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Manchmal aber tat es weh, verschlang zu sehr, wollte nicht gestatten, daß man sich behaupte. Schrie einem so mitleidslos zu, daß man allein stehe unter den Millionen.

Sophie ging sehr langsam. Sie wünschte nach ihm anzukommen, genoß vorweg das Glück, ihn gleich beim Eintreten unter den andern Gästen zu bemerken. Seine Frau würde natürlich nicht da sein; es war ihre Gewohnheit, immer in letzter Stunde abzusagen, wo ihr Mann zugesagt hatte. Seit vielen Jahren hatte das Ehepaar sich nicht zusammen in Gesellschaft gezeigt: den Geheimrat traf man überhaupt nur selten.

Aber als sie die Räume betrat, sah sie ihn nicht. In den beiden sehr großen Zimmern, die strahlend von Licht und prangend von Blumen waren, befanden sich nur etwa dreißig Menschen. Sophie kannte fast alle. Und alle Welt, die Hausfrau zumeist, begrüßte sie mit einer besonderen Art von Freudigkeit. Sie empfand wohl, daß man ihr herzliche Gesinnungen schenkte, aber über den Grad ihrer Beliebtheit hatte sie noch nie nachgedacht. Sie war sich der graziösen Würde ihres Auftretens nicht bewußt und noch viel weniger des naiven Zaubers, den ihr die lebhaft gezeigte Anteilnahme an Leid und Freud' der Mitmenschen gab. Sie war wirklich etwas in der Mode, und man fand sie »entzückend«.

Man sprach auf sie ein, und sie sprach zu andern. Und hatte dabei doch immer die Tür im Auge. Sie spürte wohl: es wurde gewartet. Man ging noch nicht zu Tisch. Vielleicht wartete man auf ihn. Sie wagte nicht zu fragen. Während sie mit dem Neffen der Fürstin Siegstein von der mütterlichen Güte seiner Verwandten sprach, hörte sie deutlich, daß neben ihr eine Dame zur andern sagte:

»... dann noch Einladungen zu verschicken!«

»Sieht ihr ähnlich. Czermack soll es sehr ernst ansehen ... man sagt ...«

Das versetzte Sophie den Atem. Von wem sprachen diese beiden? Großer Gott, von wem?

Sie ließ den jungen Siegstein stehen. Da war die Hausfrau – ihrer Gewohnheit nach immer ein wenig eilig und unruhig unter ihren Gästen und jetzt von dem ärgerlichen Zweifel hingenommen: sollte man warten oder nicht? Der Geheimrat Rositz fehlte, und es fehlte noch ihre Tante, die Senatorin Amster mit Pflegetochter – eben die junge Dame, die Sophie malen sollte. Sie schalt vor Sophiens Ohren auf die unpünktliche Senatorin; Sophie aber hatte nur dies eine gehört: man erwartete »ihn« also doch! Jene Worte der beiden Damen konnten sich nicht auf ihn beziehen!

Jetzt öffnete sich die Tür. Eine stattliche Frau kam herein, in stolzer, sicherer Haltung, blond, elegant, mit klugen, etwas scharfen Zügen. Gewissermaßen in ihrem Gefolge erschien auch eine junge Dame in Weiß, die man aber wegen des bedeutenden Auftretens der älteren Dame kaum beachtete.

»Na endlich!« sagte Thea Daister. Ja, die Senatorin hatte keine Schuld. Man wußte doch, wie sie Unpünktlichkeit haßte, wo jede Minute des Tags kostbar und eingeteilt war. Aber eine Panne – es war ärgerlich gewesen und aufregend dazu. Und zugleich, während sie dies erklärte, ging ihr lebhafter Blick über die Gesellschaft hin, eigentlich mehr gleichgültig als neugierig. Ganz sachlich sich auch des ihr hier einzig Wichtigen erinnernd, sagte sie dann:

»Ich sollte Sophie von Hellbingsdorf kennen lernen.«

Thea Daister machte die Damen miteinander bekannt.

»Theas Bild hat meinen Schwager und meine Schwägerin entzückt,« teilte die Senatorin mit, »es ist sprechend. Die ganze muntere, etwas unruhige und zärtliche Art Theas ist darin. Aehnlichkeit zu geben und zugleich das Individuelle, ist ja schwer – wie vielen Malern entschlüpft beim Bestreben, das letztere zu offenbaren, die genauere Linie der ersteren.«

Sophie merkte gleich: die Senatorin mochte gern sprechen und war sich bewußt, auch etwas zu sagen.

»Ich möchte Sie nun bitten, meine Tochter zu malen – hier ist Marieluis – wissen Sie, gerade im gegenwärtigen Stadium ihrer Entwicklung möchte ich sie festgehalten sehen – wie interessant kann das später werden – wenn sie geistig weiter geht – wenn das Bild und das Modell sich voneinander entfernen. Sie müssen wissen, ich hatte keine Kinder. Als leidenschaftliche Erzieherin mußte ich mir eins annehmen.«

Sophie sagte einiges darüber, daß Wahl oft fester binde und tiefere Liebe erwachsen lasse als natürliche Bande. Und dabei sah sie immer nach der Tür und fühlte die Minuten bleiern werden.

Das junge Mädchen stand dabei und hörte zu. Sie war offenbar gewohnt, daß unbefangen vor ihr das Praktische und Seelische ihres Verhältnisses zur Pflegemutter erörtert wurde. Jetzt hatte Sophie keinen Blick für ihr demnächstiges Modell. Marieluis war ein wohlgewachsenes Mädchen, beinahe groß von Gestalt, mit gekraustem Blondhaar, das Stirn und Schläfe wellig umgab. In dem schönen Gesicht fiel der intelligente Ausdruck auf und eine gewisse entschlossene Klarheit des Blicks. Nein, das sah Sophie nicht. Sie sah nur die Tür, die sich nicht mehr öffnete ...

»Meine Tochter«, erzählte die Senatorin, »soll kein leeres Luxusleben führen, wie Thea das tat. Marieluis soll und will lernen. Sie arbeitet! Thea durfte so blind drauf los ihren Wandsbeker Husaren heiraten – unfertig wie sie war – ungeprüft – denn wie wenig kannte man sich eigentlich! Man war bloß verliebt. So was ist nicht in unserm Programm – nicht, Kind? Nun, es ist ja gut abgelaufen mit Thea und Kurt. Es steckte mehr in ihm, als man ahnen konnte. Sein Uebertritt in die Diplomatie hat mich auch recht gefreut. Ich bezweifle auch nicht, daß er sein diplomatisches Examen gut besteht. Nur wundert es mich, daß Daisters dabei so gesellig leben können – wenn man im Auswärtigen Amt arbeitet und sich vorbereitet – auf ein Examen!«

Welche Mühe mußte Sophie sich geben zuzuhören. Um sie herum war frohes Stimmendurcheinander; beglänzte Seidenfalten schimmerten warm und prunkvoll, edle Steine strahlten wie Tautropfen im Sonnenlicht. Aber das Zimmer war für Sophie leer und dunkel, weil der eine noch nicht da war, auf den sie wartete.

Nun kam aber aus dem Munde der Senatorin die Bitte, die Sophie aufhorchen machte.

»Ich möchte keinen längeren Aufenthalt in Berlin nehmen. Sie haben wohl manchmal davon gehört – Art der Städte – Art der Menschen zu verschieden – ich fühl' mich hier nicht behaglich. Zu wenig Tradition. – Also kurz: ich muß Sie schon einladen, nach Hamburg zu kommen. Versprechen kann ich's natürlich nicht, aber ich zweifle nicht daran: Marieluis wird nicht das einzige Porträt bleiben.«

Nach Hamburg – wo zwischen ragenden Schornsteinen, häßlichen, bestaubten und verräucherten Mauern und Dächern, an Wasserläufen, die Lastkähne trugen, irgendwo in einer Vorstadt ihr Allert sein junges Unternehmen zum Erfolg zu führen sich mühte ... Oh ja, wie gern nach Hamburg ...

Fort von hier, wo der Freund lebte, dem sie, der ihr nötig war. Alternde Menschen sollen einander nicht berauben – um keine Stunde darf das Schicksal sie betrügen, die hell und tröstlich und voll sanfter Freude sein könnte – denn zu nahe ist jene eine Stunde, wo alles in Dunkelheit mündet ... Oh nein – nicht nach Hamburg ...

Sie konnte nicht antworten. Nicht einmal zögernde, hinausschiebende Worte suchen. Denn Thea Daister kam wieder heran, eilig und noch unruhiger.

»Das begreife, wer kann! Rositz hat nicht abgesagt und kommt nicht und telephoniert nicht. – Ich denke, man geht zu Tisch – es ist nur – er sollte Dich führen ...«

Die Senatorin machte ein ärgerliches Gesicht. Sie unterhielt sich gern mit bedeutenden Männern. Der Vortragende Rat im Handelsministerium Rositz, von dem es hieß, er werde selbst mal Minister – der wäre ihr gerade als Tischherr recht gewesen. Sein Amt hatte ihn hie und da in Berührung mit Hamburger Handelsherren und Schiffsreedern gebracht. Es fehlte also nicht an Beziehungen.

Jetzt trat der kleine elegante Herr von Daister zu seiner ihn überragenden Gattin, mit einem ernsten Ausdruck, der wie eine durchsichtige Maske über seinem flotten, siegessicheren Husarengesicht lag.

»Wir können zu Tisch gehen. Rositz kommt nicht. Gräfin Bretten sagt mir eben, er sei sehr krank. Blinddarm. Nun, die Art Sachen kuriert Czermack ja glänzend. – Also ich meine doch ...«

Sophie begriff sich nicht – sie vermochte es, sich zu halten, unauffällig zu bleiben, zu sprechen, am Tisch zu sitzen, zwischen Menschen, die ihr wie Phantome erschienen, während ihr selbst war, als träume sie.

Ihr einzig klarer Gedanke war: die Gräfin Bretten zu fragen, was die wußte. Weit weg von ihr an dem dritten der großen runden Tische im Speisesaal saß die Gräfin. Sophie behielt immer den braunen Haarschopf im Auge, den ein Pfeil mit Brillanten durchstach – auf ganz altmodische, doch höchst kleidsame Art.

Aber nach Tisch, als Sophie sich umsah, war die Gräfin verschwunden. Irgend jemand wußte: sie hatte noch auf den Ball der schwedischen Gesandtschaft gewollt ...

Gleich darauf schlich Sophie sich davon.

Der Diener begleitete sie hinab – da standen Autos – sie sagte ihre Straße und Hausnummer. – Und kaum, daß das Gefährt davonbrauste, so drückte sie an dem Gummiballon, der dem Führer »Halt!« zupfiff.

Sie nannte ihm die Wohnung des Freundes ...

Sie dachte gar nicht: was will ich da? Sie fühlte nur: es war schon etwas, das Licht hinter seinen Fenstern sehen – Licht ist wie der Strahl des Lebens – wie Sinnbild des Seins – das Unerloschene würde zu ihr sprechen, als sei es Trost.

Sie wußte: die beiden Fenster links von der Ecke des ersten Stockwerks – das waren seine Fenster. Zuweilen, wenn sie, von einer Gesellschaft in später Nachtstunde heimkehrend, noch die Tiergartenstraße entlang fuhr, so sah sie in warmem, mildgelblichem Licht diese Fenster hell, und das war ein Zeichen: er arbeitete noch.

Nun hielt das Auto – nicht vor der Gitterpforte, sondern, wie Sophie dem Führer befohlen hatte, an der gegenüberliegenden Seite, neben dem Reitweg, am Rande des Tiergartens. »Warten Sie!«

Sophie sah das Licht, nach dem sie sich gesehnt hatte ... und noch viel mehr Licht – aus allen Fenstern brach es – schien die Mauerpfeiler wegzudrängen, die ganze Front in Helle aufzulösen – so blendend schrie dies viele Licht in die Nacht, wie ein prunkendes Fest oder – wie die Angst vor der düsteren Nähe des Todes.

Sophie stand am hohen Gitter, zwei von den eisernen Stäben umklammernd, die in Reih und Glied aus der gemauerten Basis emporstiegen.

Sie starrte zu seinen Fenstern empor. Alles war still. Keine Schatten glitten über die Vorhänge.

Sie hörte gleich einer melancholischen Musik den Wind in den Wipfeln des Tiergartens. Kein Brausen und Rascheln und Wühlen in Blätterfülle. Nur jenes feine Sausen und Schwingen, als seien all die kahlen Reiser Peitschen geworden und schlügen die Nachtluft. Sternenlos, von schweren Schneewolken verhangen, stand der Himmel.

Wie eine Bettlerin lauerte sie am Gitter, sie, die dem Mann, der droben lag und litt, die Nächste war – und an seinem Lager wachte vielleicht jene, deren Anblick und Wesen ihm noch seine Sterbestunde vergällen würde ...

Ein Geräusch ... Fauchen ... Rollen ... Der mißtönige, rasch hintereinander viermal wiederholte Schrei einer Hupe – wie ein Signal. – Das Auto kam heran, bog durch die weitgeöffnete Gitterpforte – stieß seinen Benzinatem aus – fuhr den Weg hinan und hielt unter dem Glasbaldachin seitwärts am Hauseingang. Strahlendes Licht beglänzte die Stelle. Und Sophie sah ...

Gerade als das Auto hielt, kam auch schon ein Diener aus dem Portal ... Er riß die Tür auf, und zwei junge Herren stiegen aus. Auf der Stelle wußte Sophie: seine Söhne! Der eine stand als Regierungsreferendar bei der Regierung in Breslau. Der andere war Leutnant in einem Dragonerregiment. Beide bedeuteten dem Vater Sorge ... Sophie konnte auf das deutlichste die Gesichter erkennen. – Die kleinen Bartstreifen auf dem hochmütig-gleichgültigen Gesicht des Referendars – die Aehnlichkeit des Dragoners mit dem Vater ...

Sie schienen etwas zu fragen – der Diener, ob er sich zwar schon mit dem Handgepäck der Angekommenen beschäftigte, wußte seiner Haltung doch einen ernsten Ausdruck zu geben – seine Auskunft mußte sehr bedeutungsvoll sein.

Sekundenlang blieben die beiden jungen Herren regungslos. Dann fragte der im Militärmantel noch etwas.

Und da hörte Sophie deutlich – deutlich durch die Stille der Nacht ...

»... vor einer Stunde!«

Und sie wußte: Er war tot.


Die mit Kränzen gehen und in schwarzen Floren, sind nicht immer die wirklichen Leidtragenden.

Sophie hatte kein Recht, an der mit pomphaften Trauerzeichen ausgestatteten Totenfeier teilzunehmen.

Während man den teuren Freund begrub, stand sie im Arbeitskittel und malte. Die letzte Sitzung für das Bildnis der alten Fürstin – gottlob! Es eilte Sophie damit; etwas peitschte sie – sie mußte mit diesem Bilde fertig werden, es war, als gehöre es noch in das Stück Leben, das nun zu Ende war.

Und dann fort – fort aus diesem Heim, das der eine niemals mehr betreten würde. –

»Liebste Hellbingsdorf – Sie sehen elend aus – das hat Sie angegriffen.«

Die Fürstin meinte die »kleine Reise in dringlichen Geschäften«, mit der Sophie sich für drei Tage entschuldigt hatte – drei Tage, in stumpfer Verborgenheit und schwerem Ringen verbracht. Sophie war das Lügen nicht gewohnt – den erfundenen Vorwand hatte sie vergessen.

»Es geht wieder gut,« sagte sie, »es war nur ein leichter Influenzaanfall.«

Die alten klugen Augen sahen sie durchdringend an. Und als Sophie dem forschenden Blick begegnete, kamen ihr unversehens Tränen – sie selbst überraschend, so daß sie sich nicht gegen ihre Weichheit hatte wappnen können. Nun biß sie die Lippen zusammen ...

»Weinen Sie nur – weinen Sie,« sprach die Greisin, »die Tränen, die nach innen fließen, versalzen uns das Wesen ...« Dann fragte sie:

»Wie alt sind Sie?«

»Neunundvierzig.«

»Jung – jung,« meinte die fast Achtzigjährige, »zu jung, um so allein zu stehen. Sie haben Söhne?«

»Zwei, Durchlaucht.«

»Kinder. Na ja. – Aber wenn wir in unserm tiefsten Weibtum irgendwie leiden – da können Kinder blitzwenig trösten – die wohnen sozusagen in 'ner andern Herzensabteilung – wissen Sie, als mein Mann starb – einst hatt' ich ihn bloß aus Gehorsam, fast mit Abneigung genommen – der liebe Gott hat's aber gut mit uns gemeint –ich gewann meinen Mann über die Maßen lieb – er mich – ja, als der Tod das zerriß – trostlos war ich – das konnten mir die Kinder nicht ersetzen. Na – man findet sich mit der Zeit – weil alles zeitlich ist.«

Sophie küßte der Greisin die Hand. Sie fühlte sich wunderbar verstanden. Dies alte Herz erriet: sie litt. Und ohne zu wissen und zu fragen, fand es rechte Worte.

Einen Augenblick dachte sie daran, sich der Fürstin zu offenbaren – denn neben dem Gram stand ja noch eine große Sorge ...

Der nun Dahingegangene hatte ihr etwas anvertraut – diese Mappe, die er nach zwei Tagen holen wollte. – Er, der niemals mehr kam!

Aber sie bezwang sich. Sie wußte: es ist immer klüger, die Güte Hochstehender nicht sogleich mit Geständnissen zu beantworten. Aber sie konnte nun weiterarbeiten. Und von ihrem erhöhten Sitz her, wo sie in einem goldenen Barockstuhl, voll Alterswürde, in den schweren Falten ihres dunklen Samtkleides saß, spann die Fürstin die Unterhaltung fort.

»Offiziere, die Söhne?«

»Der zweite, Durchlaucht. Mein Aeltester ist Kaufmann.«

Der weiße Kopf machte eine lebhafte Bewegung.

»Dernburg!« sagte sie bestimmt. »Das hat förmlich fixe Ideen erzeugt. Wenn ein Kaufmann plötzlich Minister werden kann – und ein bürgerlicher Kaufmann – welche Sessel müssen da adeligen Kaufleuten erklimmbar sein!«

»Ach nein, Durchlaucht! Nicht Dernburg. Er ist schon vor zwölf Jahren Kaufmann geworden. Mein Allert dachte als Knabe, das Familiengut komme mal an ihn – als er sein Abiturium hatte, war's gerad' so weit, daß alles anders lag – mein Mann starb – Muschenfelde ließ sich nicht halten – es hieß, an Erwerben denken ...«

»Da brauchte er doch nicht gleich Zucker und Kaffee zu verkaufen,« meinte die Fürstin mißfällig. »Ein Hellbingsdorf!«

Sophie spürte: sie hatte keine Ahnung – sah in ihrer Phantasie vielleicht einen deklassierten Aristokraten, der hinterm Ladentisch Tüten füllte.

»Durchlaucht – soll ich all die Standesherren aufzählen, die Brennereien, Brauereien, Sägereien haben? Die Holz, Milch, Vieh, Korn, Wild verkaufen?«

»Ih – ja – das könnte klingen. Ist aber doch anders! Betrieb auf eigener Scholle – mein Neffe Rudi hat an seinem Waldbach 'ne Sägerei und 'ne Kornmühle. – Liebste – eigene Scholle! Und er klopft und sägt und mahlt nicht selbst,« sagte sie amüsiert.

»Mein Sohn steht wohl auch nicht selbst an den Retorten und Oefen der Fabrik.«

»Ach Gott ja – die neue Zeit,« sagte die Greisin so ins Unbestimmte hinein, »alles bekommt andere Taxen.«

Und dann lenkte sie von diesem Gebiet, auf dem sie sich gänzlich unsicher fühlte, plötzlich auf das ihr bequeme ab.

»Wen will denn Ihr Sohn so mal heiraten – wenn er sich in so 'ne andere Welt 'rein begab? Passen Sie auf, was er Ihnen da mal bringt – vielleicht irgend 'ne Börsenprinzeß – hm – vielleicht nicht übel – jedenfalls nicht ungewöhnlich. Wir haben ja manche Familien, die nicht mehr fortgekonnt hätten ohne solche Neuvergoldung ...«

»Ja, Durchlaucht, die Frage beschäftigt mich beständig. Aber es ist eben eine ernste Frage. Kopf und Herz sollen bei der Beantwortung übereinstimmen. Das findet sich schwer.«

»Unsinn. Unsinn. Kopf und Herz,« eiferte die Fürstin. »Das Herz kommt nach, wenn der Kopf durchaus weiß: so ist's vernünftig, so muß es sein. Es ist viel angeborene Neigung und Bedürfnis in einem, zu lieben, sich anzuschließen. Das hilft nach, sobald der Verstand einen unabänderlichen Lebenszustand etabliert hat. Und dann die Gewohnheit! Beste Hellbingsdorf, die gute Hälfte von dem, was man so für Verständnis und Liebe hält, ist ja bloß Gewohnheit. Das müssen Sie Ihren Söhnen klarmachen.«


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