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4. Kultus-Potlatsch.

Kultus-Potlatsch ist ein Geschenk – gewöhnlich Decken – behufs Besänftigung des Zornes betrübter und gekränkter Verwandter: so und so viele Decken für den Mord eines Kriegers, so und so viele für den eines alten Weibes u. s. w.

Dieser Offizier, Oberst Wendworth, war Pauls Vater und erst seit kurzem auf Alaska stationiert. Die amerikanische Garnison, der er vorstand, wußte so wenig, was sie von den dortigen Indianern zu erwarten hatte, daß deren lufterschütterndes Kriegsgeschrei sie in nicht geringe Aufregung versetzte. In der sich immer mehr verbreitenden Dämmerung konnte man nichts sehen, nichts erfahren. Oberst Wendworth erriet sofort, daß die beiden Knaben mit ihren eigenen Augen etwas gesehen haben mußten und ermutigte sie, während er rasch zum Wachthaus schritt, ihm ihr Erlebnis mitzuteilen. Als dies geschehen, war er sich sofort klar, wie er seine Garde zu postieren hätte, um im Fall eines Angriffs vorbereitet zu sein.

Für die Garnison folgte eine unruhige Nacht. Die Frauen und Kinder der Offiziere und viele andere schwache oder hilflose Leute strömten in den »Palast«, weil sie sich auf dem Hügel, an dessen Fuße Soldaten Wache standen, geborgener fühlten als unten in der gefährlichen Nachbarschaft des Indianerdorfes.

Die beiden Knaben, die gemeinsam eine große Gefahr überstanden hatten, waren gute Freunde geworden. Der Oberst schickte sie sofort auf den Hügel, wohin ihnen Vater Nikol, der Lotse, und Oftotia, die kleine lahme Schwester Kollias, folgten. Paul führte die drei Freunde gleich zu seiner Mutter, die wegen seines langen Fortbleibens schon in großer Sorge gewesen war, die Gäste jedoch herzlich willkommen hieß. Nikolai wurde der Held des Tages, als Paul mit großer Begeisterung über ihr Abenteuer berichtete.

An Schlaf war in jener Nacht nicht viel zu denken. Paul und Kollia mischten sich unter die am Hügel versammelte Menge und beobachteten stundenlang die Tausende von Fackeln, die das Indianerdorf beleuchteten. Manchmal schien es, als ob die Fackeln, deren greller Schein sich im Wasser widerspiegelte, am Strande entlang hin und her jagten. Das schreckliche Kriegsgeschrei dauerte fast ununterbrochen fort. Paul sorgte aufmerksam für die Bequemlichkeit der kleinen Oftotia und wurde durch ein dankbares Lächeln des bleichen, geduldigen Kindes belohnt. Er und Kollia gewöhnten sich schließlich an das unaufhörliche Getöse, ja sogar an den Zweifel und die Ungewißheit; ihre Augenlider wurden immer schwerer, und jeder von ihnen kauerte sich in einen Winkel, um bald in Morpheus' Arme zu sinken.

Bei Sonnenaufgang blieb das Tor in der Barrikade natürlich geschlossen. Mit Hilfe eines Fernglases konnte die Garnison leicht die Schlacht zwischen den Tschilkats und den Sitkas verfolgen.

Die Garnison fühlte sich vor jedem Angriffe sicher, die Leute kehrten in ihre Behausungen zurück, aber drei Tage hindurch – so lange dauerte dieser kleine Krieg – war jedermann beunruhigt. Die Angreifer unterbrachen ihre Belagerung, um zeitweilig auf der lieblichen Insel Japonska, die auf der anderen Seite des Kanals lag, auszuruhen. Am dritten Tage bemerkte der Lotse, daß sich ein amerikanisches Kriegsschiff der Küste nähere; als er es an seinen Ankerplatz, gerade dem indianischen Dorfe gegenüber, geleitet hatte, hörten plötzlich alle Feindseligkeiten auf.

Die schwarzen Kanonenmündungen an den Seiten des Schiffes eröffneten ein Feuer zum Gruß der Festungsflagge. Die Tschilkats und Sitkas waren jedoch überzeugt, daß dieser fürchterliche Lärm beiden mit Strafe drohe und veranlaßten daher schleunigst Vorbereitungen zu einem Kultus-Potlatsch.

Der alte Annahuz schickte unter Aufwand von großen Förmlichkeiten Abgesandte an die »mächtige Tyis« – den Befehlshaber des Forts und des Kriegsschiffes –, um sie zu bitten, bei dem feierlichen Friedensschlusse der beiden Stämme anwesend zu sein. Paul erhielt von seinem Vater die Erlaubnis, mit Kollia dem Feste beizuwohnen. Unter den Klängen von Tamtams und indianischen Schnarren betraten die Knaben das Haus Annahuz', diesmal aber unter dem Schutz der »großen Tyis« – und erhielten mit feierlichem Gepränge Ehrenplätze angewiesen.

Während die bemalten und geschmückten Krieger unter schrecklichem Geheul und dem Geklapper ihrer lächerlich aufgeputzten Holzschnarren ihre Kultus-Potlatsch-Tänze vollführten – ein höchst sonderbarer, fast grauenhafter Anblick – schauten Paul und Nikolai, nachdem sie die erste Neugierde befriedigt, nach Alunka aus. Sie waren weit entfernt, dem seltsamen kleinen Mädchen zu grollen und fühlten sich enttäuscht, als sie es nirgends entdecken konnten.

Paul, der alles Komische liebte, hatte eine Zeitlang einen besonders grotesken Tänzer angestarrt und wandte sich nun mit heiterem Lächeln zu Kollia, erblickte aber nicht diesen, sondern die spitzbübischen, schwarzen Augen Alunkas. Sie stand dicht an seiner Seite und überreichte ihm mit einer halb schüchtern-freundlichen, halb trotzigen Gebärde ein Körbchen. Nur die Alaska-Indianer verstehen es, derartige künstlich gewebte, feingeformte und farbenprächtige Kostbarkeiten zu verfertigen. Das Stroh wird Stich für Stich in allen Farben gefärbt und über unterlegte Wurzelfasern ebenfalls Stich für Stich in der Art des alten Gobelins gewebt. Das Körbchen enthielt eine Menge Walroßelfenbein- und Schwarzhornschnitzereien, wegen deren die Alaska-Indianer einen großen Ruf genießen, und die niemand zierlicher und geschickter auszuführen verstand als der kleine Kobold Alunka. Paul errötete und zögerte, aber das Mädchen veranlaßte ihn durch ihr echt indianisches Lachen – halb Gurgelton, halb kindliche Fröhlichkeit, im ganzen bezaubernd – die Gabe anzunehmen. Als er das Körbchen in Händen hielt, flüsterte sie ihm sanft zu: »Alunkas Kultus-Potlatsch.«

Obgleich Paul noch während dieser Worte unwillkürlich die freigebliebene Hand nach dem Mädchen ausstreckte, um es zurückzuhalten, entschlüpfte es und verlor sich im Gedränge.


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