Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Einundsechzigste Erzählung.

In der Straße San Pancrazio in Florenz wohnte ein Wollenweber, namens Gianni Lotteringhi, welcher mehr Glück in seinen Berufsgeschäften hatte, als Verstand in anderen Dingen, daher er denn als eine gute ehrliche Haut bald zum Vorsänger im Chor, bald zum Vorsteher der Schule und zu anderen dergleichen kleinen Ämtern gewählt ward, weil er, als ein bemittelter Mann, den Mönchen manche schöne Gabe an Strümpfen, Kutten und Kappen verehrte, wofür sie ihm wieder den Gesang des heiligen Alexis, das Klagelied des heiligen Bernhard, den Lobgesang der Frau Mathilda und allerlei dergleichen Geschwätz mitteilten, woran er seine große Freude hatte und es zum Heil seiner Seele mit großer Sorgfalt aufhob.

Seine Frau, welche Tessa hieß, war die Tochter des Manuccio dalla Cuculia, ein sehr schönes, munteres, schlaues und listiges Weibchen. Sie kannte die Einfalt ihres Mannes, und nachdem sie mit einem schönen rüstigen Jünglinge, namens Federigo di Neri Pergolotti, ein Liebesverständnis angeknüpft hatte, wußte sie es so einzurichten, daß Federigo sie einst durch die Veranstaltung ihrer Magd in einem Landhause besuchen konnte, welches ihr Mann in Camerata hatte, wo sie sich während des ganzen Sommers aufhielt, indes ihr Mann nur bisweilen am Abend dahin zu kommen pflegte und des Morgens wieder zu seinen Geschäften, oder zu seinen Chorsängern zurückkehrte. Federigo ergriff mit der größten Begierde die Gelegenheit, stellte sich am festgesetzten Tage um die Vesperstunde ein, und da Gianni an diesem Abend nicht erwartet ward, so konnte er mit aller Bequemlichkeit bei der jungen Frau zu Abend essen und die Nacht mit ihr zubringen. Sie lehrte ihn wenigstens ein halbes Dutzend von den Lobgesängen ihres Mannes, und weil weder sie selbst, noch Federigo, willens waren, es bei dieser ersten Zusammenkunft bewenden zu lassen, so nahmen sie Abrede mit einander, um der Magd die Mühe des öfteren Zwischengehens zu ersparen, daß Federigo jedesmal, wenn er von seinem Gute, welches ein wenig höher lag, herunter käme, auf einen Pfahl in ihrem Weingarten Achtung geben sollte, auf welchem ein Eselskopf steckte. So oft dieser mit der Nase nach Florenz gekehrt wäre, sollte er sich unfehlbar des Abends einstellen, und im Fall er die Thür geschlossen fände, dreimal leise anklopfen. Wäre die Nase aber gegen Fiesole gerichtet, so sollte er wegbleiben und es als ein Zeichen ansehen, daß Gianni erwartet würde.

Auf diese Weise verschafften sie sich manchen fröhlichen Abend. Einmal aber, wie Frau Tessa ihren Federigo erwartete und ein Paar fette Kapauner am Spieß hatte, kam Gianni ganz unvermutet am späten Abend noch hinaus, welches seiner Frau gar nicht lieb war. Sie und er behalfen sich mit einigen Schnitten gesalzenem Fleisch, der Magd aber befahl sie heimlich, die beiden Kapaunen, nebst einer Menge frischer Eier und einer Flasche guten Weines in den Garten zu tragen, welcher vor ihrem Hause an der Straße lag, und alles unter einen großen Fichtenbaum hinzustellen, der mitten auf einem schönen Rasenplatze stand, wo sie gewöhnlich mit Federigo zu Nacht zu essen pflegte. Vor lauter Aergernis vergaß sie aber, der Magd zu sagen, daß sie warten sollte, bis Federigo käme, um ihm Nachricht zu geben, daß Gianni gekommen wäre, und daß er diese Sachen nur mit nach Hause nehmen möchte.

Wie sie nun mit ihrem Manne zu Bette gegangen war, und die Magd sich gleichfalls niedergelegt hatte, kam Federigo bald nachher und klopfte einmal leise an die Thüre, die so nahe bei der Kammer war, daß Gianni und seine Frau es beiderseits hörten, obwohl die Frau sich stellte, als wenn sie schliefe, damit ihr Mann nichts argwöhnen möchte. Es währte nicht lange, so klopfte Federigo zum zweiten Mal. Gianni wunderte sich darüber, stieß seine Frau einige male sanft an und sagte: »Hörst Du nicht auch etwas, Tessa? Mich deucht, daß man an unsere Thüre klopft.«

Die Frau, dir noch besser gehört hatte, als ihr Mann»stellte sich, als ob sie eben erwachte. »Was sagst Du?« fragte sie.

»Ich sage (sprach Gianni), daß es mir scheint, als wenn an unsere Thüre geklopft würde.«

»O weh! angeklopft? (rief sie) Weißt Du nicht, Gianni, was das ist? Es ist das Gespenst, das mich schon seit einigen Nächten so gewaltig erschreckt hat, daß ich mich in meine Decke gehüllt und es nicht gewagt habe, den Kopf wieder hervorzustrecken, bis es Tag ward.«

»Geh doch, Frau (sprach Gianni). Wenn's weiter nichts ist, so sei nur nicht bange; denn ich habe längst das Via lucis, die Intemerata und so viele andere gute Gebete gesprochen und habe das Bett von einem Ende zum andern mit so vielen Kreuzen bezeichnet, daß das Gespenst mit all' seiner Macht uns nicht anfechten kann.«

Die Frau hielt es indessen für notwendig, ihren Liebhaber wissen zu lassen, daß ihr Mann zu Hause wäre, damit er nicht etwas anderes argwöhnen und mit ihr brechen möchte. Sie sagte demnach zu ihrem Manne: »Das ist wohl gut, daß Du Deine Gebete sprichst; allein ich für meinen Teil werde mich nicht eher sicher fühlen, bis wir das Gespenst beschwören, da Du doch einmal hier bist.«

»Wie beschwören wir es denn?« fragte Gianni.

»Das will ich Dir wohl sagen (sprach Frau Tessa). Wie ich neulich um Ablaß nach Fiesole ging, hat mir eine Einsiedlerin (das sind Dir, mein lieber Gianni, die heiligsten Leute von der Welt, wie ich Dir versichern kann), die hat mich also, wie sie mich so in Ängsten sah, einen schönen kräftigen Spruch gelehrt und mir gesagt, daß er ihr oft genützt habe, als sie noch keine Einsiedlerin war. Aber Gott weiß, ich habe nicht den Mut gehabt, allein hinzugeben. Jetzt aber, da Du hier bist, wollen wir beide gehen und den Geist beschwören.«

Gianni war es zufrieden, und sie gingen beide mit leisen Tritten an die Hausthüre, indes Federigo noch draußen wartete und schon anfing, eifersüchtig zu werden. Indem sie an die Thüre kamen, sagte Tessa laut zu ihrem Manne: »Wenn ich es Dir sage, Gianni, so vergiß nicht, daß Du ausspeien mußt.«

»Schon gut,« sprach Gianni. Seine Frau fing hierauf ihre Beschwörung an und sagte:

»Popanz, der Du so manche Nacht
Vor meiner Thüre Lärm gemacht,
Mit steifem Horne kamst Du her,
Mit steifem Horne fort Dich scher'!
Im Garten unter der großen Fichte
Steht für Dich ein geschmort Gerichte
Nebst hundert Fürzen meiner Henne;
Packe Dich damit fort und renne.
Setze die Flasche an den Mund
Und laß Gianni und mich gesund.«

»Spei aus, Gianni,« sagte sie; und Gianni spuckte.

Federigo, der draußen stand und alles hörte, ließ seine Eifersucht fahren und trotz seinem Verdrusse hätte er fast vor Lachen bersten mögen; und wie Frau Tessa sagte: »Speie aus!« setzte er leise hinzu: »Die Zähne

Nachdem Frau Tessa das Gespenst derart dreimal gebannt hatte, ging sie mit ihrem Manne wieder zu Bette. Federigo, der sich auf ein gutes Abendessen bei ihr Rechnung gemacht, und also noch nichts gegessen hatte, begriff den Sinn der Beschwörung sehr wohl; ging in den Garten, fand unter der großen Fichte die Kapaune, die Eier und den Wein, trug alles nach Hause und ließ sich's gut schmecken; und wenn er gelegentlich wieder zu Frau Tessa kam, so lachten sie beide noch oft mit einander über diese Beschwörung.

Einige Leute wollen es besser wissen und behaupten, Frau Tessa habe wirklich an diesem Tage den Eselskopf mit der Nase nach Fiesole gedreht; ein Arbeitsmann sei aber durch den Weinberg gegangen und habe mit seinem Stocke daran geschlagen, daß er um und um gewirbelt und mit der Nase nach Florenz gekehrt stehen geblieben sei. Dadurch sei Federigo verführt worden, sich einzustellen, und daher wird denn auch behauptet, die Tessa habe bei ihrer Beschwörung gesagt:

»Geh nur, Popanz, wieder fort.
Geh mit Gott an Deinen Ort.
Ich rührt' den Eselskopf nicht an;
Zum Henker den Schlingel, der's gethan!
Ich bin mit meinem Gianni hier;
Drum weiche, Popanz, weit von mir.«

und darauf soll Federigo ohne Abendessen und Nachtlager wieder davon gegangen sein.

Aber eine von meinen Nachbarinnen, eine alte ehrbare Frau, hatte mir versichert, es wären zwar beide Geschichten wahr, wie man ihr in ihrer Jugend erzählt hätte, die letztere aber wäre nicht dem Gianni Lotteringhi begegnet, sondern eurem gewissen Gianni di Nello, der ein ebenso ausgemachter Pinsel gewesen sei als jener. Ihr könnt also wählen, meine lieben Mädchen, welche von beiden Beschwörungen Euch am besten gefällt. Sie thun beide in dergleichen Fällen, wie Ihr gelesen habt, sehr gute Wirkung. Lernet sie auswendig; Ihr könnt sie vielleicht dermaleinst gebrauchen.

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