Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wenn der Triton von Zeit zu Zeit in Valencia erschien, änderte die umsichtige Doña Cristina den Speisezettel für ihre Familie. Der Triton aß kein Fleisch, und ängstlich berechnete ihre Hausfrauenseele die hohen Fischpreise in der Stadt.
Die Gegenwart des Arztes brachte dem ruhigen, wohlgeordneten Leben des Hauses schwere Erschütterungen. Gegen Morgen, wenn alle Hausbewohner noch den letzten Schlummer genossen, in den das Rollen der ersten Wagen und das Läuten zur Frühmesse vage hineindrang, knallten Türen, krachte die Treppe unter einem schweren Tritt. Unfähig, bei dämmerndem Tageslicht noch zwischen den vier Wänden zu bleiben, begab sich Triton ins Freie. Dem Strom der Frühaufsteher folgend, gelangte er zum Markt, wo er bei den Blumenständen haltmachte, deren Auslagen besonders die weibliche Kundschaft anzogen.
Unwillkürlich gingen die Augen der Frauen zu ihm hin, mit einem Gemisch von Interesse und Angst. Die eine oder die andere errötete auch wohl bei dem unfreiwilligen Gedanken, wie die Umarmung dieses häßlichen, beunruhigenden Riesen sein möchte.
Unter der braunen Haut seines athletischen Körpers zeichneten sich nur Sehnen und Muskeln ab. Keine Spur von Fett. Alles, was nicht zur Entwicklung von Kraft diente, war abgestoßen worden. Nach Labartas Meinung ähnelte er Poseidon – so wie ihn die ersten Dichter Griechenlands gesehen hatten – mit schwarzem, gekräuseltem Haar, von der Salzluft gegerbtem Gesicht und lockigem Bart, in zwei Ringelspitzen auslaufend, die das abtropfende Seewasser geformt zu haben schien. Die von einem Schlag leicht eingedrückte Nase sowie die kleinen Augen, schrägstehend und hartnäckig, gaben seinem Antlitz einen Ausdruck asiatischer Wildheit, der aber sofort verschwand, wenn ein Lächeln die blitzenden, wohlgefügten Zähne sehen ließ. Zähne eines Seemanns, der gewohnt ist, sich von Eingesalzenem zu ernähren.
Bei seinen Besuchen in Valencia sah man ihn in den ersten Tagen zögernd durch die Straßen gehen. Die Wagen machten ihn unsicher; von den Passanten auf den Trottoirs gestreift zu werden, belästigte ihn. Der ganze Verkehr dieser Provinzialhauptstadt dünkte ihn, der die großen Häfen beider Hemisphären angelaufen hatte, unerträglich. Schließlich nahm er instinktiv den Weg zum Hafen, um seinen ewigen Freund, das Meer, wiederzufinden, das ihn an jedem Morgen zuerst begrüßte, wenn er dort unten an der Marina Küstenstrich bei Valencia. die Tür seines Hauses öffnete.
Das Treiben auf dem Kai, das Rasseln der Krane, das Rollen der Karren, der dumpfe Singsang der Schauerleute – alles war ihm eine Musik aus der Jugendzeit, als er, ein junger Schiffsarzt, auf den Überseedampfern fuhr. Mit zärtlichen Augen umfaßte er das Bild des Hafens: rauchende Dampfer; Segler, deren Leinwand in der Sonne glänzte; Bastionen aus Orangenkisten; Zwiebelpyramiden; Mauern aus Reissäcken und kompakte Reihen von Weinfässern, die Bauch an Bauch drückten. Ein Gewimmel von Schauerleuten brachte diese Waren an Bord, während ein anderer Ameisenhaufen die ankommenden Güter entlud: Berge englischer Kohle; Kornsäcke vom Schwarzen Meer; Stockfisch von Neufundland, der beim Fallen die Luft mit feinem Salzstaub füllte; mächtige gelbe Bohlen, die noch den Duft der harzreichen Wälder Norwegens bewahrten.
Aus den Kisten gefallene Orangen und Zwiebeln, deren zerplatzter Schale süßer oder scharfer Saft entfloß, verdarben rasch unter der glühenden Sonne. Um die Weizenberge hüpften Spatzenschwärme, mit ängstlichem Flügelschlag fortschwirrend, wenn sich Schritte näherten. Und an der blauen Kuppel über dem Hafen schossen unermüdlich die Möwen des Mittelländischen Meers hin und her – klein, zierlich und weiß wie Tauben.
Besondere Freude machte es dem Triton, seinen kleinen Neffen auf die verschiedenen Klassen und Merkmale der einzelnen Schiffe hinzuweisen. Als es ihm aber klar wurde, daß Ulysses fähig war, eine Brigg mit einer Fregatte zu verwechseln, knirschte er empört:
»Ja, was zum Teufel bringt man euch denn auf dem Gymnasium bei? …«
Wenn sein Weg ihn an den braven Bürgern Valencias vorbeiführte, die mit der Angelrute in der Hand auf den Kaimauern saßen, warf der Triton einen mitleidigen Blick in die leeren Körbe. Stadtelend! … Zu Hause hatte er schon vor Sonnenaufgang auf dem Boden seines Bootes mehr als genug für eine ganze Woche.
Von den letzten Felsen des Wellenbrechers aus ließ er seine Augen über die ungeheure Fläche schweifen und beschrieb dem Neffen die am Horizont verborgenen Geheimnisse. Zur Linken – hinter den blauen Bergen von Oropesa, die den Golf von Valencia begrenzen – sah er im Geiste das reiche Barcelona, wo viele seiner Freunde lebten. Marseille, den an Europa genagelten Ausläufer des Orients; Genua, dessen Paläste wie weiße Stufen an den grünen Hügelhängen hochstrebten.
Dann verlor sich sein Blick am Horizont gegenüber. Das war der Weg der glücklichen Jugend. Vor ihm in gerader Linie lag Neapel mit seinem rauchenden Berg, seiner Musik und seinen braunen Tänzerinnen, deren Ohren große Ringe schmückten. Dann kamen die griechischen Inseln und am Ende einer Wasserstraße Konstantinopel; noch weiter fort, am Rande dieses großen Marktes, des Schwarzen Meers, eine Reihe von Häfen, in denen die Argonauten, in einen Hexenkessel von Rassen untertauchend, ihren Ursprung vergaßen, karessiert von der katzenartigen Geschmeidigkeit der Slawen, von orientalischer Üppigkeit und hebräischer Gier.
Und zu seiner Rechten Afrika. Er sah die ägyptischen Häfen, deren traditionelle Korruption wie ein fauliger, tagsüber schlummernder Sumpf zu erwachen beginnt, sobald sich die Sonne neigt; Alexandrien, in dessen Cafés falsche Almeen tanzen, nur mit einem Taschentuch bekleidet … das sie in der Hand halten; wo jede Frau einer anderen Nation angehört und alle Sprachen der Welt im Chor ertönen.
Sinnend rieb der Arzt seine eingedrückte Nase. Sie erinnerte ihn an eine heiße Nacht in Ägypten, deren Schwüle vom Whisky noch gesteigert wurde. Er sah wieder zwischen den Tischen die nackten Körper der käuflichen Schönen, die hochroten Köpfe nordischer Seeleute, den Streit und Boxkampf im Dunkeln, aus dem er mit blutüberströmtem Gesicht zu seinem Schiff flüchtete, das glücklicherweise bei Tagesanbruch die Anker hob. Wie alle Männer vom Mittelmeer ging er nie ohne das im Gürtel versteckte Messer an Land … es hatte ihm den Weg geöffnet.
»Was für Zeiten!« dachte Triton mit mehr Wehmut als Reue und fügte als eine Art Entschuldigung hinzu: »Pah, damals war ich vierundzwanzig!«
Diese Erinnerungen lenkten seinen Blick nach einem fernen, bläulichen Massiv, das, mit dem bloßen Auge gesehen, vom Festlande getrennt zu sein schien. Es war das vom Mongo gekrönte Vorgebirge – das große Vorgebirge Ferrarius der alten Geographen –, das den Golf von Valencia im Süden schließt.
Wie eine Hand gebaut, der nur der Daumen fehlt, streckt es vier Finger über die Wogen: die Kaps San Antonio, San Martin, La Nao und Almoraira. Dort unten, in einer der wilden Buchten, lag die Heimat des Triton, stand das alte Haus der Ferragut. In vergangenen Jahrhunderten hatten sie Jagd gemacht auf maurische Seeräuber, später sich gelegentlich auch mit Schmuggel befaßt; immer jedoch waren sie zur See gefahren, vielleicht schon zur Zeit, als die ersten Holzpferde in dem Schaum des Vorgebirges tanzten, als die Griechen von Marseille kamen, um Artemision, die Stadt der göttlichen Artemis, zu gründen, die, nach der römischen Diana umbenannt, endgültig den Namen Denia behielt.
In diesem Hause wollte der Triton leben und sterben. Er hatte nicht mehr den Wunsch, fremde Länder zu sehen, hingegen ein Verlangen nach Seßhaftigkeit, wie es die Vagabunden der Wellen erfaßt und sie auf einer Klippe am Strand haften läßt gleich Mollusken an einem Büschel Algen.
Bald wurde er der Spaziergänge zum Hafen leid. War dieses Meer Valencias, vom Wasser des Guadalaviar und der Bewässerungskanäle getrübt, etwa ein Meer? … Wenn es in den Bergen Aragoniens regnete, ergoß sich in den Golf eine erdige Flut, die seine Wellen rot, die Schaumkronen gelb färbte. Alle Fische schmeckten dem Triton nach Schlamm. Und außerdem mußte er auf das Vergnügen, täglich ins Meer hinauszuschwimmen, verzichten, denn als er an einem Wintertage sich am Strande zu entkleiden begann, waren die Leute von allen Seiten herbeigestürzt, als gäbe es ein Phänomen zu bestaunen.
»Ich gehe«, sagte er zu seinem Bruder und dessen Gattin. »Mir ist es unverständlich, wie ihr hier leben könnt!«
Einmal bestand er darauf, seinen Neffen mitzunehmen. Der Sommer kam, und mit ihm für Ulysses drei Monate Ferien. Der Notar, den die Geschäfte an die Stadt fesselten, gedachte das nahe Cabañal aufzusuchen, dessen häßlicher Strand von übelriechenden Kanälen durchzogen wurde. Warum nicht lieber dem Onkel den durch die Schule schmal und blaß gewordenen Jungen anvertrauen, damit er dort unten kräftig würde und gewandt wie ein Delphin? … Und auf Kosten scharfer Wortwechsel konnte er ihn schließlich Doña Cristina entreißen.
Das erste, was Ulysses beim Betreten des alten Stammhauses fesselte, waren drei an der Wohnzimmerdecke hängende Fregatten: drei wunderbare Schiffe, denen weder Segel noch Ladewinden, weder Taue noch Anker fehlten und die jeden Augenblick mit einer Mannschaft von Liliputanern in See gehen konnten – ein Werk seines Großvaters, des Schiffsherrn Ferragut. Da dieser seine beiden Söhne von der Knechtschaft befreien wollte, die das Meer der Familie seit Jahrhunderten auferlegte, hatte er sie auf die Universität Valencia geschickt. Der ältere, Esteban, übernahm bald nach Beendigung seiner Studien ein Notariat in Katalonien, während Antonio, der jüngere, nur aus Nachgiebigkeit gegen den väterlichen Willen Medizin studierte. Aber kaum war die letzte Prüfung bestanden, so ging er als Schiffsarzt an Bord eines transatlantischen Dampfers. Sein Vater hatte ihm die Tür zum Meer versperrt – Antonio stieg durchs Fenster hinein.
Und einsam alterte der Schiffsherr Ferragut. Mit dem Notar verband ihn ein reger Briefwechsel; von dem jüngeren Sohne, seinem Liebling, kam jedoch höchst selten ein Brief aus fernen Ländern, die der alte Mittelmeerschiffer nur dem Namen nach kannte. Die langen Mußestunden in seiner schattigen Rebenlaube füllte er damit aus, im Angesicht des blauen, leuchtenden Meeres kleine Schiffe zu bauen, alles Fregatten von großem Gehalt und kühner Segelstellung, die ihn darüber trösteten, daß er in seinem ganzen Leben nichts anderes als schwerfällige Feluken mit lateinischem Segel geführt und Wein nach Cette gebracht oder in Gibraltar und an der afrikanischen Küste verbotene Waren geladen hatte.
Ulysses wurde bald der seltenen Popularität gewahr, deren sich sein Onkel erfreute. Zwar lächelten die Leute, wenn sie von ihm sprachen, als hielten sie ihn für etwas verrückt, bewunderten aber nichtsdestoweniger diese lokale Glorie, die alle Meere kannte. Auch waren seine Riesenkräfte der Stolz und Schrecken seiner Mitbürger.
Maßen die jungen Burschen ihre Kräfte mit den Matrosen der englischen Schiffe, die in dem kleinen Hafen Rosinen luden, so riefen sie gelegentlich einer Niederlage sich selbst zum Trost: »Ah, wenn unser Doktor hier wäre! … Der nimmt es mit einem halben Dutzend Engländer auf!«
An einem klaren Wintermorgen – der Doktor lebte erst kurze Zeit im Dorf – liefen die Leute zum Strand, um ängstlich auf das einsame Meer zu spähen: die sich in der Sonne wärmenden Veteranen hatten mit ihren geübten Augen einen kaum erkennbaren Punkt bemerkt, ein nach den Launen der Wogen tanzendes Sandkorn. Allerlei Mutmaßungen wurden unter den Männern laut: eine Boje oder ein zersplitterter Mast? … Irgendein Trümmerstück aus einem Schiffbruch? … Vielleicht ein Ertrunkener, murmelten die Frauen.
Plötzlich tauchte eine neue Vermutung auf: »Wenn es der Doktor wäre?«
Verblüfftes Schweigen … Aber siehe da, das Stück Holz wurde zu einem Kopf, der Leichnam bewegte sich. Einige der Fischer konnten schließlich sogar die Schaumflocken vor einer Brust wahrnehmen, die das Wasser wie ein Schiffsbug durchschnitt – jetzt auch die Schaufeln zweier starker Arme. Kein Zweifel, es war der Doktor! … Einer lieh dem andern die alten Ferngläser, und deutlich erkannte man seinen im Wasser treibenden Bart, sein vor Anstrengung zusammengezogenes Gesicht.
Und Triton stieg ans Land, nackt und mit heiterer Schamlosigkeit wie ein Gott … Freundlich schüttelte er den Männern die Hand, während die Frauen kreischten und mit der Schürze ein Auge zudeckten.
Alle Kaps des Vorgebirges lösten in ihm den Wunsch aus, sie zu umschwimmen; alle Buchten mußte er mit eigenen Armen messen wie ein Eigentümer, der fremden Angaben mißtraut und selbst nachmißt, um sein Besitzrecht zu erhärten. Ein Mensch gewordenes Schiff, durchfurchte der Kiel seiner Brust sowohl den über die Klippen sprühenden Gischt als auch die friedlichen Wasser, auf deren Grund zwischen perlmutterfarbenen Gewächsen oder schwanken Sternen eilige Fische aufblitzten.
Um sich auszuruhen, setzte er sich auf die schwarzen, algenbehängten Felsen, die ihren Kopf je nach Laune der Wogen untertauchen oder heben und geduldig auf die Nacht und das blinde Schiff warten, das wie eine Nußschale an ihnen zerbricht. Gleich einer Amphibie war er in unbekannte Meeresgrotten eingedrungen – schlafende, eisige, durch mysteriöse Öffnungen erhellte Seen. Über ihrem durchsichtigen Wasser steht die Dunkelheit, und der Kopf des Schwimmers wurde zu Ebenholz, sein Körper zu Kristall.
Abends, unter den Fregatten des Großvaters sitzend, lauschte der kleine Ulysses des Onkels Erzählungen von einem Griechen, der Nacht für Nacht den Hellespont durchschwamm, um seine Geliebte zu sehen. Diese Tat peinigte den Triton, und er erwog, ob er nicht noch einmal die Dardanellen aufsuchen solle, damit Lord Byron nicht der einzige bliebe, der diese sagenhafte Durchquerung nachmachte.
Seine Bücher, die an die Wände genagelten Seekarten, die mit Tieren und Pflanzen des Meeres gefüllten Gläser, dazu seine seltsamen Neigungen, verblüfften das alltägliche Denken seiner Mitbürger. Sie stempelten ihn zum Gelehrten, aber zu einem Gelehrten mit dem geheimnisvollen Nimbus des Hexenmeisters.
Trotzdem ging bei Krankheit jeder gläubig und vertrauend zu ihm hin, und arme Frauen warteten vor seiner Schwelle stundenlang auf die Rückkehr seines Bootes, um ihm ihre kranken Kleinen zu zeigen. Hatte er doch vor anderen Ärzten auch den Vorzug, daß er für seine Bemühungen nichts berechnete; im Gegenteil, gar mancher Patient verließ ihn mit Geld in der Hand.
Der Doktor war reich, der reichste Mann der ganzen Gegend. Jeden Tag empfing seine Wirtschafterin – ein schon bei seinen Eltern im Dienst gewesenes Mädchen – aus seinen Händen den Ertrag des Fischfangs, übergenug für beide. Und bald krachte auf glühenden Holzkohlen der scharlachrote Hummer, süßlichen Geruch verbreitend; brodelte die durch das leckere Fett der »Escòrpa« sämig gewordene Fischsuppe. Singendes Öl umsprudelte in der Pfanne die rosige Haut der Lachse, und vom Messer sprang das noch lebende Fleisch der Seeigel und Miesmuscheln in den heißen Topf.
Außerdem brüllte im Stall eine Kuh mit strotzendem Euter, und auf dem Hofe gackerten einige Dutzend Hühner von unerschöpflicher Fruchtbarkeit. Mehl und Kaffee war das einzige, was der Triton kaufte. Und wenn er nach seinen Schwimmexkursionen die Flasche Zuckerrohrschnaps hervorholte, geschah es nur, um sich den Körper abzureiben.
Einmal im Jahre klingelte auch Bargeld. Junge Mädchen stellten sich zur Weinlese ein, schnitten die gedrungenen Trauben und breiteten sie zum Trocknen auf niedrigen Schuppen, den Riurraus, aus. So erhielt man die kleinen, für die englischen Puddings so begehrten Rosinen, deren Verkauf gesichert war, denn regelmäßig kamen Schiffe von der Nordsee, die Ernte zu holen. Und der Triton, der dann fünf- bis sechstausend Pesetas in seiner Hand sah, fragte sich, was ein Mann mit so vielem Geld machen sollte.
»Das alles gehört dir«, hatte er seinem Neffen gesagt, als er ihm das Haus zeigte.
Und ebenfalls das Boot, die Bücher und die alten Möbel, in denen das Geld so naiv versteckt wurde, daß jeder es merken mußte.
Doch trotzdem Ulysses zum Herrn über alles, was ihn umgab, proklamiert worden war, lastete auf ihm ein zärtlicher und rauher Despotismus. Wie fern fühlte er sich seiner Mutter, die ihn ständig vor Zugluft behütete und nie ohne Halstuch ausgehen ließ!
Hier riß ihn aus tiefstem Schlaf ein derbes Zerren am Bein – des Tritons Art zu wecken –, und vergeblich protestierte das schlaftrunkene Kind.
»Hoch, Schiffsjunge!«
Oder war er vielleicht nicht Schiffsjunge an Bord des Fahrzeugs, auf dem der Doktor Kapitän und Besatzung bildete?
Die Tatzen des Onkels stellten ihn mitten in die Stöße der salzigen Brise, die durch das weit geöffnete Fenster blies. Ein leichter Nebel bedeckte das düstere Meer, über dem die letzten Sterne fluchtbereit blinzelten, und am bleigrauen Horizont öffnete sich ein rot leuchtender Riß – eine Wunde, der das Blut zuströmte.
Unten in der Küche dampfte bereits der Kaffee, und eilig kaute der Schiffsjunge seinen Zwieback, um sich dann mit den leeren Körben zu beladen. Vor ihm her stapfte, die Ruder geschultert, der Kapitän, dessen Füße tiefe Spuren im Sande ließen. Langsam begann auch das Dorf zu erwachen, während auf dem dunklen Wasser schon die Segel der Fischerboote dem offenen Meer zustrebten.
Zwei kräftige Ruderschläge brachten des Tritons Fahrzeug ab von dem kleinen, aus Felsbrocken gebauten Kai. Die Leinwand rauschte hoch, blähte sich prall im Winde, und das schrägliegende Boot kam in immer schnellere Fahrt.
Mit sanftem Glucksen teilte sich das Wasser am Bug. Zwischen ihm und dem Rand des Segels sah man einen Streifen schwarzes Meer, darüber eine rote Augenbraue. Aus der Augenbraue wurde ein Helm, dann eine Halbkugel, dann ein arabischer Bogen, bis sich endlich – eine strahlende, gleißende Feuersbrunst – die Sonne vom Horizont löste. Blutrot färbten sich die aschgrauen Wolken, wie Kupferspiegel blitzten die Felsen der Küste, und der Gischt am Vorgebirge leuchtete rosig, als färbte ihn eine unterseeische Eruption.
»Guten Morgen!« rief der Arzt seinem Neffen zu, der seine steifen Hände warm zu reiben suchte.
Und fortgerissen von dem kindlichen Frohsinn, den das Morgenrot in der Seele des Menschen erweckt, sandte Triton seine Baßstimme über das schweigende Meer. Bald sang er sentimentale, in seiner Jugend gehörte Romanzen, bald valencianische Stegreime, von den Fischern beim Einholen der Netze erfunden.
In bestimmten kleinen Buchten ließ er das Segel fallen, und das leise schaukelnde Boot drehte sich langsam um das Seil des ausgeworfenen Ankers.
Wenn Ulysses hier das Wasser betrachtete, das durch den Schatten des Bootes verdunkelt wurde, sah er den Grund so nahe, daß er ihn mit dem Ende des Ruders berühren zu können glaubte. Die Felsen schimmerten gläsern, und zwischen ihnen bewegten sich Pflanzen wie belebte Wesen, während die Tiere in der Unbeweglichkeit von Steinen verharrten. Das Fahrzeug schien in der Luft zu schweben, und durch die flüssige Atmosphäre, die diese abgründige Welt einhüllte, sanken die Angelhaken, denen sich Scharen von Fischen entgegendrängten.
Es war ein Flimmern gelber Feuer, blauer Rücken, rosiger Flossen. Wie quecksilberne Blitze schossen sie, unruhig vibrierend, aus den Höhlen. Andere schwammen langsam; bauchig, fast rund, trugen sie einen goldenen Schuppenpanzer. An den Felsen krochen auf ihrer Doppelreihe von Füßen die Schaltiere, herbeigelockt durch diese Bewegung, die die Todesstille der submarinen Tiefe störte, wo alle verfolgen und verschlingen, um ihrerseits wieder verschlungen zu werden. Und nahe der Oberfläche schwammen die Medusen, lebendige Sonnenschirmchen von opalenem Weiß mit einem lila oder rotgelben Saum, unter deren Gelatinekuppeln sich das Gebinde von Fasern rührte, das ihnen zur Weiterbewegung, Ernährung und zur Liebe diente.
Nie brauchte man vergeblich an den Leinen zu ziehen, und so schnell füllten sich die Körbe, daß die beiden dieses leichten Fanges müde wurden …
Die Sonne stand fast im Zenit. Über dem Meer lag ein breites goldenes Band, von dem jede Woge ein Stück mitnahm, und das Holz des Bootes schien zu brennen.
»Wir haben unsern Tageslohn verdient!« sagte der Triton. »Jetzt noch ein wenig Sauberkeit.«
Hurtig schlüpfte er aus seinen Kleidern und sprang ins Meer. Ulysses sah ihn in einem Schaumring versinken. Jetzt erst kam ihm die Tiefe dieser phantastischen Welt zum Bewußtsein. Der braune Körper des Schwimmers schimmerte wie Porzellan, verwandelte sich, je tiefer er sank, mehr und mehr in eine bläuliche Statue aus venezianischem Glas, die beim Berühren des Bodens zerbrechen mußte.
Ein Gott der Tiefe glitt er durch das Wasser, rupfte Pflanzen aus und verfolgte mit seinen Händen die sich in die Felsspalten versteckenden Blitze aus Zinnoberrot und Gold. Ganze Minuten vergingen. Wollte er für immer dort unten bleiben? … Die Angst schnürte dem Kind das Herz zusammen.
Plötzlich färbte sich der Körper grün, er stieg und stieg … Das Grün ging über in Kupferbraun, und über der Oberfläche erschien der prustende Kopf des Doktors, dessen Fäuste dem Kleinen die ganze submarine Ernte boten.
»Jetzt du!« befahl er mit gebieterischer Stimme.
Vergeblich alle Versuche, Widerstand zu leisten! Als der Triton sah, daß gutes Zureden nichts half, gebrauchte er derbe Schimpfworte, und Ulysses blieb im unklaren, ob er von selbst ins Wasser gesprungen oder von seinem Onkel über Bord gezogen war. Doch nach der ersten Überraschung hatte er den Eindruck, sich vergessener Bewegungen zu erinnern. Er schwamm instinktiv und erriet, was er zu tun hatte, noch ehe sein Meister es ihm zeigte. Eine von den Ahnen überkommene Erfahrung wurde in ihm lebendig.
Aber plötzlich verlor er bei dem Gedanken, daß eine Welt dort unter ihm existierte, seine Ruhe. Die Phantasie zog an ihm, schwer wie eine Kanonenkugel. »Onkel … Onkel!«
Krampfhaft klammerte er sich an diese muskulöse, bärtige, lächelnde Rettungsinsel. Und unbeweglich verharrte der Triton, als stände er mit steinernen Füßen auf dem Boden des Meeres.
So vergingen die Vormittage mit Fischen und Schwimmen. Die Nachmittage hingegen füllten Expeditionen zu Fuß über die felsige Küste.
Der Doktor kannte die Höhen des Vorgebirges nicht weniger gut als die Tiefen, die es umsäumten. Auf den Pfaden der wilden Ziegen kletterten sie zu Gipfeln empor, von denen man das ferne Ibiza sehen konnte. Wie eine flammende Rose tauchte die Baleareninsel bei Sonnenuntergang aus den Wogen auf. Andere Male suchten sie sich einen Weg am Rande des Wassers entlang, wo der Triton seinem Neffen vergessene Grotten zeigte, in die sich das Meer mit langsamer Dünung ergoß – große versteckte Räume, die den Schiffen einen gegen jeden Blick sicheren Ankerplatz boten. Hier hatten die Berber früher oft ihre Galeeren verborgen, um dann unerwartet über einen nahen Ort der spanischen Küste herzufallen.
In einer dieser Grotten sah Ulysses auf einem Felsensockel einen Haufen Ballen.
»Komm, gehen wir weiter!« sagte der Doktor. »Jeder gewinnt seinen Lebensunterhalt, wie er kann.«
Begegnete er unversehens einem einsamen Zollwächter, der, auf seinen Karabiner gestützt, das Meer betrachtete, so schenkte er ihm eine Zigarre. »Arme Kerle! Werden schlecht bezahlt! …« Aber seine Sympathie gehörte den anderen, den Feinden des Gesetzes. Nicht umsonst war er ein Sohn dieses Mittelländischen Meeres, wo alle – Helden und Seeleute – etwas vom Piraten oder Schmuggler an sich hatten.
Freibeuterei und Konterbande: aus ihnen setzte sich in der Tat die ganze Vergangenheit all dieser Küstenortschaften zusammen, die Ulysses zu Gesicht bekam. Die alten Kirchen umgaben Mauern mit Schießscharten für Feldschlangen und Donnerbüchsen, hinter denen die Einwohner früher Zuflucht gesucht hatten, wenn die Rauchsignale der Posten eine Landung algerischer Piraten ankündigten. Den Krümmungen der Vorgebirge folgend, reihte sich ein rötlicher Wachtturm an den anderen, jeder in Sichtweite des nächsten, und diese Reihe setzte sich nach Süden bis zur Straße von Gibraltar, nach Norden bis zur französischen Grenze fort.
Ähnliche Türme hatte der Doktor nicht nur auf allen Inseln des westlichen Mittelmeers, sondern auch an den Küsten von Neapel und auf Sizilien gesehen: Überbleibsel eines tausendjährigen Kampfes zwischen Mauren und Christen um die Herrschaft auf dem blauen Meer; Wahrzeichen eines Piratenkrieges, in dem die Männer des Mittelmeers – von verschiedener Religion, aber gleicher Seele – die Abenteuer der Odyssee bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts verlängerten.
Ferragut erinnerte sich, als Kind unter den Greisen seines Dorfes manchen gekannt zu haben, der seine Jugend als Sklave in Algier verbracht hatte. Und während der Winternächte sangen die Frauen noch immer die Klagen der Gefangenen, sprachen noch immer mit Schrecken von den Brigantinen der Berber. Diese Seeräuber mußten einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben, um von allen günstigen Gelegenheiten zu wissen. Hatten in einem Kloster anmutige Novizen soeben ihr Gelübde abgelegt, so brachen um Mitternacht die Tore unter den Axthieben dieser bärtigen Dämonen ein. Und zurück brauste der wilde Zug mit der Ladung Weiberfleisch für seine Galeeren. Heiratete ein wegen seiner Schönheit an der ganzen Küste bekanntes junges Mädchen, so tauchten diese Gottlosen just auf, wenn der Hochzeitszug die Kirche verließ. Die waffenlosen Männer wurden erstochen … eine Salve gegen die übrigen … und die Piraten verschwanden mit den festtäglich gekleideten Frauen.
An den hellen Sommerabenden nahmen der Triton und sein Neffe das Abendessen unter dem Laubengang vor dem Hause ein. Nach Tisch schleppte Ulysses die Fregatten seines Großvaters herbei, um die Bezeichnungen der Takelage sowie die Segelmanöver zu lernen, und meist saßen die beiden dann, das leuchtende Meer betrachtend, bis zu später Stunde in ihrem ländlichen Atrium.
Alles, was Menschen vom Mittelmeer geschrieben oder geträumt hatten, fand sich in der Bibliothek des Doktors vereinigt, der seinem kleinen Zuhörer gern von seinem Wissen mitteilte. Das »Mare Nostrum« der Lateiner war für Ferragut eine Art blauer Bestie, mächtig und sehr klug; ein heiliges Tier wie Drachen und Schlangen, in denen gewisse Religionen den Born des Lebens anbeten.
Wenige wasserarme Flüsse ergießen sich in sein großes Becken. Rhone und Nil muten wie traurige Bäche an im Vergleich zu den Strömen anderer Kontinente – und dieses Meer, das unter einer glühenden Sonne dreimal soviel Wasser verdunstet, als ihm die Flüsse zuführen, würde sich längst in eine Salzkappe verwandelt haben, wenn ihm nicht der Atlantik durch die Enge von Gibraltar eine starke Strömung schickte, unter der die salzhaltigeren, schwereren Wasser des Mittelmeers in entgegengesetzter Richtung hinausfließen. Kaum wahrnehmbar sind Flut und Ebbe an den Rändern dieses Beckens, miniert von unterirdischen Feuern, die ständig durch den Mund des Stromboli atmen und sich dann und wann auch durch Vesuv und Ätna einen Ausweg suchen.
In diesen blauen Wassern spielen Herden von Thunfischen, eine leichte Beute der betrügerischen Netze an der spanischen und französischen Küste, der Straße von Messina und der Adria. Doch diese Verheerung macht die kompakten Glieder ihrer Schwadronen kaum dünner. Nach einem Besuch des griechischen Archipels passieren sie die Dardanellen, den Bosporus, streifen durch das Schwarze Meer und kehren, dezimiert, aber ungestüm, zu den Tiefen des Mittelländischen Meeres zurück.
Auf dem Sockel der Balearen, an der Küste von Neapel und Afrika baut die Koralle rote Berge. Braunen Bernstein birgt das felsige Gestade von Sizilien, und in den ruhigen, geschützten Wassern von Mallorca und der griechischen Inseln wachsen die Schwämme. Wie in den primitiven Zeiten steigen die Männer hinunter, ohne Apparate, nur ihren Atem anhaltend, um diese Schätze zu heben.
Lieber jedoch als bei dieser geographischen Beschreibung verweilte der Doktor bei der Geschichte seines Meeres, welche die Geschichte der Zivilisation selbst gewesen ist. Im Anfang trieben sich nur einige Stämme elender Menschen am Strande umher und suchten die von den Wellen ausgespienen Schaltiere. Doch sobald Werkzeuge aus Stein die Baumstämme höhlten, sobald menschliche Arme dem Wind das erste Fell hinzuhalten wagten, bevölkerten sich rasch alle Küsten.
Die bisher im Innern des Landes errichteten Tempel krönten jetzt auch die Vorgebirge und blickten nieder auf Seestädte, die Wiege unserer heutigen Zivilisation. Das Mittelmeer lehrte die Männer die Kunst der Schiffahrt, lehrte sie, erst die Wogen, dann den Himmel zu betrachten. Auf diesem blauen Wege kamen die Wunder des Lebens; aus seinem Schoß wurden die Götter geboren. Die phönizischen Seefahrer verließen ihre Städte, um die rätselhaften Kenntnisse Ägyptens und Asiens an allen Küsten des Mittelmeers zu verbreiten, und den Phöniziern folgten die Griechen.
Athen war eine nautische Demokratie gewesen – für Ferragut ihr größter Ruhmestitel.
»Themistokles und Perikles befehligten zuerst Geschwader, hernach erst lenkten sie die Geschicke ihres Landes …«
Und um nicht an der Überlegenheit der semitischen Seefahrer Karthagos zugrunde zu gehen, mußte auch Rom, das festländische Rom, seine Legionäre, deren Wangen unter den Sturmbändern der Helme hart geworden waren, die Bauern Latiums, die ihre Beine auf den schlüpfrigen Bohlen nicht zu bewegen wußten, im Gebrauch der Ruder und im Kampf auf den Wogen unterweisen.
Den Gottheiten des Mare Nostrum brachte der Arzt eine liebende Verehrung dar. Er wußte, daß sie niemals existiert hatten, aber er glaubte an sie wie an poetische Symbole der Naturgewalten.
Die antike Welt besaß nur eine vage Vorstellung von einem ungeheuren Ozean, dem sie die Form eines um die Erde gelegten Wassergürtels gab. Okeanos war ein alter Gott mit langwallendem Bart und gehörntem Kopf, der mit seiner Gemahlin Thetis und seinen dreihundert Töchtern, den Okeaniden, in einer unterseeischen Grotte wohnte. Kein Argonaut erkühnte sich, diesen geheimnisvollen Gottheiten die Stirne zu bieten.
Zugänglicher, vertrauter, waren die Götter des Mittelmeeres. Ein Bruder der Okeaniden, der kluge Nereus, mit blauem Bart und grünen Augen, Binsenbüschel über den Augen und auf der Brust, herrschte in den Tiefen des Mittelländischen Meeres. Fünfzig Töchter, die Nereiden, trugen seine Befehle durch die Wogen. Aber als die Söhne von Kronos die Riesen besiegten, verteilten sie unter sich die Welt. Zeus blieb Herr der Erde, Hades regierte über die plutonischen Abgründe und Poseidon über die blauen Wasserflächen. Nereus, der abgesetzte Monarch, flüchtete in eine Grotte des Ägäischen Meeres, während Poseidon mit seinen weißen, goldmähnigen Rossen in die Perlmutterpaläste einzog.
Mit verliebten Augen schaute der neue Gebieter auf die fünfzig, nach Färbung und Aussehen der Wogen benannten Königstöchter. Und Poseidons Blicke hafteten an der Nereide des Schaums, der weißen Amphitrite, die jedoch seine Liebe zurückwies. Sie kannte den neuen Gott. An allen Küsten hausten greuliche Ungetüme, Zyklopen wie Polyphem – die Früchte seiner Liebschaften mit olympischen Göttinnen oder einfachen Sterblichen …
Ein gefälliger Delphin jedoch kam und ging mit Botschaften zwischen Poseidon und der Nereide, und der Beredsamkeit dieses tänzelnden Vermittlers gelang es endlich, Amphitrite umzustimmen. Sie wurde die Gattin des Gottes, und das Mittelmeer schien neue Schönheit zu gewinnen.
Sie war Aurora, die ihre Rosenfinger an dem ungeheuren Spalt zwischen Himmel und Erde zeigt; war die laue Mittagsstunde, die das Wasser unter einem Mantel von unruhigem Gold einlullt; die gespaltene Schaumzunge, die die beiden Wangen des rauschenden Bugs liebkost; der duftgeschwängerte Wind, der das Segel füllt, sanft wie der Seufzer einer Jungfrau; sie war der fromme Kuß, der den Ertrinkenden ohne Zorn, ohne Widerstand in die Tiefe sinken läßt.
Amphitrite! … Ferragut beschrieb sie dem kleinen Ulysses, als wenn er sie mit eigenen Augen gesehen hätte. Eine Perlmutterschale war ihre Karosse, die sechs Delphine mit Zaumzeug aus purpurnen Korallen zogen. Ihre Söhne, die Tritonen, führten die Zügel, während ihre Töchter, die Najaden, die Büsten in prachtvolles grünes Haar gehüllt, das Meer mit schuppigem Schwanz peitschten. Weiße Möwen, girrend wie die Tauben Aphrodites, umflatterten die Liebesspiele dieses Götterzuges. Und sie, die Herrscherin, blickte von ihrem Thron nachdenklich auf diese Zärtlichkeiten – nackt, mit Perlen gekrönt, weiß wie die Wolke, weiß wie das Segel, weiß wie der Schaum; nur auf Mund und Fersen sowie auf den Knospen ihres Busens diesen feuchten roten Schimmer, der die Rosen und die Muscheln färbt.
Die ganze Geschichte Europas – vierzig Jahrhunderte von Kampf, Wanderungen und Zusammenprall der Rassen – deutete Ferragut als den Wunsch, Amphitrites blaues Reich, wo alles Licht und Harmonie ist, zu besitzen.
Ob kriegerischer Geist sie trieb oder friedliche Absichten, immer dachten die Männer des Nordens, die wärmende Feuer und starke Getränke als Verteidigung gegen die Kinnladen der Kälte notwendig haben, voll Sehnsucht daran, ihre eisigen Meeresküsten mit den Gestaden des warmen Mittelmeeres zu vertauschen; Gefilde ihr eigen zu nennen, auf denen der Ernst des geheiligten Ölbaums mit heiteren Weinbergen abwechselt, wo die Pinie ihre Kuppel ausbreitet, die Zypresse ihr Minarett emporreckt. Unter dem duftenden Schnee endloser Orangenwälder wollten sie träumen; Herren sein der geschützten Täler, deren salzhaltige Luft Myrte und Jasmin balsamisch machen; Herren der stummen Vulkane, die zwischen ihren Felsen Aloe und Kaktus Raum gewähren, und der weißen, sich weit ins Meer vorschiebenden Marmorberge, von denen die Hitze der afrikanischen Küste zurückstrahlt.
Mochten die anderen auch stärker sein – widerstandsfähigere Männer schuf das Klima des Mittelmeers, die das Gute wie das Schlechte stets mit der Übertreibung eines leidenschaftlichen Charakters taten. Doch ob Heilige oder Banditen, niemals waren sie mittelmäßig.
Auf einer seiner Inseln wurde Hannibal geboren, und zwanzig Jahrhunderte später schiffte sich auf einer anderen der Sohn eines Advokaten, dem es an Prozessen mangelte, ohne weiteres Gepäck als eine armselige Kadettenuniform nach Frankreich ein, um den Namen Napoleon berühmt zu machen.
Ein Visionär von geringer Herkunft, Cristóbal Colón Columbus., nannte Genua seine Vaterstadt. Aus einem Schmuggler der ligurischen Küste wurde der Marschall Massena, das Schoßkind des Sieges. Und der letzte dieses bis in die grauen Zeiten der Fabel hinaufreichenden Geschlechts von Mittelmeerhelden war ein Krieger aller Länder, aller Meere: Garibaldi, dessen rotes Hemd seinen Schein auf sein Jahrhundert warf.
Nach solchen Gesprächen wertete Ulysses die alten Töpfe und fleckigen Figuren im Schlafzimmer seines Onkels etwas höher.
Das Meer hatte sie angespült: Jahrhunderte auf dem Grund gelegene, mit Muscheln bedeckte Amphoren und kleine, vom Salz zerfressene Statuen, groteske, schreckliche Gottheiten – Kabiren von phönizischen oder karthagischen Zweiruderern –, die das Gesicht mit einem so wollüstigen, wilden Ausdruck verzogen, daß Ulysses zwischen Lachen und Furcht schwankte.
Bisweilen wurde Ferragut melancholisch, abends, wenn die Leuchttürme anfingen, die sinkende Dunkelheit mit ihrem Strahlenbündel zu durchstoßen. Dann vergaß er den Altersunterschied und sprach zu seinem Neffen wie zu einem alten Kameraden.
Er bedauerte, daß er nicht geheiratet hatte, keinen Sohn besaß. Frauen aller Farben hatte er gekannt, weiße und gelbe, rote und olivgrüne … aber nur einmal war ihm die Liebe begegnet – weit fort, auf der anderen Seite des Planeten, in Valparaiso.
Und noch immer sah er seine graziöse, zierliche Chilenin vor sich, wie die Damen von Calderons Theater eingehüllt in eine schwarze Manta, die nur die großen schwarzen Augen mit ihrem feuchten Schimmer frei ließ. Sanft wie eine leise Klage erklang ihre süße Stimme.
Sie liebte Musik und Verse, vorausgesetzt, daß sie traurig waren, und Ferragut verschlang ihre Gestalt mit seinen Augen, wenn sie zur Gitarre die Lieder von Malek-Adhel und endlose Romanzen aus »Rosen, Seufzer und Mauren von Granada« sang. Jedoch stieß jeder seiner Versuche, zärtlich zu werden, auf heftigen Widerstand. »Später!« Sie hatte eingewilligt, ihn zu heiraten, wollte Spanien sehen … Und alle Wünsche Ferraguts wären in Erfüllung gegangen, wenn eine gute Seele ihm nicht mitgeteilt hätte, daß zu verschwiegener Nachtstunde ein anderer kam, ein Chilene wie sie, und ihren Liedern in der Einsamkeit lauschte … Ah, die Frauen!
Als die Ferien vorüber waren, mußte der Notar sich bequemen, selbst nach der Marina zu kommen und seinen Sohn zu holen, der ganz und gar die Meinung seines Onkels teilte. Auf den Fischfang im Herbst verzichten, auf das Schauspiel der großen Stürme? Und nur, weil das Gymnasium seine Pforten wieder öffnete? …
Im folgenden Jahre verhinderte Doña Cristina eine abermalige Entführung durch den Triton, in dessen Hause Ulysses nichts als derbe Worte und rauhe Manieren lernen konnte. Unter dem Vorwand, daß sie ihre Familie sehen müsse, ließ sie den Notar allein in Valencia und ging mit ihrem Sohn in ein Seebad an der katalonischen Küste.
Es war Ulysses' erste bedeutende Reise. In Barcelona lernte er seinen »reichen Onkel« kennen – das Finanzgenie der Familie Blanes –, der in einer der feuchten, engen, immer von Menschen überfüllten Querstraßen der Rambla ein lukratives Eisenwarengeschäft besaß. Dann besuchte er auch die übrigen Brüder seiner Mutter in einem Städtchen am Kap von Creus, dessen wilde Küste ihn an ein anderes Vorgebirge erinnerte.
Wie der Triton liebten auch diese Blanes das Meer, doch mit einer schweigsamen, kalten Liebe, die weniger seiner Schönheit galt, als den Gewinnmöglichkeiten, die es ihnen bot. Auf eigenen Briggs waren sie oft nach Amerika gefahren, um Zucker von Havanna und Mais von Buenos Aires zu holen. Ihnen war das Mittelmeer nur ein Durchgang, den sie beim Kommen und Gehen achtlos passierten. Von Amphitrite wußte keiner.
Sie zeigten auch nicht das unordentliche, romantische Aussehen des Einsiedlers der Marina, der ständig auf dem Sprunge war, wie eine Amphibie ins Wasser zu tauchen. Seßhaft geworden, vertrauten sie ihren früheren Steuermännern die Führung ihrer Schiffe an und ließen sich nur mit Krawatte und seidener Mütze sehen, wie es der gewichtigen Stellung, die sie in ihrer Heimatstadt einnahmen, zukam.
Der Treffpunkt der reichen Bürger des Städtchens war das Athenäum, das trotz seines Namens keine andere Lektüre bot als zwei katalonische Zeitungen. Hingegen stand auf einem Dreifuß vor der Tür ein großes Fernrohr, der Stolz aller Mitglieder. Und Ulysses' Sippe brauchte das Auge nur einen Moment dem Okular zu nähern, um sofort Klasse und Nationalität eines am Horizont aufkommenden Schiffes nennen zu können. Diese Veteranen der See sprachen ausschließlich von Frachten, von den Tausenden von Duros, die ihnen früher eine einzige Reise einbrachte, und von der schrecklichen Konkurrenz durch die Dampfer.
Vergebens wartete Ulysses, gelegentlich auch mal eine Anspielung auf die Nereiden und die anderen poetischen Wesen zu hören, von deren geheimem Treiben an den Klippen der Marina sein Onkel, der Arzt, ahnte und erzählte. Ach, die Meere der Blanes bevölkerten nur Fische! Wortkarg und kühl waren diese Männer, gute Haushalter, Freunde der Ordnung wie der sozialen Rangstufen. Ulysses erriet in ihnen einen kalten, friedlichen Mut, den Heroismus der Kaufleute, die fähig sind, alles zu ertragen, wenn nur ihrer Ware keine Gefahr droht, sich aber in wilde Tiere verwandeln, wenn man ihren Besitz anrührt.
Oft waren die hochbetagten Mitglieder des Athenäums die einzigen männlichen Wesen im Städtchen, abgesehen von ein paar Zollwächtern und einigen Schiffszimmerleuten, deren Hammerschläge auf dem Rumpf eines von den Gebrüdern Blanes in Auftrag gegebenen Gaffelschoners dröhnten.
Alle Männer waren auf der See; die meisten auf Segelschiffen mit Kurs nach den amerikanischen Häfen. Einige wenige gingen dem Fischfang nach, während die verwegensten Burschen, begierig, schnell ein Vermögen zu erraffen, an der nahen französischen Grenze Schmuggel trieben.
Im Dorf gab es nur Frauen, überall Frauen. Die einen saßen vor ihren Haustüren, eifrig mit dem Klöppeln von Spitzen beschäftigt; andere standen in Grüppchen beisammen, um zu plaudern. Plötzlich erhoben sich ihre Stimmen, sie schrien, zeterten … und der Sturm brach los.
Das Opfer dieser zügellosen Weiber war Mosén Jòrdi, der Pfarrer, dessen Leben durch ihren Zank und Streit verbittert wurde. Der Mann Gottes liebte die ruhige Einsamkeit am Meer und beeilte sich mit der Morgenmesse, um so schnell wie möglich mit seinen Angelruten und Netzen ein Lieblingsplätzchen am Strand aufsuchen zu können.
Niemand kannte so gut wie er den Grund dieser gereizten Stimmung. Fast immer allein und gezwungen, in ständigem Kontakt miteinander zu leben, gelangten die Frauen schließlich dahin, sich gegenseitig zu hassen wie Passagiere eines zu lange unterwegs befindlichen Schiffes, so daß der gute Mosén Jòrdi, der die rüde Offenherzigkeit schlichter Seelen besaß, in Verzweiflung über diese, seinem Hirtenstab unterstellten Furien ausrief:
»Wann werden die Männer nur zurückkehren, damit wir Frieden haben! … Wann werden sie wieder zu Hause schlafen, damit ihr euch endlich beruhigt! …«
Die Weisheit sprach durch seinen Mund. Eine nach der anderen kehrten die Mannschaften von ihrer großen Fahrt heim, und die Straßen vereinsamten. Wenn aber eine Frau an ihrer Haustür erschien, so sah man sie lächeln – mit einer wohligen Lässigkeit wie nach einem heißen Bade. Und der greise Priester konnte sich wenigstens für einige Wochen in Ruhe dem Fischfang widmen, ohne Tag für Tag Klumpen hadernder Frauen mit Stößen und Püffen trennen zu müssen.
Etwas gab es jedoch, das auch während ihrer vorübergehenden Witwenschaft Friede und Eintracht unter ihnen schuf. Das waren die Haussuchungen der Zollwächter nach Schmuggelwaren. Dann mußte man die Umsicht dieser Amazonen sehen, wie sie pfiffig Hand in Hand arbeiteten, um die Konterbande von einem Schlupfwinkel in den anderen zu befördern.
Wenn die Zollwächter, nicht ohne Grund vermutend, daß die Bündel ihren Weg zum Kirchhof genommen haben könnten, dorthin stürzten, fanden sie nur leere Gruben, auf deren Boden noch einige Zigarren lagen. Die Kirche zu durchsuchen, wagte der Führer nicht, trotzdem er in seinem Innern Mosén Jòrdi mißtraute und diesen würdigen Mann für fähig hielt, den Tabak im Beichtstuhl verstecken zu lassen unter der Bedingung, daß seine Lämmer ihn nicht beim Angeln störten.
Ulysses hatte hier einen neuen Freund gefunden, den Gemeindesekretär, der als einziger im Ort einige Bücher sein eigen nannte und den die Wißbegier, mit welcher der Knabe ihm lauschte, um so mehr freute, als er von den wohlhabenden Bürgern etwas geringschätzig behandelt wurde.
Auch ihm war das Meer alles. Doch kümmerten ihn die phönizischen und ägyptischen Schiffe, deren Kiele diese Wogen zum erstenmal gepflügt hatten, ebensowenig wie die griechischen und karthagischen Dreiruderer, die römischen Liburnen oder die Riesengaleeren der sizilianischen Tyrannen, wahre Paläste mit Gärten, Statuen und Fontänen. Sein Interesse galt nur dem Meer des Mittelalters, dem Meer der Könige Aragoniens – dem katalanischen Meer. Und als fürchtete er, den Lokalstolz des jungen Valencianers zu verletzen, erschöpfte sich der arme Sekretär in vielfachen gewundenen Erklärungen:
Zwar nannte man diese Flotte, die den aragonischen Monarchen gehörte, die katalonische; indes setzte sie sich im Krieg aus drei Geschwadern zusammen – dem katalonischen, dem valencianischen und dem von Mallorca –, deren Schiffe zum größten Teil von den berühmten Werften der Stadt Valencia stammten. »Genuesische Galeere« und »katalonischer Segler« bezeichneten im Mittelalter den Gipfel der Schiffsbaukunst.
Von der Küste Aragoniens bis zum Schwarzen Meer, überall traf man im Mittelalter katalonische Fahrzeuge: Galioten, Fusten und Tartanen; die einen mit hoher Reling, die anderen mit glattem Deck. Für große Fahrt nahm man Zwei- und Dreimaster, während die »Coca«, das Linienschiff, nur dem Kampf und außergewöhnlicher Fracht diente. Mit zwei, auch drei Decks versehen, führten diese Kriegsschiffe am Bug und Heck je ein Kastell und schützten ihre Wasserlinie mit Ochsenfellen vor dem »Griechischen Feuer«.
Voller Unruhe sahen Genua und Venedig – beide durch die Kreuzzüge reich geworden und Herren zahlloser Faktoreien im Orient – das Wachsen dieser dritten Mittelmeermacht. Die Genuesen eröffneten die Feindseligkeiten, worauf die verschlagenen Venezianer sich, um Genua zu ruinieren, mit der katalonischen Flotte verbündeten. So begann im Mittelmeer einer der grausamsten Kriege der Weltgeschichte, in dem ganze Besatzungen über die Klinge springen mußten, während ihre Kapitäne an der Rahe ihres eigenen Schiffes aufgeknüpft wurden.
Der an der italienischen Küste begonnene Kampf endete an der asiatischen. Im Bosporus, vor den Kuppeln der Santa Sofia, unter den Augen der verängstigten Einwohner Konstantinopels, fand die Schlacht von Pera statt, die der Tod des katalonischen wie des valencianischen Admirals zu einem Sieg für die Genuesen gestaltete.
Doch ein Jahr später holte sich die katalonische Flotte ihre Revanche an der Küste Sardiniens: Achttausend Genuesen sanken auf den Grund des Meeres. Mit dreitausendfünfhundert Gefangenen und einundvierzig feindlichen Galeeren kehrten die siegreichen Schiffe nach Barcelona zurück.
Das war der Anfang von Genuas maritimem Verfall. Seine Kaufleute aus Ägypten vertreibend, monopolisierten die Katalonen den Handel Afrikas, während Alfons V. von Aragonien, der einzige Seekönig Spaniens, immer neue Kriegsfahrten gegen die Republik unternahm, die anfänglich allerdings unglücklich verliefen.
Hier nickte Ulysses eifrig. Von der Seeschlacht bei der Insel Ponza hatte ihm schon sein Pate Labarta erzählt, der diese im Jahre 1435 erlittene Niederlage noch immer nicht verwinden konnte.
Alfons V., sein königlicher Bruder von Navarra samt dem Gefolge aragonischer und sizilianischer Lehensleute fielen in die Hand der Republik, die, bestürzt über diese wichtige Beute, ihre Gefangenen dem Herzog von Mailand in Gewahrsam gab. Da jedoch Monarchen leicht einen Weg der Verständigung finden, sah sich der König von Aragonien bald wieder in Freiheit, um sofort Genua mit einer riesigen Flotte zu blockieren. Die Schiffe der Provence kamen ihrer Nachbarin zwar zu Hilfe, doch Alfons stürmte den Hafen von Marseille, dessen die Einfahrt sperrende Ketten er als Trophäen mit sich nahm.
Wieder nickte der kleine, aufmerksame Zuhörer. Ja, diese Trophäen erinnerte er sich in Valencia gesehen zu haben. Der Seekönig hatte sie in einer gotischen Seitenkapelle der Kathedrale aufgehängt, wo sie auf den schwarzen Quadersteinen eine Girlande bildeten.
Als das erschöpfte Genua endlich vor der Unterwerfung stand, starb Alfons, und seine Nachfolger setzten die Rivalitäten mit der Republik beiseite, damit sie sich ganz dem Kriege um den Besitz Neapels widmen konnten. Dennoch beherrschten die katalonischen Schiffe noch immer das Mittelmeer.
»Aber Colón«, sagte traurig der Sekretär, »entdeckte Amerika – ein tödlicher Stoß für das Mittelländische Meer. Hinzu kam die Vereinigung Aragoniens mit Kastilien, wodurch Kraft und Leben der Monarchie sich nach der Mitte des Landes zog.
Mit Barcelona als Hauptstadt hätte Spanien die Herrschaft über das Mittelmeer behalten; mit Lissabon wäre aus dem spanischen Kolonialreich etwas Haltbares, etwas Lebensfähiges geworden. Was aber kann man von einer Nation erwarten, die ihren Kopf auf das Kissen dieser gelben Steppen im Innern bettet – so weit als irgend möglich fort von den Straßen der Welt – und den Wogen nur die Füße zeigt? …«
Bekümmert sprach der Katalane von dem weiteren Niedergang der Mittelmeerflotte: vereinzelte Kämpfe mit den Berbern von Galeere zu Galeere; nutzlose Unternehmungen an der afrikanischen Küste; Heldentaten von Barceló, dem großen Seemann Mallorcas, und etwas Handelsschiffahrt auf Polackern, Karavellen und Pinkschiffen.
Für alles, woran er Geschmack fand, suchte der Sekretär eine Verbindung mit der guten alten Zeit der katalonischen Beherrschung des Mittelmeeres. Eines Tages bot er Ulysses einen süßen, aromatischen Wein an:
»Malvasier! Die ersten Rebstöcke brachten unsere leichten Streifscharen damals von Griechenland mit.«
Doña Cristinas Verlangen, ihrem Gatten die Behaglichkeit eines gutgeführten Hauses wiederzugeben, entriß Ulysses diesem Leben an der Küste.
Jahrelang bekam er dann nur den Golf von Valencia zu Gesicht, denn der Notar wußte unter immer neuen Vorwänden einen Ferienaufenthalt an der Marina zu hintertreiben, worauf der Triton, allen Unannehmlichkeiten und Gefahren dieser Landexpeditionen trotzend, häufige Reisen nach Valencia unternahm, getrieben von den unklaren Vaterschaftsgefühlen des Junggesellen.
Wenn Labarta und er sich über die Zukunft von Ulysses unterhielten, machten sie den Eindruck zweier mit der Erziehung eines Prinzen beauftragter, gütiger Regenten. Und wirklich schien der Junge mehr ihnen zu gehören als dem Vater.
Don Esteban konnte es sich übrigens nicht versagen, seinem Bruder das Lob eines seßhaften und gewinnbringenden Berufes zu singen. Milde lächelte der Triton bei solchen Ausführungen, um hin und wieder einen kleinen Blick mit seinem Neffen zu wechseln.
Die beiden verband ein Geheimnis. Ulysses, der kurz vor der Abiturientenprüfung stand, bereitete sich gleichzeitig zum Steuermannsexamen vor. Sein Onkel hatte ihm nicht allein das für die Immatrikulation und die Anschaffung der Lehrbücher notwendige Geld gegeben, sondern ihn außerdem einem der Professoren, einem alten Schiffskameraden, warm empfohlen.