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Die Legende hat ihren Namen zum Symbol gemacht und ihr Wesen zu einer Monstrosität. Eine übermäßige Sinnlichkeit wird dem Manne gut, der Frau schlecht geschrieben, gilt dort als Vorzug, hier als Laster. Die antike Welt schätzte die Keuschheit, aber nicht weniger auch deren Gegenteil: sie gab beiden Lebensäußerungen kultische Formen.
Auch wenn man den Skandalschriftstellern und Pamphletisten Roms, die sich über die Kaiserin ausgelassen haben, nicht alles glauben will, bleibt genug. Sie hat Liebhaber vergiften lassen oder ihnen befohlen, sich die Adern zu öffnen. Aber äußerste Macht über Menschen hat zu allen Zeiten jene, die sie innehatten, trunken gemacht, und die Verlockung, sich von jenen zu befreien, die man liebte und nicht mehr liebt, ist groß. Besonders wenn sie lästig werden. Rom hat den Tiberius und den Caligula gehabt – nach ihnen mußte ihm die Herrschaft des Claudius und der Messalina fast als ein paradiesischer Zustand erscheinen.
Verschliffene Kameen geben ein undeutliches Bild dieser Frau und vor allem einen wichtigen Zug nicht: den Blick ihrer tiefgrünen Augen. Das Gesicht ist auffallend kindlich, von runder, klarer, weiblicher Form, aufgebaut auf einem soliden, festen, fast viereckigen Kiefer. Überreich quillt das Haar tief in die ganz kurze Stirn, ein Zeichen mächtigen fruchtbaren Blutes. Das Gliederwerk ihres Leibes war von höchster Zartheit. Fein und weiß die Haut bis auf eine kleine Stelle innen am rechten Oberschenkel, wo alle Salben der Welt ein behaartes Fleckchen nicht wegzubringen vermochten. Und Messalina verstand sich auf Salben und Parfüme, deren sie selber viele erfand, auf Bäder und auf Spiegel, von denen sie eine berühmte Sammlung besaß in jedem Material und in allen Formen.
Stand ihre Art unter dem nichts als animalischen Zeichen jenes Fleckchens am Oberschenkel? Suchte sie nichts als die sinnliche Lust des Augenblickes im ständigen Wechsel? Oder das fleischgewordene Abbild eines Mädchentraumes, der sie zum erstenmal besessen hatte ohne sie zu besitzen?
Ein alt-römischer Hochzeitsbrauch verlangte, daß die Braut vor der Eheschließung auf dem Hausaltar ihr Kinderspielzeug niederlegte: die Götter empfangen das bisnun Geliebte. Messalina opferte einen kleinen bronzenen Phallus.
Der alte Gartengott, aus Feigenholz und rot bemalt an seiner vorragenden Stelle, war in diesen kaiserlichen Tagen der Göttereinfuhr aus allen Zonen zu städtischen Ehren gekommen, wenn auch nur zu bescheidnen, denn sein Tempel stand in einem üblen Viertel jenseits des Tiber, im Quartier der Seiltänzer und Tierbändiger, vor der Porta Aurelia, wohin keine würdige Matrone den Fuß setzt. Außer sie ist voll Aberglauben an jede Gottheit, wie Lepida, der Messalina Mutter, von der die Sage will, daß sie Priesterin des Miphisileth war, wie nun Priapus zu heißen sich gefallen lassen mußte, nachdem er, nicht mehr bäurisch, Gott des Urbs geworden und wie es die neue Mode verlangte asiatisch aufgemacht von einem Religionsunternehmer aus Phönizien, der seine Römer kannte. Die Sage will weiter, daß Lepida ihre zwölfjährige Tochter eines Nachts in diesen Tempel brachte, sie dem Miphisileth zu weihen durch Darbringung ihrer Jungfräulichkeit. Möglich so, denn die vor zweihundert Jahren erlassenen Gesetze gegen die bacchanalischen Weihen waren längst vergessen und außer Brauch. Die Stadt und das Reich waren zu groß geworden für einen sittlichen Rigorismus der Lebensführung ihrer Bewohner. Dennoch versäumten es Mutter und Tochter nicht, als sie am Frühmorgen jener Weihenacht auf dem Heimwege am Tempel der patrizischen Pudicitia vorbeikamen, ihr Gesicht zu verhüllen und abzuwenden, wie auch drei Finger ihrer linken Hand zur Beschwörung gegen den Tempel hin zu strecken. Frau Lepida war außerordentlich religiös erzogen und um gleiche Erziehung bei ihrer kleinen Tochter bedacht. Unterstützt darin von ihrer alten thessalischen Amme Thryphene, Meisterin in allen magischen Künsten, die Glück und vor allem Reichtum bringen sollten. Denn der Gatte Messala Barbatus war ziemlich ruiniert. Je geringer die Aussichten wurden, auf dem üblichen Weg der Geschäfte oder des Schuldenmachens diesen Ruin zu bessern, um so lebhafter wurde die Phantasie der Mutter. Hatte sie nicht trotz des dämmrigen Lichtes genau gesehen, wie im Tempel der Fortuna die Apollo-Statue ihr Knie vor ihr beugte, was doch Vorhersage großer Dinge bedeutet? Und flog ihr nicht aus dem Spiegel, in dem sie sich besah, Blinkendes von Gold und Geschmeiden entgegen? Sie rief gleich nach der fünfzehnjährigen Messalina, daß sie auch das Wunder sehe, aber als das Mädchen in den Spiegel schaute, war dieser wie jeder Spiegel und zeigte nichts als die lachenden, blinkenden, lustgierigen Zähne des kleinen Mädchens.
War es doch ein Wunderspiegel? Sollte man Glück und Reichtum von der Tochter erwarten? Der stumpfsinnige und frühalte Messala Barbatus hatte ja auch die Erscheinung eines Familiengenius, der, wie er behauptete, dem Sokrates bis auf ein Barthaar glich. Aber er sah ihn nur, wenn er allein und betrunken war, und er trank viel, damit er ihn sah. Der Genius schützte ihn vor nichts als vor den Schlägen seiner Gattin, die müde es aufgegeben hatte, vom Gatten etwas zu erwarten. Also die Tochter? Messalina hatte keinerlei Visionen. Kein Gott beugte vor ihr das Knie. Keine übernatürliche Stimme sprach zu ihr, wenn sie sich in den ersten Fiebern ihres Verlangens auf dem Lager wälzte. Sie schlief ohne Träume. Sie beklagte den Mangel an Phantasie. Kaum vor der Venus Libitina, in deren Tempel an der Stadtmauer sie sich zuweilen begab, fiel ihr etwas ein, mehr als ein undeutliches Gebet. Manchmal dachte sie daran, Vestalin zu werden. Aber die Mutter erinnerte sie an die Strafe, welche jene trifft, welche die Priester über den Zustand ihrer Jungfräulichkeit täuscht, die Strafe, lebendig begraben zu werden. Ammenmärchen, dachte Messalina, die Siebenzehnjährige, dachte aber nicht weiter an Vesta.
Eine eben in Rom eingetroffene Berühmtheit wie Simon den Magier kennenzulernen, dazu hatte Lepida, in allen okkulten Zirkeln bekannt, ein gutes Recht. Woher er gekommen war, wußte man nicht genau. Man behauptete, aus Samaria. Aber er besaß unermeßliche Reichtümer und ein köstliches Haus an der Via Appia, nicht weit vom Grabe der Cecilia Metella, und, so sagte man, sei da von syrischen Sklaven bedient, die ihn wie einen Gott verehren. Sagte auch selber, daß er Gott sei und tat Wunder. Manche meinten, er sei nur einer der vielen Scharlatane, die jetzt Rom überschwemmten, um die Neugierde auszubeuten. Immerhin stand fest, daß er sich nur durch die Kraft seines Geistes vom Boden erheben und fliegen könne. Auch nahm er kein Geld für Heilungen, die er durch nichts als Auflegen seiner Hände erziele. Er hatte einer gewissen Calpurnia ihre Perlen weggenommen im Zusammenhang mit einer Zauberei und sie hatte Mühe, sie zurückzuerhalten, weil Simon erklärte, ein böser Dämon, den er zitiert, hätte sie ihm gestohlen. Jene Frau drohte mit der Justiz. Da gab ihr Simon noch weit kostbarere Perlen, weil, wie er sagte, der Dämon sich, als er sie zurückbrachte, geirrt habe, und bat Calpurnia, darüber zu schweigen. Etwas später stellten sich die Perlen als falsch heraus. Aber diese alternde Calpurnia hatte immer solche Geschichten und man schenkte ihr darum wenig Glauben. Die Villa, die Simon bewohnte, war Eigentum eines gewissen Cethegus gewesen, im Getreidehandel reich und über den Tod seiner Tochter etwas närrisch geworden. Er hatte den Simon aufgesucht, ob er nicht seine Tochter, die er ein Jahr zuvor verloren, vom Tode auferwecken könne. Das sei schon möglich, sagte Simon, aber nicht leicht. Er habe in seiner Jugend in Bethanien in Palästina dieses Wunder von einem jüdischen Propheten namens Jesus verrichten sehen. Aber jener Tote war ein Mann und erst seit vier Tagen tot. Bei einem Mädchen, das schon ein Jahr tot sei, wäre es schwieriger und brauche viel Zeit. Er müsse in dem Hause wohnen, das die Tote bewohnt habe. So zog er in jene Villa. Der alte Cethegus beschäftigte sich in der Erwartung des Wunders mit Gartenarbeit. Dabei fiel er von einem Baum und starb daran, nicht ohne zuvor ein Testament gemacht zu haben, in dem er seine ganze Habe dem Magier Simon vermachte. Der lebte zusammen mit einer gewissen Helena. Er leugnete nicht, sie in einem öffentlichen Hause zu Tyrus gefunden zu haben, wo sie ihr zweites Leben lebte. In ihrem ersten sei sie die trojanische Helena gewesen. Er schien sie sehr zu lieben. Aber der reiche Lucius Agrippa erzählte jedem, der es wissen wollte, daß er eine Nacht mit dieser Helena verbracht und dafür tausend Goldtalente bezahlt habe. Der hohe Preis und der bekannte Geiz des Agrippa machten die Geschichte unwahrscheinlich. Man erfand sie wohl aus einer Sonderbarkeit des Simon, der seine Gäste auf die Schönheiten der Helena damit aufmerksam machte, daß er Teile ihres Leibes entblößte und sie zu bewundern aufrief. Die Philosophen verglichen ihn dem Pythagoras und dem Platon. Die Schmarotzer dem Lucullus. Viele nannten ihn einen Schwindler. Aber er hatte großes Ansehn bei den Armen, die er heilte und deren Gesellschaft er den Reichen vorzog. Ein Eunuch beschwor, daß er ihm die Männlichkeit wieder verschafft habe. Er war eine Sensation Roms.
War es ein Zufall oder war es Zauberei des Simon, daß Messalina, als sie mit ihrer Mutter der Einladung des Magiers folgte, unter den Gästen die Männer traf, die in ihrem Leben eine Rolle spielen sollten? Als der Ostiarius die Türe aus Zedernholz hinter den eingetretenen Frauen hatte zufallen lassen, kam Lepida der rascher schreitenden Tochter nur langsam nach, so sehr war sie mit den Götter-Bildnissen aufgehalten, die im Prothyrum und Atrium aufgestellt waren, denn es gab für sie niegesehene darunter, die sie erschauern machten. Da war ein Melkart mit verschlagnem Gesicht. Ein Set Typhon voll Blödheit des Ausdrucks. Dann die babylonische Trinität Anu, Sin und Bei. Der Sturmvogel Zu baumelte erzen an einem Strick. Und stehen blieb sie gar erstarrt vor Erlik-Khan, dem Mongolengotte, der in Haaren strotzte, die ihm aus allen Teilen des Kopfes wuchsen. Konische Steine, wie sie die Thraker anbeten, standen da, und Götter halb Fisch, halb Vogel, Götter, die nur aus einem Schnabel bestanden oder aus einem ungeheuren Zahn.
Als die beiden Frauen ins Triclinium traten, sprach Simon gerade. Unter seiner breiten und hohen Stirn verschwanden die kleinen Augen völlig. Neben ihm lag Helena, zierlich und träge. Aber Messalina bemerkte gleich zufrieden das Gewöhnliche derber Knöchel an ihr. Claudius wollte den Damen entgegengehn, war aber schon etwas angetrunken und gab es mitten im Versuch seiner unbeholfenen Beine auf. Er hatte den Gedanken gefaßt, Messalina zu heiraten und hatte schon mit seinem Cousin Barbatus darüber gesprochen. Mach das mit Lepida ab, sagte der Betrunkene. Lepida überlegte noch. Das einzige, was für Claudius, diesen alten, bücherversessenen, weinfrohen, weibergeilen und schuldenzerfressenen Claudius sprach, war seine Verwandtschaft mit Caligula, dem Kaiser, dessen Onkel er war. Er wußte selber, daß das nicht viel bedeutete, aber doch alles.
Also das ist der junge Mann, von dessen Schönheit ganz Rom spricht, dachte Messalina, als sie den kaum zwanzigjährigen Caius Silius erblickte, und die beiden sahen sich an mit kaltem Haß in den Augen und sollten sich lieben bis in den Tod.
Valerius Asiaticus sah fast an Messalina vorbei, als er sie begrüßte. Er war nach einem Leben voll Leidenschaften und Abenteuern ein Meditativer geworden, nun, wo er an die Vierzig ging. Mehrfach Konsul, hatte er die Macht gekannt. Siegreich mit seinen Legionen in Britannien und Persien war ihm der Ruhm nicht unbekannt. Sein Reichtum war ungeheuer. Villa und Gärten des Lucullus waren sein eigen geworden. Er suchte die Gerechtigkeit und um ihretwillen sollte er einer der Hauptanstifter an der Ermordung des Caligula werden, was ihn populär machte. Er trank nicht und lebte keusch. Eine Liebe zu Poppäa, der Frau des verehrungswürdigen Scipio, soll das zustande gebracht haben. Da waren noch andere. Der auf Simon eifersüchtige Schulphilosoph Thegonius. Die etwas fette wundersüchtige Amaryllis. Ein Prinz Arbaces, des armenischen Königs Mithridates Reisebegleiter, ganz weg von den Reizen der Helena.
Man sprach von den Vorteilen der Keuschheit und den Reizen ihres Gegenteils und wie beides an seinem Platze im Ablauf des Lebens das Rechte sei. Messalina verstand nicht alles, doch wählte sie mit dem Instinkt ihrer Sinne das, was ihr wohltat. Aber Lepida erwartete sich noch ein anderes von dieser Zusammenkunft bei dem Magier und hatte es ihn wissen lassen. Nun erhob er sich und winkte Mutter und Tochter, die ihm durch einen dunklen Gang in einen kleinen Raum folgten, in den von oben die Nacht der Sterne fiel. Er entzündete Kraut in einem Becken, goß Flüssiges darüber, daß ein scharfer Rauch entstand und begann in der Zukunft Messalinas zu lesen, auf den Boden hingehockt; und Schweiß lief ihm in Strömen übers Gesicht. Daß Claudius Kaiser werden würde, prophezeite er. Schon da er Konsul war, hätte sich ihm auf dem Forum ein Adler auf die linke Schulter gesetzt. Weniger deutlich sah er die Zukunft Messalinas. Er konnte nicht unterscheiden, ob, was sie einhülle, Blut oder Purpur sei. Vielleicht beides, sagte Simon. Und ein Schwert verdecke den Lotus, der über jedes Weibes Haupt schwebe.
Messalina war zwanzig, als sie Claudius heiratete, den immer schwitzenden Kahlkopf mit den lächerlich großen Füßen und dem stotternden Gang der schwachen Beine, die nur mühsam seinen fetten Leib trugen. An der kaiserlichen Tafel trieb man Späße mit ihm, der immer während des Essens einschlief. Und nur seine offenkundige Narrheit schützte ihn vor der Wut seines Neffen Caligula. Immer war er in Angst, ermordet zu werden und machte sich, dem zu entgehen, noch kindischer und dümmer als er war. Er befand sich an jenem neunten Tage vor den Kaienden des Februar im Gefolge des Kaisers, als dieser sich ins Theater begab. Und als Caligula unter dem Schwerthieb ins Genick1 stürzte, lief er davon, um sich zu verstecken. Aber das Boskett verdeckte nicht seine großen Füße, über die der Soldat Gratus stolperte, ein Mann aus der Verschwörung. Der hatte oft den Namen des Claudius als den des künftigen Cäsar gehört. Und als er nun den Versteckten an den Beinen hervorzog und als den Claudius erkannte, fiel er vor ihm auf die Knie.
Er war alt genug geworden und von andern Neigungen besessen; darum wurde ihm die Bescheidenheit leicht, die ihn populär machte. Er weigerte sich, den Titel Imperator zu tragen. Er entschied nichts, ohne den Senat zu fragen. Er benahm sich in der Öffentlichkeit immer wie ein braver Beamter, der dem Volke dient. Drängte sich nicht vor, um seine gar nicht repräsentative Figur wissend. Sehr gelehrt in allerlei antiquarischen Sachen und der Grammatik – er erfand drei neue Buchstaben des Alphabetes, die sich aber nicht durchsetzten – versuchte er sich in burschikosen Anreden Untergebener, wie das Professoren lieben. Bücherschmökern, gutes und reichliches Essen und Trinken und viele Weiber –, das waren seine Erholungen von der Regierungsarbeit. In den Geschäften suchte er sich mit Glück tüchtige Leute unter den Freigelassenen und Namenlosen aus; den verschuldeten Rittern und den Spekulanten mißtraute er, weil er sie kannte. Seine Frau ließ er treiben was sie wollte. Messalina nannte ihn einen alten Trottel. War er nicht in der Hochzeitsnacht nach einigen brutalen Griffen eingeschlafen? War er nicht Schuld, daß sie sich bei Morgendämmern vom Lager erhob und in den Garten ging, wo ein junger Syrer wieder die Nachtigall nachahmte wie beim Hochzeitsschmaus?
Sie ertrug nur die plumpe Zärtlichkeit ihres Trottels und hatte zwei Kinder von ihm. Mit ihnen und ihren Künsten der Liebe, bei andern gelernt, hatte sie Macht über den Gatten. Da wurde er Imperator. Für die Kaiserin gab es keine Laune der Sinne mehr, die zu befriedigen sie sich versagen mußte. Fünfundzwanzig war sie und mit der zwiefachen Macht ausgestattet: der ihres Leibes und der ihres Titels. Sie zitterte vor dem plötzlichen heftigen Licht dieses Weges.
Frauen, welche wie Messalina ihr sinnliches Leben, ihre Liebe, nicht in den Dienst eines Ehrgeizes zu stellen brauchen und sie nicht zu einem Mittel entwerten müssen, was noch die letzte Straßendirne tut, die an das Geld denkt, mit dem sie sich dem bürgerlichen Dasein und Aussehn annähert, solche Frauen geben ihrem sinnlichen Leben die klassische Form. Sie stellen nicht die Liebe in den Dienst einer Macht, sondern jede Macht in den Dienst der Liebe, um derentwillen sie allein leben. Der fünfundzwanzigjährigen Kaiserin blieben jene Momente der Schwäche nicht erspart, wo sie weinend bedauerte, ihr Leben lang nicht einem einzigen Manne zu gehören. Aber sie schämte sich solcher Krisen des Gefühles und haßte jene, in deren Armen sie sie erlitten hatte. Denn größere Aufmerksamkeit gab sie der Schönheit ihres Leibes und dem Genüsse daran als jenen Flüchtigkeiten einer weichlichen Bewegtheit. Hundert Eselinnen wurden gehalten, in deren Milch sie badete. Sie machte die griechische Mode nicht mit, sich die Haare des Leibes auszuzupfen. Nur die Haare unter den Achseln entfernte sie, seit ein Arzt ihr gesagt hatte, daß der Leib durch alles andre Körperhaar Kräfte des Lebens einatme. Sie liebte es, auf ihrer weißen Haut Spuren der Umarmungen zu sehen, aber nicht zu behalten. So schrieb sie Preise aus für ein Mittel, diese bläulichen Spuren und Äderungen zu entfernen. Sie liebte nur Männer. Sie tat so als ob sie Frauen liebte und ihre Vergnügungen teilte nur in Gegenwart des Gatten, um dessen Zärtlichkeiten zu entgehen. Sie liebte nur Männer. Und sagte, daß nichts die Mühe des Lebens lohnte als jener Augenblick, in dem die Männer in der höchsten Lust brüllen und aufstöhnen wie wilde Tiere.
Die Laune entschied, welchen Mann sie sich nahm, welchem sie sich hingab. Einem, weil er sie um einen Pantoffel bat, den er dann als Amulett um den Hals trug. Aber sie mußte gleich erfahren, daß dieser Lucius Vetellius, ehemaliger Statthalter in Syrien, nur ein Narr war, der zu dem Schuh betete. Sie gab sich einem Gladiatorenhändler, weil er stark war. Einem Neffen des Claudius, weil er schwächlich war. Dem Sabinus, weil er langes Haar trug und ihr Parfüm liebte. Dem, weil er glatten, dem weil er stark behaarten Leibes war. In Baiae einem Fischer, weil er gerade vorüberging. Einem der Hände wegen, einem andern um seines Blickes willen. Aber sie nahm es dem Mnester, dem berühmtesten Komödianten und Springer Roms, den Caligula im Hippodrom vor allem Volke geküßt hatte, nicht übel, daß er ihr widerstand. Denn Mnester liebte nur Knaben, und sie hielt Freundschaft mit ihm und sie erzählten einander ihre Geschichten. Mnester war reich und verschwenderisch; viele Frauen hatten sich aus vergeblicher Liebe zu ihm das Leben genommen, obzwar er nicht hübsch war und mit dreißig Jahren Fett ansetzte. Messalina und Mnester dienten demselben Gotte, sie verstanden einander. Er brachte ihr seinen Giton, den fünfzehnjährigen Titus aus der guten Familie des Domitius. Er schenkte ihr den Knaben, an dem sie Gefallen fand für eine kurze Zeit. Der Kleine konnte aber nicht den Mund halten. Mnester warnte die Freundin. Die Mutter Lepida fürchtete, Claudius könne von der Sache erfahren. Titus mußte verschwinden. Er bekam in der letzten Nacht in einem Becher Gift zu trinken, das ihm die allzu geschwätzige Zunge aus dem Halse stülpte. Auch die alte Tryphenis ließ dabei ihr Leben. Als sie den sterbenden Titus beschimpfte, warf ihr Messalina eine goldne Amphore auf den Kopf und erdrosselte die nur an der Schulter Verwundete mit den Händen.
Einer, den sie begehrte, widerstand. Der Herr der Lucullischen Gärten, der Nachdenkliche, der seine Liebe nur mehr den Bäumen und Blumen seines Gartens schenkte, nur wenige Freunde um sich liebte, Ruhm und Frauen vergessen hatte, Valerius Asiaticus. Als Messalina nach Baiae kam, um ihn da zu treffen, verließ er sofort den Ort und ging nach Rom zurück. Man log ihr vor, er habe seine alte Liebe zu Poppäa, der schönen Frau eines alten Gatten, wieder erneuert. Messalina haßte diese Frau, diese allein in ganz Rom, weil man ihre Schönheit mit der ihren verglich. Sie suchte Valerius auf. Der Vorwand: im Auftrage des Claudius käme sie, ihn um die Gründe zu fragen, weshalb er sich weigere, sich zur Armee in Germanien zu begeben. Er sprach Philosophisches. War ganz fern allen diesen lauten Dingen der Welt. Auch fern den Frauen. Messalina ließ alle ihre heimlichen und starken Feuer los. Aber sie brannten nicht auf diesen Mann, der gleichgültig war wie ein Stein und über sie wegsah. Da gab ihr die Wut die gemeinsten Worte. Sie sprach von Poppäa, von der man ja wisse, daß sie sich den Gladiatoren prostituiere. Und man wisse auch, was ihn mit Poppäa verbinde, die Liebe zu jungen Burschen, die sich von Kupplern der Suburra erziehen ließen. Aber Valerius sagte kein Wort. Ein Sklave brachte auf einer silbernen Platte Brotkrümel. Er nahm davon und warf es den Tauben hin. Verzeiht, sagte er, es ist die Stunde der Tauben.
Bei dem alten Cornelius Scipio war nichts auszurichten. Er wußte, daß Poppäa die Geliebte des Valerius gewesen war. Und nicht mehr. Wußte auch, was Poppäa sonst tat. Aber er war weise und alt und hätte noch weit mehr ertragen, denn diese Frau war, wie immer auch, das Glück seines Alters. So mußte man sich, um Valerius zu verderben, an Claudius halten. Der war ganz vergraben in seine karthagische Geschichte, die er diktierte. Aß nur mehr punische Küche, um die Seele Hanibals zu verstehen. Fürchtete nichts als Verschwörung gegen sein Leben. Suilius, stadtbekannt für jede falsche Zeugenschaft, wurde gekauft. Und der Mann mit dem Schuh Messalinas um den Hals tat was man von ihm wollte. Daß Valerius schon in Syrien gegen den Kaiser komplottierte, war sein wichtiges Zeugnis, denn Lucius war da hoher Beamter gewesen. Vor Claudius wurde der gefesselte Valerius gebracht. Als man ihm die Fessel löste und er die Anklage widerlegen sollte, machte er eine etwas heftige rednerische Bewegung mit der Hand. Claudius fuhr zurück. Er sah wohl gleich, daß in der Hand keine Waffe war. Aber er war nervös geworden. Und winkte das Urteil. Valerius vollzog es selber. Er ließ sich vor dem Scheiterhaufen, den ihm seine Leute in seinem Parke errichtet hatten, von einem Sklaven die Adern öffnen. Der Poppäa gab Messalina zu wissen, daß Claudius entschlossen sei, die alten Strafen gegen Ehebruch wieder einzuführen: die Ehebrecherin nackt auf Stroh in einem auf eine Gasse hin offnen Gefängnis und jedem gehörend, der sie wolle bis zum Einbruch der Nacht. Poppäa zog es vor, sich zu vergiften.
Es war ein Einfall des Mnester. Er erzählte von der Dirne Lysisca in einem Lupanar der Suburra am Mons Coelius nah beim großen Markt, die so sehr der Messalina gliche, daß man sie nur die Kaiserin nenne. Den Wirt Gnatänion kenne er seit langem, noch aus der Zeit, wo er das Haus als Bad betrieben hatte. Nach vorn sei es nun eine Kneipe. Nach hinten zu gab es ein Atrium mit dem Badebecken. Aber die ehemaligen Badezellen dienten nur mehr den Huren, die sich da prostituierten. Claudius war nicht in Rom. Man könnte diese Gelegenheit benützen. Es sei ein guter Spaß, in jenem Hause die Rolle der Lysisca zu spielen. Kein Gast würde sie erkennen, jeder sie für das Mädchen halten. Messalina machte große Toilette. Sie gab wie die alexandrinischen Kurtisanen violetten Puder in ihr Haar, das sie im Nacken festband. Auf ihre Brustwarzen einen kleinen Tropfen Karmin, aber keinerlei Schmuck bis auf eine Halskette aus kleinen phönizischen Phallusen. Sie rollte sich ganz nackt in einen Leinenschleier, worüber sie eine Cuculla aus grobem Tuch warf, deren Kapuze sie über den Kopf zog. Es war ein Uhr nachts, als sie den Palast auf dem Palatin durch eine Hintertüre verließ, wo Mnester sie erwartete.
Das helle junge Gesicht eines Legionärs, der in der Kneipe des Gnatänion saß, half ihr weg über den scharfen Gestank von Schweiß, der sich ihr an der Schwelle des Hauses entgegenwarf, so daß sie schon umkehren wollte.
Mnester verließ sie vor der Zelle, die nur ein flatternder Fetzen Tuch vom Atrium trennte. An der Wand daneben stand hingeschrieben: »Lysisca, ein Denar Silber.« Eine verbrauchte Binsenmatte, auf der ein paar schmutzige Kissen lagen, ein Tischchen mit einer rauchenden Lampe, in einer Ecke ein Krug aus rotem Sandstein, – mehr gab es nicht in dem engen Raum. Ein Mädchen aus der Nachbarzelle kam herein und erzählte eine wohl gestern begonnene Geschichte weiter, von ihren Erlebnissen auf dem Friedhof: eine scrupeda, wie jene Huren heißen, die nach der Nacht im Bordell noch auf dem Friedhof strichen, entnahm Messalina aus der Geschichte und freute sich, für die Lysisca zu gelten.
Dann trat der erste Besucher ins Gemach.
Und sie kamen einer nach dem andern, alte und junge, schüchterne und wilde, Narren und Tolle, kaum daß sich der Knecht eine Pause schaffen konnte, um das Wasser aus dem roten Krug über die Fliesen gießen zu können, das Hingespiene wegzuschwemmen, oder die Schmuckmagd Fett und Puder bieten konnte für das zerstörte Gesicht und die Blutmale am Leibe der kaiserlichen Dirne. Gegen den Morgen zu taumelte ein betrunkener Centurion in die Kammer. Er stahl ihr was Messalina die Nacht über verdient hatte. Und als sie laut nach dem Lupanarius schrie, warf er sich über sie, daß die erzenen Buckel seines Wamses sich in ihr Fleisch gruben und sie schon dachte, sie ließe das Leben.
Es dämmerte, als sie aus dem Atrium in die Kneipe sich schleppte. Niemand war mehr da. Mnester lag schlafend auf einer Bank, verfallen und nichts als ein alter Jude.
Tacitus, Juvenal und Flavius Josephus geben den Klatsch für Wahrheit, indem sie sagen, daß Messalina fast jede Nacht in diesem Bordell zubrachte und den Platz jenes Mädchens Lysisca einnahm. Dio Cassius berichtet nur von einem einzigen Mal, was die Wahrscheinlichkeit für sich hat. Messalina riskierte das Abenteuer eines Einfalles. Aber sie war keine Pedantin, wie Juvenal ein Pedant war, der zudem ein grausliches Latein schrieb. Die pornographische Phantasie der Entrüsteten schwelgt in Vorstellungen der Quantität um so lieber, als ihnen jedes und auch das kleinste Quantum fehlt, das ihnen zur Kontrolle dienen könnte. Die Qualität einer Ausschweifung sehen sie daher nur in der unendlichen Wiederholung eines Aktes. Aber nie ist ein Mensch eine monströse Maschine.
Messalina hatte in dem jungen Konsul Gaius Silius einen Gegner, den sie fürchtete. Er bemühte sich um Popularität und bekam sie, als er vom Senat die Ausführung der alten Lex Cincia forderte, welche Advokaten verbot, Geld und Geschenke anzunehmen. Messalina hatte sich schon öfter solcher gekaufter Advokaten bedient. Versuche der Kaiserin, Caius Silius ums Leben zu bringen, waren mißglückt. Da es mit dem Haß nicht ging, mußte es der Liebe gelingen. Der Konsul galt als der schönste Mann in Rom.
Dieser Mann verfolgte sie, indem er schlecht von ihr sprach; er war also kühn; aber was war er für ein Mann, daß er ihrer Schönheit widerstand? Sollte die Tugend eine Macht sein und nicht nur das Gerede impotenter Greise? Messalina interessierte sich für diesen jungen Silius. Sie empfing ihn. Er verteidigte sich mit schöner Würde, als sie ihm seine Unklugheit vorwarf, sie öffentlich anzugreifen. Aber er erlag, als er Abschied nehmend sich erhob und Messalina auf dem Lager ihr Gesicht in den Schleier hüllte und dabei ihr nacktes Bein zeigte.
Caius Silius war Messalinas erste Liebe. Sie konnte kaum eine Stunde ohne ihn sein. Schickte nach ihm, wenn Claudius abwesend war, oft mitten in der Nacht, und Silius kam, ließ seine junge schöne Gattin. Oft holte ihn mitten aus einer Sitzung des Senats ein kaiserlicher Befehl: er kommt und die Arme Messalinas erwarten ihn. Fahren sie über Land, verlassen sie das Fahrzeug, um sich in einem Graben am Wege zu besitzen. Bisse in sein Fleisch sollen seiner Frau Junia Silana sagen, daß er sie betrüge. Sie zwingt ihn zur Trennung. Eine andere Frau, die sich einmal der Gunst des Silius erfreut hatte, verbannt sie aus Rom. Eine, die sich dessen rühmt, läßt sie vergiften. Und die Lust kommt über sie, daß ganz Rom von ihrer Liebe erfährt. Zuerst sagt sie es dem Claudius; der dazu lacht. Dann den Vertrauten und Freigelassenen, den Dienerinnen. Jenem Vitellius zeigt sie die Liebesmale an Brust und Schultern. Im Zirkus stützt sie den Arm auf Silius' Nacken, flüstert ihm zu. Fährt sie des Abends über das Forum, müssen die Trompetenbläser vor ihrem Wagen den Namen ihres Geliebten ins Volk rufen. Calpurnia und Cleopatra, ihre Dienerinnen, macht sie hinter einem Teppich versteckt zu Zeugen ihrer Umarmungen. Vor allem Volke des Reiches: sie will Silius heiraten. Sagt dem Claudius, ein Traum habe ihr den Tod ihres Gatten verkündet, und daß man das Schicksal betrügen müsse, indem sie durch eine Scheinheirat mit Silius das Unheil auf dessen Haupt bringe und damit das Leben des Kaisers rette. Claudius sagt nicht nein und begibt sich nach Ostia, um die Ankunft eines Getreidetransportes zu überwachen als ein braver besorgter Beamter seines Volkes. Messalina plündert den kaiserlichen Palast und läßt alles in das Haus des Silius schaffen. Nach allen Riten und unter Assistenz vieler Freunde und Zeugen findet die Hochzeit statt.
Vielleicht sah der junge Silius keinen andern Ausweg aus diesem gefährlich werdenden Abenteuer, als in der Beseitigung des Claudius und Kaiser zu werden an dessen Stelle. Er war aus bester Familie und beliebt im Volke. Aber jung vertraute er mehr seinem Stern als guten Vorbereitungen des Anschlags, auch wenn er dazu mehr Zeit gehabt hätte als ihm Messalina ließ. In deren Bett verlor er den Kopf.
Alle Beamten des Staates und der Stadt kamen ja glückwünschend vor das Haus der neuvermählten Kaiserin. Aber die Vertrauten fehlten. Das Volk brüllte Thalassio! und bekam Geld und Wein. Morgen würde man den Staatsstreich ausführen. Rom ist für sie, scheint es ihnen. Diese Nacht soll nur dem Feste gehören. Vor allem Volke soll Silius sie auf dem Rasen besitzen! Aber die Gäste verliefen sich, einer nach dem andern. Sie hatten verdachtschöpfend die Abwesenheit jener bemerkt, denen Claudius sein höchstes Vertrauen schenkte. Der grobe Servinius ließ, da er keinen Vorwand fand, Messalina mitten in einem Gespräch stehen und rannte davon. Im Palaste gab es hastiges Laufen und Türenzuschlagen: selbst die Sklaven verließen das Haus. Und mitten in der Nacht kam Botschaft, daß die Reiter aus Ostia eingetroffen wären: der Kaiser wußte alles und war auf dem Rückweg nach Rom. Caius Silius sagte, er wolle morgen im Senat Erklärungen abgeben und ging heim. Auch mit seinen Freunden wolle er sich beraten. Messalina suchte den Schlaf auf einem einsamen Lager.
Als Claudius in Baiae die sichern Zeugnisse seiner Leute bekam, schrie er und heulte aus Angst, aus Wut, aus nicht wissen, was tun. Er lief vom einen zum andern, fragte, ob nun, da der die Kaiserin geheiratet habe, der Silius nicht Kaiser wäre? Ob man nicht fliehen solle? Der Freigelassene Narcissus – einmal hatte ihn die Gunst der Messalina getroffen und Spott war sein dauernder Lohn für seine betrügerische, nichts haltende Schönheit gewesen – rettete die Situation. Er ließ sich das Kommando der Kohorten mit jeder Gewalt geben. Und marschierte auf Rom zu.
Messalina erwachte in einem leeren Hause. Sie mußte Claudius vor seinem Einzug in Rom sprechen: das war die Rettung. Sie mußte ihm entgegen. Aber nicht Pferd, nicht Wagen war im Haus, und kein Diener zeigte sich. Sie stürzte auf die Straße. Suchte einen Wagen. Die Straßen waren leer. An einer Ecke stieß sie auf einen Karren, der den Dreck der Stadt in einem Behälter sammelte und wegführte. Dem Kutscher, der sie nicht fahren wollte, entriß sie die Geißel. Und fuhr los, die Straße nach Ostia, über die Tiberinsel am Tempel des Äskulap vorbei.
Reiter, die dem Wagen unmittelbar vorausgaloppierten, in dem Claudius saß und ihm zur Seite Narciß, verlangsamten ihren Galopp in der Nähe der Stadt. Da rief ihnen ein Weib, das neben einem gestürzten Mistwagen stand, Halt zu mit dem kaiserlichen Zeichen der Hand. Narciß begriff. Und er gab mit einer Geste den Hornbläsern Befehl, zu blasen und dem Claudius das Täfelchen, auf dem alle Namen von Messalinas Liebhabern geschrieben standen, drückte seinen Kopf im Nacken hinunter, damit er lese. Denn Claudius sträubte sich. Ist denn das möglich? stotterte er und versuchte einen Blick auf Messalina, die staubig und be1schmutzt und zerfetzt mitten auf der Straße stand inmitten der Trümmer eines Wagens, der Abfall, Kot und Kehricht entleert hatte.
Silius und seine Freunde fanden, was sie sich als Gnade erbaten: den Tod auf der Stelle. Für Messalina wollte die Mutter sprechen, auch Britannicus und Octavia. Narciß ließ sie nicht vor Claudius erscheinen. Messalina könne sich gut selber verteidigen. Claudius wünschte, daß sich Messalina am nächsten Tage vor ihm verteidige. Narciß wußte, diese Verteidigung bedeute sein Todesurteil. Darum gab er, als er das kaiserliche Gemach verließ, sofort den Befehl an den Tribun der Garde, Messalina auf der Stelle zu töten. Und hieß einen ihm ergebenen Freigelassenen namens Evodus jener folgen, um sich zu vergewissern, daß der Befehl ausgeführt werde.
Messalina war bei der Mutter. Das Laub im Garten vergilbte herbstlich, aber Messalina war voll Lebens und hoffte. Geräusch ließ sie ins Gemach blicken. Da stand Evodus, der den Soldaten vorausgelaufen war, um die Frau vor dem Tode zu beschimpfen. Da, bei dem Anblick dieses Menschen, gab sie die Hoffnung auf. Dieser gelehrte Schreiber ihres Mannes, dieser häßliche kurzgesichtige Mensch mit der gekrümmten Schulter war, das wußte sie, ihr Todesverkünder. Da ihm der Haß die Rede in den Mund hinunterdrückte, riß er Messalina die Stola vom Leibe und schlug auf die bloß werdende Brust. Sie stöhnte auf vor Schmerz. Der Tribun war hinzugekommen und riß den Burschen weg, sagte etwas von der lautloseren Gerechtigkeit des Cäsar. Lepida, die Mutter, hatte ihrer Tochter einen Dolch gegeben, den sie unter dem Gewande verbarg. Der Tribun hieß die Soldaten den Evodus hinausschaffen und wandte sich wartend, schweigend ab. Messalina setzte den Dolch an die Brust. Noch einmal. Und wieder. Sie konnte nicht. Ein bißchen Blut floß aus einer kaum geritzten Wunde, und sie schauderte davor und barg ihr Gesicht in den Schleier. Da näherte sich ihr leise der Tribun von hinten. Mit einem Hieb seines Schwertes schlug er Achsel und Leib durch. Messalina brach zusammen. Eine reglose Flaumfeder vor ihren offnen Mund gehalten, aus dem das Blut quoll, überzeugte den gewissenhaften Beamten und er entfernte sich mit den Soldaten.