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Arientini erzählt
Als Ser Cornazzano unter großem Gelächter seine zweite Geschichte geendet hatte, schlug er um eines runden dicken Mannes feisten Nacken den Arm und sagte:
»Nun laßt meinen Freund hier, der meine Tage in Ferrara teilte, erzählen. Er kann es besser als ich, so viel gelehrte Werke er auch auf lateinisch geschrieben hat. Hört Messer Gio Sabadino degli Arienti an, Freunde!«
Und der Angeredete begann:
»Daß ich aus dem fetten Bologna komme, das seht Ihr der Fülle meines Leibes und der gesunden Farbe meines Gesichtes an. Was aber meine gelehrten lateinischen Werke betrifft, deren ich eine Menge schrieb, so wäre ich, hätte ich sonst nichts gekonnt, recht blaß und mager darüber geblieben, so sehr auch Bologna meine Heimat ist. Und auch die Ehren, die mir meine Vaterstadt zu teil werden ließ, da sie mich zum Gonfalionere des Quartiers der Porta Pietra und dann an Stelle meines verschiedenen Bruders zum Schatzmeister der Gemeinde machte und mir nach achtjährigem Dienste auf den Torzoll eine monatliche Pension von sechs bolognesischen Pfunden für sechs Jahre aussetzte, alles das hätte mich nicht dick werden lassen. Und auch die Meinen nicht. Nun hatte ich mich schon in jungen Jahren, fast ein Knabe noch, im Schreiben wohl geübt. In einer Schrift über das Wohl des Staates beschrieb ich das Leben des Lodovico Bentivoglio. Und als Egano Lambertini nach Ferrara ins Exil mußte, tröstete ich ihn mit einem Buche, das hieß De Consolatione. Und als im Jahre 1472 Ercole von Este Eleonora von Arragon zur Frau nahm, da ward mir der Auftrag, das Geschenk der Bologneser Regierung mit einer Rede zu begleiten, die ich in Reimen aufsetzte. Man liebte solches zu meiner Zeit, aber es war ein recht trocknes Brot. Seht, Messer Sacchetti, Euch und Eurer Zeit war es in Auswirkung Eurer besondern und natürlichen Gaben, daß Ihr Eurem Lande und Volke dientet. Aber da war nun Manches anders geworden. Es wuchs der Reichtum bei den Einzelnen, wie auch die Armut bei den Vielen. Da mußte man gut aufmerken und durfte sein Talent nicht unter den Scheffel stellen, ich meine, man durfte nichts mehr um seiner selbst willen treiben. Man brauchte einen Herrn, dem man mit seiner Feder diente, wenns auch oft nichts anderes war, als daß man seinen Schwächen schmeichelte. Sein Talent zu üben, damit wars nicht mehr getan. Es mußte einem auch zum Mittel werden, daß man Wohnung bekam im Hause der Mächtigen. Mein Vater war, wenn auch von gutem Namen, ein Barbier. Für sich und seine Nachkommen erwarb er den Bürgertitel von Bologna, gerade da ich zur Welt kam. Noch in jungen Jahren wurde ich Sekretarius beim Grafen Andrea Bentivoglio und blieb es zwanzig Jahre. Sehr ehrenvoll war es, doch ohne Gewinn. Nahm dabei ein Weib aus gutem Geschlecht, das mir acht Kinder schenkte, am neunten starb sie. Das vierte, ein Sohn, hatte nicht mich zum Vater. Er hieß Ercole nach seinem herzoglichen Erzeuger. Ihr wißt, der Herzog dieses Namens war ein starker Mann und Vater von ein paar hundert Bastarden. Man mußte ihm mit Leib und Leben dienen, auch mit dem Leibe des Weibes.
An Ercole d'Este von Ferrara wandte ich mich so in schlimmer Zeit mit dem Anliegen, daß er vom Kardinal von Mantua, dem Bologneser Legaten, es erreiche, daß mir eine Zollstelle in Mantua gegeben werde. Mit viel Glück aber vergeblich nahm sich der Herzog meiner Bitte an und zum Dank widmete ich ihm und auch in mancher guten Hoffnung, die ich damit verknüpfte, ein Buch mit allerlei Geschichten. Ich hab es in den Bädern von Porretta geschrieben, wohin ich meinen Herrn, den Grafen Andrea begleitete. Darum nannt ich sie die Porretanischen Geschichten. Siebenzig sind es, sieben davon in der vulgären Sprache, die andern in der gelehrten. Aber in diese übertrug ich, was ich auf italienisch erst geschrieben hatte. Der Deutsche Heinrich von Köln, der in Bologna eine Druckpresse aufgestellt hatte, druckte das Buch im Jahre 1483. Im Jahr darauf gab Battista de Torris in Venedig einen Druck, und darin sind alle siebenzig Geschichten in unserer Sprache, wie ich sie niedergeschrieben hatte, in den Stunden der Muße, die ich in jenen Bädern genoß.
In vielfacher Tätigkeit in Bologna wie in Ferrara ging nun mein Leben hin mit Rat und Botschaft und mit der Feder, mir den Unterhalt zu verdienen und die Stunde meines Ruhmes zu erwarten. Ich will Euch alles das nicht aufzählen, was mir an Geschehnissen diente, meinen Witz und meine Kenntnisse daran zu üben, sei es in der Beschreibung eines neu angelegten Gartens, sei es in einer Rede, wie jener, die ich in Form eines Gespräches an das Volk von Ferrara zur Hochzeit der Dame Lucretia Borgia mit Alfonso d'Este verfaßte. Und nichts weiter will ich Euch von den mancherlei Reisen erzählen, die ich im Dienste Ercoles unternehmen mußte. Aber der Klöppel der Zeit holte nicht aus, daß er meine große Stunde schlüge. Nur einförmig die Zeiten des Tages schlug er, da man sich zu Tisch setzt und dankt, wenn er gut mit Speisen besetzt ist. Und waren da, von meinem abgesehn, viele hungrige Mäuler, und oft wenig, sie zu stopfen. Die Bologneser entzogen mir meine guten sechs Pfunde. Ich wandte mich an den Herzog von Ferrara, an Giovanni Bentivoglio, denen beiden ich viel gedient hatte. Aber sie hörten mich nicht. Da erinnerte ich mich der Versprechungen, die mir Isabella d' Este, jetzt die Marquise von Mantua, gemacht hatte und schrieb ihr aus Bologna um sechs Säcke Mehl. Ich mußte ihr nochmals schreiben, bevor ich ihr danken konnte. Man wußte wohl, daß es mit mir zu Ende ging, und beeilte sich, mich zu vergessen. Wie all das Viele vergessen ist, das ich meinen Zeitgenossen und mir zum Ruhme geschrieben zu haben glaubte, bis Ihr mich jener kurzweiligen Geschichten erinnertet, die ich erfand oder nacherzählte in den unbekümmerten Tagen, die ich mit meinem damaligen Herrn am Ufer, dem blumigen, des Reno in den Bädern verbrachte, in heiterer Gesellschaft. Auszeichnend schenkt Ihr mir für meine Schwanke ein kleines Zweiglein dafür nie erwarteten Lorbeers als Ersatz für die Kränze, die ich für manches andere erwartete, das mir kaum das Brot einbrachte. Nehmt den Zweig mit den drei Blättern nicht zurück, wenn Euch meine Geschichte mißfallen sollte.
Der Graf Francesco, Sohn des Sforza von Codignola, war ein Fürst, den die Natur wie das Glück in gleicher Weise und in allen Dingen begünstigen wollten. Er war prachtliebend, freigebig und nachsichtig und übertraf in diesen Eigenschaften nicht nur seine Zeitgenossen, sondern auch alle alten Römer und Griechen. Aber auch im Waffenhandwerk war er nicht weniger weise und großherzig als Sertorius, Marcellus und Lucullus, Caesar und Pompeius, so, daß alle, die ihn kannten, ihn in ihren Schriften feierten. Wie wahr dies alles, zeigten die Ergebnisse, denn er besiegte nicht nur die bedeutendsten Fürsten seiner Zeit, sondern machte sich durch sein Verdienst auch zum Herrn der Lombardei. Aber er konnte es doch trotz aller dieser hohen Eigenschaften nicht hindern, daß er selber von der Macht des den Bogen führenden Kindes besiegt wurde, das ihn vor seinen Triumphwagen spannte und über ihn die Reize eines sehr edlen Mädchen unserer Stadt Herrschaft erlangen ließ. Er entbrannte in so lebhaftem Feuer zu diesem Mädchen, daß er Tag und Nacht ihrer gedenken mußte und ihm auf der Welt nichts schöner erschien als diese Dame. Er wäre, wie ich glaube, sicher gestorben, wenn er sich nicht der Schönheit des Mädchens erfreut hätte. So geschah es, daß die Eltern im Einverständnis mit dem jungen Mädchen seinem Verlangen nachgaben, um ihn nicht an dieser Liebe verzweifeln zu sehen.
Ich weiß nun nicht, wie es geschah, aber das Abenteuer kam zu Ohren der vortrefflichen Gattin des Fürsten, die in allen weiblichen Tugenden nicht hinter den männlichen ihres Gatten zurückstand. Sie begann nun auf Hindernisse zu sinnen, die sie dem verliebten Beginnen in den Weg setzen wollte, aus dem ihr von Seiten des Herzogs nur Mißfreude und Betrug werden konnten.
So kam ein Abend, an dem das junge Fräulein seine Schritte zum Stadtschlosse lenkte. Die Spione benachrichtigten davon allsofort die Herzogin. Als nun die junge Dame mit ihrer Begleitung durch einen geheimen Gang schritt, wurde sie angehalten und in das Zimmer der Herzogin gebracht. Diese machte ihr nun wegen ihres Betragens solche Vorhaltungen, daß Schrecken eben so wie Scham sich des Mädchens und ihrer Begleitung bemächtigten. Die kupplerischen Begleiter entschuldigten sich so gut sie konnten, indem sie sagten, daß sie, was sie getan, nicht unternommen hätten, um der Herzogin zu mißfallen, auch nicht Geldes oder Ehrgeizes wegen, sondern nur um den strengen Befehlen des Herzogs Folge zu leisten, der sich in Liebe zu dem Mädchen verzehre.
Die vortreffliche Herzogin schickte alle Begleiter des Mädchens hierauf aus ihrem Zimmer und befahl ihnen unter Androhung ihrer Ungnade, sich nicht zu entfernen, ohne ihre Befehle abzuwarten. Darauf wandte sie sich zu dem jungen Mädchen und hieß sie, sofort und auf der Stelle ihre Kleider abzulegen. Zitternd wie ein Blatt im Winde und das Antlitz von Tränen überschüttet, in Angst vor einer Strafe, entkleidete sich das Mädchen.
Die Herzogin hatte selber ihr reiches Gewand abgelegt. Nun zog sie die Kleider des Mädchens an und band einen Schleier sich ums Haupt, der ihr über die Augen fiel. Hierauf rief sie eine ihrer ergebenen Dienerinnen und sagte:
›Stell es so an, daß du mich, ohne mich zu nennen und ohne eine Fackel, aus diesem Raume bringst und sag jenen, welche draußen warten: die Frau Herzogin sagte mir, daß Ihr dieses junge Mädchen zu Eurem Herrn führt, wie er es befohlen hat und auf der Stelle.‹
Voll Staunen und nicht wissend, was das bedeute, tat die Dienerin wie ihr befohlen, nahm die Herzogin bei der Hand und übergab sie mit den geheißenen Worten jenen, welche das Mädchen vor der Tür erwarteten.
Diese, etwas erholt von dem Schrecken, in den sie durch die Worte der Herzogin gestürzt worden waren, führten sie, die sie für das junge Mädchen halten mußten, in das herzogliche Gemach.
Die Herzogin tat wie eine Fremde ganz verschämt, machte ohne ein Wort drei Schritte und blieb zur Linken des Herzogs stehen. Dieser schickte sofort seine beiden Kammerdiener hinaus, ging auf jene zu, die er für seine Geliebte hielt und sagte zu ihr:
›Schönes Kind, die du mir tausendmal teuerer bist als mein Leben, sei willkommen.‹
Hierauf legte er seine rechte Hand auf des Mädchens Schulter und die linke auf den reizvollen Busen. Und indem er dem Gotte Amor dankte, wurde er nicht müde, die purpurnen Lippen zu küssen. Hierauf zwang er seine Finger in die Öffnungen des Kleides und hielt, immer mit Worten, die einen Gletscher zu schmelzen gebracht hätten, den reinen Busen. Als er sich aber anschickte, andere Stellen des Leibes zu berühren, schien es der klugen Herzogin gut, ihn nicht weiter gehen zu lassen, und indem sie den weißen Schleier, der ihre schönen Augen bedeckte, zurückschlug, sagte sie:
›Ah, mein Geliebter, wo ist Eure Klugheit? Ist dies die eheliche Treue, die Ihr mir schuldet, die ich Euch liebe ohne Ende? Ist dieses Eure Achtung vor mir, nachdem ich Euch Kinder geschenkt habe, nicht nur zum Ruhme Italiens, sondern der ganzen Welt? Ist dies das gute Beispiel und der Ruf, den Ihr geben sollt? Ich bin arg von Euch enttäuscht. Wer hätte je gedacht, daß eine Seele groß wie die Eure, die weder Ermüdung noch Furcht kannte, sich von einem jungen Mädchen würde einfangen lassen? Unglück über mich, die ich solches gesehen, was ich niemals hätte glauben können! Ist dies der Preis meiner Treue, die ich Euch bewahrte und bewahren werde bis ans Ende meiner Tage? Ein Unglück wie dieses macht mich verzweifelter als es mich schmerzt. Ach, ich Arme!‹
Sie wollte noch weiter sprechen, aber der Herzog, der sein Geheimnis verraten sah, stand bestürzt und mit rotem Kopfe. Er war tief bewegt, seine Gattin, die er über alles liebte, in den Kleidern des Mädchens zu sehen, das er anbetete. Er seufzte tief auf und unterbrach die Herzogin:
›Ich bitt Euch, Madonna, verzeiht mir. Ich schwör Euch, es geschah, was ich tat, nicht um Euch zu kränken, denn ich liebe Euch mehr als alles in der Welt. Aber ich konnte Gott Amor nicht widerstehen, der aus uns macht was er will, so stolz und so stark wir auch immer sein mögen. Ich hab es auf meine Kosten und zu meinem großen Kummer nun erfahren. Mit aller Mühe, die ich mir gab, konnte ich das Feuer meiner verliebten Flamme nicht löschen, und hier bin ich nun, wie Ihr mich sehet. Ich bin so schwer getroffen, daß, wenn Ihr mir das Vergnügen an dem geliebten Mädchen wehrt, Ihr mich bald eines grausamen Todes sterben sehen werdet.‹
Bei diesen Worten faßte die Herzogin das Mitleid mit der verliebten Leidenschaft ihres Herrn, und sie sagte:
›Wenn auch in Solchem Euch zu gefallen mir das Schwerste auf der Welt ist, so ist doch auch mein Herz so ganz erfüllt von Eurer Liebe, daß ich alles tue was Ihr fordert, o mein einziger Herr, und Euer Leben ist mir um so viel kostbarer als das meine, daß ich glücklich bin, Euer Verlangen zu stillen.‹
Und mit solchen Worten begab sie sich zurück, wo das junge Mädchen noch immer in großem Schrecken wartete und in den Kleidern der Herzogin. Diese nahm ihre Hand und sprach:
›Komm mit mir, mein Kind und fürchte dich nicht.‹
Und sie führte das Mädchen vor ihren Herrn.
›Hier, o mein teurer Herr, ist das Mädchen, nach dem Ihr so verlangt, und ich werde ganz zufrieden sein, wenn Ihr mit Ihr alle verliebten Freuden genießet, die Euch belieben, denn es ist weder Tod noch Gram, den ich Euch wünschen, sondern Leben und Freude bis ans Ende Eurer Tage.‹
Hierauf verließ sie das Gemach und schloß die Türe.
Als der Herzog sah, wie voller Güte und voll Mitleid das Herz seiner Gattin war und seinen eignen Fehler erkannte, da vermochte er seine Rührung nicht aufzuhalten. Er entzündete sich an ihrem Beispiel und als ein kluger Fürst, der er war, zügelte er seine heißen Gedanken. Er rief die Herzogin zurück und sprach zu ihr in diesen Worten:
›Madonna, Eure ganz mit Nachsicht und Mitleid erfüllten Worte für mein unrechtes Begehren und Eure unvergleichliche Tugend haben meinen Sinn so ganz unterjocht und meine Liebe zu Euch so sehr geweckt, daß diese Liebe ihre Kette niemals soll brechen lassen von einem andern Weibe. Möge es Gott gefallen, daß ich nie mehr an unserm ehelichen Glauben, dessen treue Königin Ihr seid, zum Verräter werde. Ich bitt Euch in aller Demut um Verzeihung.‹
Nach diesen Worten schwieg er. Und nachdem man noch einige Höflichkeiten getauscht hatte, wurde das junge Mädchen reich beschenkt zu seinen Eltern zurückgeschickt.
Das herzogliche Paar liebte sich mehr als zuvor. Und was das junge Mädchen anlangt, so war dieses Abenteuer Ursache, daß es sich reich verheiraten konnte.«