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(1881.)
Ausserhalb seines Vaterlandes ist Björnstjerne Björnson als grosser Dichter bekannt. Für Norwegen ist er mehr als ein Dichter. Er hat nicht nur seinem Volke schöne Erzählungen, Lieder und Dramen geschrieben; er lebt tagtäglich mit diesem Volke, steht mit ihm in ununterbrochenem Verkehr. Er, der die feinste und zarteste Poesie zu dichten vermag, hält sich nicht für die gröbste Arbeit, diejenige des Journalisten und des Volksredners zu gut, wenn es gilt durch Bekämpfung eines Irrthums oder einer Lüge, durch Verbreitung einer einfachen aber noch unerkannten Wahrheit die sittliche und politische Erziehung des norwegischen Volks zu fördern. Es geht von ihm ein Hauch des Lebens aus. Wo sein Geist in diesem Augenblick hindringt, da entwickelt sich Selbsterkenntniss und Wahrheitsliebe, da werden Nationalfehler abgeschüttelt, da wächst das Interesse für alle geistigen, alle öffentlichen Angelegenheiten und mit dem Interesse das gesunde Selbstvertrauen. Er hat die Sendung des Dichters im weitesten Sinne aufgefasst.
In seiner Rede bei der Enthüllung des Wergeland-Denkmals am 17. Mai 1881 sagte Björnson von seinem grossen Vorläufer, dem europäischen Dichter, der Shelley am nächsten steht:
»Ihr habt wol alle davon gehört, dass Henrik Wergeland eine Zeit lang in seinem Leben mit den Taschen voll Baumsamen ging, ab und zu auf seinen Spaziergängen eine Handvoll auswarf und seine Kameraden überreden wollte, dasselbe zu thun, da Niemand wissen könne, was daraus aufgehen werde. Dies ist ein so treuherziger und rührend poetischer Zug von Vaterlandsliebe, dass es auf der Höhe des besten steht, was er geschrieben hat.«
Was hier von Wergeland in buchstäblichem Sinne erzählt wird, das kann im höheren Sinne von Björnson gesagt werden. Er ist der grosse Säemann Norwegens. Das Land ist ein Felsenland; steinig, wild und kahl. Die Saat fällt auf felsigen Boden und manch' ein Samenkorn wird weggeweht vom Wind. Björnson fährt aber unermüdet in seinem Wirken fort. Sehr Vieles von seiner Saat ist schon aufgegangen; mancher Baum, den er gepflanzt hat, steht schon in Blüthe und was die Frucht betrifft, so denkt er bei seiner Arbeit nicht an das jetzt lebende Geschlecht allein.
Man braucht nur einen Blick auf Björnson zu richten um sich zu überzeugen, wie vorzüglich er von der Natur für den heissen Kampf gerüstet wurde, den das literarische Leben in den meisten Ländern, jedoch besonders in dem streitbaren Norden mit sich führt. Man sieht nicht oft so breite Schultern, nicht oft eine so kraftvolle Gestalt – wie geschaffen in Granit ausgehauen zu werden.
Es gibt vielleicht keine Arbeit, die so, wie die schriftstellerische Productivität alle Lebensgeister erregt, die Nerven angreift, die Sinne verfeinert und schwächt. Es war aber keine Gefahr vorhanden, dass die Anstrengungen der dichterischen Production sich bei ihm wie bei Schiller auf die Lungen, oder wie bei Heine auf den Rücken schlagen könnten; es war nicht zu fürchten, dass feindselige Artikel jemals ihm, wie dem Helden Halvdan in seinem Drama »Der Redacteur«, den Tod gäben, noch dass er, wie so viele moderne Dichter, der Versuchung unterliegen würde, durch verderbliche Reizmittel oder Zerstreuungen der durch die schöpferische Thätigkeit erzeugten Erregtheit oder Schlaffheit des Nervensystems entgegen zu wirken. Dem Mark dieses Rückens gebrach nichts, in diesen Lungen fand sich kein Staub und sie kannten keinen Husten; diese Schultern waren geschaffen, die Stösse, welche die Welt gibt, unerschüttert zu ertragen und sie zurückzugeben. Und die Nerven! Ich bin überzeugt, dass Björnson nie durch eigene Erfahrung begriffen hat, was man unter Nerven versteht. Er ist vielleicht der einzige bedeutende Dichter unserer Zeit, von dem sich dieses sagen lässt. Er ist als Schriftsteller nie nervös, nicht wenn er fein, nicht einmal wenn er empfindsam ist.
Stark wie das Raubthier, dessen Name zwei Mal in seinem Namen vorkommtB jörn bedeutet Bär, Björnstjerne das Sternbild: der grosse Bär., muskulös ohne eine Spur von Fettigkeit, athletisch gebaut steigt er vor der Erinnerung auf mit dem mächtigen Kopf, dem festgeschlossenen Mund und dem scharfen, durchbohrenden Blick hinter der Brille. Literarische Feindschaften würden unmöglich diesen Mann zu Boden werfen können, und für ihn existirte nie die grösste Gefahr für den Schriftsteller (eine Gefahr, die eine Zeit lang sogar seinem grossen Nebenbuhler Henrik Ibsen drohte), dass sein Name todt geschwiegen werde. Er trat schon als ganz junger Schriftsteller (als Theaterrecensent und Politiker) so kampfeslustig in die Literatur hinein, dass dröhnender Lärm um ihn entstand, wo er sich zeigte. Er hatte wie sein Thorbjörn in »Synnöve Solbakken« die Rauflust des Starken, aber er stritt wie sein Sigurd in »Sigurd's Flucht« nicht allein um seine Kräfte zu üben, sondern aus naiver, freilich oft irrender Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe. Er verstand es jedenfalls vom Grunde aus, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Ein Schriftsteller kann grosse und seltene Gaben besitzen und doch durch den Mangel an Uebereinstimmung zwischen seiner Begabung und dem Nationalcharakter oder der Entwickelungsstufe seines Volkes, lange Zeit hindurch an einem durchschlagenden Erfolg verhindert sein. Viele der Grössten haben darunter gelitten. Viele wie Byron, Heine, Henrik Ibsen haben ihr Land verlassen, noch weit mehrere, die im Lande blieben, haben sich von ihrem Volke verlassen gefühlt. Mit Björnson verhält es sich ganz anders. Er ist zwar nie von seinem ganzen Volke friedlich anerkannt worden, anfangs nicht weil seine Form zu neu und ungewohnt war, später nicht, weil seine Ideen zu sehr die herrschenden, conservativen und hochorthodoxen Kreise herausforderten; noch heutzutage wird er von der Presse der norwegischen Regierung und der tonangebenden Beamtengesellschaft mit einer Wuth verfolgt, die in der Wahl ihrer Mittel ebenso wenig wählerisch ist, wie in andern Ländern die Erbitterung der Kämpfer für Throne und Altäre. Aber trotz alledem hat Björnstjerne Björnson sein Volk hinter sich und um sich wie unter den jetzt lebenden Dichtern vielleicht nur Victor Hugo. Wenn man seinen Namen nennt, ist es, als ob man die Fahne Norwegens aufstecke. Er ist in seinen Vorzügen und Fehlern, in seinem Genie und seinen Schwächen so ausgeprägt norwegisch wie Voltaire französisch war. Seine Kühnheit und seine Naivetät, seine Offenherzigkeit als Mensch und seine Wortkargheit als Künstler, das gesteigerte und empfindliche norwegische Volksgefühl und das lebhafte Bewusstsein der Einseitigkeit und der geistigen Bedürfnisse dieses Volks, das ihn zum Skandinavismus, Pangermanismus, Weltbürgerthum getrieben hat, all' dies ist in seiner eigenthümlichen Mischung bei ihm so ausgeprägt national, dass er in seiner Persönlichkeit das ganze Volk resumirt. Kein anderer Zeitgenosse vertritt so vollständig die Liebe dieses Volks zur Heimath und zur Freiheit, das Selbstgefühl, die Geradheit und die frische Energie desselben. Ja in diesem Augenblick bezeichnet er noch dazu in grossem Styl die Selbstkritik des Volks, freilich keine geisselnde, mit Skorpionen peitschende Kritik, wie sie in Norwegen Ibsen, in Russland Turgeniew vertritt, sondern das von Liebe getragene scharfe und muthige Urtheil. Er weist nie einen Schaden auf, an dessen Besserung und Heilung er nicht glaubt, nie ein Laster, an dessen Ausrottung er verzweifelt. Denn er hat einen wahren Köhlerglauben an das Gute in der Menschenwelt und besitzt den ganzen unbesiegbaren Optimismus eines grossen genialen Sanguinikers.
Seinem Wesen nach ist er halbwegs Clanhäuptling, halbwegs Dichter. Er vereinigt in seiner Person die beiden im alten Norwegen hervortretenden Gestalten: den Häuptling und den Skalden. Er ist in seinem Gedankengang halb Volkstribun, halb Laienprediger, d. h. er verschmilzt in seinem öffentlichen Auftreten das politische und religiöse Pathos seiner norwegischen Zeitgenossen, und zwar fast noch mehr, nachdem er sich von der Orthodoxie losgerissen hat als zuvor; er ist in noch höherem Grade Missionär und Reformator nach seinem sogenannten Abfall wie vor demselben.
Wie er in keinem, andern Lande hätte können hervorgebracht werden, so würde er noch weniger als andere Schriftsteller ausserhalb des Vaterlandes gedeihen. Als im Jahr 1880 durch die deutschen Zeitungen das Gerücht ging, dass er, von den ewigen, heimathlichen Streitigkeiten ermüdet, sich in Deutschland niederlassen werde, schrieb er mir: »Ich will in Norwegen wohnen, in Norwegen prügeln und geprügelt werden, in Norwegen singen und sterben.«
Sich in so innigem Zusammenhang mit dem Vaterlande zu fühlen ist ein Glück, wenn man von dem Vaterland sympathisch verstanden wird. Und dies ist Björnson's Fall. Es beruht auf Verhältnisse, die tief in seiner Natur liegen. Er, der so stark für den verschlossenen, einsamen Michel Angelo schwärmt und der ihn naturgemäss so hoch über Raphael stellen muss, ist ein Geist ganz entgegengesetzter Art, nicht einsam, selbst wenn er am meisten allein ist (wie seit 1873 auf seinem Gute in dem entlegenen Gausdal), sondern ein durch und durch gesellschaftlicher, oder richtiger ausgedrückt volkstümlicher Geist. Er bewundert Michel Angelo, weil er das Grosse, das Tiefernste, das mächtig Schroffe im Menschenherzen und in dem Styl verehrt und versteht; aber mit der melancholischen Empfindung der Vereinsamung bei dem grossen Florentiner hat er nichts gemein. Er ist der geborene Parteistifter und fühlte sich deshalb früh zu strömenden, volksthümlich parteistiftenden Geistern, wie dem Dänen Grundtvig und dem Norweger Wergeland hingezogen, so unähnlich er ihnen auch durch seine plastische Gestaltungskraft war. Er hat das Bedürfniss, sich als einen Mittelpunkt oder Brennpunkt der Sympathien zu fühlen, und er bildet unwillkürlich einen Bund um sich, weil er in seinem eigenen Wesen eine Gesellschaft resumirt.
Björnstjerne Björnson ist am 8. December 1832 in einem Thale des Dovrefjäld, zu Kvikne, wo sein Vater Pfarrer war, geboren. Die Natur dieser Gegend ist unfreundlich, arm und öde, die Felsen meist kahl, hier und da Tannen und Birken, aber der Boden so schlecht und das Wetter so rauh, dass der Bauer in fünf Jahren nur auf ein Getreidejahr rechnen kann. Kein Kornfeld gedieh um den Pfarrhof. Im sparsam bevölkerten Thal lagen die Häuser weit aus einander. Im Winter bedeckte hoher Schnee Berg und Thal, umgab jedes Haus mit einer Umwallung und lud zu Schlittenfahrten und Schneeschuhlaufen ein. Als der kleine Björnstjerne sechs Jahre alt war, wurde der Vater nach Nässet in Romsdalen, der wegen ihrer Schönheit berühmtesten Gegend Norwegens, versetzt. Hoch und mächtig steigen hier zu beiden Seiten des Thals die Felsen mit kühn geformten Zinnen empor, die nach und nach, während die Ebene sich senkt und man sich dem Fjord nähert, in immer merkwürdigeren Bildungen dem Auge erscheinen. Nur wenige norwegische Thäler können sich in so reicher Abwechslung mit Romsdalen messen; sowol der flache Charakter des Thalbodens wie die in Norwegen ungewöhnlichen Bergformationen geben ihm ein eigenartiges Gepräge. Die Gegend war fruchtbar, verhältnissmässig stark bevölkert, die Höfe hübsch, meistens zweistöckig, der Menschenschlag bei aller Wortkargheit freundlich. Der Unterschied mit dem früheren Aufenthaltsort war auffallend und ergreifend; er lehrte das Kind nachzudenken und zu vergleichen, das Alte im Lichte des Neuen, das Neue im Lichte des Alten zu sehen, endlich sich selbst mit fremden Augen zu betrachten und seines Wesens bewusst zu werden. Die grossartige Natur und das bewegte Volksleben füllten mit ihren Bildern die empfängliche Seele des frischen und reichbegabten Jungen. Nach der kleinen Stadt Molde in die gelehrte Schule geschickt, organisirte er Vereine unter den Knaben und wurde bald eine Art Führer der Schuljugend. Er las alles Geschichtliche und Dichterische, dessen er habhaft werden konnte, die Volksmärchen, die Asbjörnsen, die Volkslieder, die Landstad kurz zuvor gesammelt hatten, die altnorwegischen Königssagen, populäre Romane, Gedichte, besonders die Werke Wergeland's, die er mit Leidenschaft verschlang. Siebzehn Jahre alt kam er nach Christiania, um sich zum Studentenexamen vorzubereiten, las hier besonders dänische Literatur, trat in engeres Freundschaftsverhältniss zu dem genialen Sonderling Aasmund Vinje, der sich schon als Dialektdichter einen Namen erworben hatte, sowie zu dem gleichaltrigen, erst später bekannten Historiker Ernst Sars, und führte ein geistig vielfach bewegtes, stürmisches, übermüthiges Jugendleben. Das damalige, mit grosser Sorgfalt geleitete dänische Theater in Christiania interessirte und beeinflusste ihn lebhaft. Als er 1852 als Student in das Elternhaus zurückkehrte und dort ein Jahr verbrachte, that sich das Volksleben in neuer Beleuchtung seinen Augen auf. Er lebte mit dem Volk und dichtete Lieder im Volkston, die oft von den Bauern auswendig gelernt und gesungen wurden.
Nach Christiania zurückgekehrt trat er als Kritiker, besonders als Theaterrecensent auf, schrieb mit der ganzen Gewaltsamkeit genialer Jugend, mit der ganzen Ungerechtigkeit eines angehenden Dichters und erwarb sich viel Feinde. Er las jetzt vorzugsweise die dänischen Denker der eben zu Ende gehenden Literaturperiode, Heiberg, Sibbern, Kierkegaard, und fing etwas später an, sich in die Gefühlswelt Grundtvig's zu vertiefen. Die Lehre desselben vom »frohen Christenthum« ergriff ihn als Gegensatz zum düstern Pietismus seines Heimathslandes, der starke Glaube an die hohe Begabung und die Mission des skandinavischen Nordens, die er bei Grundtvig fand, musste den so typisch nordischen und mit Europa so unbekannten Jüngling nothwendigerweise fesseln. Bis in die siebziger Jahre hinein lässt sich der Einfluss Grundtvig's bei ihm spüren. Und selbst heutzutage ist derselbe nicht vollständig erlöscht. Er fand damals im Grundtvigianismus all' das, was er später, nachdem er sich von dem Zauberbann der Grundtvig'schen Kreise losgerissen hatte, ausserhalb desselben suchte und fand: das Menschliche in seiner höchsten Freiheit und Schönheit. Es lag eben an der Enge seines Gesichtskreises. Die modernen philosophischen und socialen Ansichten waren in jenen Jahren an der Universität Christiania nicht vertreten. Man leistete Tüchtiges in den Specialfächern, aber sonst war hier wie in Dänemark der geistige Verkehr mit Europa abgesperrt. Es gab an der Universität kein europäisches Bewusstsein. Der Pfarrerssohn aus dem einsamen Dorf, der Schüler aus der Kleinstadt kam auch in der Hauptstadt nicht aus den Kreisen verschiedentlich nuancirter Orthodoxie heraus. Daher das Beschränkte, bisweilen Kindliche in Björnson's ersten Werken, daher die in ihrer Art einzige selbstsichere Naivetät, die in dieser Periode seine Stärke als Dichter ausmacht.
Ein paar Ausflüge in die Nachbarländer, zuerst die Theilnahme an dem skandinavischen Studentenzug nach Upsala 1856, unmittelbar danach ein längerer Aufenthalt in Kopenhagen, brachten seine dichterischen Anlagen zur Reife. Er hatte schon das kleine Schauspiel »Die Neuvermählten« begonnen, es aber im Gefühl der Unzulänglichkeit seiner Kräfte hingelegt, um es zehn Jahr später wieder aufzunehmen. Er hatte in kurzen, echt volksliedartigen, lyrischen Gedichten seinen Schaffungsdrang beruhigt ohne ihn zu befriedigen. Jetzt schrieb er sein dramatisches Erstlingswerk »Zwischen den Schlachten«, ein kleines ernstes Schauspiel in einem Aufzug, das eine Episode aus den norwegischen Bürgerkriegen des frühen Mittelalters behandelt, und in welchem der knappe, schroffe Prosastyl, der zu den breitrollenden, wortreichen Jamben dänischer Dramen aus der Oehlenschläger'sehen Schule den schärfsten Gegensatz bildete, eine neue Form des nordischen Styls überhaupt inaugurirte. Das Stück wurde von Heiberg als Director des königlichen Theaters in Kopenhagen zurückgewiesen, in Christiania aufgeführt, erst später gedruckt. Wie weit Björnson und die ganze spätere poetische Literatur auf dem hier eingeschlagenen Weg jetzt schon gelangt ist, merkt man am besten, wenn man dies kleine Drama, das bei seinem Erscheinen durch die vermeintliche Wildheit des Stoffs und Härte der Behandlung abstiess, auf der Bühne wiedersieht; es kommt uns jetzt schon ganz idyllisch und viel zu empfindsam vor.
Indessen wurde Björnson sein Beruf, Bauernnovellen zu schreiben, immer klarer, und nachdem er versuchsweise anonym einige kleinere Erzählungen veröffentlicht hatte, gab er 1857 »Synnöve Solbakken« heraus. Dieser literarische Debüt war ein Sieg, und wurde besonders durch die Aufnahme des Büchleins in Dänemark, dessen Urtheil gewöhnlich für norwegische Dichterwerke das entscheidende ist, ein wahrer Triumph. Die frische Ursprünglichkeit, die Neuheit des Stoffs und der Darstellungsweise erklärt nicht genügend den Erfolg. Er beruhte auf der merkwürdigen Uebereinstimmung des Werks mit dem, was ein Theil der Lesewelt damals eben ersehnte und von einem poetischen Werke forderte. Die nationalliberale Partei (der Parteiname wurde erst später in Deutschland adoptirt) bestimmte in jenen Jahren vollständig den literarischen Geschmack; derselbe forderte zugleich Urnordisches, kräftig Nationales, Altskandinavisches und – was freilich sonderbar damit zu streiten schien – christlich Ethisches, unschuldig Idyllisches, eine Poesie, die titanischen Trotz und moderne Leidenschaft mit gleicher Strenge aus ihren Kreisen verbannte. Den Nationalliberalen war die Leidenschaft unpoetisch und die Melancholie Affectation; der Intelligenzpartei, wie sie sich selbst bescheiden nannte und nennt, war alles Europäische verdächtig, nur im hohen Norden hatte sich die sittliche Reinheit und Frische, welche die morsche Cultur Europa's erneuern werde, bewahrt, und was das Moderne im strengeren Sinn betrifft, so existirte es einfach für ihre glückliche Unwissenheit nicht. Die Bauernerzählungen Björnson's erschienen, ihren grossen und wahren Vorzügen ungeachtet, fast als Erfüllung des poetischen Parteiprogramms. Das Jugendleben und die Jugendlectüre des Dichters hatten veranlasst, dass er das Bauernleben im Lichte der altnorwegischen Sagen sah, wie er umgekehrt durch seine Vertrautheit mit dem Leben und der Denkweise der Bauern das Verständniss für die alten Sagen gewonnen hatte. Seine erste grössere Erzählung, so wie viele der ganz kleinen (der Vater, das Adlernest u. s. w.), brachte eine Verjüngung des alten Sagenstyls, während der Stoff, den Wünschen der Nationalliberalen gemäss, volksthümlich war, ohne crassen Realismus. Mit den isländischen Sagen sind in Deutschland nur die Germanisten vertraut; in den skandinavischen Ländern sind diese zum Theil bewunderungswürdigen, fast immer interessanten Erzählungen seit dem Wiederaufleben des Nationalgefühls nicht nur populär, sondern mit einer gewissen Glorie als altehrwürdige Denkmäler einer grossen Vorzeit umgeben. Besonders ist ihr Styl hoch in Ehren gehalten worden. Und dieser Styl, der ruhig, episch, immer anschaulich im Alterthum zur erzählenden Form für Zwietracht, Todtschlag, Blutrache, Mordbrand, abenteuerliche Fahrten und Grossthaten erschaffen wurde, war hier bewahrt, oder richtiger erneuert und hob durch seine Grösse den idyllischen Stoff, das Liebesleben junger norwegischer Bauern und Bauernmädchen. Das Naturell des Dichters war mit dem der alten Erzähler, und die Menschenrace, die er schilderte, mit der in den alten Sagen auftretenden so verwandt, dass trotz alledem ein harmonisches Ganzes zu Stande gekommen war. Björnson gehört zu den Glücklichen, die ihre Form nicht suchen, sondern fast von Anfang an besitzen. Seine älteste Novelle ist eine vollständig reife Frucht. Schon in seinem ersten Wurf war er klassisch. Er gehört nicht zu den Dichtern, die durch ein langes Leben ihre künstlerische Form immer mehr vervollkommnen und die erst nach harten Kämpfen mit dem widerspenstigen Stoff ihren Werken das innere Gleichgewicht zu geben vermögen. Seine Laufbahn ist nicht wie die so vieler Andern eine Felsenbesteigung im Nebel gewesen, nur von einigen sonnigen Stunden auf der Höhe gekrönt, sondern ein Steigen, während dessen sich auf jeder Stufe schöne Aussichten eröffneten. Und zwar ist seine Entwickelung so vor sich gegangen, dass er bei ursprünglicher, verhältnissmässiger Enge oder Armuth der Ideen künstlerisch mit der höchsten Vollendung begann um ein immer reicheres Ideenleben und eine sich immer steigernde Kenntniss des menschlichen Herzens in seine Werke niederzulegen. Er hat dabei zwar nichts an poetischem Werth, aber doch immerhin etwas an plastisch-klassischem Gleichgewicht eingebüsst.
Man darf jedoch nicht glauben, dass die ersten Arbeiten Björnson's mit dem einstimmigen Beifall begrüsst wurden, den man sich jetzt bisweilen den Schein gibt geäussert zu haben. Es finden sich gegenwärtig im Norden. Manche, die einen Preis daran setzen, Etwas von Björnson aufweisen zu können, das sie immer gelobt haben, um mit desto stärkerem Schein der Unparteilichkeit seine späteren Werke zu tadeln. Seine ersten Novellen und Dramen widersprachen allzu sehr dem, was das Publicum gewohnt war zu bewundern, um ohne Widerspruch geschätzt zu werden, und viele der literarisch Gebildeten, die mit der bisherigen Poesie innig zusammen gelebt hatten, mussten ihr ästhetisches Glaubensbekenntniss verletzt fühlen. In Dänemark war ja eine grosse und reiche Dichterschule, deren Einfluss sich weit nach Norwegen hinein erstreckt hatte, im Abblühen. Das volltönende Pathos Oehlenschläger's klang mit seinem Wohllaut noch Allen in den Ohren, seine Darstellung des nordischen Alterthums und frühen Mittelalters schien den Männern von der alten Schule, wenn auch äusserlich unwahrer, doch innerlich wahrer als Björnson's, die unübertroffene Eleganz und Anmuth bei Henrik Hertz hatte den Geschmack für das Urwüchsige bei ihnen geschwächt, und endlich vermisste man in der neuen norwegischen Poesie die hohe philosophische Bildung, die Heiberg das Publikum gewöhnt hatte bei dem Dichter zu fordern und zu finden. Ich erinnere mich noch deutlich, wie fremdartig und neu »Synnöve Solbakken« und »Arne« mir selbst bei ihrem Erscheinen vorkamen.
Die gegnerischen Stimmen verstummten dem gesunden Sinn für das Echte gegenüber, den die grosse Lesewelt sich fast überall bewahrt hat, die Schnelligkeit des Erfolgs beruhte aber, wie schon angedeutet, auf dem Umstand, dass die herrschende skandinavische Partei die neue Dichtung in ihren Schutz nahm und den Ruhm des Dichters mit Posaunen verkünden liess. Zu jener Zeit waren die Nationalliberalen in den drei nordischen Ländern noch Bauernfreunde in der Literatur. Man liebte den abstracten Bauer, den wirklichen, concreten kannte man noch nicht. Man hatte ihm das Wahlrecht gegeben, war überzeugt, dass er in alle Ewigkeit fortfahren werde, sich von denen leiten zu lassen, die ihm »die Freiheit geschenkt hatten«, und lebte der Hoffnung, dass er nie diese »Freiheit« zu anderem verwenden werde als dazu, diese seine städtischen Wohlthäter zu wählen und zu feiern. Deswegen hiess der Bauer damals noch in den grossstädtischen Organen der gesunde Kern des Volks; man sah in ihm den Sprössling der Recken des Alterthums, besang ihn und schmeichelte ihm. Dichterwerke, die zugleich mit Feinheit und in einem neuen und grossen Styl sein Leben verherrlichten, waren in Dänemark im voraus einer begeisterten Aufnahme sicher, besonders wenn sie aus einem der Brüderländer stammten, die dem Herzen des echten Skandinaven fast noch näher waren als das eigene Vaterland.
Der blasirte Kopenhagener hatte ausserdem dieselbe Vorliebe für die Bauernnovellen Björnson's, die man an den Höfen des vorigen Jahrhunderts für Schäferromane und Schäferspiele gehabt hatte. Man war jetzt zu kritisch um Schäferinnen mit rothen Hacken und Lämmer mit rothseidenen Bändern um den Hals zu verlangen, aber man fand einen Ersatz in norwegischen Burschen und Dirnen, deren Gefühlsleben reichlich so fein und tief wie das irgend eines Studenten oder Fräuleins war.
Die Bauernnovelle war keine an und für sich neue literarische Abart. Die jütländischen Dorf- und Haidebilder Sten Stenersen Blicher's eröffneten die Reihe; sie entstanden um zwanzig Jahre früher als die ersten Dorfgeschichten Berthold Auerbach's, der sie jedoch nicht gekannt hat, da eine deutsche Uebersetzung derselben erst gegen Mitte der vierziger Jahre erschien. Auerbach behandelte, nachdem in Deutschland Immermann mit dem »Oberhof« den Weg angewiesen hatte, zuerst die Erzählung aus dem Bauernleben als eine selbständige Varietät der Novelle; zum ersten Mal vertiefte ein deutscher Dichter sich ganz in die Vorgänge und Charaktere der stillen Dörfer. Als der Secretär George Sand's, ein junger Deutscher namens Müller-Strübing, diese auf die erfolgreichen Bauernnovellen Auerbach's aufmerksam machte, fühlte sie, die auf dem Lande geboren war und die stürmische Periode ihres Lebens hinter sich hatte, den Trieb, einen verwandten Versuch zu wagen und gab in »La mare au diable«, »François le champi« u. s. w. Frankreich eine kleine Reihe feiner, idealistisch ausgeführter, ländlicher Bilder.
Weder die »Schwarzwälder Dorfgeschichten« noch die durch dieselben angeregten Schöpfungen waren Björnson bekannt, als er auftrat. Er hatte von Auerbach nichts gelernt und mit ihm nichts gemein. Besonders durch zwei Eigenthümlichkeiten scheiden sich die norwegischen Bauernnovellen von den deutschen. Auerbach ist Epiker; er schildert das ländliche Leben in der ganzen Breite desselben; wir sehen den Bauer in seiner täglichen Beschäftigung im Felde und in dem Stall; wir folgen der halb trägen, halb würdevollen Langsamkeit, dem Gebundensein an Sitte und Gebrauch, den Gewohnheiten seines Lebens. Björnson ist weder eigentlicher Epiker, noch eigentlicher Dramatiker; das Dramatische im Epischen ist seine Stärke; deshalb ist alles bei ihm kurzgefasst und gedrängt; das Aeusserliche wird nur um der Geschichte der Herzen willen erzählt. Ein fernerer Unterschied ist der: Die ländlichen Erzählungen Auerbach's sind aus einer Weltanschauung geschrieben, welche der Dichter nicht mit dem Bauer theilt, mit seinem Helden und seiner Heldin nicht gemeinsam hat. Auerbach schrieb nicht von dem Standpunkt des kindlichen Gemüths und Glaubens aus. Er war ein Gelehrter und ein Denker; er besass die reiche und vielseitige Bildung des deutschen Geistes zu seiner Jugendzeit. Er war ein Schüler Schelling's gewesen, er hatte mit einem Roman über Spinoza debutirt, dessen Werke er übersetzt und dessen Lebensansicht er sich zugeeignet hatte, um sie sein Leben hindurch zu verkündigen. Er hatte zwar den Spinozismus nach seinen eigenen Bedürfnissen und Sympathien umgestaltet – denn es ist wol mehr als zweifelhaft ob Spinoza sich für die Darstellung jener endlichen Wesen, jener beschränkten Intelligenzen, die man Dorfbewohner nennt, besonders erwärmt hätte – aber er fasste die Lebensansicht Spinoza's als das Evangelium der Natur, den Philosophen selbst als den Apostel der Naturfrömmigkeit und Naturanbetung auf. Auerbach stellte mit Vorliebe den Bauer dar, weil dieser ihm ein Stück Natur war, und er suchte mit Vorliebe in den naiven Seelen die Keime der Lebensansicht auf, die er für die wahre und bald endgültig siegreiche hielt. Man bemerke z. B. in seiner klassischen Novelle »Barfüssele« wie das kecke junge Bauernmädchen weit davon nach dem Gebot der Schrift die linke Backe hinzuhalten, wenn sie auf die rechte einen Streich erhält, mit geballten Fäusten durch das Leben geht, ohne sich in Unrecht zu finden und ohne deshalb eine Demüthigung zu erleiden. Die Stimmung, von welcher diese Bücher getragen werden, ist die politische Leidenschaft des vormärzlichen Deutschlands, den gemeinen Mann zur Verständigung der politischen und religiösen Ideale der Gebildeten empor zu heben. – Ganz anders verhielt sich in Björnson's Bauernnovellen der Erzähler zu seinem Stoff. Der Dichter fusste in allem Wesentlichen in derselben Lebensansicht wie seine Helden, er schrieb aus keiner Philosophie heraus. Ein dichterisches und künstlerisches Genie, kein überlegener Geist trat dem Leser aus diesen Blättern entgegen. Deshalb die merkwürdige Einheit der Empfindung und des Tons.
Die Vorzüge waren specifisch dichterisch: das weichste Gefühl war in die härteste Form gegossen; die feinste, allseitige Beobachtung war mit einer lyrischen Innigkeit vereint, die das Ganze durchdrang und sich in den zahlreichen eingestreuten Kinder-, Volks- und Liebesliedern freiere Bahn brach. Eine romantische Grundstimmung schwebte über der Erzählung. Die Novelle liess sich wie in »Arne« ohne Disharmonie durch ein Märchen einleiten, in welchem die Pflanzen mit einander sprachen und strebten; sie war dem herben Realismus einzelner Charaktere zum Trotz so idyllisch, dass kleine eingelegte Geschichten, wo Waldfeen eine Rolle spielten, ohne Bruch mit dem Geiste der Handelnden sich mit der Totalstimmung vermählten. Zwar hatte die Beobachtungsgabe den Vorrath kleiner Züge aufgehäuft, aus welchen Björnson seine Novellen aufbaute. Als sein Arne gefragt wird: »Wie machst Du es um dichten zu können?« antwortet er: »Nun, ich halte die Eindrücke fest, welche Andere entfliehen lassen«. Björnson hätte dieselbe Antwort geben können. Aber doch waren Sage, Volkslied, Volksmärchen die Quellen, durch deren Zusammenströmen seine Kunstform sich krystallisirte. Er schuf sie nicht in einsamer Grösse, er blieb gerade durch sie auf mancherlei Art in Berührung mit dem Volksgeist.
»Synnöve Solbakken« war die plastische Harmonie innerhalb der Beschränkung des norwegischen Bauernlebens, und die Hauptperson Thorbjörn der Typus des kräftigen, harten Jünglings, welcher der Milderung und Besänftigung bedarf um zu reifen. »Arne« war umgekehrt der lyrische, sehnsüchtige Hang des Volks, der zur Sehnsucht nach dem Reisen verwandelte Trieb des Vikingerblutes, und der Held der Typus des weichen, schwärmerischen Jünglings, welcher der Stählung bedarf um ein Mann zu werden. Viel von dem tiefsten, elementarsten Hang des norwegischen Volks, viel von der eigensten Jugendsehnsucht des Dichters war in dem so berühmt gewordenen Hauptlied Arne's niedergelegt. Man hört den Seufzer des Volksherzens in den Strophen:
Komm' ich denn nimmer und nimmer hin,
Ueber die hohen Felsen,
Schlägt diese Mauer mit Angst mir den Sinn,
Soll sie mit Schnee-Eis und Grau'n von Beginn
Gleich einem Sarg, bis zum Ende
Fesseln mir Muth und Hände?
Nein! hinaus! will hinaus, weit, weit!
Ueber die hohen Felsen!
Hier schleicht so drückend, so zehrend die Zeit,
Keck ist mein Muth ja, ist jung und bereit
Zu erklimmen die Gipfel, die hellen,
Ohne am Fels zu zerschellen!
Die Sehnsucht, die sich hier ausspricht, ist die, welche die alten Seekönige nach Westen und Süden trieb, welche Holberg, den grossen Begründer der norwegisch-dänischen Literatur, halb Europa zu Fuss bereisen liess, und die heutzutage sich in der Auswanderung so vieler norwegischer Künstler jeglicher Art offenbart.
Bildeten solchergestalt die zwei grösseren Novellen »Synnöve« und »Arne« sich ergänzende Gegensätze, so war die dritte » Ein fröhlicher Bursch« gleichsam ein befreiendes Lüftchen, das die brütende Schwermuth, welche das norwegische Gemüth bedrückt, im Namen eines gesunden Naturells wegfegte; die Novelle enthält die frohe Botschaft der unbefangenen Lebenskraft und Lebenslust, einen frischen, luftreinigenden Lachgesang.
Dann folgten Dramen und Gedichte. Die grosse Persönlichkeit entwickelte sich nach und nach aus der Hülle des Volksgeistes. In »Zwischen den Schlachten«, Sigurd der Böse«, »Arnljot Gelline« immer derselbe grosse Typus, der geborne Häuptling, zum Wohlthäter des Volks geschaffen, gleich gewaltsam und edel, dem man sein Recht vorenthält, und der durch das Unrecht, das er erleidet, gezwungen wird, obschon das Beste wollend, ein gut Theil Böses auf dem Wege zum Ziel zu thun. Die Städte stehen in Brand hinter Sverre, wo er dahinfährt. Er erzählt es mit bitterem Schmerz in »Zwischen den Schlachten«: »Ich kenne einen Fürsten, der seines Landes Segen sein wollte, aber sein Fluch ward. Er schaudert zusammen vor seinem eigenen Schicksal und möchte fliehen vor all' den verzerrten Leichen, die ihn anstarren von einer Grenze des Landes bis zur andern ... So wird er denn wie ein unbeugsames Schicksal von Blutfeld zu Blutfeld, von Brandstätte zu Brandstätte geschleppt über rauchende Leichen und Ruinen, und Geschrei und Jammer folgt ihm, und die ganze Hölle ist rings um ihn her losgelassen, und man sagt, der Teufel gehe an seiner Seite, ja manche behaupten sogar, er sei der Teufel selbst! ... Ich weiss ... ja ... ich weiss, dass er, während sie einander wie Thiere abschlachten, nicht im Stande ist, Hand an einen einzigen Mann zu legen, um sein eigenes Unglück nicht zu vergrössern ... er sucht zu versöhnen und zu heilen, er thut Gutes und besänftigt und gibt den Frieden Allen, die ihn darum bitten.« Sigurd, der Held der Trilogie »Sigurd der Böse«, wird gehasst und verfolgt, weil er, der nur sein Recht und Norwegens Glück wollte, von seinem Halbbruder, dem Einfaltspinsel Harald Gille, an seine Feinde verrathen, zum Mörder an denselben wird. Er kam zu dem Bruder nach langem Entsagen, harten inneren Kämpfen, mit dem besten Willen und dem heissesten Wunsch sich mit ihm friedlich zu verständigen, und er verlässt ihn, der Bewachung, der seine Ermordung übertragen ist, entschlüpft, wie »ein König in der Rüstung der Rache, mit dem Auge der Verzweiflung und einem flammenden Schwert.« Arnljot, der im Grunde seiner Seele so gut und so demüthig ist, wird Mordbrenner und Räuber bis zu dem Tage, wo er als der Streiter Olafs bei Stiklestad den Tod findet. Diese Gestalten wurzeln tief in der Seele des Dichters. Er hatte früh leidenschaftlichen Widerstand gefunden, fühlte sich von seinen Gegnern verkannt und gehasst. Mit seinem unbändigen Ehrgeiz, mit dem Gewaltsamen, das seiner Natur und dem Liebevollen, das seinem Gemüthe angeboren war, fühlte er sich mit jenen Sagengestalten verwandt, und so oft er sich von seinem Volke missverstanden und mit Unrecht verschmäht fühlte, legte er das Gefühl seines Bedürfnisses, dieses Volk zu heben und mit ihm zu verschmelzen, und die Empfindung, dass er sich dennoch von Zeit zu Zeit seinem Volke entfremdete, in diese alten Häuptlinge nieder, in diesen Sigurd z. B., der gereizt, zu einem andern Wesen wird:
Hart wie Stahl, so kam's
Und hüpfte über'n Estrich ohne Schritte,
Mit funkelndem, mit bösem Augenpaar
Und einer Stimme wie aus dunkler Höhle,
der aber nichts desto weniger in seinem Inneren ein Füllhorn voll grosser Wohlfahrtspläne birgt. Viel muss Björnson schon in jungen Jahren in seinem Innern erlitten haben, um den Monolog Sigurds in der Winternacht, oder den noch ergreifenderen in der vorletzten Scene des Werks zu dichten, der mit den Worten beginnt: »Die Dänen verlassen mich, die Schlacht ist verloren? Bis hierher – und nicht weiter?«, wo Pläne, ein Heer zu sammeln, hinaus zu segeln, Kaufmann, Kreuzritter zu werden, mit reissender Schnelle entstehen und verworfen werden, bis die Empfindung der nahen Vernichtung sich wieder aufdringt und das Wort »Bis hierher – und nicht weiter!« nicht mehr als Frage, sondern als Antwort refrainartig wiederkehrt. Doch noch aus der Verzweiflung redet die Liebe zum Vaterlande, d. h. zum Feinde:
Dies schöne Land – ich sollt' es nicht regieren.
Ach, wie viel Böses hab' ich ihm gethan! –
Wie war das möglich doch? Mein Vaterland,
Ach in der Fremde schaut ich deine Berge
In jeder Wolke und ich sehnt mich heim,
Den Kindern gleich, die sich nach Weihnacht sehnen.
Und dennoch schlug ich Wunden dir auf Wunden!
Die grosse Persönlichkeit ist bei Björnson nicht in einsamem Michel-Angelo-artigen Stolz verschlossen; sie entwickelt sich aus dem Volksgeiste nur, um sich zu demselben zurückzusehnen, sie will sich mit ihm vereinigen und erleidet ihre Tragödie, wenn diese Vereinigung verhindert wird.
In diesem Punkt bildet Björnson den schärfsten Gegensatz zu dem Manne, der ihm als zeitgenössischer, norwegischer Dichter ebenbürtig zur Seite steht, Henrik Ibsen. Ibsen ist seinem Wesen nach einsam. »Ich bleibe allein, in weiter Ferne.« Diese Zeile, die in seinem bekannten, durch den skandinavischen Studententag in Upsala 1875 veranlassten Gedicht »In weiter Ferne« mehrmals wiederkehrt, ist ein Motto seines Lebens. Er geht in die Tiefe wie sein Bergmann:
Brich den Weg mir, schwerer Hammer
Zu der Tiefe Herzenskammer!
Er sucht die einsame Stille der Nacht. In dem Gedichte »Lichtscheu« erklärt er, wie er als Kind sich im Dunkeln fürchtete; jetzt sei alles anders; jetzt verwirre ihn die scharfe Helle des Tagelichts, jetzt mache der Lärm des Lebens ihn schwach und ohnmächtig:
Doch birgt mich mit nächt'ger Hülle
Der Finsterniss Schreckens-Flor,
So rüstet sich all' mein Wille
So adlerkühn wie zuvor.
Fehlt aber des Dunkels Schwinge,
So weiss ich mir Armen nicht Rath!
Ja wenn ich einst Grosses vollbringe,
So wird's eine dunkle That.
In diesen muthigen und schönen Worten hat der Dichter sein eigenes Naturell gemalt. Das Wesen Björnson's strebt nicht in die Tiefe, sondern nach aussen. Sein Genius hat offene Arme.
Ein anderer Gegensatz zwischen den zwei Dichtern lässt sich schon aus den nordischen Dramen, die sie beide in ihrer ersten Periode verfassten, heraus empfinden. Als geborener Dramatiker hat Ibsen keinen Hang und keine Neigung zur Naturbeschreibung. Seine Hauptgestalten waren in seiner Jugend Personificationen eines Gedankens, nicht unmittelbar der Natur nachgebildet, und in seinen fast ausnahmslos dramatischen Dichtungen spielt die äussere Natur nothwendig eine verschwindende Rolle. Selbst wo er sie einführt und wo sie mächtig ergreift, wie »die Eiskirche« in »Brand« es thut, ist die Natur mehr Symbol als Wirklichkeit; die Eiskirche ist die Kirche, in welcher der, welcher die bestehenden Kirchen verlässt, grosse Gefahr läuft zu enden. Der freier und schrankenloser sich ausdehnende Geist Björnson's verweilt bei den norwegischen Naturumgebungen und theilt den Eindruck von ihnen auch im Drama mit. Ich führe als Beispiel die Scene zwischen Sigurd und dem Finnenmädchen an, eine der schönsten, die Björnson geschrieben hat. Wenn das Mädchen von seinem langen trillernden Jauchzen gemeldet, die Bühne betritt, zieht es die ganze Natur der Nordlande nach sich wie ihr Reich. Die Tochter des Finnenhäuptlings offenbart sich in einem Glanz von Nordlicht, ihre Worte haben den hellen Zauber der Mitternachtssonne, ihre glückliche Liebe zum Leben, zur Sonne, zum Sommer, ihre unerwiderte Liebe zu Sigurd, der feine und flüchtige Charakter ihrer Trauer – das Alles ist ein Stück lebendiger Naturpoesie. Meisterhaft ist ihre Erscheinung in einer Replik von Sigurd beschrieben:
Finnenmädchen.
Sage, kannst du nicht empfinden,
Wie schön's hier ist?
Sigurd.
O ja, bisweilen kann ich's.
Wenn ich vorm Eingang dieser Höhle stehe
Und überschaue rings den ew'gen Schnee;
Die Bäume, welche aus dem Schneemeer ragen,
Gespenstern gleichen sie im Dämmerlicht
Und ungeheuren Wesen, die sich nähern.
Du aber kommst auf deinen Schneeschuh'n sausend
Den Fels herab, die Hunde um dich her,
Es folgen deine Leute dir im Schwärm,
Und dreimal grösser scheint ihr alle mir.
Und über diesem brausend wilden Zuge,
Am Himmel hoch des Nordlichts prächt'ge Strahlen
In Farben und Gestalten ...
Diesen Natursinn haben alle Norweger Björnson's aus der Vorzeit. Er hat ihnen den seinigen, modernen mitgetheilt. Besonders die kleine (aus fünfzehn kurzen Gesängen bestehende) epische Dichtung »Arnljot Gelline« steht durch Eigenthümlichkeit und Schönheit der Naturschilderungen unübertroffen da. Der Gesang »Während der Frühlings-Ueberschwemmung«, der den Sturz, der durch Schneewasser geschwollenen Bergflüsse in die Thäler herab und das angstvolle Zusammenkriechen der wilden Thiere in den Felsenhöhlen malt, schildert unvergesslich eine jährlich wiederkehrende Episode des norwegischen Naturlebens, um 800 Jahre zurückversetzt, und die deshalb wilder und gewaltiger als heutzutage ist. Der Gesang »Arnljot's Sehnsucht nach dem Meere«, in dessen Rhythmus man das Meer gleichförmig steigen und sinken fühlt, ist eins der schönsten Gedichte, das jemals die Poesie der See geschildert hat. Byron hatte die Unbändigkeit und Unerbittlichkeit, die Wuth des Meeres dargestellt, Björnson malt die tiefe Melancholie, das kalte Phlegma, die erlösende Frische des Wellenschlags. Man höre den Anfang:
Zum Meere sehn' ich mich hin, zum Meere,
Wo's ferne furchet in stiller Hoheit.
Wie felsschwer wogende Nebelhügel,
So wandert's ewig sich selbst entgegen.
Das Land mag locken, die Sonne sinken,
Es hat nicht Rast, und es weichet nimmer,
In Sommernächten, in Winterstürmen
Fortwälzt es klagend dieselbe Sehnsucht.
Zum Meere sehn' ich mich, ja, zum Meere,
Wo's fern erhebet die kalte Stirne!
Ob ihren Schatten die Welt hinab wirft
Und ihren Jammer drin flüsternd spiegelt:
Die Sonne glättet es warm und lichthell
Und spricht ihm froh von des Lebens Freude.
Doch schwermuthsstille, mit gleicher Kälte
Versenkt's den Trost und versenkt's die Trauer.
Der Mond zieht's an, der Orkan erhebt es,
Doch ist kein Halten, es rinnt hernieder.
Abreisst's das Land, und fortschwemmt's die Berge,
Indess es selber gleichförmig hinrauscht.
Was es hinab zieht, das muss hinunter,
Was einmal sinket, das kehrt nicht wieder.
Nicht Schrei noch Botschaft ertönt von dorther
Und seine Sprache kann Niemand deuten.
Zum Meer hinaus denn, fernhin zum Meere,
Das nie ein Weilchen Versöhnung kennet!
Für alles Seufzende ist's Erlöser;
Doch trägt es weiter sein ew'ges Räthsel.
Seltsamer Bund mit dem Tod, dass Alles
Das Meer ihm schenket, – nur nicht sich selber!
O Meer, es lockt mich dein grosser Tiefsinn,
Zu Boden sinket mein mattes Denken,
Ich lasse fahren die lange Sehnsucht;
Dein kalter Hauch, er kühle die Brust mir!
Die Musik der Wellen wirkt hier wie ein grossartiges Wiegenlied. Sie ist es dem träumenden Helden, dessen Hoffnung darauf ausgeht, in seiner letzten Stunde zu spüren, wie die Planken seines Schiffes sich lösen, wie der Tod dem erlösenden Strom die Pforten öffnet, und selbst vom ewigen Schweigen gedeckt, tief unten auszuruhen, während in erhabenen, mondhellen Nächten, wenn das Silberlicht auf der ungeheuren Fläche spielt, »die Woge seinen Namen nach dem Strande hinrollt.«
Björnson ist zwei Mal Theaterdirektor gewesen, 1857–59 in Bergen, 1865–67 in Christiania. Im Herbst 1857 übernahm er, einer Aufforderung Ole Bull's zufolge, die Bühnenleitung in der lebhaften, politisch und geistig bewegten Provinzialstadt und brachte das ganz heruntergekommene Theater in die Höhe, während er mit Ole Bull glückliche Jugendtage verlebte. Als Direktor der Bühne in Christiania wirkte er erfolgreich, nur allzu kurz. Er hat selbst so viele von den Eigenschaften eines grossen Schauspielers, dass er einen vortrefflichen Regisseur abgibt; die scenische Kunst seines Landes verdankt ihm viel, er hat die ersten, unsicheren Versuche, eine nationale Bühne zu schaffen, gelenkt.
Seine Erfahrungen als Bühnenleiter sind ihm natürlicherweise als Schauspieldichter sehr zu statten gekommen; doch hat er in dieser Eigenschaft nie das technisch Vollendete erreicht. Es gibt in seinen Dramen viel mehr Poesie als geschickte Mache. »Sigurd«, die grosse Trilogie, ist nicht für die Bühne bestimmt und, so viel ich weiss, nie aufgeführt worden. Sein kräftiges und wildleidenschaftliches Jugenddrama »Hulda« gewinnt durch die Aufführung wenig oder nichts. Doch haben zwei Schauspiele seiner ersten Periode einen durchschlagenden Bühnenerfolg gehabt.
»Maria Stuart in Schottland« (1864) und »Die Neuvermählten« (1865). »Maria Stuart« ist ein reiches, gewaltiges Stück, voll dramatischen Lebens, fast zu gewaltsam bewegt. In der Handlung verketten sich vorzüglich alle Einzelheiten, Rizzio's Ermordung, Darnley's Tod, Maria's Entführung durch Bothwell, nur der Schluss ist schwach, oder richtiger, das Drama schliesst nicht. Ich glaube, dass das Werk dem Dichter besonders deshalb so gut gelang, weil er sich auf dem schottischen Boden noch in norwegischer Atmosphäre befand. Diese Schotten stammen von Norwegen ab. Bothwell sagt's: »Seit der Stunde, wo mein Wille in die Begebenheiten Wurzel schlug, ist er als ein Baum mit blutrothem Stamm und starken Zweigen gewachsen. Das norwegische Vikinggeschlecht, von dem wir stammen, war auch ein solcher Willensbaum, der sich in den Felsen hinein mit seinen Wurzeln festbiss; unter dem Obdach dieses Baumes baut jetzt das Volk«. In dieser norwegisch-schottischen Welt fühlt sich der Dichter vollständig wie zu Hause, und die Charaktere, die er schafft, haben ohne Bruch mit der Localfarbe Züge, die sie den Gestalten aus dem norwegischen Mittelalter, die er zu schildern gewohnt war, nah' verwandt machen. Unter den Hauptcharakteren zeichnen sich der Puritaner John Knox, der finstere und doch lebenslustige, wild thatkräftige Bothwell und der schwache, knabenhaft rachsüchtige und unwürdig demüthige Darnley aus, der erstere eine ächte Renaissance-Persönlichkeit, der andere fast zu modern. Maria Stuart selbst ist nicht so vollständig gelungen; die Charakterzüge sind weiblich verschwommen. Sie ist wie ein Wesen gedichtet, dessen geheimnissvoller Naturgrund sich in zwei entgegengesetzte Pole, als die ganze Schwäche und die ganze Stärke des Weiblichen offenbart. Ihr Schicksal hängt insofern von ihrem Wesen ab, als jene Schwäche ihre Macht über die Männer bedingt und jene Stärke in den gegebenen Verhältnissen und zu der gegebenen Zeit ohnmächtig ist. Sie ist aber wegen des nordischen Idealismus, wegen der dem Pfarrersohn angeborenen Schamhaftigkeit des Dichters allzu unsinnlich, ausserdem zu passiv um Heldin eines Dramas sein zu können. Sie ist weniger durch das geschildert, was sie sagt oder thut, als durch begeisterte oder herabsetzende Erwähnung und durch die Wirkungen, die sie unmittelbar durch ihre Persönlichkeit ausübt. Sie steht wie in einer Wolke adjectivischer Bestimmungen, welche die übrigen Persönlichkeiten des Stücks massenhaft gegen sie heranschleudern. »Maria Stuart« entstammt einem Zeitraum in dem Entwicklungsgang Björnson's, wo er (vielleicht durch Kierkegaard beeinflusst) eine Neigung hatte, seine Charaktere psychologisch zu beschreiben, anstatt sie ihr Wesen ohne Commentar enthalten zu lassen. Alle Personen in diesem Drama sind Psychologen, studiren einander, erörtern ihr Naturell und experimentiren mit einander. Selbst der Page William Taylor kennt und beschreibt den seelischen Zustand Darnley's, wie ein Arzt eine Krankheit kennt und beschreibt, Murray und Darnley schildern sich selbst, Lethington schildert Bothwell und Murray, Maria fragt nach dem Schlüssel zu Rizzio's, Knox nach dem zu Darnley's Charakter, ja die Ermordung Rizzio's ist im Grunde ein psychologischer Versuch, den Darnley mit Maria macht, um sie durch Schrecken zurückzuerobern, da es ihm nicht gelingen will, sie durch Liebe zu gewinnen. Während aber alle Personen wie Psychologen denken, sprechen sie alle wie Dichter, und diese dichterische Shakespeare-artige Pracht der Diction, die so wahr ist, weil die Menschen der Renaissancenzeit durchgängig dichterisch empfanden und sich einer blühend bilderreichen Sprache bedienten, erhöht den Reiz, den die tiefe Originalität der Hauptcharaktere dem Drama verleiht.
Das kleine Schauspiel »Die Neuvermählten« behandelt ein überaus einfaches, aber ursprüngliches und allgemein gültiges, menschliches Grundverhältniss, die Loslösung der jungen Frau vom Elternhaus, die Collision in der Seele des jungen Weibes zwischen der angeborenen und gewohnheitsmässigen Liebe zu den Eltern und der noch neuen und schwachen Liebe zum Gatten – eine Revolution oder Evolution, die mit der Naturnothwendigkeit und den Qualen einer geistigen Geburt vor sich geht. Unter gewöhnlichen, normalen Verhältnissen wird die Bedeutung dieses Bruchs nicht scharf hervortreten, weil es als etwas aufgefasst wird, das so sein muss und häufig eher das Gepräge der Befreiung als der Losreissung hat. Werden aber die Verhältnisse nur ein bischen weniger normal gedichtet, ist die Liebe der Eltern ungemein egoistisch oder zärtlich, und ist die Gattenliebe des guten und gehorsamen Kindes weit weniger entwickelt als das anerzogene Pietätsgefühl gegen Vater und Mutter, so liegt hier eine Aufgabe, ein dramatischer Zusammenstoss, und ein Kampf mit ungewissem Ausgang vor. Diese Idee ergriffen zu haben ist das Verdienst und die Ehre Björnson's.
Die Ausführung leidet unter einem doppelten Mangel. Erstens hat hier, wie in Maria Stuart, die nordische, allzu grosse Schamhaftigkeit, zweitens die psychologische Marotte die Wirkung des Stückes abgeschwächt. Nothwendig drängt sich dem Zuschauer die Frage auf: Ist Laura, beim Anfang des Stücks, im vollen Sinne des Wortes Axel's Frau, oder ist sie es nicht? Sie muss seine Frau sein, denn ihre Kälte ist nicht eine derartige, die das entgegengesetzte erklären würde; sie kann aber nicht seine Frau sein, denn wenn sie es wäre, würden die Schwierigkeiten sich heben lassen und die Zärtlichkeit ohne all diesen Lärm vor all diesen Zeugen sich von selbst allmählig einfinden. Doch eine bedeutendere Einwendung gegen den Plan des kleinen Schauspiels ist folgende: Wie kann Axel, wenn er schon durch eine Kraftanstrengung Laura von dem Elternhaus losreisst, schwach und dumm genug sein, um das Elternhaus in der Gestalt Mathildens Laura auf der Reise begleiten zu lassen. Ohne sie würde ja alles viel leichter und glatter gegangen sein. Es heisst zwar am Schluss des Stücks, ohne sie hätten die zwei sich nie gefunden; das ist aber wenig einleuchtend und jedenfalls unglücklich. Die eigentliche, dichterische Aufgabe würde eben gewesen sein, zu zeigen, wie die Beiden ohne fremde Hülfe wahre Eheleute wurden; es ist ein schlechter Ausweg, eine dea ex machina einen anonymen Roman schreiben zu lassen, der durch die Behandlung ihrer Lage sie erschrickt und sie einander in die Arme treibt. Ich sehe hierin ein Merkmal der Epoche, in der diese kleine Dichtung entstand. Die Kierkegaard'schen Ideen lagen in der Luft. Die Methode der Naturwissenschaften (Beobachtung und Versuch) auf den Verkehr zwischen Mensch und Mensch angelegt, das psychologische Experiment, das bei Kierkegaard eine so grosse Rolle spielt und das schon in »Maria Stuart« sich so breit machte, ist in »Die Neuvermählten« von der Hausfreundin Mathilde vertreten. Doch die ganze Weise, wie Liebe und Leidenschaft hier behandelt werden, ist für jene Periode in dem geistigen Leben Björnson's und der norwegisch-dänischen Literatur überhaupt eigenthümlich. Man interessirte sich damals im Norden sehr wenig für Neigung oder Leidenschaft an und für sich, man studirte und schilderte die Gefühle in ihrem Verhältniss zur Moral und Religion. Man betrachtete die Darstellung der Liebe vor und ausserhalb der Ehe als trivial oder frivol, und forderte von dem Dichter die Poesie der ehelichen Liebe, die Kierkegaard in »Entweder-Oder« als die weit höhere gepriesen hatte. Die Liebe, die in »Die Neuvermählten« gross gezogen wird, ist als die Schuldigkeit der Frau gegen ihren Mann, geschildert und wird ihr von allen Seiten als Aufgabe und Forderung vor Augen geführt. Sie ist keine frei und wild wachsende Pflanze; sie entfaltet sich im Treibhaus der Pflicht, von der Zärtlichkeit Axel's umhegt, von der Eifersucht, der Unruhe, der Furcht vor dem Verlieren, mit welcher Mathilde das Treibhaus heizt, künstlich in die Höhe getrieben. Es heisst in einem kleinen französischen Volkslied:
Ah! si l'amour prenait racine,
J'en planterais dans mon jardin,
J'en planterais, j'en semerais
Aux quatre coins,
J'en donnerais aux amoureux
Qui n'en ont point.
Diese Verse sind mir eingefallen, so oft ich »Die Neuvermählten« sah oder las. Doch der Fehler liegt vielleicht an meiner Einseitigkeit; ich liebe den schönen, grossen Eros, ich mag nicht sehen, wie man kleine bleiche Eroten mit der Flasche mühsam ernährt. Das Publikum hat meine Ansicht nicht getheilt, denn wenige Schauspiele haben einen solchen Bühnenerfolg gehabt und in Buchform so viele Auflagen erlebt.
Ein speculativer dänischer Buchhändler gab in den Sechziger Jahren einen Kalender heraus, für welchen er sich von den anerkanntesten Dichtern kleine Vignet-Gedichte ausbat, Jeder sollte sich einen Monat auswählen. Als der Mann an Björnson kam, schrieb dieser:
Ich wähl' mir den April,
Wo Altes bricht zusammen,
Und Neues Wurzeln, feste,
Bekommt, bei Krach und Flammen,
Nicht Frieden ist das Beste,
Nein – dass man etwas will!
Ich wähl' mir den April,
Er stürmt, dass Alle beben,
Er lächelt, schmelzt und blitzet,
Da regt sich neues Leben
Weil er Genie besitzet
Und Sommer bringen will!
Es war kaum möglich eine bessere Selbstcharakteristik seines Auftretens in dieser ersten Periode zu geben. Die schöne Novelle »Das Fischermädchen« (1868), die weniger idealistisch als die Bauernerzählungen sich seiner späteren Darstellungsweise nähert, brachte in dem eingelegten Gedichte »Der junge Viking« eine tiefsinnige Darstellung seiner ersten Kämpfe und der schnell errungenen Meisterschaft. Obwohl Björnson keine grosse Zahl lyrischer Gedichte geschrieben hat und kein correcter Versificator ist, hat er doch eben auf dem lyrischen Gebiete Unvergessliches, Unvergängliches geleistet. Seine volkstümlichen Lieder sind von der gediegensten Echtheit. Seine vaterländischen Gedichte sind Nationalgesänge geworden. Seine wenigen altnorwegischen Schilderungen oder Monologe haben jenen Styl des alten Nordens getroffen, den Oehlenschläger und Tegnér nie erreichten. Man lese in dem Drama »Hulda« das kleine in der Volkssprache geschriebene Gedicht, das Gunnar singt, und von dem Lobedanz treffend sagt: »In den norwegischen Sommer, der keine Nachtigallen kennt, blickt grausig der Winter hinein in dem Liede von Niels Finn, einer Art Ballade, die man neben Goethe's ›Erlkönig‹ stellen darf.« Es ist die einfache Erzählung von einem kleinen Jungen, der seine Schneeschuhe verliert und, von den Mächten der Tiefe hinuntergezogen, in den Schnee versinkt. Diese einfache Begebenheit ist aber mit einer Gewalt der Phantasie dargestellt, die sie unvergesslich macht, namentlich sind die Schlusszeilen, wo die beiden langen Schneeschuhe allein übrig geblieben sind, in ihrer Unheimlichkeit packend. Ich führe die letzten Strophen an:
Der Fels lacht voll Hohn, Schnee deckt sein Gesicht,
Doch Niels ballt die Faust: »Noch ergeb' ich mich nicht«
»Aber bald!« sprach es drunten.
Und der Schneerachen gähnt, und die Wolk' sank herab,
Da dachte Niels Finn: ich blick' in mein Grab!
»Ist er fertig?« sprach es drunten.
Zwei Schneeschuh schauten im Schneemeer umher,
Viel könnt' man nicht seh'n und es gab auch nicht mehr.
»Wo ist Niels?« sprach es drunten.
Man braucht nur ein paar Zeilen von Björnson's vaterländischen Gedichten genau zu studiren, um zu begreifen, weshalb sie Nationalgesänge geworden sind. Ich wähle als Beispiel vier Zeilen des eigentlichen Björnsonschen Nationalgesangs, der den älteren Nationalgesang der Norweger verdrängt hat. Die Zeilen lauten in der metrischen Uebersetzung von Lobedanz:
Ja, wir lieben diese Fluren,
Wie sie aus dem Meer
Steigen auf mit Wetterspuren!
Hütten rings umher!
Wort für Wort heisst es: »Ja wir lieben dies Land, wie es gefurcht, verwettert, mit den tausend Feuerherden aus dem Meer steigt.« Es ist unmöglich, genauer, genialer den Eindruck wiederzugeben, den die Küste Norwegens auf den Sohn des Landes macht, wenn er sich ihr von dem Meer aus nähert.
Unter allen kürzeren Compositionen Björnson's hebt sich schliesslich der Monolog »Bergliot« hervor. Es ist die Klage einer Häuptlingsfrau um ihren meuchlings ermordeten Gemahl Einar Tambarskelve und ihren einzigen Sohn, der neben ihm erschlagen liegt. Ich weiss nichts, das in moderner Reproduction altnordischer Poesie den Eindruck auf mich gemacht hat, wie das refrainartige Wiederkehren der Worte, mit welchen Bergliot den Kutscher ihres Wagens anspricht, auf welchen sie die Leichen hat heben lassen:
»Fahre langsam; denn so fuhr Einar immer
– und wir kommen früh genug nach Hause.«
Die erste Zeile stellt mit merkwürdiger Einfachheit die ruhige und stolze Würde des erschlagenen Häuptlings dar, die zweite enthält in den wenigsten Worten die tiefe Bitterkeit des vereinsamten Lebens.
Diese Höhe erreichte Björnson früh. Nur dreissig und einige Jahre alt hatte er all' die besten Werke seiner ersten Periode verfasst, und man fing schon an, sie als ein geschlossenes Ganzes zu betrachten. Niemand konnte die mächtige Begabung übersehen; es berührte aber schmerzlich, dass man keine rechte Entwickelung derselben entdecken konnte. Die schöpferische Kraft hielt sich eine Zeit lang auf demselben Punkt, aber die Lebensansicht erweiterte sich nicht, verblieb kindlich und eng. Er konnte bisweilen trivial werden. Er schrieb ab und zu Gedichte, welche fast den Ton und die Färbung nordischer Lieder nach Art der Volksschullehrer hatten. Man spürte zu stark den Einfluss Grundtvig's. Es ist das Verdienst dieses grossen Mannes (1783–1872), des geistigen Erweckers des nordischen Bauernstandes, durch die Errichtung zahlreicher Bauern-Hochschulen dem Volksunterricht einen mächtigen Aufschwung gegeben zu haben. Für den Führer eines Volks reichte aber die Bildung, die seine Hochschulen vertraten, nicht hin, und es war vergeblich, dass Björnson eine Zeit lang versuchte, in den hölzernen Schuhen der Grundtvigianer auf seiner dichterischen Laufbahn fortzuschreiten. Er hielt sich meistens in einer ängstlichen Entfernung von dem Leben und den Ideen der Zeitgenossen. Oder richtiger: wenn er die zeitgenössischen Ideen darstellte, so war es unfreiwillig; sie traten in altnordischen oder mittelalterlich schottischen Theatercostümen auf. In »Sigurd der Böse« erörtern im Jahre 1127 Helga und Frakark das Verhältniss zwischen der Unsterblichkeit des Einzelnen und des Geschlechts in Ausdrücken, die allzu stark an das Jahr 1862 erinnern; und dieselben Häuptlinge, die sich hier in fast modernen politischen Erwägungen bewegen, die Ausdrücke gebrauchen wie Beruf, Grundgesetz, die Ordnung auf ungesetzlichen Grund bauen u. s. w., lassen aus Rachsucht den gefangenen Sigurd Glied für Glied rädern, d. h. sie begehen eine Handlung, die ein weit barbarischeres inneres Leben voraussetzen. Wenn man sich so gebildet ausdrückt, rädert man seinen Feind nicht, man verläumdet ihn.
Zu diesem Mangel an Einheitlichkeit der Leidenschaften und Gedanken kam das unselige Bedürfhiss des Dichters, seine grossen dramatischen Gestalten so zu gruppiren und zusammen zu fassen, dass der Mantel des orthodoxen Kirchenglaubens in dem Augenblick, wo das Drama schloss, um sie geschlagen wurde. In »Maria Stuart« steht z. B. die Gestalt des John Knox nicht unter der dramatischen Ironie, welche die andern Personen beherrscht. Björnson behält sich die poetische Ueberlegenheit über ihn nicht vor: denn Knox ist dazu bestimmt, mit dem Pathos des Dichters auf seinen Lippen zum Schluss aus dem Rahmen heraus zu treten und die politische Erbschaft Maria's zu übernehmen. Sowol die gewaltigen Kämpfe in »Sigurd«, wie die leidenschaftlichen Empfindungen in »Maria Stuart« münden in eine Psalmenstrophe aus. Die Handlung ist in beiden Dramen so zugespitzt, dass sie dort in das Kreuzfahrerlied des frommen dänischen Dichters Ingemann, hier in den nebelhaft-mystischen Psalm der Puritaner ausläuft. Allmählig schien es, als sei die einst so reiche Ader des Dichters nahe daran zu vertrocknen. Die späteren Novellen (»Die Eisenbahn und der Kirchhof«, »Ein Lebensräthsel«) vertrugen keinen Vergleich mit den früheren, und trotz schöner Einzelheiten hielt das Drama »Sigurd, der Grabespilger« ebenso wenig einen Vergleich mit den älteren norwegischen Dramen des Dichters aus; die letzten Gesänge von »Arnljot Gelline«, die mehrere Jahre nach den übrigen geschrieben wurden, standen schliesslich hinter den im ersten Feuer der Inspiration verfassten zurück. Es keimten scheinbar in Björnson's Gemüth keine neuen Ideen. Man frug sich, ob es mit diesem Dichter wie mit so vielen dänischen Dichtern gehen würde, die im kräftigsten Mannesalter verstummten, weil ihrer Begabung die Fähigkeit fehlte, sich zu häuten. Sein ursprüngliches geistiges Capital hatte Björnson augenscheinlich ausgemünzt. Man frug sich, ob er wie jene Dichter keine neuen Reichthümer erwerben könne?
Ich erinnere mich sehr genau jener Jahre. Die Jugend fühlte etwas wie Qual, wenn sie den literarischen Zustand in Europa mit demjenigen im Norden verglich. Man hatte die Empfindung, von dem Kulturleben Europa's ausgesperrt zu sein. In Dänemark hatte die ältere Generation in ihrem Unwillen gegen alles Deutsche die geistige Verbindung mit Deutschland unterbrochen, den Kanal, durch welchen man die europäischen Kulturgedanken bisher erhalten hatte, verstopft; gleichzeitig fürchtete man die französische Bildung als frivol, und Englisch verstand man nur ausnahmsweise, da die englische Sprache vom gelehrten Schulunterricht ausgeschlossen war. In Dänemark blickte man nach Norwegen hin als zu dem Lande der literarischen Erneuerung, in Norwegen richtete man seine Augen auf Dänemark als auf das ältere Kulturland und bemerkte kaum den Stillstand der dänischen Kultur. Und während das geistige Leben dahinsiechte, wie eine Pflanze in einem dumpfen Raume kränkelt, glaubte die gebildete Welt der beiden Länder das Salz Europa's zu sein. Man wusste nicht, dass die fremden Völker, die man durch seinen Idealismus, seinen Grundtvigianismus, seinen Glauben zu verjüngen träumte, einen grossen Vorsprung in allgemeiner und besonders in literarischer Bildung gewonnen hatten. Man sprach in den herrschenden bürgerlichen Kreisen von David Strauss und Feuerbach wie die spiessbürgerlichsten Kreise Deutschlands in den vierziger Jahren von ihnen gesprochen hatten; man kannte kaum dem Namen nach Stuart Mill, Darwin, Herbert Spencer, man hatte keine Ahnung von der Entwickelung der englischen Poesie von Shelley bis Swinburne. Man verurtheilte die moderne französische Literatur ohne ein Verständniss für die Bedeutung der Thatsache zu haben, dass Schauspiel und Roman in Frankreich längst die geschichtlichen und sagenartigen Stoffe verlassen und Stoffe aus der Gegenwart, die einzigen, welche der Dichter mit seinen zwei Augen beobachten und studiren kann, ergriffen hatten. Selbst wagte man kaum einen Zipfel des Vorhangs zu heben, der die zeitgenössische Welt den Blicken verbarg.
Darauf fing in den Jahren 1871-72 in Dänemark eine moderne literarische Bewegung an, aus der in dem vergangenen Decennium eine neue poetische und kritische Schule erstanden ist. Das in Dänemark erregte geistige Leben verpflanzte sich schnell nach Norwegen und bald offenbarte die Dichtung Björnson's, dass, wie er es selbst ausgedrückt hat, sich nach seinem vierzigsten Jahr neue und reiche Quellen in seinem Innern aufgethan hatten. Plötzlich zeigte es sich, dass seine Productivität neuen Flug und Schwung erhalten hatte. Die moderne Welt lag offen vor seinen Augen. Er hatte, wie er mir einmal schrieb, »die Augen, welche sahen, die Ohren, welche hörten«, bekommen. Die Ideen des Jahrhunderts hatten, ihm selbst lange halb unbewusst, seinen empfänglichen Geist befruchtet. Denn er las in jenen Jahren ungeheuer viel, Bücher in allen Sprachen und jeglicher Art, naturwissenschaftliche, kritische, philosophische, Geschichtswerke und Romane, fremde Zeitschriften und Zeitungen massenhaft. Einen tiefen Eindruck erhielt er von der ruhigen Grösse und dem erhabenen Freisinn Stuart Mill's; Darwin's mächtige Hypothese erweiterte seinen Gesichtskreis, die philologische Kritik eines Steinthal's oder Max Müller's lehrte ihn die Religionen, die literarische Kritik bei Taine die Literaturen mit neuen Augen zu sehen. Die junge dänische Schule trug, wie er öffentlich erklärt hat, nicht wenig dazu bei, ihn vom Alten loszureissen. Die Bedeutung des achtzehnten, die Aufgaben des neunzehnten Jahrhunderts gingen ihm auf. Er hat sich einmal in einem reizenden Privatbrief über die Verhältnisse, die seine Jugend bestimmten, und besonders über seine Umwandlung geäussert:
»Mit jenen Voraussetzungen musste ich die Beute Grundtvig's werden. Aber nichts in der Welt besticht mich, obwol ich nur zu leicht verführt werden kann. Deshalb war ich aus diesen Kreisen heraus an dem Tage, wo ich sah. Mein ärgster Feind kann die Wahrheit in Händen haben; ich bin dumm und stark; aber sehe ich, wenn auch durch einen Zufall, die Wahrheit, so zieht sie mich unwiderstehlich an. Sagen Sie nun: ist eine solche Natur nicht leicht zu verstehen? Sollte man nicht glauben, dass es besonders den Norwegern nahe liege, sie zu begreifen? Ich bin Norweger. Ich bin Mensch. Ich möchte in der letzten Zeit mich fast unterzeichnen: Der Mensch. Denn ich muss immer wieder mich selbst den Leuten erklären, und es kommt mir vor, dass dieses Wort hier bei uns in diesem Augenblick gleichsam neue Vorstellungen erweckt«.
Die erste grössere Arbeit, mit welcher Björnson nach mehrjährigem Schweigen vor das Publikum trat, war das auch in Deutschland ungewöhnlich erfolgreiche Schauspiel »Ein Fallissement«. Es war ein Sprung in's moderne Leben hinein. Die Dichterhand, welche die Schlagschwerter der Sigurds geschwungen hatte, hielt sich nicht für zu gut, die Gelder Tjälde's zu zählen und seine Schulden zu summiren. Björnson war der erste skandinavische Dichter, der sich im vollen Ernst mit der Tragikomödie des Geldes einliess und sein Sieg war deshalb um so glänzender. Absolut gleichzeitig mit »Das Fallissement« gab er das Schauspiel »Der Redacteur«, eine blutige Satyre der norwegischen Pressverhältnisse, heraus. Und nun erschienen in rascher Folge das grosse dramatische Gedicht »Der König«, die Novelle »Magnhild«, die Dramen »Das neue System« und »Leonarda«, neue Gedichte, republikanische Vorträge u. s. w., eine Production, die noch in diesem Jahre mit einem neuen Schauspiel und einem religiös freisinnigen Volksbuch vermehrt werden wird.
Man hat seine Poesie in dieser neuen Phase in conservativen norwegischen Kreisen dadurch herabzusetzen gesucht, dass man sie als Tendenzdichtung bezeichnet. Dies Wort ist das Schreckbild, durch welche man nur allzu lange alle Ideen der modernen Welt aus der dänisch-norwegischen Poesie fern zu halten gestrebt hat. Dabei hegt man, naiv genug, die Ueberzeugung, dass die älteren Dichterwerke, die man preist, tendenzlos sind, weil sie die entgegengesetzte Tendenz der neueren haben; man hat sich nämlich so vollständig an jene älteren Tendenzen gewöhnt, wie man sich an die Luft in einem Zimmer gewöhnt, das man nie verlässt. Die in der ganzen nordischen Literatur dieses Jahrhunderts obligaten Heiden-, besonders Vikinge-Bekehrungen sind z. B. nie als tendenziös aufgefasst worden, auch die Bekehrung in »Arnljot Gelline« wurde nicht so beurtheilt, weil diese Tendenz gefiel. Was man jetzt bekämpfte, war also nicht die Tendenz an sich, sondern die neue Tendenz, d. h. der Geist und die Ideen des Jahrhunderts. Diese Ideen sind aber für die Poesie dasselbe, was der Blutumlauf für den menschlichen Körper ist. Was man im eignen Interesse der Poesie fordern muss, ist nur, dass die Adern, die man gern unter der Haut bläulich schimmern sieht, nicht gespannt und schwarz wie an einem Verbitterten oder Kranken hervortreten. Nur höchst selten tritt die Tendenz bei Björnson in solcher Gestalt hervor, wie z. B. in dem Blutsturz, an dem in »Der Redacteur« der junge Politiker stirbt, nur damit das Kainsmal an der Stirn der Hauptperson gezeichnet werden kann, oder in der Vision, die im Drama »Der König« die Tochter des politischen Märtyrers in dem Augenblick erschrickt und tödtet, wo sie mit dem jungen König zum Brautschemel geht. Sieht man aber von misslungenen Einzelheiten ab, wer kann dann verhärtet genug sein, um nicht den Born einer neuen und eigentümlichen Poesie zu empfinden, der die Werke aus Björnson's zweiter Periode, zweiter Jugend sollte man sagen, durchströmt! Eine brennende Wahrheitsliebe hat diesen Büchern ihren Stempel aufgedrückt; ein männlich fester Charakter gibt sich in ihnen kund. Welcher Reichthum an neuen Gedanken auf allen Gebieten, über Staat und Gesellschaft, Ehe und Haus! Welch eine energische Aufforderung zur Wahrhaftigkeit gegen sich und Andere! Endlich welche Milde, welche Sympathie mit den Menschen entgegengesetzter Geistesrichtung, die, wie der Bischof in »Leonarda«, der König im Drama desselben Namens geschont, ja idealisirt werden, während alle Angriffe auf die Institutionen als solche gerichtet sind!
Die Gegner der neueren Richtung Björnson's behaupten jetzt, dass so lange er sich ausserhalb des Kreises der brennenden Fragen und lebendigen Ideen hielt, sei er als Dichter gross und gut gewesen, seit er sich aber mit modernen Aufgaben und Gedanken eingelassen habe, sei er zurück gegangen, leiste jedenfalls nicht länger künstlerisch Vollendetes. Aehnliche Urtheile sind überall in Europa laut geworden sobald ein Dichter, der in seiner Jugend durch neutrale, harmlose Arbeiten die Gunst eines Publikums gewann, seinen Zeitgenossen zeigte, dass er sie studire und kenne. Es gibt überall in Europa Leser, welche das Byron'sche Jugendgedicht »Childe Harold« über die gewaltige, aber nur selten anmuthige Wirklichkeitspoesie des »Don Juan« stellen. Es gibt in Russland und anderwärts ein verfeinertes Publikum, das die ersten kleinen Erzählungen Turgeniew's, das »Tagebuch eines Jägers« den grossen Romanen »Väter und Söhne« oder »Neuland« vorziehen; es fanden sich in Deutschland Viele, die in Wehmuth hinsanken, weil Paul Heyse eine Zeit lang die Liebesnovelle verliess um »Kinder der Welt« zu schreiben. Es ist zwar wahr, dass Björnson in seiner zweiten Periode noch nicht die Durchsichtigkeit und Harmonie der Form erreicht hat, die seine ersten Arbeiten auszeichnen; es ist aber weder gerecht noch verständig, deshalb von einem Rückschritt zu sprechen. Ein neuer, reicher und brausender Ideengehalt findet langsam seine Form, gährt bisweilen über den Rahmen hinaus; starke Gefühle und Gedanken haben ein gewisses Feuer und einen gewissen Schwung, der sie weniger geeignet macht, in gefälliger Gestalt zu erscheinen, als die Gedankenarmuth der Idylle.
Und trotz alledem, wie viele auch technisch vorzügliche Leistungen hat Björnson in den letzten Jahren hervorgebracht! Die Exposition im »Fallissement« ist eine der besten, welche die Literaturen aller Länder aufzuweisen haben, und die Diction im »Redacteur«, besonders die der ersten Akte, die vorzüglichste, die Björnson überhaupt erreicht hat. Diese beiden Dramen, mit denen Björnson zuerst die Bahn betrat, die Henrik Ibsen mit seinem Schauspiel »Der Bund der Jugend« gebrochen hatte, schliessen sich gewissermassen an dieses kräftig gebaute und beissend witzige Stück an. Im Grunde enthielt »Der Bund der Jugend« sowol ein Fallissement wie einen Redacteur. Das Fallissement war das des leichtsinnigen Erik Brattsberg's, der Redacteur liegt in schwachen Umrissen in Steinhoff's Verhältniss zur Zeitung Aslaksens und in dem Artikel gegen den Kammerherrn, der zuerst gedruckt werden soll und sodann nicht gedruckt werden darf. Man hat gewöhnlich im Publikum den »Bund der Jugend« und den »Redacteur« als Gegensätze, d. h. als sich widerstreitende Eingaben verschiedener politischer Lager aufgefasst, und zwar nur, weil das erstere Stück einen unehrenhaften Vertreter der Fortschrittspartei, das andere einen noch frecheren und lügenhafteren Vertreter der Conservativen verhöhnt. Rein poetisch gesehen, stehen aber diese Stücke einander ganz nahe. Der Redacteur Björnson's ist der gealterte Steinhoff (mit den Jahren wird er hochconservativ) – ein Steinhoff, bei dem die weicheren und geschmeidigeren Elemente unter Enttäuschungen, Niederlagen und Anfällen wilder Verachtung seiner selbst und Anderer verknöchert sind, und bei dem deshalb die brutale Rücksichtslosigkeit allein übrig geblieben ist.
Man fasst vielleicht am richtigsten den »Redacteur« Björnson's als eine grosse Allegorie auf. Der ältere Bruder, Halvdan, der in dem politischen und literarischen Streit unterliegt, ist Wergeland, der nach einem in begeisterten Freiheitskämpfen verbrachten Leben, von den Erregungen seiner eigenen Angriffe und der Verfolgung der Gegner aufgerieben, so lange auf dem Krankenlager hingestreckt lag – eine noch grössere und noch poetischere Gestalt kurz vor dem Tode, als während der langen Fehde des Lebens. In dem jüngsten Bruder Harald, der die Erbschaft Halvdan's übernimmt, denk' ich mir, hat Björnson seine eigenen politischen Bestrebungen mit den Missverständnissen, denen sie ausgesetzt sind, und den Gegnern, die sie finden, symbolisiren wollen. Hakon, der älteste Bruder, der Bauer geworden, und die Frau desselben, die ohne aufzutreten eine Rolle spielt, repräsentiren das norwegische Volk. Die ungewöhnliche Kraft des Stücks beruht jedoch darauf, dass es bei dieser grossen Weite des Horizonts, in seiner Charakterzeichnung in einem Grade individuell und charakteristisch ist, den Björnson nie übertroffen hat.
»Leonarda«, das als dramatische Arbeit nicht hervorragend ist, gehört zu den poesiereichsten Werken des Dichters. Ausserhalb des skandinavischen Nordens kann man ein Schauspiel wie dieses nicht ganz würdigen, vielleicht die gewaltige Wirkung desselben auf die Gemüther kaum begreifen. Es hat bei der Aufführung in Christiania nur deshalb so tief gewirkt, weil es als ein erlösendes Wort in die norwegischen Verhältnisse hineinklang. Die Idee des Stücks ist die der sittlichen und religiösen Toleranz, welcher der Dichter in früheren Zeiten selbst so fern stand. In »Leonarda« hat er mit bewundernswerther Geistesüberlegenheit eine ganze Reihenfolge von Generationen der norwegischen Gesellschaft vorgeführt, die Gebrechen und Tugenden jedes Geschlechts gezeigt, und die Urgrossmutter, welche die während der langen Zeit der nordischen Reaction so gering geschätzte Kultur des achtzehnten Jahrhunderts vertritt, das feierliche Amen des Stücks aussprechen lassen. Ihre Schlussreplik lautet:
»Mir ist als sei meine Zeit wiedergekehrt, wo es grosse Seelen und tiefe Gefühle gab«.
Mit »Leonarda« war jedoch nicht nur die Zeit der tiefen Gefühle, sondern auch die der derben Gedanken wiedergekehrt, obwol der Dichter, wie schon angedeutet, die Gegner seiner Lebensansicht mit einer Milde und Schonung, einer über alle Parteistreitigkeiten erhabenen Menschenliebe bekämpft, die vielleicht sein eigenthümlichstes Merkmal ausmacht.
Henrik Ibsen ist ein Richter, streng wie einer der alten Richter Israels, Björnson ist ein Prophet, der verheissende Verkünder einer besseren Zeit. Ibsen hat in der Tiefe seines Gemüths ein gewaltiges, revolutionäres Element. In der »Komoedie der Liebe« und in »Nora« geisselt er die Ehen, in »Brand« die Staatskirche, in den »Stützen der Gesellschaft« die ganze bürgerliche Gesellschaft seines Landes. Was er angreift, wird von seiner tiefsinnigen und überlegenen Kritik zersplittert. Björnson ist ein versöhnender Geist, er führt ohne Erbitterung Krieg. Es spielt wie Aprilsonne über seinen Dichtungen hin, während die Werke Ibsen's mit ihrem tiefen Ernst wie in Schatten liegen. Ibsen liebt die Idee, die logische und psychologische Consequenz, die Brand aus der Kirche, Nora aus der Ehe heraustreibt. Der Ideenliebe Ibsen's entspricht die Menschenliebe Björnson's.
Schon jung fing er an politisch zu wirken, und er hat sein Leben hindurch in einer Richtung gewirkt. Unermüdet hat er gekämpft, um die Unabhängigkeit Norwegens in der (fast nur dynastischen) Union mit dem grösseren Lande Schwedens zu sichern. Bekanntlich war Norwegen vierhundert Jahre eine dänische, und zwar eine missregierte dänische Provinz, bis es im Jahre 1814 als freies Reich mit einer fast republikanischen Verfassung mit Schweden vereinigt wurde. Seit jener Zeit hat das Haus Bernadotte unaufhörlich Versuche gemacht, die Selbständigkeit des sparsam bevölkerten Felsenlandes zu beschränken und die verfassungsmässigen Rechte desselben zu schmälern. Vor allem hat es gestrebt, das Land mit Schweden zu amalgamiren und es ist ihm nach aussen hin in so fern gelungen, als Norwegen in ganz Europa, sogar in Deutschland, als eine Provinz von Schweden, als eine Art »aufrührerisches Irland« betrachtet wird. Schon als Redacteur von »Bergensposten« 1858 bekämpfte Björnson die amalgamistischen Pläne und hatte nicht geringen Antheil daran, dass die Vertreter Bergen's, die für eine nähere Zollverbindung zwischen Schweden und Norwegen gestimmt hatten, nicht wieder zum Storthing erwählt wurden. 1859 stritt er als Redacteur von »Aftenbladet« in Christiania erfolgreich für das Recht Norwegens, keinen schwedischen Statthalter des Königs zu dulden. 1866-67 war er als Redacteur des »Norsk Folkeblad« einer der tapfersten Gegner des sogenannten »Unionsvorschlags«, d. h. einer Vorlage der Regierung, die darauf hinausging eine engere Union zwischen den beiden dynastisch vereinten Reichen zu bewerkstelligen. Seit der Streit über das (bisher nur für suspensiv erkannte) Veto des Königs zwischen König Oscar und dem Storthing ausgebrochen ist, ist schliesslich Björnson einer der wichtigsten politischen Führer Norwegens geworden. Besonders nach seinem Besuch Nordamerika's im Jahre 1880 hat er sich als der grösste Volksredner Skandinavien's entpuppt, von mächtig hinreissender und zugleich völlig ruhiger Beredsamkeit. Sobald man sich bei einer Volksversammlung seiner Anwesenheit versichert hat, strömen Tausende von Bauern zusammen, um ihn zu hören. Nach dem grossen Präsidenten des Storthings, Johan Sverdrup, hat kein Mann in Norwegen solchen Einfluss als Redner.
Die beiden Länder, Norwegen und Dänemark, die so viele hundert Jahre politisch verbunden gewesen und die noch heutzutage durch die gemeinsame Sprache und die alte gemeinsame Literatur verbunden sind, – fast inniger verbunden, seitdem sie äusserlich auseinanderkamen, – haben in allen politischen Fragen und allen Culturfragen überhaupt gemeinsame Bestrebungen und Ziele. Derselbe Kampf für Freiheit und moderne Aufklärung, den Björnson und seine Gesinnungsgenossen in Norwegen führen, wird in Dänemark von der jüngeren Schriftstellerschule gekämpft. Norweger und Dänen arbeiten, jeder von seiner Seite, um das gemeinsame Sprach- und Literaturgebiet zu bebauen. Ich glaube, dass es damit gehen wird, wie es Björnson in dem kleinen Märchen geschildert hat, das »Arne« und damit seine Bauernnovellen eröffnet, wo Wachholder, Eiche, Föhre, Birke und Haidekraut sich entschliessen den nackten Felsen, der vor ihnen liegt, zu kleiden. Die Versuche misslingen lange, es war deutlich genug, der Felsen würde nicht gekleidet werden; so oft die Bäume sich ein wenig empor gearbeitet hatten, kam ein Bach, der zum Strom wuchs und alles hinunter warf. Sie fangen aber immer wieder von neuem an.
»So war der Tag endlich gekommen, wo das Haidekraut mit einem Aug' über die Felsenkante hinwegsehen konnte, »O jeh! o jeh! o jeh!« sagte das Haidekraut, und weg war es. »Lieber, was ist's, das das Haidekraut sieht?« sagte der Wachholder und kam so weit, dass er hinüber gucken konnte: »O jeh! o jeh! o jeh!« schrie er und war weg. Als endlich Föhre und Birke sich hinaufgearbeitet hatten und den Kopf über den Felsen empor kriegten, riefen sie: »O jeh – steht da nicht ein grosser Wald, aus Föhren und Haidekraut und Wachholder und Birken in der Ebene dort und erwartet uns?« – Sie begegnen der Arbeit, die von der andern Seite gemacht worden um den Felsen zu bekleiden.
» Ja so ist es, wenn man vorwärts strebt«, sagte der Wachholder.
Druck von C. Adelmann, Frankfurt a. M.