Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVIII.
Vater und Tochter.

Das Leben, welches Charlotte als Kind zu Paris geführt hatte, wo sie dem alten Vincenz und der Dienstmagd bei allen häuslichen Arbeiten zur Hand ging, – dieses Leben der Mühsal und Entbehrung wurde ihre Tagesregel wieder, sobald sie mit ihrem Vater in der Klause sich eingerichtet hatte. Man sah es ihr nicht an, daß sie jemals in einem Palast gewohnt, so thätig und geschäftig war sie. Es schien, als ob diese zarten Hände niemals Gold und Seide berührt, oder über die Claviertasten hingeschwebt und die Feder geführt hätten; so gewandt verrichteten sie die gröbsten Arbeiten, so geschickt schafften sie überall Ordnung und Reinlichkeit, so regsam waren sie, wenn es galt, es demjenigen recht wohl und behaglich zu machen, der nur von ihr noch Pflege und glückliche Stunden zu erwarten hatte. Nur eine Spanne Zeit dauerte es, so hatte die Klause ein ganz neues Aussehen erhalten. Von außen umhüllte sie der Epheu mit seinem, in dieser rauhen Jahreszeit durch den Reif bunt gesprenkelten Mantel. Aber so düster und alt die Hütte in ihrem Aeußern erschien, so ruhig und heiter war das Innere derselben. Ein lustiges Feuer knisterte auf dem etwas erhöhten Herde und im Kamin. Die Möbel in der Stube zu ebener Erde und den Schlafkammern waren meist alte Bekannte aus dem Schlosse Neuville; Vincenz hatte sie den Bauern, die sie bei der Versteigerung im Schlosse erstanden, wieder abgekauft. Ebenso traut waren das Crucifix und einige Erbauungsbücher, welche Vincenz in seine Einsiedelei mit herübergenommen hatte, und die ihm, so lange er noch sehen konnte, manche Stunde angenehm verkürzt, manch' trüben Gedanken verscheucht hatten. Sie wurden jetzt dieselben Freunde für den Marquis. Charlotte las höchst selten; die Nadel war ihre beständige Gefährtin, wenn sie von ihren andern Arbeiten ausruhte; dabei plauderte sie dann zugleich mit ihrem Vater. Delphinens Name wurde niemals unter ihnen genannt; der Marquis befragte seine Tochter über die Vergangenheit, ohne ihre Mutter zu nennen. Desto häufiger kehrte der Name »Vincenz« wieder, und immer rief er eine lebhafte Bewegung hervor.

»Das kommt daher,« sagte Charlotte, »weil er soviel für uns gethan, sich für uns abgearbeitet hat. Nein, Vater, du kannst dir seine Aufopferung gar nicht vorstellen.«

»Ja, ja, Kind, ich kenne die treue Seele. Auf ihn allein baute ich in meiner Noth, als das Unglück mich zwang, nach America zu gehen, auf ihn, wenn ich an dich, mein verlassenes Kind, dachte. Ich wäre vor Unruhe gestorben, wenn ich ihn nicht an deiner Seite gewußt hätte.«

»O, und er liebte dich so, Papa! Er frischte dein Andenken immer und immer wieder in meiner Seele auf; ich sah dich beständig vor mir wie ein Bild, ein Conterfei, das man früher einmal gesehen hat, und Vincenz, indem er mich stets von dir unterhielt, sorgte dafür, daß das theuere Bild nicht verwischt würde: er hauchte ihm Seele und Leben ein.«

»Er sprach also viel über mich?«

»Ohne Unterlaß: von euerer Kindheit, wo ihr beide zusammen in diesem großen, nun niedergehauenen Forste herumlieft; von euerer Jugend, als er aus dem Collegium Saint-Vast zurückkam und dich, mit mathematischen Arbeiten bei deinem Präceptor beschäftigt, wiederfand: dann wurden die Unterrichtsstunden ausgesetzt, und ihr jagtet, fischtet, machtet Partieen zusammen. Und von deinen ersten Reisen sprach er, als wär' er mit dabei gewesen. Dann von dem ruhigen Leben auf dem Schlosse, von deiner Flucht, als der böse große Christoph das Regiment in Baignon führte, o, wie oft hat er mir das alles erzählt! Durch ihn lernte ich auch das Dorf, den Wald, diese Klause kennen; ich sah alles durch seine Augen+...«

»Und nun, mein liebes Kind, lebst du in solcher Armuth in diesem Lande, wo deine Ahnen so reich und angesehen waren!«

»O, du bist ja bei mir, Papa! Ich habe all mein Lebtag nur den einen Wunsch gehegt, dich wiederzufinden. Dieser Wunsch ist erfüllt. Bin ich da zu beklagen?«

Arm waren sie in der That. Herr von Neuville, welcher seiner Tochter die Verwaltung ihrer Groschen überließ, ahnte nichts von den ökonomischen Heldenthaten und den Wundern der Sparsamkeit, mittels deren Charlotte ihren Lebensunterhalt beschaffte, ihm das Leben sogar noch behaglich zu machen wußte. Als Soldat und Seemann viel gereist, hatte er entbehren gelernt; er war ohnehin ein Freund einfachen Lebens; aber er war alt, und nichts schmerzte seine Tochter mehr, als daß sie ihn nicht mit all den tausend Bequemlichkeiten umgeben konnte, die das Alter so hochschätzt. Darauf sann sie beständig, ohne indessen ein Mittel zu finden, die kleine Rente, das letzte Geschenk der uneigennützigsten Dienertreue, zu vermehren, die ihnen jedoch wenigstens sicherte, was Viele entbehren: Obdach und Brod.

Bei der Wiederkehr der schönen Jahreszeit, wo der Mai auf Gärten und Wiesen seinen flüchtigen, aber schönen Lilienflor breitet, wo der Hollunder seine duftigen Blüthentrauben in den Hecken aushängt, wo der Weißdorn seine Wohlgerüche in die Lüfte haucht, wollte Charlotte ihren Vater dadurch überraschen, daß sie mit den Zierrathen, die der Lenz so reichlich den Armen liefert, die in Trümmern liegende Kapelle aufputzte. Der Marquis liebte diese Kapelle, in welcher seine Ahnen gebetet hatten, und beklagte häufig ihre Verwüstung. Mehrere Tage hindurch arbeitete Charlotte im Geheimen; sie schaffte das Laub, die Steine, den Staub aus derselben fort und reinigte die Altarplatte. Zum beglückenden Lohn für ihre Arbeit entdeckte sie unter dem Gerümpel das alte Bild der seligsten Jungfrau, welche ehedem an diesem Orte verehrt wurde. Es war eine durch die Jahrhunderte geschwärzte, mit einfacher Kunst aus Holz geschnitzte Statue, der es darum keineswegs an Anmuth fehlte. Nachdem Charlotte sie bewundert, bekränzte sie dieselbe und stellte sie auf den Altar. Dann schmückte sie das Heiligthum reich mit Blumen und Grün und führte, als alles in Ordnung war, ihren Vater in das wieder würdig gezierte Kirchlein. »Sollen wir nicht den Marienmonat feiern, wie es die Carmeliterin Louise de France that, Vater?« fragte sie den Marquis, welcher, freudig überrascht, ein Zeichen der Zustimmung gab. Vater und Tochter recitirten zusammen die eben so zarte, wie erhabene Lauretanische Litanei; sodann sang Charlotte ein altes Muttergotteslied, welches sie in der Bartholomäuskapelle zu Paris gelernt hatte. Sie kehrten von jetzt an täglich wieder und sühnten durch diese Haus-Andacht gewissermaßen die Verwüstung des Heiligthums durch die Kirchenräuber mit der Freiheits-Mütze. Charlotte fand namentlich Vergnügen daran, zu den Füßen des Heiligenbildes zu singen. Im Salon ihrer Mutter hatte sie niemals gesungen, obwohl auch die herrlichsten Opern-Arien und weltlichen Lieder ihrem treuen Gedächtnisse geläufig waren; aber hier in der ländlichen Einsamkeit, in dieser verlassenen Kapelle entwickelte sie eine Kraft und einen Schmelz der Stimme, daß sie sich selber nicht wieder erkannte.

Geraume Zeit hindurch waren die gefiederten Sänger ihr einziges Publicum, bis eines Abends die Tochter eines Holzhauers ihren Gespielinnen die Mittheilung machte, daß »das Fräulein« in der verfallenen Kapelle ganz wundervoll singe. Da versteckte sich denn gleich am andern Tage eine Menge kleiner Mädchen in dem nahen Gehölz und lauschte neugierig den Melodieen der Sängerin. Charlotte sang wie immer; ihr ländliches Auditorium gewann mit jedem Tage an Zuwachs und wurde bald von ihr entdeckt. Sie knüpfte ein Gespräch mit den Kindern an und lud sie ein, mit ihr zu beten und zu singen. Das nahmen die Kinder freudig an, und Charlotte benutzte diese Gelegenheit, den Kleinen im Katechismus, im Lesen und Schreiben nachzuhelfen. Auch lehrte sie dieselben, mit der Nadel umzugehen.

Nächst dem Marquis und den Kindern selbst machte dies Niemandem größere Freude, als dem Pfarrer Lecomtois, welcher fast täglich seinen alten Freund in der Klause besuchte. »Du bist wirklich zu beneiden, Adrian, um dieses Kind,« sagte er dann wohl zu ihm. »Es ist immer um dich, beschäftigt sich mit dir allein, ist dir in allem folgsam und thut, was es dir nur an den Augen absehen kann. Wie beklagenswert sind dir gegenüber jene Väter, denen die Fata Morgana der Vergnügungen, die Beschäftigung mit eitelm Firlefanz, die Sorge um eine reiche Heirath die Pflege ihrer Kinder entziehen, – wie beklagenswert die reichen und angesehenen Herren, die da sehen müssen, daß man einen Ball, eine Jagdpartie, ein Diner ihnen vorzieht, daß man vielleicht Tag aus Tag ein Wahrscheinlichkeits-Rechnungen über die Stunden anstellt, die sie noch zu leben haben, daß man auf sogenannte ›Aussichten‹ speculirt!«

»Ich klage ja auch nicht, Jean-Baptiste,« antwortete darauf Adrian von Neuville; »ich fühle mich wirklich jetzt glücklich.«

Uebrigens ließen die Bauernfrauen Charlotten ihre Mühe nicht unbelohnt, sondern bezahlten ihr für den Unterricht ihrer Kinder reichlich – nicht zwar in Geld, wohl aber mit Eiern, Butter, Käse, Milch und Früchten.

Das glückliche Stillleben in der Klause dauerte lange Jahre. Das Consulat war zu Ende, und das Kaiserreich nahm seinen Gang. Der Marquis und Charlotte erfuhren nur von Zeit zu Zeit Näheres über die Tagesereignisse durch den Pfarrer Lecomtois oder durch das Wehklagen der Mütter, welche ihre Söhne, einen nach dem andern, unter die Fahnen gerufen sahen, um auf den Schlachtfeldern von Austerlitz, Jena, Wagram, Smolensk, Moskau oder der Beresina für Eines Mannes Herrschsucht und Eitelkeit ihr Blut zu verspritzen. Täglich flehte der Marquis bei seinem Abendgebet für das unglückliche Frankreich, welches aus dem Krater der Revolution in den erstickenden und erstarrenden Eissumpf des Militair-Despotismus hineingerathen war. Charlotte aber betete für den in Napoleonischer Gefangenschaft schmachtenden gemeinsamen Vater der Christenheit. Ja, wohl hatte der Papst Pius VII. Napoleon, auf dessen Wunsch am 2. December 1804 feierlich als Kaiser der Franzosen in Paris gekrönt; aber zum Dank dafür hatte der kaiserliche Autokrat dem Papste erst einen Theil seines Gebietes entrissen, dann aber im Jahre 1809 ein Decret erlassen, welches den ganzen Kirchenstaat dem französischen Reiche einverleibte und Rom für die zweite Hauptstadt des Reiches erklärte. Und als der Papst auf diese Vergewaltigung mit der gegen Napoleon erlassenen Excommunicationsbulle antwortete, schickte der Wundermann, dessen Recht auf der Schwertspitze culminirte, seine Schergen nach Rom und ließ Pius VII. als Gefangenen erst nach Grenoble, später nach Savona abführen. Er wollte versuchen, ob dieser Priester, dem kein einziger Soldat zur Verfügung stand, es auf die Dauer wagen würde, ihm, dem allgewaltigen, eisenumstarrten Alleinherrscher zu trotzen. Die von der kaiserlichen Majestät ernannten Bischöfe bestätigte der Papst auch in seiner Gefangenschaft nicht, und er hieß dort überhaupt nichts gut, was nicht auch sonst seinen Beifall gefunden hätte. Solche Festigkeit hatte Napoleon nicht erwartet. Er versuchte es mit dem »National-Concil«, welches er 1811 nach Paris berief, und das von beiläufig hundert französischen, italienischen und deutschen Bischöfen besucht wurde. Napoleon verlangte von dem Concil die Besetzung der Bisthümer mit Umgehung des Papstes, resp. die Bestätigung seiner Creaturen. Aber er hatte sich verrechnet, wie das Gewalthabern häufig geschieht. Das »National-Concil« erklärte, dem Papste unterthan zu sein, und weigerte sich, auf des Gewaltigen Ansinnen einzugehen. In heftigen Zorn entbrannt, löste Napoleon das Concil auf und schleppte den gefangenen Papst dann in seine Nähe, nach Fontainebleau. Da aber nahte die Nemesis.

Auch die vielen tausend armen gefallenen Soldaten schloß Charlotte in ihr Gebet ein. Charlottens Blüthezeit war vorüber; ihre Schönheit nahm allgemach einen ernstern und festern Charakter an. Aber die Jungfrau kümmerte sich wenig um sich selbst: das Haupt mit den Silberlocken, welches sich jeden Winter tiefer senkte, war der einzige Gegenstand ihrer Sorge; ihres Vaters Leben und Wohlsein, nie ihr eigenes empfahl sie Gott in ihren Gebeten an. Aber nicht bloß für ihren Vater, sondern auch für ihre Mutter flehte sie Gottes Segen und Gnade herab, und nicht selten seufzte sie alsdann, zu Gott gewandt: »So lange sie glücklich ist, o Herr, denkt sie Deiner nicht …Und doch – darf ich Dich um ihr Unglück bitten? …Lenker der Weltgeschicke und der Menschenherzen, schalte gemäß Deiner Weisheit und Güte; denn Du allein bist weise, Du allein bist gut!«


 << zurück weiter >>