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Caterina von Siena

Jedes Kind der kaum verändert mittelalterlichen Stadt weist dem Fremden Weg und Stiege zur kleinen Behausung der Santa Donna, erzählt unterwegs wohl auch die Legende, wie der Teufel, der die fromme Nonne versuchen wollte, von ihr abgeschlagen wurde und samt seinem Topf voll richtigem Höllenfeuer die Flucht ergreifen mußte vor so viel Heiligkeit. Der Heutige sieht sich in diesen dürftig-kahlen Räumen, eng wie Zellen, um, erblickt das vielleicht ein Jahrhundert nach ihrem Tode hereingeschaffte mit Nägeln gespickte Lager, und nur das Erbarmen mit einer Kranken, wie er meint, läßt ihn das Lächeln unterdrücken über Menschen einer Zeit, die als heilig erkannten, wofür er, ein aufgeklärtes Kind des zwanzigsten Jahrhunderts, so einfache Deutungen hat, daß sie jedem Assistenzarzt eines Spitales geläufig sind.

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2. Caterina von Sienne. Nach einem Gemälde von Francesco Vanni

Aber das Leben der heiligen Caterina war nicht umschlossen und ist nicht beschrieben mit der Askese, die sich selber genügt und ein Ziel schon ist, wo sie ja nichts als ein Mittel bedeutet und nicht nur eines zu kontemplativem Leben oder mystischer Versunkenheit in Gott. Wäre diese Sienesische Nonne um nichts weiter besorgt gewesen als darum, die eigene Seele zu retten, sie wäre aufgegangen in der großen Zahl der vergessenen Frommen, deren die heilige Legende voll ist. Ein kurzer Dornenweg durch das irdische Dasein hätte sie, erbauliches Beispiel für Nachbarn und Freunde, in das lilienbesteckte Paradies ihrer gotterfüllten Sehnsucht gebracht, wie es vielen geschah, die Furcht vor dem Leben zur Flucht aus dem Leben zwang und denen die kurze Spanne offner Augen zwischen Geburt und Tod nur eine Schrecknis bedeutete voller Versuchung. Aber derart lief das Leben der Caterina Benincasa nicht ab. Sie starrte nicht in der Klause, sondern stand auf der Zinne; sie wartete nicht im Dunkel, sondern wirkte im Licht. Sie ließ nicht ein kleines Leben ersterben, sondern opferte ein großes Herz. Was Dante und Petrarca mit der Macht ihres großen Wortes vergeblich versucht hatten, das gelang der eigensinnigen Güte der Nonne, und war das Wunder, um dessentwillen sie die große Heilige ist.

Als ob sich die Menschen mit ihrer Fruchtbarkeit gegen die Pest hätten wehren wollen, die im Jahre 1348 allein in der sienesischen Landschaft achtzigtausend Menschen hinraffte: als siebentes Kind gebar Lapa Piagenti ihrem Manne, dem Färber Jacopo Benincasa zu Pfingsten 1347 Caterina und brachte nach ihr noch siebzehn Kinder zur Welt, über welcher Welt die schwarze Faust eines Todes lag, die wie die zürnende Hand Gottes aus dem Himmel kam und auf die Knie zwang. Nichts blieb als die beleidigte Gottheit durch das Gebet um Erbarmen zu bitten. Kein persönliches Anliegen war mehr das Gebet, sondern der ganzen Christenheit Sache. Gottes Zorn traf mit diesem Strafgericht nicht den einzelnen Sünder, sondern jeden und alle. Auf der Christenheit lag Schuld und von ihr auf jedem einzelnen. Die mittlere Zeit kannte den Sündenbock nicht, der mit der Last der Sünde in die Wüste geschickt wird. Die nur Gott verbundene Freiheit des einzelnen ließ sich nicht vertreten.

Die Sechsjährige sah in einer Vision Christus, von Paul, Peter und dem Evangelisten Johannes begleitet, und der Herr hob segnend seine Hand. Das mag Legende sein, die schon das Kind auszeichnen wollte. Aber auch naturalistische Erklärungen mögen Recht haben. Doch sind sie gleichgültig. Nach Tiefe und Breite durchaus vom Religiösen bestimmte Form des Lebens der Gesamtheit hat auch im Einzelnen dieses Zeitalters kein anderes Achsensystem als eben das religiöse. Den es nicht bestimmt, der fällt aus jeder möglichen und denkbaren Welt. Das wirkte sich noch in jenen aus, die als vom Teufel besessen nach der Rettung durch den Feuertod schrien.

Das Kind entlief, der Bilder von Eremiten voll, dem Hause, um in der Wüste zu leben. Nur ein Brot nahm es mit, denn die Vögel würden ihm Nahrung bringen. Dort, wo es vor Müdigkeit umsank, glaubte es das Ende der Welt. Der Vater holte zum Abend das Kind aus der Wüste.

Mit dem erreichten zwölften Jahr sollte sich Caterina schmücken und wie eine Dame sein, denn die Eltern wollten sie verheiraten. In der Beichte beschuldigte sie sich leerer Eitelkeit, und Frater Raimondo, der sie ihr abnahm, sagte ihr, eine Blume im Haar und ein seidener Gürtel seien gar geringe Sünden. Aber streng wies den duldsamen Priester das Kind zurecht: »Herr mein Gott! Was für einen Beichtiger hab ich mir da ausgesucht! Er sieht meine Sünden nicht!« Der andere, zu dem sie ging, war vorsichtiger und riet ihr, sich das Haar abzuschneiden und sprach von den geschickten Fallen, die der Böse lege, indem er unschuldigen Seelen das religiöse Leben gar verlockend hinstelle. Das Haar fiel. Und im Traume erschienen der kleinen Caterina die großen Gründer der mönchischen Orden, aber alle, die Unterwerfung unter die Regel und Vergessen der Welt forderten, Johann von Carmel, Benedikt, Franz von Assisi ließ sie vorübergehen, um gegen den weißgekleideten Dominikus die Arme auszustrecken, und er neigte sich ihr zu und warf lächelnd um die Schultern des Kindes den schwarzen Mantel der Mantellate, der Hospitaliterschwestern der Penitenz, die dem Predigerorden angegliedert sind. Aber es mußten ihr die Pocken zu Hilfe kommen, auf daß die Eltern, die eine weltliche Braut schmücken wollten, nachgaben ihrem Willen, eine himmlische Braut zu werden.

Die Schwestern vom dritten Orden des Dominikus, Witwen und alte Damen, weigerten sich, das junge Ding von fünfzehn Jahren aufzunehmen, von dessen Temperament sie die Störung ihres Altersfriedens befürchteten; von ihrer Schönheit drohte ja keine Gefahr, denn die hatte sie verloren und nur die melancholische morbidezza behalten, die Sodoma so gern malte. Tränen und Bitten erzwangen das Mitleid der alten Frauen und den Einlaß.

»Gott hat mich erwählt und auf die Erde gestellt, auf daß ich einem großen Übel das Heilmittel bringe«, ließ die dieser Kunst noch unkundige junge Nonne aus dem Kloster an ihre Mutter schreiben, dessen strenge Regel sie für sich noch strenger machte durch Fasten und Schweigen, um nichts als ihre Seele zu nähren und ihrer geistlichen Stimme die große Kraft zu geben.

Fünfzig Jahre zuvor hatte Dante das im Blute watende Italien seines Zeitalters, die Herberge des Schmerzes, verflucht. Nun war Petrarcas große Stimme verstummt, – und in das Erbe seines geistigen Primates trat dieses Mädchen-Kind wie eine Beauftragte Gottes, trug den Ölzweig des Friedens in eine zerrissene Christenheit, deren Oberhaupt im Exil lebte und deren weltliche Herren wie die Teufel hausten, geil und gefräßig sich an den letzten Gerichten einer sich lösenden Tafel den Bauch vollschlugen, denn an die Türen pochte schon eine neue Ordnung. Aus der Verwirrung tönte die Stimme, die gnadenbeschenkte, der Nonne in der Zelle und die Herren mit feinerem Gehör lauschten ihr respektvoll und die Knechte und Armen hörten sie mit den Herzen. Hörten das lang nicht mehr vernommene evangelische Wort von den Mühseligen und Beladenen und jenen, die um der Gerechtigkeit willen leiden. In dieser Zeit, welche man die mittlere nennt, war nur das Wort Gottes entscheidend, wie alles Wirken und Tun der Menschen im Kleinen wie im Großen gottbestimmt war und jede Macht von ihm kam. Caterina war eine Beauftragte Gottes: keiner konnte daran zweifeln. Jeder Schritt, den sie tat, bewies es, jedes Wort, das sie sprach, und schon der Blick ihres Auges. Die um die Beute uneinigen und sich raufenden Herren von Siena beugten sich ihrem Schiedsspruch, und der wegen Hochverrates zum Tode verurteilte Peruginer Nicola Tuldo, der seine Richter und Gott verfluchte, fand bei ihr die Ruhe seines Herzens und lächelte, als er den Streich empfing, sein Haupt zwischen ihre Hände gebettet.

Urban der Fünfte, der französische Papst und gelehrte Benediktiner, verließ sein Exil und zog in Rom ein. Das Haupt der Christenheit wieder an seinem rechten Platze, schien die unselige Zeit zweier, dreier gleichzeitiger Päpste beendet und die geheiligte Ordnung wiederhergestellt. Den falschen Petrus-Akten nachgemacht lief aber schon da das Wort um, das den König von Frankreich den Papst fragen läßt: Domine, quo vadis? Antwortet der Papst: Romam. Sagt der König: Iterum crucifigi. Urban liebte die Italiener nicht. Da er noch Kardinal war, hatte ihn Innozenz VI. zu Barnabo Visconti, den Feind des Papstes, geschickt, und der Tyrann hatte ihm den päpstlichen Brief zurückgegeben und gesagt: »Schling den Brief hinunter, Abt, oder du bist des Todes.« Und er tat was der Visconti verlangte. In Rom schlugen sich die adeligen Parteien die Köpfe ein und dabei auch den eines Papstes unter ihre Beile zu bekommen, machte ihnen nichts aus. Und die französischen Kardinäle hatten Heimweh nach ihren Avignoner Palästen und den ruhigen Gassen, in deren Rinnsalen nicht jeden Tag frisches Blut über gestocktes floß. Nach drei Jahren hatte der Papst genug von Rom, und denen, die ihn in Montefiascone einholten und baten, umzukehren, sagte der geistreiche Mann: »Seit willkommen, meine Kinder. Der Heilige Geist hat mich nach Rom geführt, und der Heilige Geist läßt mich um der Ehre der Kirche willen wieder aus Rom heraus.« Als nach dem Tode des um die Weltmacht der Kirche kämpfenden und erliegenden Achten Bonifaz, es war zu Anfang des Jahrhunderts, die Macht Philipps des Schönen den päpstlichen Sitz nach Avignon verlegte, hielt man das für die beste Politik, wie sie der Augenblick verlangte. Aber nicht nur die französische Politik, sondern die Päpste selber gaben dem Exil Dauer. Sie erinnerten sich, daß die Römer fast mit allen ihren Päpsten seit Karl dem Großen außerordentlich schlecht verfahren waren und daß sie um ihr von den römischen Baronen und weltlichen Herren bedrohtes Leben zittern mußten. So vollzogen sie den Exodus, und nahmen den Fluch der Römer auf den Weg mit, der sie mit den Simonisten in dieselbe Hölle warf, mit dem Kopf voran. Es gab nichts, was man in Italien den Avignoner Päpsten im Leben wie im Tode nicht nachgesagt hätte in Verleumdungen und Schmähungen. Jeder Papst, den man in Rom gehabt hatte, war nun, und mochte er das Evangelium auf den Kopf gestellt haben, ein heiliger Mann, und jeder Avignoner Papst ein Verbrecher, ein Esel, ein Trunkenbold. Machte sich doch selbst ein Mann wie Petrarca über den sechsten Innozenz ein bißchen lustig, trotzdem er dem Freunde Benefizien und Kanonikate zu danken hatte, da er von ihm erzählte, daß er Virgil für einen Magier und ihn selber für einen Zauberer halte. Und was Petrarca in diesen letzten Jahren seines Lebens sagte, darauf hörte Italien wie auf das Evangelium. Er war dem Rienzo der große Helfer gewesen, als dieser die Volksrepublik, den Buono Stato, errichten wollte; er war der Friedensrufer im Bürgerkriege gewesen Io vo gridando pace! pace! pace! und suchte dem Kaiser oder dem Papst, der seinem geliebten Rom, das ihm den Dichterlorbeer aufs Haupt gesetzt hatte, die Herrschaft über das Abendland zu geben. Man lauschte der Stimme des Sterbenden, aber sie weckte nicht ihren eigenen rein klingenden Widerhall, sondern verwirrte nur noch mehr die verwirrte Situation. Petrarca sprach als Dichter, als Literatus, als Archeologe. Er lebte im antikischen Rom, wenn er vom Tiber als dem heiligen Fluß sprach und als von Barbaren von allen nicht-italischen Völkern, und daß diese Barbaren, auch die Franzosen, die mildesten unter ihnen, die Sklaven Roms seien, die sich durch eine geglückte Revolte vom Joch befreit hätten und sich alle italischen Stämme vereinen müßten, um sie wieder an die antike Kette zu legen. Diese rethorische Übertreibung des römischen Primates mußte der Christenheit gefährlich werden, denn Rom, das bedeutete ja nichts mehr sonst als den Papst. Wenn auch das Volk in der Provençe das Sprichwort hatte: Rom ist dort, wo der Papst wohnt. Was war das wirkliche Rom dieser Zeit? Siebenzehntausend über die sieben Hügel verstreut lebende Bewohner, ohne Handel, ohne Gewerbe, ohne Hafen, ohne Felder, ohne Reichtum. Erschöpft von der Pest, dem Hunger, den Straßenkämpfen der Colonna und Orsini, enttäuscht aus seinem schönen Traum erwacht, den es mit Rienzo geträumt hatte. Rom ohne Papst, – das war dann nichts als ein kleines italisches Städtchen. Rom ohne den Herrn über die Welt, das war dann nichts als Beute eines Orsini oder eines Colonna. So tat Rom nicht mit, als Florenz im Bunde mit dem Tyrannen Visconti die blutrote Fahne mit den darauf gestickten Worten Libertas entfaltete und Italien zum Kriege gegen die Kirche aufrief, deren fremde französische Legaten Rom und die Kirchenstädte bedrückten und plünderten. Tyrannen wie Stadtgemeinden, Welfen wie Gibellinen schlössen sich dem Banner an, achtzig Städte Italiens widerhallten vom Rufe: »Tod den Pfaffen! Es lebe die Freiheit!« Priester wurden gefangen, lebend begraben, in Stücke gerissen. Perugia zwang seinen Legaten zum Abzug, die Romagna, die Marken, Umbrien, Assisi, die Campagna ließ die rote Fahne flattern. Nur Rom widerstand dem Sturm, so eindringlich auch die florentinische Signoria an das römische Volk schrieb über die Gallici voratores, die ausgehungerten gefräßigen Franzosen im Lande. Gegen die Kirche und die Franzosen: da wären die Römer schon mitgegangen. Aber gegen den Papst in Rom und für den in Avignon, das hätte, so wußten sie, ihr Ende geheißen und Beute Neapels zu werden oder des reichen Florenz. Und hatte nicht eben dieses Florenz in seinem Stadtegoismus Rom im Stich gelassen, damals, zu Rienzos Zeiten? Rom wollte seinen legitimen Papst zurück haben, den blassen milden Mann, der in Avignon residierte. Und zaudert er noch länger, dann mag das große Schisma kommen und ein nach antikem Privileg durch Akklamation des römischen Volkes gewählter Papst. Rom wollte aus nichts als politischen Gründen seine Angelegenheit so ordnen wie es sein Interesse verlangte und das war so und so mit dem Papst verbunden und mit nichts sonst. Vom nichts als religiösen Standpunkte war ja nichts zu sagen gegen die französischen Päpste, sie venerierten das Dogma wie es geschrieben stand und waren moralisch sauber, wenn auch ein bißchen einfältig in ihrer pedantischen Scholastik und zu abhängig von der Pariser Universität, mehr der simplen Glaubenspraxis zugeneigt als der Ekstase, also ein bißchen trockenen Herzens, ohne Verstand für die feineren Dinge und ohne Geschick in der Leitung der Herde durch gut abgerichtete Schäferhunde. Davon konnte man ja die Wirkung sehen im Abfall an allen Orten, im Auftauchen solcher Schwarmgeister wie der Pariser Adamiten, der dalmatischen Patariner, der halb islamitischen ungarischen Begarden, der deutschen Flagellanten, die alle Italien überschwemmten.

Aber daß der Papst in Avignon residierte und nicht mehr ihr Papst und ihre Stadtherrlichkeit war, darum ging es allein den Römern. Wie lange noch, und der ungenähte Rock Christi ist in viele Stücke zerrissen? Wie oft schon war die deutsche Christenheit den Gegenpäpsten gefolgt! Und die spanische Kirche, immer mit ihrem arabischen Kreuzzug beschäftigt, hatte sie nicht in ihrem Gegenpapst Peter von Luna, Benedikt XIII., gezeigt, wessen sie in ihrer stupiden Hartnäckigkeit fähig war? Fünf römische Päpste, Frankreich und das Reich hatten diesen Benedikt exkommuniziert, nichts mehr besaß er als einen Felsenturm an der Küste von Valencia und er exkommunizierte seinerseits fünfzehn Jahre lang alle Kirchen und Könige. Auf seinem Sterbebett ließ er seine drei spanischen Kardinäle schwören, daß sie als Konklave vereinigt ihm einen Nachfolger wählen.

Wo waren aber die Frommgläubigen, wo die Menge der Fraticelli und Spiritualen, die einst mit Franz von Assisi gegangen waren, nach seinem Worte zu leben? Die, im Jahre 1200 war es, mit dem Abt Joachino de Fiore die Morgenröte des kommenden dritten Reiches gesehen hatten, das seine Prophetie verkündet und an das die Franziskaner mit Johann von Parma geglaubt hatten und das Frater Jacopone hymnisch besang unter dem achten Bonifacius, auf dem Scheiterhaufen und in den Gefängnissen der Inquisition? Einmal schon hatten sie an die Erneuerung des Bündnisses zwischen Gott und der Menschheit, daß sie anhebe, geglaubt, damals, als man den in Lumpen gehüllten menschenscheuen Eremiten in einem phantastischen Enklave zu Perugia zum Papst wählte, als Cölestin V., und ihn, dem über seinem härenen Gewand die goldene Sutanella hing, auf einen Esel setzte und unter einer Cortege von Adel und Volk und wilderregten Einsiedlern nach Aquila zur Krönung brachte und von da nach Neapel, wo er sich ganz verschüchtert und erschreckt in einer Zelle verbarg und bald darauf, erdrückt von seiner Erhöhung, die dreifache Krone ablegte, daß das Volk von Neapel vor Wut und Schmerz aufheulte, denn gerade von diesem Einsiedler hatte es das große christliche Wunder erwartet. Das nicht eintraf, sondern die revolutionäre Auflösung. Die Abkehr von der Weltlichkeit einer Kirche, die in ihrem Oberhaupte nur bedrückte, wie es die Bischöfe taten, die Ordensgenerale, die Konzilien, die Inquisition. Diese versprengten Frommen, die ohne Kirche beten wollten, ohne Politik selig werden, ohne Kirche, ohne Liturgie und ohne Priester, diese nichts als geistige Gemeinschaft einzelner ohne irgendwelche irdische Bindung, sie hätten in dieser Zeit von Urbans Gran rifiuto vielleicht einen Gegenpapst gewählt, der ganz außerhalb der päpstlich-römischen Tradition diese für alle Zeiten gebrochen und die Kirche wie sie geworden zum Ende gebracht hätte, zum apokalyptischen Ende, nach der Prophezeiung des Joachim, daß das dritte Reich und sein Anbruch daran erkenntlich sein werde, daß die sekuläre Kirche zusamt dem römischen Pontifikate falle. Das dritte Reich: das ist jedermanns Christentum nach eigener Art, auf eigne Faust, die permanente Revolte des Dolcino von Navarra, des Segarelli von Parma, des Marsilius von Padua. Die weltlichen Tyrannen unterstützten solchen religiösen Rigorismus, der die Kirche zerstören mußte, zu deren Traditionen es gehörte, die kommunalen Parteien gegen die aufkommenden Stadttyrannen zu unterstützen. Diese konnten in der niedergemähten Saat der Kirche ernten in vollen Wagen. Barnabo Visconti hätte den Antichrist zum Papst gemacht, um der Schrecken Italiens zu bleiben und der Herr Mailands. Nicht anders der Tyrann Gambacorti von Pisa und alle andern Herrn der italischen Städte, die mit der alten Bürgerfreiheit der Gemeinden ein Ende machten.

Der elfte Gregor zauderte, von Avignon nach Rom zurückzukehren. Noch eine kleine Weile und das große Schisma wird Tatsache. In diesem äußersten Jahre 1375 hat sich Caterina, nachdem sie in Siena die Pestkranken gepflegt, nach Pisa begeben, von ihrem Beichtiger Raimondo begleitet, von Predigermönchen und einigen frommen Frauen, und wurde mit hohen Ehrungen empfangen. In der Kirche der heiligen Christine sank sie in ekstatische Agonie und wies die Wundmale an Händen und Füßen. Bei den Zisterziensern predigte sie über die Versuchungen.

Sie wies die Zeichen der Begnadung, wie viele vor ihr. Aber war sie nur die ausgezeichnete Magd des frommen Lebens? Das war notwendige Voraussetzung ihres Wirkens, dem sie die Mittel finden mußte, gewiß immer unter dem Beistand Gottes, doch auch mit den Werkzeugen eines praktischen Verstandes. Der zerfallenden Christenheit des Landes und der Völker wieder die Einheit zu geben, erinnerte Caterina – das Mittel war damals neu – an den gemeinsamen äußeren Feind, die Türken, und versuchte die Dynasten und Tyrannen unter der geistlichen Führung des Papstes für einen Kreuzzug zu begeistern. Aber schon vor hundert Jahren waren diese Kreuzzüge nicht populär in Italien gewesen, außer bei den Hafenstädten, deren Kaufleute immer gern bereit waren, ihre Frömmigkeit in einem Unternehmen wirkend sein zu lassen, das ihren Orienthandel förderte und unter den Schutz der Waffen stellte. Caterina verliert keine Zeit an dieses Mittel äußerer Politik. An den Widerständen, die es findet, erkennt sie rasch seine Untauglichkeit, läßt ihm nichts als symbolischen Wert und geht direkt auf das zu, was not tut. Sie hatte es vermocht, mit unsäglichen Mühen, daß die Lucchesen und Pisaner Ruhe und Frieden zu halten versprachen, aber »sie sind in arger Bedrängnis ihrer Gefühle, denn sie haben von Euch keinerlei Trost und jene, die Euch entgegen sind, reizen sie zum Bündnis gegen die Kirche«, – so schreibt sie in ihrem ersten Briefe dem jungen Papst Gregor XI. nach seiner provençalischen Residenz, schreibt ihm ohne Scheu, weil im Namen Gottes, voll Strenge und voll Herzlichkeit, spricht ihn zärtlich an babbo mio, wie ein Kind, legt ihm die Hand aufs Herz, grollt ihm, bittet um den Segen. Ihre Briefe an die Päpste sind voll dieser zarten Symbolik, wie sie Petrarcas Jahrhundert liebte, dessen Lieblingsbuch der allegorische Roman de la Rose war, aber über dieses dem Zeitstil religiöser Rethorik Gehörende haben sie das Eigene der Schreiberin, die gar nicht gelehrt tut und ganz ohne Bibelzitate auskommt, denn ihr Weinen und Bitten braucht sich nichts bei Ezechiel auszuleihen. Von der christlichen Schafherde, dem schönen Garten der Kirche spricht sie, der so würzig ist, wenn der Gärtner nur darauf achthat, das Unkraut zu entfernen. »Verzeiht meiner Anmaßung, daß ich Euch solches schrieb und heute schreibe, aber die oberste Wahrheit gebietet es mir, so zu sprechen. Es ist Sein Wille, Vater, der Euch befiehlt.«

Die Kraft dieser Nonne muß eine außerordentliche gewesen sein, daß sie ihrem Worte solche Resonanz geben konnte. Wie sie innerhalb aller politischer und persönlicher Wirrnisse unbeirrt und sicher immer den Finger an die Stelle legte, aus der allein Heilung und Entwirrung kommen könne, das ist, weil sie wahrhaft in Gott steht, im Unbedingten des nicht zu erschütternden Glaubens. Der Papst lächelte nicht, er erzitterte, wenn sie ihm schrieb und riet, die Tiara vom Haupte zu nehmen und abzudanken. Und ihm mit feinster Diplomatie bewies, warum er dies zu tun habe. Aus der Kraft ihres Glaubens hatte sie höchste Kraft ihres Verstandes. »Sie las in den Gewissen, sie kannte die Neigung und Anordnung der Geister wie andere Leute aus den Zügen des Gesichtes lesen; sie entdeckte die geheimen Gedanken eines jeden, der sie besuchte«, ist das Zeugnis, das ihr Schüler Stefano Magoni von ihr ablegte. Was schrieb sie den Päpsten, was wollte sie von ihnen? Ja, auch den Kreuzzug gegen die Türken, aber das sei jetzt nicht das wichtigste. Nach Rom zurückkehren, ja, auch dieses könnte glücken. Aber das Wichtige sei, als wahrhafter Herr die päpstliche Herrschaft zu übernehmen und als ein wahrhafter Hirt mit der Reform der Kirche beginnen, mit den Kardinälen und Prälaten vor allem. Denn dieses sei die große Not und sei es, seit Gregor VII. und Petrus Damianus in wilderen Zeiten solchen Plan faßten, aber nicht ausführen konnten, aber zahllose gemeine Christgläubige – wie die Fraticelli, die Patarer, die Arnoldisten, die Joachimiten darüber sich dem päpstlichen Stuhle entfremdeten, daß sie solche Reform der Kirche von sich aus unternahmen und darüber zu Sekten wurden, nicht selten zu Schwärmern, die mit einem evangelischen Rigorismus jede Form diesseitigen Lebens unmöglich machten, im Einsiedlertum abstarben oder sich in Aufständen das Leben nahmen. »Mein Reich ist nicht von dieser Welt«, – um die Achse dieses Satzes kreiste die Kirche im ewigen Paradox ihres Widerspruches. Wie anders sollte die Kirche Herrin über die Christenheit bleiben und so das Leben Christi fortsetzen, als indem sie sich auch als politische Macht etablierte, inmitten dieses von Kämpfen zerrissenen Italien sich einen immer prekären Sitz schuf, einen feudalen Sitz, um sich gegen den römischen Feudalismus zu behaupten? Aus Rom eine Stadt-Kommune machen mußte, als die Zeit solcher politischer Gebilde da war? Ein Stück Land um den Stuhl Petri, – es zu behaupten hat grauenvolle Kämpfe gekostet, immer unter dem Banner, auf dem jene Worte vom Reiche standen, das nicht von dieser Welt ist. Die Kirche hat die Gefahren solcher Herrschaft nicht vermeiden können. Die Weltlichkeit der sichtbaren Kirche besiegte die Geistlichkeit der unsichtbaren. Sie erlag der Habgier nach Reichtum, nach Macht, nach irdischer Herrschaft. Nun waren die alten Stadtkommunen überall in Auflösung, die Stadttyrannen kamen zur Macht, gründeten ihre Herrschaft, und die großen Tyrannen waren schon die kleinen.

Inmitten solcher Umgestaltung der alten italischen Staatenwesen zu denen jenes Principe nuovo, für dessen Realpolitik der Macht Machiavelli dann die Formel aus den geschauten Beispielen gab, konnte die geistliche Unabhängigkeit der Kirche sich nur durch einen weltlichen Kirchenstaat behaupten. Ihn zu isolieren waren die Bischöfe Roms bis zu den letzten Päpsten des 15. Jahrhunderts beschäftigt, sehr geschwächt in ihrer Macht durch das Schisma und durch die Konzilien. Wie sollte sich bei solchem Zustand der Heilige Stuhl wirkungsvoll mit der Kirchenreform befassen können! Nicht jetzt und auch nicht über hundert Jahre später war er dazu imstande und erst dann, als es die Einheit der Christenheit nicht mehr gab.

Caterinas heller Verstand sah die Schwierigkeit und suchte einen mittleren Weg, das zwiefache Antlitz der Kirche zu wahren. Sie predigte durchaus nicht den sofortigen Aufbruch ins Himmelreich und jeden Verzicht auf diese Welt. Was nur als individueller Akt möglich ist, das machte sie nicht zum Gebot für eine Gesamtheit. Sie schrieb Gregor: »Als Statthalter des Christ müßt Ihr Euch in der Stadt niederlassen, die Euch als Eigen gehört. Gewiß könntet Ihr sagen, Heiliger Vater, mit gutem Gewissen bin ich gebunden, das Gut der heiligen Kirche zu bewahren und wieder zu erlangen. Ach, ich gestehe, das ist wahr. Aber es scheint mir, daß auch das viel Teurere zu bewahren ist. Der Schatz der Kirche ist das für die Seelen vergossene Blut Christi, und dieser Schatz ist nicht dafür da, zeitliche Reichtümer zu erkaufen, sondern das Heil der Menschheit. Ja, Ihr seit gebunden, den Schatz und die Herrschaft der verlorenen Städte der Kirche wieder zu gewinnen. Aber weit mehr noch seit Ihr gebunden, die Schafe der Herde wieder zu finden, die gleichfalls der Schatz der Kirche sind. Verliert sie aber diese, dann wird sie recht arm. Es ist drum besser, die Kirche verliert das Gold der zeitlichen als der ewigen Dinge. Tut als was zu tun möglich ist, und Ihr werdet vor Gott und der Welt gerechtfertigt sein. Ihr schlaget die Menschen mit dem Stabe der Güte, der Liebe und des Friedens weit besser, als mit dem Stock des Krieges, und Ihr gewinnt Euer Gut zurück so im Irdischen wie im Geistlichen. Meine Seele hat sich ganz eingeschlossen zwischen sich und Gott, mit einem großen Durste nach Eurem Heile, der Reform der heiligen Kirche und des Wohles der ganzen Menschheit, und ich glaube nicht, daß Gott mich ein anderes Heilmittel sehen ließ als das des Friedens. Frieden! Frieden! also um der Liebe des gekreuzigten Christus willen!«

Gregor versuchte den Frieden. Aber Florenz gab sofort die kriegerische Antwort, indem es das kirchliche Bologna zum Aufstand brachte, das seinen Kardinal-Legaten davonjagte und »Tod der Kirche!« durch die Gassen schrie. Der Papst, von den französischen Kardinälen beraten, exkommunizierte Florenz, setzte Hab und Leben jeden Florentiners außer das christliche Gesetz, was jedem, der einen Florentiner traf, erlaubte, ihn zu plündern und zum Sklaven zu nehmen. In Florenz selber konnte dieser Avignoner Bannfluch die Betroffenen nicht erreichen, aber überall dort, wo die reiche Stadt Handel trieb, und das war im Osten bis ins Schwarze Meer, im Norden bis England und der Hansa. Die reichen florentinischen Kontore spürten den Schlag an ihrer empfindlichsten Stelle und schickten eine Gesandtschaft an Caterina nach Siena, daß sie zwischen der Stadt und dem Papst vermittle. Dieser hatte bereits die Florentiner, die in der Grafschaft Venasque wohnten, vertreiben lassen.

Im Mai des Jahres 1376 traf die Nonne in Florenz ein, von Niccoló Soderini beherbergt und der Signoria vorgestellt. Fra Raimondo entsandte sie alsbald an den Papst mit einem Schreiben: »Wenn es Gott gefiel, seiner Braut ihre Provinzen und Freuden wegzunehmen, so war es, weil er damit seinen Willen bekunden wollte, daß er die Kirche wieder zurückkehren sehe in ihren anfänglichen Stand, arm, demütig und gütig, den Stand der geheiligten Jahrhunderte, als sie an nichts sonst dachte als die Ehre Gottes und das Heil der Seelen, an die geistlichen, nicht an die irdischen Dinge, die sie vom Schlechten zum Schlimmsten führten ... Antwortet dem Heiligen Geist, der Euch ruft. Ich sage es Euch: kommt, kommt, kommt und wartet nicht die Zeit ab, denn die Zeit wartet nicht auf Euch ... Laßt die Diener Gottes nicht länger warten, die nach Euch verlangen und sich grämen, und mich Armsälige, die ich zu warten nicht länger ertrage.«

Kaum ist der Bote fort, schreibt sie, sie würde selber kommen und Florenz mitbringen und dem Papste zu Füßen legen, denn, so glaube sie, die göttliche Gnade habe diese argen großen Wölfe berührt und sie in Lämmer verwandelt. Aber der Papst, ganz in der Hand seiner französischen Ratgeber, dachte nicht mehr daran, das verirrte Lamm auf seine Schultern zu nehmen, wie ihm Caterina hieß. Er stellte eine Armee von Bretonen auf. Faenza brannte nieder. Andere Kirchenstädte verjagten die Legaten, – es warteten schon die reichgewordnen Handelsherren darauf, sich zu ihren Tyrannen zu machen. Florenz ernannte einen Generalkapitän der antipäpstlichen Liga. In dieser äußersten Stunde rief Caterina ihre Freunde aus Pisa und Siena zu sich und machte sich mit ihnen auf den Weg nach Avignon.

Von ihrer bescheidenen Schar Mönche und Ritter umgeben, stand die kleine Nonne vor dem thronenden Papst und dem heiligen Kollegium, und sie sprach. Raimondo war der Dolmetsch ihres toskanischen Redens. Aber nur seinen Gedanken und der Bewegtheit seines Herzens, nicht denen seiner Umgebung, gab der Papst Ausdruck, als er zu Caterina sagte: »Du siehst, ich will den Frieden. Ich lege alles in deine Hände, sei um nichts bedacht, als um die Ehre und das Wohl der heiligen Kirche.«

Nun wird diese Frau, der Christus in ihren Visionen erscheint und auf ihrem ohnmachtenden Leibe seine Wundmale hinterläßt, ganz praktisches Tun. Sie verhandelt mit den Kardinälen und Herren am päpstlichen Hof, sie schreibt nach Florenz an die Kriegspartei. Die verlangte Gesandtschaft aus Florenz zaudert zu kommen. Sie meinen es nicht ehrlich mit mir und nicht mit Euch, sagt Gregor. Endlich sind diese Florentiner da, aber es sind Spitzbuben mit gebundener Marschroute, an nichts weiter interessiert, als die Angelegenheiten hinzuziehen und zu verwirren. Caterina beschwört die Leute um der großen Liebe willen, die sie für Florenz hege und um derentwillen sie gern sterben würde. Die Abgesandten aber sprechen schon ganz wie Protestanten, erklären, daß sie nichts mit ihr, sondern nur mit dem Papst zu tun hätten, und mit dem Papst schlagen sie einen so frechen Ton an, daß die Unterhandlungen abgebrochen werden. Nichts ist dem päpstlichen Hof lieber, der gar kein Interesse daran hat, daß der Papst wieder nach Rom gehe. Auch die Damen Avignons nicht, die sich über Caterinas Heiligkeit lustig machen. Quälen sie die Kardinäle mit ihren scholastischen Diskussionen, die nach dem Scheiterhaufen zielen, so tut es eine Nichte des Papstes noch drastischer, indem sie der in Ekstase bei der Kommunion versunkenen Caterina eine Nadel in die Fußsohle sticht, so daß sie blutend und schwankend die Kirche verlassen muß. Aber nichts nimmt ihr den Mut, er wächst nur mit den Hindernissen und Schwierigkeiten. Daß er furchtsam sei, sagt sie dem Papst und daß er seine nachsichtige Güte übertreibe, und der gütige, weiche und nachdenkliche Mann gab dem Zauber dieser pockennarbigen Frau nach, erkannte in ihr das, was sie wirklich in dieser Zeit ihrer Sendung war, die Herrin der Kirche. Sie nahm den Schrecken von ihm, der ihn bei den Erinnerungen an Rom gefangen hielt, und er lauschte auf ihre Stimme als der Stimme Gottes. Aber wenn er auch nicht mehr die Rückkehr nach Rom fürchtete, so den Abschied. Er verschob ihn von einem Tag auf den andern. Er hatte Angst vor der Schwermut der Stunde des Aufbruches, Angst vor dem Entschluß. »Macht einen frommen Betrug,« riet die Diplomatin, »tut so, als ob Ihr bliebet und bereitet heimlich die Abfahrt vor. Aber rasch, rasch!«

Also öffneten sich am Morgen des 13. September die Tore und Gregor XI. verließ begleitet von fünfzehn Kardinälen seinen wie eine himmlische Festung hohen und weiten Palast. Auf der Rhone lag die insgeheim gerüstete wohlbewaffnete Galeere für die Fahrt nach Rom. Das Maultier, das ihn an den Fluß tragen sollte, bockte. Der Vater des Papstes warf sich weinend und schreiend vor dessen Füße, beschwor ihn, das Land nicht zu verlassen. Euer gutes Herz ist zu nachgiebig Euren Verwandten gegenüber, hatte dem weichen Manne Caterina Monate zuvor geschrieben. Die Menge stand rechts und links vom Wege und blieb stumm. Das Schiff fuhr die Rhone hinunter, kam nach Marseille, wo zwanzig italienische und französische Galeeren den Papst erwarteten, um ihn auf seiner Fahrt zu begleiten. Aber ein Sturm, der den Bischof von Luni von Deck ins Meer fegte, daß er ertrank, hinderte die Ausfahrt. Sechzehn Tage mußte man warten. Dem Papste lagen seine Hofleute im Ohr, warnten, erzählten ihm, daß sich das römische Volk, von Florenz aufgestachelt, schon zu üblem Empfang rüste. Der Papst zauderte. Schon wollte er auf dem Landwege wieder zurück nach der Provence. Aber Caterina gab ihm den gesunkenen Mut wieder. Und weiter ging die von allen schlimmen Vorbedeutungen begleitete stürmische und nicht endende Fahrt. Die Kardinäle lagen krank. Der von Narbonne mußte auf der Höhe von Pisa das Schiff verlassen und starb. Der Sturm trieb immer wieder in die ligurischen und toskanischen Häfen. In Corneto las der Papst die Weihnachtsmesse. Aber nun zu Land den Weg nach Rom zu machen, war unmöglich, denn die Bevölkerung von Civitavecchia und Viterbo revoltierte und verweigerte den Durchzug. So ging man wieder zu Schiff und lag am 14. Jänner vor Ostia, und wartete auf die Botschafter aus Rom, die den seinerzeit mit Urban V. geschlossenen und erneuerten Vertrag bringen sollten. Gegen Abend kamen sie, und es gab bei Fackeln ein nächtliches Fest mit Tanzen und Singen. Und am andern Abend stand das römische Volk an den Ufern des Tiber und sah wie ein Gespensterschiff die apostolische Barke stromaufwärts fahren und mitten im Fluß Anker werfen. Caterina hatte den Papst gebeten, allen kriegerischen Pomp beim Einzuge in Rom zu vermeiden, – »haltet bloß ein Kreuz in den Händen!« Als er aber bei Sonnenaufgang seine Galeere verließ, um in San Paolo die Schlüssel der Stadt zu empfangen und in San Pietro einzuziehen, da war es Nacht geworden, als er sich erschöpft und mit offenen Armen über das Grab der Apostel warf, denn den ganzen Tag hatte unter weinenden, jubelnden und Blumen streuenden Frauen der Zug gedauert, den nicht das Kreuz, sondern zweitausend schwer Bewaffnete unter dem Befehle Raymund von Toulouse eröffneten. Der berittene Rat der Stadt und die Miliz umgaben den auf einem reichpanaschierten Schimmel unter einem Baldachin reitenden Papst, und Senatoren und Edelleute hielten die Quasten und Stangen.

Caterina, nicht unter den Jubelnden, glaubte ihr Werk getan und war wieder in ihre Sieneser Zelle zurückgekehrt. Aber nicht das Kreuz, sondern bewaffnete Söldner waren dem Papst vorangegangen. Cesena empörte sich gegen die in ihren Mauern einquartierten päpstlichen Bretonen und erschlug, vier Wochen waren seit dem Einzug noch nicht vergangen, dreihundert von ihnen. Der Legat ließ Söldner aus Faenza kommen, die Aufrührer zu bestrafen. Viertausend von ihnen wurden in den Gassen und Häusern Cesenas erdrosselt und erschlagen. Achttausend flüchteten. Florenz appellierte an die christlichen Fürsten, und die römischen Barone, für die der Vertrag mit dem Papst nichts als ein Papier bedeutete, konspirierten. Der Papst floh nach Anagni, der Stadt so schlechten Gedenkens für die Päpste, denn hier war der achte Bonifaz unter den Steinwürfen des Volkes zusammengebrochen. Aber noch einmal wandte sich das Geschick günstig für Gregor und er konnte nach Rom zurück. Wenig genug ließ ihm das neue Friedensinstrument, das er unterzeichnete, aber auch dieses Wenige war den andern Städten, Florenz vor allem, noch zu viel, und unter dem Banner von Florenz standen alle rebellischen Städte, die das Kirchengut nicht herausgeben, die kirchlichen Gerichte nicht wiederherstellen wollten und an der Liga festhielten.

Florenz hat später durch die Päpste, die es aus seinen Familien stellte, Rom erobert und groß gemacht. Jetzt aber, sechzig Jahre nach Dantes Commedia, deren gibellinischer Haß noch nachwirkte, fühlte sich das reiche Florenz, das dem Lande die Sprache gegeben, als die Hauptstadt (und die Herrin Italiens so sehr, daß es das seit siebzehn Monaten lastende Interdikt des Papstes aufhob, das die Kirchen geschlossen hatte, es für Null erklärte und die Kirchen wieder öffnete. Florenz konnte, so mächtig fühlte es sich, ein Schisma wagen.

Gregor wandte sich an die Nonne, und sie machte sich nach Florenz auf. Sie fand die Kirchen offen, aber leer. Denn kein Priester spendete die Sakramente, und die gläubige Gemeinde bildete seltsame Laienbrüderschaften, die sich geißelnd und laudes singend durch die Gassen zogen. Die gibellinische Signoria begünstigte diese religiöse Anarchie, die ohne Klerus und Liturgie sich austobte, wie es jedem gefiel und jeder es mit seinem Gewissen abmachte. Caterina erkannte die Gefahr des Interdiktes für den religiösen Frieden: ihn hatte der Papst zu geben, indem er das Interdikt aufhob: zwei Briefe, ihre letzten, schrieb sie darüber an Gregor, beschwor ihn, Mitleid zu haben. Was den politischen Frieden betraf, da mußte Florenz beginnen. Ihre Gegenwart gab den kleinen Handwerkern und Altbürgern das Vertrauen wieder, und damit gewannen die Stadtkapitäne der welfischen Partei die Oberhand in den Staatsangelegenheiten. Während der paar Wochen, die sie die Herren waren, taten sie, wie das immer so ist, alles, den Frieden zu verhindern. Denn zunächst lag ihnen an der Rache. Sie sperrten ein, sie verurteilten, sie verbannten. Aber die Geldmacht der Neubürger war damit nicht zu brechen. Was man das Volk nennt, ist immer die Beute einer Demagogie, wenn diese nur über Geld verfügt. Der Gonfalionere der Justiz war ein Silvester Medici, der Gründer des Reichtums dieses Hauses. Die Kosten des Aufstandes waren rasch berechnet, und alsbald brannten alle Häuser der Welfen, nachdem man sie geplündert hatte und ihre Insassen massakriert. Die Menge drang in Caterinas Haus. Freunde hatten sie in einen Nachbargarten gebracht. Da kniete sie und wartete auf den Todesstreich. »Da bin ich,« sagte sie, »nehmt mich und tötet mich. Aber ich befehle euch im Namen Gottes, schont die mit mir sind.« Keiner wagte die Hand zu heben. »Ach ich Arme,« klagte sie, »die ich nicht würdig war als Blutzeugin zu sterben!« Von ihrem Tode erhoffte sie vielleicht, was ihr mit ihrem Leben nicht gelungen war.

Der König von Frankreich und der Tyrann von Mailand intervenierten. In Sarzano sollten die Gegner sich treffen und den Frieden aufsetzen. Aber kaum hatte Florenz und Rom die Unterhandlungen begonnen, da starb der Papst. Es war der 27. März des Jahres 1378, und vierzehn Monate nur war er in Italien gewesen. Und jeden Tag war seine Sehnsucht nach der provençalischen Sonne gewachsen, und die ihm zur Flucht rieten, er hätte ihnen nachgegeben. Aber der Tod stand auf der Seite Caterinas. Gregor ahnte das kommende Kirchenschisma und erschauerte. Auf dem Sterbebett diktierte er eine Bulle, die den Zusammentritt des Konklaves erleichtern sollte. Sofort sollten sich, ohne auf die Ankunft der Abwesenden zu warten, die Kardinäle in Rom oder irgend sonstwo versammeln und einen Papst wählen, auch unter den üblichen zwei Dritteln der Stimmen. Vor dem Vatikan brüllte eine bewaffnete Menge, als am 7. April das Konklave zusammentrat: Romano o Italiano io volemo! Aber französische Kardinäle bildeten die Majorität. Nur zwei römische Kardinäle hatte man: einen ganz senilen Tibaldeschi und einen viel zu jungen aus zu gefährlicher Familie: einen Orsini. Florentinische und mailändische Kardinäle hielt man für verdächtig. Man kam nicht weiter. Die Kapitäne der Stadtquartiere standen schon in der Kapelle, wo die Wahl vor sich gehen sollte. Beim zweiten Wahlgang einigten sich alle Stimmen bis auf die des Orsini auf den Erzbischof von Bari, einen gelehrten Kleriker. Orsini lief auf die Gasse und verkündete, Tibaldeschi sei gewählt. Darauf stürzte sich die Menge in den Palast, um ihren römischen Papst zu feiern. Und die erschreckten Kardinäle setzten dem uralten zitternden Tibaldeschi die Tiara auf und ihn selber auf den Thron, und liefen barhaupt, sine capis et cappellis, davon und versteckten sich. Als der ganz erschrockene päpstliche Strohmann zu sich kam, nannte er den wirklich erwählten Papst und die aufgebrachte Menge erwischte ein paar Kardinäle und brachte sie mit Gewalt ins Konklave, wo sie den Betrug bekannten. Darüber entstand dann solcher Lärm und Aufruhr, daß der erwählte Prignano einen dritten Wahlgang verlangte.

Der sich dann Urban VI. nannte, ließ eine schwere Hand auf die Kardinäle fallen, vom ersten Tage an. Verlangte, daß sie das einfache Leben der Apostel führen, keine Geschenke von Fürsten und Herren annehmen und in ihren Diözesen wohnen. Sofort machten die französischen Kardinäle Opposition und begaben sich nach Anagni, um da saubere Luft zu atmen, wie sie erklärten. Urban ging mit vier italienischen Kardinälen nach Tivoli. Da rief das heilige Kollegium die bretonischen Banden auf. Diese schlugen die Römer unter den Mauern ihrer Stadt und zogen darauf nach Anagni. Als die rebellischen Kardinäle sahen, daß sie sich auf Truppen stützen konnten, erließen sie ihr Manifest, in dem sie die Wahl Urbans, als unter dem Druck eines Aufstandes zustande gekommen, für nichtig erklärten. Urban antwortete, daß er sich jedem Entschluß eines Konzils beugen würde. Das verwarfen die Ultramontanen und erließen eine Enzyklika, worin sie Urban befahlen, sein Amt niederzulegen, und der Christenheit, diesem Papst den Gehorsam zu weigern. Darauf beriefen sie ein Konklave, an dem auch die letzten drei italienischen Kardinäle, jeder seine Wahl erhoffend, wie man jedem versprach, teilnahmen, und auf ihm wurde der Genfer Kardinal, der Blutmann von Cesena, als Clemens VII. gewählt.

Urban kam von Tivoli nach Rom zurück. Aber der Gouverneur des Vatikan, ein französischer Parteigänger, ließ ihn nicht in den Palast. So stieg er in Santa Maria Trastevere ab, allein, ohne einen einzigen Kardinal, ohne einen Prälaten seines Haushalts: alle waren zu Clemens übergelaufen.

Was tat die fromme Wächterin in dieser dunkelsten Stunde des Heiligen Stuhles? Sie hatte den harten neuen Papst gewonnen, daß er Frieden schließe mit dem »rechten Arm der Kirche«, mit Florenz, von der er das Interdikt hob. Und hieß Urban so rasch als möglich ein heiliges Kollegium ernennen. An einem Tage machte er zwanzig neue Kardinäle, zwei Colonna darunter und zwei Orsini. Das war in der äußersten Stunde, denn schon hatte sich eine große Mehrheit für Clemens erklärt: Frankreich, Neapel, Savoyen, Schottland, Spanien. Ratlos blickte Urban auf Caterina. Und sie sandte Boten in die Klöster und Einsiedeleien der Bergwälder, daß sie ihre Frömmsten nach Rom schicken, und sprach dem neuen Konsistorium Mut zu. Urban kaufte sich für teures Geld den Kondottiere Alberigo Barbiano, und im April 1379 schlug der bei Marino die Bretonen des Clemens und belagerte Sant Angelo und eroberte es. Nackten Fußes begab sich nun Urban inmitten großen Volkes nach dem Vatikan. Während Clemens nach Avignon flüchtete. Caterina legte ihr gewichtiges Wort für Urban ein, in Frankreich, in Venedig, in Neapel, bat, daß man zu ihm stehe. Sie verbrauchte wie im Fieber, was ihr an Kräften noch geblieben war. Am 30. Jänner 1380 schrieb sie ihren letzten Brief an den harten, jähen Urban und mahnte ihn zur Klugheit. Zwei Wochen später, fast schon im Vergehen, diktierte sie ihren Abschied und ihre letzten Worte an Raimondo. Darin: »Verzeiht mir, daß ich Euch Worte der Bitterkeit schrieb. Ich tat es nicht, um Euch Bitterkeit zu verursachen, sondern weil ich im Zweifel bin und nicht weiß, was die Güte Gottes mit mir vorhat. Ich will meine Schuldigkeit getan haben.«

Am 29. April dieses selben Jahres starb Caterina »mit dem Angesicht eines Engels«. Sie ist dreiunddreißig Jahre alt geworden. Stefano di Maconi war von einer innern Stimme gerufen an ihr Lager geeilt und trug sie auf seinen Schultern zu Grabe.

Mit ihrem Tode schienen alle Teufel losgelassen. Urban schickte Charles de Duras über Neapel, dessen Heer er schlug. Die alte Königin Johanna ließ er mit einer Seidenschnur erdrosseln. Der Avignoner Papst schickte eine französische Armee. Urban packte, was von Resten der Hawkwoodschen Banden vorhanden, zusammen und eilte Charles damit zu Hilfe, mit dem er sich alsbald tödlich zerstreitet. Nicht nach Rom kehrt er zurück, sondern schließt sich mit seinen Kardinälen in der Zitadelle von Nocera ein. Aber seine Kardinäle hassen ihn. Sechs von ihnen läßt er da in eine versumpfte Zisterne zu Schlangen werfen, und während ihre Hilferufe aus dem Loch um Barmherzigkeit schreien, wandelt Urban, ein Brevier in der Hand, eine Galerie auf und ab, von der aus er in die Zisterne blicken kann, geht da auf und ab, »sein Gesicht im Übermaß von Zorn glühend wie eine Fackel«. Charles liegt vor Nocera: wer ihm lebend oder tot den Papst bringt, bekommt zehntausend Goldgulden. Zweimal im Tage erschien Urban an einem Fenster seiner Festung, ein Glöckchen in der einen Hand, in der andern eine Fackel, und exkommuniziert die avignonische Armee, die unten lagert und das Fort berennt. Ein Orsini verschafft den Belagerten einen Ausgang, und der Papst flieht, von abenteuernden Soldaten aller Nationen begleitet, jeder darauf aus, ihn für ein paar Gulden zu verraten. Seine durch sieben Monate in der Zisterne gefangnen Kardinäle nimmt Urban mit, an ihre Pferde gebunden. Das ist die Kirche, die, eine wilde Schar, durch das Land ans Meer rast, über Berge und durch Täler. Unterwegs tötet der Papst den Bischof von Aquileia, läßt seinen Leichnam im Staub liegen. Aber da ist endlich Trani und da sind die Genueser Galeeren, die Urban aufnehmen. Erst drei Jahre später kam er nach Rom zurück.

Dieses war der Papst, den Caterina, wenn auch anders im Ton als den Papst Gregor, »mein sehr lieber Vater« nannte. In ihrem Briefe an Raimondo, dem letzten, schreibt sie, wie das Lamm zu ihr sprach: »Ich will dir zeigen, daß ich ein guter Meister bin, der den Töpfer macht und die Töpfe zusammenfügt und wieder zerschlägt, wie es ihm gefällt. Diese meine Gefäße weiß ich zu zerschlagen und wieder zusammenzufügen.«

Caterina brauchte auch das, alle zeitlich gegebenen politischen Mittel, wie sie ihr die Menschenliebe diktierten. Denn sie wollte Gott zu den Menschen bringen, mit denen und zu denen sie weit häufiger spricht als in der mystisch-versenkten Art zu Gott. Sie hat keine Gesichte und erhält keine Zeichen und führt keine himmlischen Zwiesprachen. Sie opfert sich. Nichts als das. Aber sie opfert sich in Ekstase ihres liebenden Herzens. Ihre Briefe sind voller Vernünftigkeit, Überlegung, Einsicht. Ohne jede Spekulation. Zitiert sie aus der Schrift, ist's wie ein Kind, das aus dem Katechismus liest. Sie sucht da nicht tieferen Sinn. Sie hat ein großes staatsmännisches Talent mittelalterlicher Prägung, wo alles dieser Welt mit Gott beginnt und in Gott endet. Und niemand recht hat und recht haben will. Auch nicht nach irdischen Zeiten mißt. Denn so gemessen wäre ihrem Tun ja nur deutlicher Mißerfolg beschieden gewesen. Denn es konnte das Schisma nicht aufhalten. Aber es doch sich über Zeiten auswirkend zu Ende bringen. Was für eine reale, praktische Frau! Was für ein nicht zu beugender Wille! Und welche Würde, welche Haltung in dieser Tochter eines Färbers, die mit Königen und Päpsten spricht als einem ihr ganz natürlich Zukommenden! Großen und freien Geistes vergräbt sie sich nicht in einem Kloster als ein von Gott verschüchtertes und vom Leben erschrecktes Geschöpf, sondern stellt sich und steht mitten in der Welt. Die üblichen Attribute der Heiligen erschöpfen sie nicht. Sie ist weniger und mehr.


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