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Bei den Alaska-Indianern.

1. Der Schlittendiebstahl.

Nikolai Nikoloff stand in Sitka am Strande und schaute betrübt den russischen Schiffen nach, die seinen Blicken immer mehr entschwanden und ihm seine besten Freunde entführten. Er wischte sich mit dem Rücken seiner feisten Hand eine Träne aus den Augen und trat dann entschlossen den Heimweg nach dem Hause des Lotsen an. Es fiel dem armen Burschen sehr schwer, sich seiner kleinen, lahmen Schwester zuliebe zu einem heitern Aussehen zu zwingen.

Der Verkauf der russischen Besitzung Alaska an die Vereinigten Staaten von Nordamerika hatte sich vollzogen und die damit verbundene Arbeit war gänzlich beendigt. Der russische Fürst Maksutoff und seine Ehefrau waren heute davongesegelt und hatten alle Russen mitgenommen – selbst diejenigen, die nur behaupteten, Russen zu sein – mit Ausnahme der sehr wenigen, die aus freier Wahl zurückblieben, weil sie ihre Heimat nicht verleugnen wollten.

Traurig schritt der Knabe die Straße entlang, die von dem verlassenen Hafen in die Stadt führte, dann bog er in einen offenen Platz ein. Rings um denselben waren solide Blockhäuser errichtet, die teils noch leer standen, teils bereits von amerikanischen Offizieren bewohnt waren. Auf dem Hügel zur Rechten erhob sich ein großes, plumpes Gebäude, das früher dem russischen Fürsten als Wohnsitz gedient hatte und jetzt den amerikanischen Kommandanten beherbergte.

Als Nikolai sich den rohen, eisbedeckten Treppen näherte, die zu diesem »Palast« führten, rief ihn von oben eine frische Stimme an. Er blieb zögernd stehen, denn es war ihm peinlich, sich in seinem vergrämten Zustand sehen zu lassen. Doch gewohnt, Befehlen widerstandslos zu gehorchen, blickte er auf.

Eine Pelzmütze wurde von einem blonden Lockenkopf gelüftet und ihm ungeduldig zugeschwenkt. »Heda, Kollia! Hier ist mein Schlitten. Begleite mich zum Indianerfluß!«

Noch während er die Worte rief, kam der schmucke Knabe atemlos die Treppen herabgestürzt und stand im nächsten Augenblicke neben Kollia. Es war Paul, der Sohn des Kommandanten. Er lächelte Nikolai so offenherzig und freundlich zu, daß der betrübte junge Russe sich beinahe getröstet fühlte.

Nach Knabenart stürmten die beiden davon, ein rascher Wettlauf brachte sie bald an die griechische Kirche, deren Glockengeläute eben die Aleuten und Indianer zu einer der häufigen Andachtsübungen herbeirief. Hier trafen sie auf eine Gruppe von Indianern, die den offenen Platz halb füllten und die Seitenwege ganz versperrten. Sie waren nicht zu gottesdienstlichen Zwecken vereinigt, sondern kauerten mit untergeschlagenen Beinen schwatzend oder spielend in Eis und Schnee.

Um an ihnen vorbeizukommen, lenkten Paul und Nikolai von ihrem Wege ab und trabten auf die unebene, hartgefrorene Straße. Der kleine Schlitten, den Paul hinter sich herschleifte, streifte den ausgestreckten Fuß eines Indianermädchens. Mit einem schrillen, zornigen Schrei sprang sie auf und jagte den Knaben nach, die, sich keiner Schuld bewußt, ihren Weg fortsetzten. Bald hatte sie Paul eingeholt, riß die Mütze von seinem Haupt und schleuderte dieselbe weit von sich in den tiefen Schnee, dabei den Knaben mit tschenukischen Schimpfworten überschüttend. Dieser drehte sich voll Zorn um; als er jedoch sah, daß sein Angreifer nur ein kleines Indianermädchen seines Alters war, verwandelte sich sein Ärger in ein fröhliches Lachen. Er ließ das Seil seines Schlittens fallen und watete durch den Schnee, um seine Mütze zu holen.

Das Mädchen beobachtete ihn mit einem boshaften Funkeln in ihren großen, schwarzen Augen. Er war noch kaum einige Schritte vorwärts gedrungen, als sie mit einem plötzlichen Ruck ihre indianische Decke über den Arm zog, das Seil des verlassenen Schlittens erfaßte und mit diesem über dick und dünn davonsprang wie ein junges Reh, von Zeit zu Zeit über die Schulter weg einen herausfordernden Ruf ausstoßend. Gar bald war sie aus dem Bereiche der verblüfften Knaben verschwunden. Nikolai war der erste, welcher ihr nachjagte; er rief Paul zu, ihm zu folgen. Das Mädchen lief die Straße, auf der die beiden gekommen waren, wieder zurück. Auf dem offenen Platz angelangt, bog sie plötzlich nach rechts ein und rannte nach dem Tor, welches das Indianerdorf mit der weißen Ansiedlung verband.

Bei Sonnenuntergang wurden die Indianer, die sich tagsüber frei in der Festung bewegen durften, von einer Schildwache nach Hause geleitet, dann verschloß diese das Tor und bewachte es bis Sonnenaufgang.


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