf es Dir nicht sagen.«

Mit leisen Schritten war ein Diener in das Herrenzimmer getreten; seine Gestalt war in der Dunkelheit kaum zu sehen, nur seine Stimme meldete in kalten Worten:

»Ein Herr wünscht in dringender Sache vorgelassen zu werden.«

»Ich bin nicht zu sprechen!« war Sontheimers Antwort, der über eine solche Störung ärgerlich war, denn er war nicht in der Stimmung, irgend jemanden zu empfangen.

»Der Herr läßt sich nicht abweisen!«

»Weshalb nicht! Hat er keinen Namen genannt?«

»Kommissar Steinherz!«

Einen flüchtigen Augenblick war es still.

Dann reckte sich Hans Sontheimer und befahl dem Diener mit ruhiger, fester Stimme:

»Ich lasse den Herrn bitten!«

»Zu Befehl!«

So geräuschlos wie der Diener gekommen war, war er wieder aus dem Zimmer hinausgehuscht.

Hans Sontheimer wandte sich an seine Tochter.

»Es kann nicht geschehen! Niemals! Vielleicht kann ich Dir einmal sagen, aus welchen Gründen. Nun laß mich allein!«

»Väterchen?«

Aber er blieb stumm.

Mit tiefer Hoffnungslosigkeit in ihrem Herzen, denn sie kannte den starren Sinn des Vaters, verließ Erna Sontheimer das Zimmer.

»Kommissar Steinherz!« murmelte dieser kaum hörbar, als er sich allein wußte. »Was führt diesen hierher? Sollte es – – nein, nein! Das kann es nicht sein!«

Seine Hand drehte das elektrische Licht auf, das den Raum fast taghell beleuchtete.

Kommissar Steinherz stand im nächsten Augenblick Hans Sontheimer gegenüber. Das grelle Licht der Glühbirnen fiel in ihrem ganzen Leuchten auf das ausdrucksvolle Gesicht Sontheimers mit dem bis auf die Brust reichenden Vollbart.

Trügte das Licht oder war es Wirklichkeit? Das Gesicht Sontheimers war totenblaß, als wäre jeder Tropfen Blut daraus entwichen.

War das die Wirkung des Lichts allein?

»Wollen Sie gefälligst Platz nehmen!«

Kommissar Steinherz machte Gebrauch von dieser höflichen Aufforderung und während sein Auge auf dem Gesicht Sontheimers ruhte, mußte er immerfort an den Mann im Vollbart denken, der auf dem Bilde das Beil über seinem Opfer geschwungen hatte.

Hans Sontheimer war der Besitzer der einsamen Villa an der Glonn!

»Welche Angelegenheit führt Sie zu mir?«

Der Kommissar war noch nicht ganz Herr über sich. Er suchte nach Worten, denn die Ähnlichkeit von Hans Sontheimer mit dem Mann auf der Photographie hatte alle Mutmaßungen des Kommissars umgeworfen. Wie sollte er beginnen?

»Sie besitzen doch bei Auhof an der Glonn eine Villa?«

»Gewiß, aber das Haus wird nur kurze Zeit im Jahre bewohnt.«

»Wann waren Sie zuletzt dort?«

»Im Frühjahre!«

Trotzdem der Kommissar keinen Blick von dem Gesicht Sontheimers wandte, konnte er darin keinerlei verräterische Blicke entdecken. Die Antworten erfolgten in sachlicher Ruhe. Sein Gesicht nahm auch wieder eine lebhaftere Färbung an.

»Ich komme eben von der Villa her.«

»So?«

Die gleichgültige Antwort verriet, daß Hans Sontheimer für diese Mitteilung nicht das geringste Interesse hegte. Oder gab es eine solche Verstellungskunst?

»Ich bin sogar in die Villa selbst eingedrungen.«

»Aus welchem Grunde?«

Erstaunen prägte sich im Gesicht Sontheimers aus; aber keine Bestürzung!

»Ich war im Bibliothekzimmer.«

»So!« Dies schien für ihn von wenigstem Interesse. »Sie sagten mir aber noch immer nicht, was Sie dazu veranlaßte, in die Villa einzudringen.«

Jetzt mußte sich der Kommissar entscheiden, die eigentliche Veranlassung anzugeben.

»Es bestand die dringende Vermutung, daß in Ihrer Villa ein Mord verübt wurde.«

»Nicht möglich!«

Die Überraschung und Entrüstung konnte nicht geheuchelt sein.

Der Kommissar nickte.

»Und doch! Die Veranlassung zu einem solchen Verdachte war von so entscheidender Bedeutung, daß ich nicht zweifeln konnte.«

»Aber es hat sich hoffentlich nicht bestätigt,« antwortete Sontheimer, der an diese Möglichkeit nicht glauben konnte.

»Es wurde keine Leiche vorgefunden.«

»Das dachte ich mir! Zu der Villa habe nur ich die Schlüssel. Es konnte doch niemand hineingelangen.«

»Wissen Sie bestimmt, daß nur Sie die Schlüssel besitzen?«

»Ja! Ihre Frage ist mir etwas unverständlich. Sollten Sie vielleicht noch Zweifel hegen?«

»Es steht ohne jeden Zweifel fest, daß diesen Morgen zwei Männer in der Villa und zwar im Bibliothekzimmer waren.«

»Dann können diese nur mit Gewalt eingebrochen sein!« rief Sontheimer sofort, während er von dem Stuhle aufsprang, auf dem er Platz genommen hatte.

»Die Türe zur Villa fand ich noch versperrt vor. Das Schloß wies keinerlei Verletzung von einem gewaltsamen Einbruch auf.«

»Das gibt es nicht! Nur ich besitze die Schlüssel. Hier sind sie!«

Hans Sontheimer riß das oberste Fach seines Schreibtisches auf, aus dem er zwei Schlüssel herausnahm, die er dem Kommissar vorwies.

»Es ändert dies nichts an der Tatsache.«

»Was aber sollten die zwei Männer in der Villa getan haben?« fuhr Sontheimer auf. »Mich bestohlen? Oder was sonst?«

Der Kommissar beantwortete diese Fragen gar nicht.

»Im Bibliothekzimmer lag doch ein Teppich?«

»Natürlich! In jedem Zimmer!«

»Also auch im Herrenzimmer?«

»Selbstverständlich.«

»Der Teppich im Herrenzimmer war ein Smyrnateppich mit gelbroten Ornamenten, blauen, roten und grünen Verzierungen und gleichfarbigen Fransen?«

»Stimmt!«

»Dieser Teppich liegt jetzt im Bibliothekzimmer.«

Einen Augenblick schwieg Sontheimer; er wußte offenbar nicht, was er darauf antworten sollte. Dann aber erklärte er:

»Ich kann mir das nicht vorstellen. Was ich sagte, ist richtig! Wenn auch Ihre Nachrichten der Wahrheit entsprechen, so kann ich mir daraus eben keinen Vers machen. Wo ist denn der Teppich von der Bibliothek?«

»Nirgends zu finden.«

»Und im Herrenzimmer?«

»Dort liegt kein Teppich mehr.«

»Dann wird der vom Bibliothekzimmer gestohlen worden sein.«

»Und der Dieb hatte den Teppich vom Herrenzimmer in die Bibliothek hinübergeschafft. Glauben Sie an einen solchen Diebstahl?«

»Nein! Der Teppich im Bibliothekzimmer war nur wenig wert; der andere aber ist ein echter Smyrnateppich, der Dieb hätte also diesen stehlen müssen.«

»Wie erklären Sie sich dann diese Tatsachen?«

»Ich kann mir nichts denken.«

»Es steht fest, daß in der Bibliothek ein Verbrechen begangen wurde. Die Leiche ist aber fortgeschafft und die Spuren der Tat sind beseitigt worden. Der Boden wurde gescheuert, der Teppich aber, der das Blut des Opfers aufgesaugt hatte, ist aus der Villa ebenso wie die Leiche verschwunden.«

Mit starren Augen blickte Sontheimer auf den Kommissar. Diese Worte klangen für ihn so ungeheuerlich, daß er nicht daran glauben konnte.

»Das – das kann ich nicht – begreifen.«

Der Kommissar griff in seine Tasche und reichte Hans Sontheimer die photographische Aufnahme hin, die Michael Gebhart gemacht hatte.

Mit verständnislosem Kopfschütteln nahm Sontheimer das Bild und sah es flüchtig an.

»Das ist meine Villa! Aber« – er sah genauer hin, »es steht das eine Fenster offen. Und es wurden doch bestimmt alle geschlossen.«

Da sah er die Szene im Fenster! Die Pupillen seiner Augen erweiterten sich. Hastig trat er unter den unter seinen mächtigen Schritten klirrenden Lüster und besah in dieser grellen Lichtflut das Bild. Stürmisch wogte dabei seine Brust, seine Lippen suchten nach Worten, aber kein Laut wurde hörbar. Es war nur ein heiseres Röcheln.

Die Augen des Kommissars waren ihm gefolgt.

»Der Zufall hat sein Spiel getrieben. Eine Momentaufnahme hat die Mordtat gebannt. Der Photographenapparat ist ein stummer, aber desto bedeutsamerer Zeuge geworden.«

Hatte Hans Sontheimer diese Worte gehört?

Ein heiseres, schrilles Lachen gellte im Zimmer.

»Haha!« Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Das – das – könnte fast – – mein Bild sein! Deshalb – deshalb haben Sie wohl – – den Weg – – Weg – – zu mir gefunden?«

Stoßweise nur kamen die Worte über seine Lippen. Dabei keuchte sein Atem wie das Röcheln eines Sterbenden. Auf seiner Stirn aber standen kalte Schweißtropfen.

»Der Bart läßt eine sehr große Ähnlichkeit erkennen. Sonst aber ist doch die Entfernung eine zu große gewesen.«

»Sie verheimlichen mir noch etwas!«

»Ganz gewiß nicht!«

Eine unerklärliche Aufregung war über Hans Sontheimer gekommen; er zitterte am ganzen Körper, und seine Finger hatten sich zur Faust geballt.

»Sie sind gekommen, mich zu verhaften! Deshalb zeigten Sie mir das Bild! Aber ich bin das nicht gewesen! Ich nicht! Das Bild lügt.«

»Diese merkwürdige Ähnlichkeit –«

Sontheimer ließ den Kommissar nicht aussprechen.

»Nichts! Nichts! Ich! weiß von nichts!«

»Sie können sich ja sehr gut rechtfertigen. Sie brauchen nur anzugeben, wo Sie zur Zeit der Mordtat gewesen sind.«

»Natürlich! Nur das, sonst nichts! Wo war ich denn? Wo?!«

Er hastete wie ein Ruheloser auf und nieder. Während sich Sontheimer so ruhig und klar gezeigt hatte, daß der Kommissar auch nicht den leisesten Zweifel hatte hegen können, benahm er sich jetzt in einer um so auffälligeren Weise. Seine Augen leuchteten brennend und heiß und irrten bald dahin, bald dorthin. Die geballten Fäuste öffneten sich und schlossen sich wieder.

»Die Tat ist diesen Morgen gegen zehn Uhr geschehen! Wo waren Sie um diese Zeit? Wenn Sie diese Frage beantwortet haben, kann kein Verdacht mehr gegen Sie bestehen!«

»Um zehn Uhr heute morgen! Um – hahaha! – Ich weiß es nicht! Ich kann es nicht sagen, wo ich gewesen bin.«

Wie er jetzt vor dem Kommissar stand, da war er furchtbar anzusehen. Sein Gesicht hatte sich qualvoll verzerrt, wobei er in ein irres Lachen ausbrach.

»Aber das müssen Sie doch noch wissen, diesen Vormittag um zehn Uhr.«

Eine plötzliche Verwandlung folgte. Hans Sontheimer war ruhig geworden; aber es war die erschlaffende Ruhe nach einem Sturm. Er glich in diesem Augenblick einem lebensmüden Greise und nicht dem kraftvollen Manne, der er war.

Ein tiefer Ernst lag auf seinem Gesicht.

»Ich kann es nicht sagen, wo ich gewesen bin.«

»Aber! Ich kann ja noch keine Anklage wider Sie erheben, aber Sie werden deshalb doch gefragt werden, wo Sie zur Stunde der Tat gewesen waren. Darüber müssen Sie Antwort geben, wenn Sie nicht Ihr eigener Ankläger werden wollen.«

»Und wenn ich mich damit selbst auf das Schafott brächte, ich kann es nicht sagen.«

»Sie wissen auch nichts, was in der Villa geschehen ist?«

»Nein!«

»Und beharren Sie auf Ihrem Schweigen?«

»Ich muß!«

Es war schon späte Nacht, als Kommissar Steinherz in seine Wohnung zurückkehrte. Die Straßen der Stadt wiesen schon das Nachtleben auf.

Hoch oben wölbte sich ein wolkenloser Himmel, auf dem die Tausende Sterne und Sternbilder leuchteten und funkelten. Die Straßen aber waren erhellt durch die elektrischen Bogenlampen.

Der Kommissar ging an all den charakteristischen Typen des Großstadtlebens vorüber: Die Nachtbummler, die Liebesabenteuer suchen, die Dirnen mit den geschminkten Wangen und Lippen und den herausfordernden Augen, Trunkene, Geschäftsleute, die eilends ihr Heim suchten.

An allen kam der Kommissar vorüber und er sah doch nichts von allem.

Seine Gedanken weilten bei dem vergangenen Tage. Was hatte er erreicht?

Ein Mord war geschehen! Die Beweispunkte, die er gesammelt hatte, waren genügend. Wer aber war das Opfer? Wo die Leiche?

Ungelöst waren diese Fragen. Brachte der nächste Tag darüber eine Lösung? Wer konnte das wissen?

Und der Mörder?

Ein Mann mit einem Vollbarte!

Hans Sontheimer?

Sein Benehmen war erst so ruhig! Er hatte nichts wissen können! Dann aber?

So seltsam war die plötzliche Umwandlung! Er sagte es nicht, wo er zur Stunde der Mordtat war. Er verweigerte gerade darüber jede Auskunft! Damit aber beschuldigte er sich selbst. Weshalb?

Geheimnisse über Geheimnisse!

Was aber sollte der Kommissar beginnen?

Selbst im Bette träumte er noch von den Ereignissen dieses Tages; er sah Hans Sontheimer aus dem offenen Fenster herausspringen, während er die Leiche an den Haaren hinter sich nachzerrte.


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