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XV

Eine Autohupe ertönte. Lucchetti zog seine Uhr, zeigte sie Viktor, und nickte anerkennend: »Auf die Minute!«

Der junge Farham war unwillkürlich aufgestanden, als ob er zum Empfange hinausgehen wollte. Lucchetti aber sandte ihm einen Blick, und Giacomo öffnete die Tür zu seiner Kammer, rief ihn beim Namen; er mußte in sein Gefängnis zurückkehren.

Lucchetti aber ging mit Viktor zum Empfang.

Als Alasco, der männlicher und sonnenverbrannter aussah als je, Viktors ansichtig wurde, wäre er ihm fast um den Hals gefallen. Viktor bekam Gelegenheit, ihm kurz von Gustavs Selbstmord zu erzählen, und Floras Gruß auszurichten.

Inzwischen hatte Lucchetti voller Würde den alten Farham begrüßt, der wie gewöhnlich den Eindruck machte, als ob er nur zwischen zwei Zügen verweile. Offenbar hatte er sich vorgenommen, den Mann, auf dessen Kopf er hunderttausend Dollar ausgesetzt hatte, als Luft zu behandeln. Kaum aber hatte er das Auto verlassen, als Lucchetti dicht an ihn herantrat –

»Hände hoch!« sagte er freundlich, aber bestimmt.

Über das magere, faltige Gesicht glitt eine schwache Röte, er zögerte einen Augenblick, – Lucchettis Augen funkelten dicht vor den seinen, – dann hob er die Hände.

Lucchetti untersuchte seine Taschen, zuerst in Jacke und Weste, dann in den Beinkleidern. Darauf nickte er und ließ ihn vorbeigehen.

Farham wandte sich an Viktor, dankte ihm für das Telegramm und drückte ihm vertrauensvoll die Hand. Viktor mußte sich gestehen, daß er dieses Vertrauen kaum verdient habe, denn sein Interesse für den jungen Farham war eher negativ gewesen.

Alasco war im Begriff, das Auto in die Wagenremise zu fahren –

»Hallo, junger Mann!« rief Lucchetti, der ihm nachgeblickt hatte.

Alasco machte bereitwillig kehrt und ließ sich lächelnd abtasten.

Schließlich führte Lucchetti die Herren ins Haus und wies ihnen ihre Plätze an dem Tischende an, das geschäftlichen Dingen vorbehalten war.

Der alte Farham ging mit festen Schritten über den steinernen Fußboden, als sei er viel zu beschäftigt, um sich zu setzen. Gleichzeitig musterte er die Einrichtung des Raumes mit unverhohlenem Mißfallen. Ein gebietendes, fast drohendes: »Setzen Sie sich an den Tisch, mein Herr!« versetzte ihn zuerst in grenzenloses Staunen, – gleich darauf aber sah man an seinem Mienenspiel, daß er die augenblickliche Übermacht anerkannte.

Auch Lucchetti setzte sich, zog einige recht zerknitterte Bogen aus der Tasche und legte sie auf die Schreibunterlage: »Die Sitzung ist eröffnet!« sagte er munter und strich sich ordnend über sein volles Haar.

»Sie übernehmen das Amt eines Sekretärs!« sagte er zu Alasco und schob ihm, ohne seine Zustimmung abzuwarten, die Unterlage und die Papiere zu. Alasco lächelte amüsiert.

Darauf diktierte Lucchetti, daß Henry Farham, Sohn des Jack Farham, durch einen Zufall in seine Hände geraten sei. Viktor Heller, der einer schwergeprüften Landsmännin aus einer schwierigen Lage helfen wollte, hatte ihn, Lucchetti, gebeten, sie und ihren Mann eine Zeitlang in Gewahrsam zu nehmen. Da nun das Ehepaar in Farhams Wagen, statt in dem Auto des Hotels gefahren sei, wäre er gezwungen gewesen, sich des Besitzers des Autos, der selbst fuhr, zu bemächtigen. Allerdings zeigte es sich später, daß man auch für Henry Farham Verwendung hatte, – nachdem er seine Rolle aber ausgespielt, läge kein Grund mehr vor, ihn zurückzuhalten.

Farhams Pupillen glichen zwei Punkten, vor unterdrückter Wut.

Lucchetti winkte Giacomo, der zu Alascos offenbarer Belustigung, als Gefängniswärter funktionierte. Mit langen Schritten und starken Armbewegungen ging er zur Tür und ließ den jungen Farham herein.

Farham erhob sich, um ihm entgegenzugehen, – Lucchettis Blick aber hielt ihn zurück.

Der Sohn nickte und lächelte: »Tag, Daddy,« sagte er und winkte mit der Hand, »wie geht's? – Ich bin all right, wie du siehst!«

Jetzt konnte der alte Farham sich nicht länger beherrschen. An Viktor gewandt, sagte er: »Wenn Sie sich für die Befreiung meines Sohnes verwandt haben, dann danke ich Ihnen.« Und indem er an Lucchetti, der seinen Platz am Tische mit natürlicher Würde und Autorität ausfüllte, vorbei, auf die sonnenbeschienene Ebene hinaussah, sagte er in die Luft hinein: »Wie hoch ist das Lösegeld?«

Lucchetti lachte herzlich, das Lachen aber hatte einen Nebenklang, der nichts Gutes versprach.

»Lösegeld? – Ihr Sohn ist nicht einen Schuß Pulver wert! Und ich sollte Geld verlangen, um ihn loszuwerden? Fünftausend Frank hat es mich gekostet, ihn aufzubewahren.«

Farham mußte sich Gewalt antun, um nicht grob zu antworten, Viktor sah, wie er mit sich kämpfte. Er riß sein Portefeuille aus der Tasche, zählte mit fiebernden Fingern fünftausend Frank ab und schleuderte die Scheine auf den Tisch.

Mit einer gelassenen Geste schob Lucchetti das Geld zu Alasco hinüber und sagte: »Herr Sekretär, – zählen Sie das Geld nach und fertigen Sie eine Quittung aus.«

Alasco bekam einen roten Kopf vor zurückgedrängtem Lachen, und auch Viktor konnte sich ein Lächeln kaum verbeißen.

Farham zog sein Scheckbuch heraus und begann zu schreiben.

»Was schreiben Sie da?« Lucchetti beugte sich vor, um zu sehen.

Farham sah ihn an, als ob er sagen wollte: »Was, zum Teufel, schert das Sie?« Aber wieder beherrschte er sich und steckte das Scheckbuch ein.

Lucchetti las die Quittung, die Alasco ihm gegeben hatte und legte sie vor Farham auf den Tisch. Dieser bedachte sich einen Augenblick und steckte sie dann zu sich, ohne sie gelesen zu haben.

Darauf fragte Farham, indem er sich in die Richtung wandte, wo Lucchetti saß: »Können mein Sohn und ich jetzt aufbrechen?«

»Nicht bevor das Gepäck ausgeliefert und eine Quittung für das Vorhandensein aller Gegenstände ausgestellt ist.«

Henry Farham machte einen Schritt auf den Tisch zu und sagte: »Darauf verzichte ich. Ich quittiere unbesehen. Es dauert sonst zu lange.«

Lucchetti lachte: »Hier wird nichts ohne Quittung ausgeliefert, Herr Farham.« Und er gab Giacomo Bescheid, die beiden Koffer neben den Tisch zu stellen. Er suchte zwischen seinem Schlüsselbund und schloß die Koffer selbst auf.

Als der junge Farham seinen Einwurf machte, hatte Viktor aufgesehen; in dem sonst so gleichgültigen Gesicht war eine ziemliche Veränderung vorgegangen.

Lucchetti ließ den oberen Koffer zurückstellen, er wollte mit dem unteren beginnen. Als der Koffer geöffnet war, winkte er Farham näher heran. Er rief die Sachen auf, wie bei einer Auktion, hielt sie für alle sichtbar hoch und legte sie erst an ihren Platz zurück, nachdem der junge Farham zustimmend genickt hatte.

Schließlich nahm er ein hübsch ziseliertes silbernes Kästchen heraus, öffnete es und zeigte es allen, – ein Schmuckstück lag darin.

Es war eine vierreihige Perlenkette, alte, gelbliche Perlen, und das Schloß bestand aus einem Wappen in Brillanten.

Viktor sah gleich, daß es das gestohlene Halsband der Fürstin war, – er erkannte es nach der Beschreibung, die er von der Hybsa bekommen hatte – unwillkürlich griff er nach der Tasche, wo der Brief steckte –

Lucchettis Blick ruhte auf dem jungen Farham, der totenbleich dastand und vor sich hinstarrte.

»Wie bist du in den Besitz dieses Schmuckes gekommen?« fragte der alte Farham. Seine Stimme klang so zaghaft, seine Hände zitterten, als er den Schmuck aus dem Kästchen nahm, um ihn näher zu betrachten.

Der Sohn antwortete nicht, rührte sich nicht.

»Können Sie das Halsband wiedererkennen?« fragte Lucchetti Viktor und sah ihn fest an.

»Ja,« sagte Viktor und breitete die Beschreibung und Abbildung der Hybsa auf dem Tische aus.

»Ihre Erklärung!« kommandierte Lucchetti und rückte dem jungen Farham auf den Leib.

Zum erstenmal wandte der alte Farham sich jetzt direkt an Lucchetti: »Lassen Sie mich erklären,« begann er, indem er nach Worten suchte, und während sein Blick tief gedemütigt von ihm zu Viktor flackerte: »Mein Sohn ist Kleptomane, – er ist bereits deswegen in New York zwangsinterniert gewesen.«

»Aber ich habe zehntausend Frank auf den Kamin der Fürstin gelegt, Daddy,« sagte Henry Farham entschuldigend.

»Wie damals!« murmelte der Vater und schüttelte den Kopf.

»Das Halsband aber ist seine Hundertundfünfzigtausend wert,« murmelte Lucchetti trocken, während er prüfend von Vater zu Sohn blickte. Man sah ihm an, daß er nach einer Erklärung des Wortes Kleptomane suchte. Schließlich fuhr er fort: »Ich klage ihn aber noch wegen einer andern Schuld an, die nicht durch Geld wieder gut zu machen ist!«

Und in einem plötzlichen Wutanfall schrie er heraus: »Sie sind schuld an Millners Selbstmord! Er war ein Mann von Ehre und ich würde ihn rächen, wenn nicht andre ihm näher ständen: Herr Heller, Frau Millners Landsmann, und Signor Alasco!«

Darauf wandte er sich an Alasco: »Signor, ich kenne Ihre Gefühle für Frau Millner, und ich sage Ihnen, dieser Mensch hat sie geschändet und ihren Mann in den Tod getrieben!«

Alasco stürzte sich mit funkelnden Augen auf Henry Farham, der erschrocken zurücksprang.

Lucchetti aber faßte den wütenden Spanier am Arm.

»Nicht hier!« sagte er. »Sie und Herr Heller sollen über ihn zu Gericht sitzen, – und ich werde Ihr Urteil ausführen!«

Der alte Farham erblaßte und griff nach dem Stuhlrücken. Er wandte sich an Viktor und war plötzlich ein alter schwacher Mann, mit entsetzten Augen und einem bebenden Mund –

»Sein Vater mag über ihn zu Gericht sitzen!« beeilte Viktor sich zu sagen und warf Alasco einen mahnenden Blick zu.

Alasco zögerte. Sein Blick glitt voller Ekel über den jungen Farham; da begegnete er dem Blick des Alten, er wandte sich ab und nickte zustimmend.

Da brach der Alte zusammen, – es war doch sein Sohn, sein einziges Kind! – Viktor sah, wie er kämpfte, um seine letzte Kraft zu sammeln, und schließlich stieß er hervor, – es klang wie ein Notschrei: »Ich werde ihn selbst in eine Anstalt bringen und unschädlich machen. Er ist krank und weiß nicht, was er tat, – das ist mein einziger Trost.«

Keiner sprach, man hörte nur das Stöhnen des Alten, der nach Fassung rang. Teresa weinte, und auch in Lucchettis Augen sah man Mitleid.

»Gut,« sagte Lucchetti schließlich, »das Urteil ist gesprochen. Gibt der Vater uns sein Ehrenwort, daß er es ausführen wird?«

Der alte Farham sah ihm ins Auge und nickte.

»Ich habe der Versammlung noch eine Sache vorzulegen,« begann Lucchetti von neuem und setzte sich auf seinen Richterstuhl, »von einem Schädling – und einer unschuldigen Frau.«

Viktor begriff sogleich, worauf er anspielte, – und Teresa blickte Lucchetti voll atemloser Spannung an.

Lucchetti zögerte noch einen Augenblick, dann wandte er sich lächelnd an Viktor: »Lieber Freund, Sie mußten mir Walther doch überlassen. Als ich erfuhr, daß er sich zum Flugplatz begeben hatte, ließ ich das Auto unterwegs von meinen Leuten aufbringen. Der Doktor durfte zu Fuß nach Hause zurückkehren, Walther aber wurde in die Macchia geführt, wo ich ihn mit eigener Hand niederschoß, obgleich auch er keinen Schuß Pulver wert war. Vergeben Sie mir, lieber Freund, daß ich Ihre Arbeit getan habe. Teresa wird es mir sicher danken.«

Darauf wandte er sich wieder an den alten Farham, der ihn jetzt mit einer Mischung von Entsetzen, Bewunderung und Achtung betrachtete.

»Sie können mit Ihrem Sohn aufbrechen und ihn in Sicherheit bringen, wie Sie versprochen haben.« Und er fügte hinzu, während seine Stimme einen andern Klang bekam: »Zum Abschied möchte ich Ihnen noch sagen, daß ich den Apfel nicht nach dem Baum beurteile – und noch weniger den Baum nach dem Apfel!«

Während Farham den Kopf beugte, ob zum Gruß oder Dank, fuhr Lucchetti fort: »Ihren Ingenieur, Herrn Alasco, müssen Sie mir noch einige Tage überlassen. Er muß noch etwas Wichtiges für mich in Livorno ausrichten. In einer Woche aber wird er wieder bei Ihnen in Neapel sein.«

Damit erhob Lucchetti sich und fügte hinzu, indem er Vater und Sohn ernst anblickte:

»Und vergessen Sie nicht, meine Herren, jede Indiskretion oder jeder Versuch zur Rache, wird eine Veröffentlichung von Henry Farhams Vergehen zur Folge haben. Abgesehen davon, daß Sie mich persönlich zum Feinde bekommen, – und Sie haben gesehen, daß ich schnell handle und daß meine Büchse weit reicht. Leben Sie wohl! – Giacomo wird Sie zu Ihrem Auto begleiten.«


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