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Neben dem alten Götterdienst und den eingeführten Fremdkulten hatte sich die gebildete Welt, wie oben bemerkt, früher in einem Unglauben gefallen, welcher im günstigsten Falle philosophisch gefärbt war. Mit dem dritten Jahrhundert, unter dem Einfluss der grossen Unglücksfälle des Reiches, war jedoch unter den höhern Klassen eine grosse Sinnesänderung eingetreten; sie näherten sich einesteils der Wundergier und dem Aberglauben des gemeinen Volkes, andernteils entstand für sie ein neues geistiges Medium, welches die Philosophie mit dem potenziertesten Aberglauben zu verbinden wusste: der sogenannte Neuplatonismus.
So wenig im damaligen Leben diese beiden Richtungen getrennt waren, so wenig werden sie sich in unserer Darstellung durchgängig trennen lassen. Es ist ganz unmöglich, zu sagen, wo der Populärglaube aufhört und wo der philosophische Aberglaube anfängt; der letztere erkennt den erstern in der Regel an, um ihn seinem System, namentlich seiner Dämonenlehre unterzuordnen.
Die einzelnen Phänomene, die zunehmende Wundersucht und der heidnische Fanatismus, die Mystik und die schwärmerische Abstinenz sind auf jedem Blatt der Geschichte des dritten Jahrhunderts kenntlich verzeichnet. Die Gesamtwahrnehmung aber ist die, dass das ganze Verhältnis zum Übersinnlichen sich verrückt hatte und wesentlich anders geworden war. – Zunächst zeigt sich dies bei Betrachtung der Ansichten über das letzte Schicksal des Menschen selber.
Die Feinde des Christentums machen es ihm zum beständigen Vorwurf, dass es sei eine Religion des Jenseits, welche das Erdenleben nur als trübe, prüfungsreiche Vorbereitungszeit für ein ausserirdisches, ewiges Leben auffasse; sie rühmen dagegen das lebensfrohe Heidentum, welches die antiken Menschen gelehrt habe, hienieden ihre Kräfte, Anlagen und Bestimmungen auf die jedem angemessene Weise durch- und auszuleben. – Man könnte zunächst entgegnen, dass schon die Weltanschauung des kräftigsten Griechentums bei weitem nicht so heiter gewesen, als man zu glauben pflegt; jedenfalls aber muss hier festgestellt werden, dass das Heidentum des dritten Jahrhunderts auf dieses Lob, oder wie man es nennen will, keinen ungeteilten Anspruch mehr machen kann, dass es ebenfalls eine Religion des Jenseits geworden war. Die christliche Dogmatik stellt ihre Lehre von Tod und Unsterblichkeit erst an das Ende der Lehre vom Menschen: im vorliegenden Fall müssen wir damit anfangen, weil das ganze Verständnis der spätheidnischen Religion an diesem Punkte hängt.
Der jammervolle Zustand des Staates und der bürgerlichen Gesellschaft hatte gewiss grossen Anteil an der Ausbildung dieser Jenseitigkeit, doch erklärt er dieselbe nicht völlig. Aus unerforschlichen Tiefen pflegt solchen neuen Richtungen ihre wesentliche Kraft zu kommen; durch blosse Folgerungen aus vorhergegangenen Zuständen sind sie nicht zu deduzieren. Die frühere heidnische Ansicht gönnte dem Menschen wohl eine Fortdauer nach dem Tode, allein in blosser Schattengestalt, als ein kraftloses Traumleben; wer weiser sein wollte, redete nach ägyptischer oder asiatischer Lehre von einer Seelenwanderung; nur ganz wenigen Freunden der Götter wurde der Aufenthalt im Elysium oder auf den Inseln der Seligen vorbehalten. Mit der Krisis des Heidentumes wird der Kreis dieser Bevorzugten auf einmal erweitert, und bald nimmt jedermann die ewige Seligkeit in Anspruch. An zahllosen Sarkophagen findet man Züge von Tritonen und Nereiden, für diese späte Zeit oft recht schön dargestellt; es ist die Reise nach den Inseln der Seligen gemeint. Vorzüglich aber lassen die Grabschriften in dieser Beziehung keinen Zweifel übrigVgl. Meyer, Anthologia Lat., nr. 1182. 1195. 1246. 1252. 1265. 1282. 1318. 1329. 1401. 1402 u. a. a. O. Wie bedingt noch die Hoffnungen der spätem Stoiker in dieser Beziehung waren, zeigt M. Antonin. III, 3. X, 31. XI, 3. XII, 5. 14 u. a. a. O.. »Ihr unglücklichen Überlebenden«, heisst es etwa, »beweint diesen Todesfall; ihr Götter und Göttinnen aber freuet euch über den neuen Mitbürger!« – Anderswo wird in aller Form zugestanden, dass erst jenseits das wahre Leben beginne. »Jetzt erst lebst du deine selige Zeit, fern von allem Erdengeschick; hoch im Himmel geniessest du mit den Göttern Nektar und Ambrosia.« Auch für Kinder, für achtjährige Mädchen wird diese selige Unsterblichkeit verlangt: »Ihr hochgelobten Seelen der Frommen, führet die schuldlose Magnilla durch die elysischen Haine und Gefilde in eure«Wohnungen!« – Selbst ein zehnmonatliches Kind wird redend eingeführt: »Meine himmlische, göttliche Seele wird nicht zu den Schatten gehen: das Weltall nimmt mich auf und die Gestirne; die Erde hat nur den Leib, der Stein meinen Namen empfangen.« Ein Witwer will auch schon das Sternbild kennen, wo seine Gattin wohnt, es ist die Krone der Berenice in der Nähe der AndromedaVon dieser Bedeutung der Gestirne wird unten noch die Rede sein. – Vgl. S. Hieronym., Epist. 23, wo eine Witwe ihren Mann in die Milchstrasse versetzt.. Bescheidener lautet das Gebet eines Sohnes: »Götter der Unterwelt, eröffnet meinem Vater die Haine, wo purpurn ein ewiger Tag leuchtet.« Eine deutliche Hoffnung des Wiedersehens wird ebenfalls ausgesprochen, doch erst auf einem spätheidnischen Steine des vierten JahrhundertsMeyer, a. a. O., nr. 1318.. Auch eine andere Konsequenz des Unsterblichkeitsglaubens scheint nicht zu fehlen: der Glaube an die Fürbitte für die Überlebenden; ein hoher Beamter spricht: »Wie ich für euer Heil gesorgt auf Erden, so bin ich nun auch unter den Götternin superis, wobei es freilich ungewiss bleibt, ob der Sprechende nicht selber geradezu als Gott gedacht wird. dafür bemüht.« Man hat mit Unrecht mehrern dieser Inschriften einen christlichen Ursprung geben wollen, was durch die ganz deutlichen mythologischen Zutaten hinreichend widerlegt wird. – Dass im diocletianischen Zeitalter diese Unsterblichkeitsidee allgemein verbreitet war, beweist auch die Warnung, welche ArnobiusAdversus gentes II, p. 86. den Heiden zuruft: »Schmeichelt euch nicht mit leerer Hoffnung, wenn aufgeblasene Weise behaupten, sie seien aus Gott geboren und den Gesetzen des Schicksals nicht unterworfen; nachdem sie einigermassen sittlich gelebt, so stehe ihnen der Hof Gottes offen, und sie könnten nach ihrem Tode ohne Hindernis dahin als in ihre Heimat emporsteigen.« – Das Beste an der Sache war, dass fortan wenigstens die so tief gewurzelte Ansicht von einem irdischen Fatum nicht mehr in so ausgesprochener Feindschaft mit der Sittlichkeit stand, seitdem eine jenseitige Bestimmung des Menschen anerkannt wurde.
Zu diesem fromm lautenden Glauben schienen in der Tat vom heidnischen Standpunkte aus weiter nichts zu gehören als ein aufgeklärter Monotheismus und eine streng gefasste Sittlichkeit, wie sie zum Beispiel unter den Stoikern im Prinzip und zum Teil auch im Leben vorhanden gewesen war. Allein so einfach gestaltete sich für die damaligen Menschen dieses Problem nicht; zwischen sie und die höchsten Fragen ihres Daseins hatten sich zahllose Götter und Göttersysteme schichtweise gelagert, und mit diesen dämonischen Gewalten musste unterhandelt werden. Selbst wo sich in dieser Zeit der Heide zu einem sogenannten Monotheismus aufschwang, werden wir ihn auf merkwürdige Weise gebunden finden an die Idee untergeordneter göttlicher Wesen, welche auf ihre Weise gefeiert und gesühnt sein wollen. – Die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit, weit entfernt, durch einen unmittelbaren sittlich-religiösen Akt sich dem Ewigen zutrauensvoll an den Busen werfen zu können, musste sich zu einem weiten Umweg entschliessen. Nun hatten sich von jeher an die antiken Gottesdienste gewisse Geheimdienste angehängt, welche den Eingeweihten dem Gotte näher brachten und zugleich mehr oder weniger deutliche Beziehungen auf eine bessere Unsterblichkeit enthielten, als die schattenhafte des gewöhnlichen Hades war. In den hellenischen Mysterien der Demeter wie des Dionysos schliesst sich diese Hoffnung an die Feier des Sterbens und Wiederauflebens der Natur, zumal des Saatkorns an, ohne dass sie als das Wesentliche dieser Kulte in den Vordergrund träte. Diese Mysterien wurden noch immer gefeiert; Kaiser und Vornehme, wenn sie nach Griechenland kamen, liessen sich gerne einweihen. Noch jene berühmte Zuschrift des christlichen Firmicus an die Söhne ConstantinsI. Firmicus, De errore profanarum religionum, passim. – Vor ihm bei mehrern christlichen Apologeten, besonders eifrig behandelt bei Arnob., Adv. gentes V. denunziert die Weihen von Eleusis, die kretischen Mysterien des Dionysos, die Sacra der Korybanten als etwas Fortbestehendes; ja wir dürfen vielleicht annehmen, dass die Masse von Mysterien, von welchen Griechenland im zweiten Jahrhundert zur Zeit des Pausanias wimmelteEin besonders interessantes Beispiel statt vieler, das Orakel des Trophonios bei Lebadea: Pausan. IX, 39., sämtlich oder grösstenteils, wenn auch in verkümmerter Form, am Leben blieben bis in die theodosische ZeitVgl. Zosim. IV, 3, wo der Prokonsul von Achaia dem Kaiser Valentinian I. vorstellt, wie ohne die Mysterien dem Griechen das Leben unerträglich sein würde..
Allein so merkwürdig diese mystischen Begehungen an sich sein mögen, so dürfen sie uns doch hier nicht näher beschäftigen, weil sie mehr zurückdeuten in das frühere Griechentum, und ganz besonders weil sie lokal, sogar an Bürgerrechte gebunden waren und sich also nicht weiter verbreiten konnten. Aus demselben Grunde müssen hier die römischen Mysterien der Bona Dea und dergleichen übergangen werden. Ganz anders verhält es sich mit den universellen, über den ganzen römischen Länderkreis verbreiteten Mysterien der Kaiserzeit, die vorzugsweise den fremden Göttern gefeiert wurden.
Es ist nicht die Schuld der neuern Forscher, wenn hier das Wesentliche oft unbekannt, wenn vieles blosse Vermutung bleibt. Von vornherein muss bemerkt werden, dass die qualitative wie die quantitative Teilnahme an diesen Geheimdiensten nach einzelnen Reichsgebieten, Ständen, Bevölkerungsmassen grossenteils ein Rätsel ist. Es können dabei Tausende, aber vielleicht auch Hunderttausende mehr oder weniger eingeweiht gewesen sein; es kann einzelnen Ländern zufällig oder aus innern Gründen ganz daran gefehlt haben, oder die betreffenden Zeugnisse – Inschriften und Bildwerke – liegen noch unter der Erde. Eine durchgehende Wahrnehmung aber ist als sicher anzunehmen: diese Mysterien sind schon frühe, zum Teil schon zur Zeit der Republik in Rom vorhanden, nur in untergeordneter, selbst missachteter Gestalt; mit dem dritten Jahrhundert jedoch steigt auf einmal die Teilnahme sowohl in betreff der Zahl als der Bedeutung der Mysten, woran sich ein neuer, tieferer Gehalt knüpfte, dessen Mittelpunkt die Verheissung der Unsterblichkeit bildeteVgl. Creuzer, Symbolik, Bd. III, S. 536 ff..
Am Eingang in dieses Labyrinth stehen die beiden schönen Gestalten Amor und PsycheDie besondere Hingebung an einen »Gott« führt allein zur seligen Unsterblichkeit. Sehr deutlich sagt dies die griechische Grabschrift von Aix, bei Millin, Voyage dans les Dép. du Midi II, p. 198: »Unter den Toten sind zwei Scharen, die einen irren auf Erden umher, die andern tanzen mit den ätherischen Gestirnen; zu letztern gehöre ich, da ich einen Gott zum Führer erhalten.«, eine auf Platons Vorstellung von der menschlichen Seele beruhende Allegorie. Es mag sein, dass sie schon früher auf einzelnen Denkmälern vorkommen; Tatsache ist, dass von den bekannten Marmorgruppen keine über das zweite Jahrhundert hinaufsteigt, und dass die beiden, getrennt oder in Liebkosung vereinigt, sich freuend und leidend, von da an bis in die späteste heidnische Zeit namentlich an Sarkophagen sehr häufig wiederholt werden. Dagegen führt die scheinbar einzige umständliche Aufzeichnung ihres Mythus, bei ApuleiusVgl. den Anhang zu Friedländer, Sittengeschichte Roms, Bd. I, S. 431 ff., aus der Zeit der Antonine, den Leser nur irre; es ist ein Märchen, dessen Ähnlichkeit mit jener Allegorie fast lediglich darin besteht, dass auch bei Apuleius zwei Liebende, die durch eine lange, von der einen Seite verschuldete Trennung unglücklich geworden sind, durch eine beseligende Wiedervereinigung für immer verbunden werden. Nur teilweise und inkonsequent hat der Dichter, indem er die beiden Namen wählte, auch von der Tendenz jener Allegorie einigen Gebrauch gemacht, seine Geschichte aber lange nicht genügend danach umgedichtet. Unberührt von seiner Erzählung lebt in jener Zeit die Lehre von der menschlichen Seele weiter. Göttlichen Ursprunges, ist sie doch abgefallen und unterliegt im Erdenleben dem Irrtum; durch Prüfungen und Läuterungen muss sie wieder vorbereitet werden zur Fähigkeit eines seligen Lebens; der himmlische Eros, der sich ihrer annimmt und sie als seine Braut heimführt, ist eine Offenbarung der Gottheit, welche die verlorene Menschheit wieder an sich zieht und mit sich vereinigt.
Es ist nicht bekannt, dass mit diesem Symbol zur römischen Zeit besondere Dienste oder Weihen verbunden gewesen wären. Es bezeichnete nur im allgemeinen eine gewisse Sinnesweise. Der Kreis der Kunstwerke und der poetischen Andeutungen erweitert sich dann noch zu mancherlei Seitenbildern; Psyche als Schmetterling wird durch eine Reihe von Szenen hindurch dargestellt, wie zum Beispiel Pallas sie dem von Prometheus geschaffenen Menschen auf das Haupt senkt, wie sie dann dem Gestorbenen wieder entschwebt und von Hermes zur Unterwelt geführt wird – hieran aber schliesst sichAn dem bekannten spätrömischen Sarkophage eines Kindes im Kapitolinischen Museum. als deutliches Sinnbild der endlichen Erlösung der an den Fels geschmiedete Prometheus, welchen Herakles durch einen Pfeilschuss von dem Adler befreit; fortan lebt er göttlich auf dem Olymp.
Von diesem allgemeinen Symbol spätrömischer Sehnsucht nach der Unsterblichkeit gehen wir nun zu denjenigen Mysterien über, in welchen sich ein analoger Inhalt zu erkennen gibt.
Vielleicht müssen hievon die damals noch im Reiche verbreiteten Bacchusmysterien ausgeschlossen werden. Ihr Gehalt in dieser Zeit ist nicht mehr zu ermittelnArnob. V spricht von Bacchanalien überhaupt, I. Firmicus, pag. 9, speziell von den kretensischen und thebanischen. – Laut Creuzer, Bd. III, bezieht sich die bacchische Geheimlehre auf die Seelenwanderung, nicht auf die reine Unsterblichkeit.; man weiss bloss, dass dabei noch immer das Fleisch von Zicklein roh und blutig verzehrt wurde, und dass die Mysten in ihrem heiligen Wahnsinn sich mit Schlangen umwanden.
Schon näher dem Unsterblichkeitsglauben verwandt erscheinen die Mysterien der dreigestaltigen Unterweltsgöttin Hekate (als Luna, Diana und Proserpina). Die Schriftsteller sagen gar nichts darüber; allein in den Inschriften wird dieser Dienst parallel mit den bedeutendsten Mysterien, denjenigen des Mithras und der Grossen Mutter, genannt, kann also wohl nicht unwichtig gewesen sein. An einem zu Hermannstadt in Siebenbürgen befindlichen Bilde dieser Diva triformis bemerkt man Reliefstreifen, welche allerlei Szenen und Grade der Weihe darzustellen scheinen. Welche bedeutende Mittel auf diesen Geheimdienst gewandt wurden, liesse sich aus der Anlage des von Diocletian in Antiochien 365 Stufen tief unter der Erde angebrachten HekatetempelsMalalas l. XII. schliessen, wenn die Nachricht sicher wäre[Nachtrag:] Um den Eindruck eines Niedersteigens von 365 Stufen hervorzubringen, hat man sich zu Anfang unseres Jahrhunderts in einer geheimen politischen Gesellschaft folgende Täuschung erlaubt. Zwei wohl mit Wänden eingefasste Wendeltreppen hingen nebeneinander an Kranen; während der Neophyt in der einen abwärts zu steigen glaubte, wurde sie unbemerkt emporgezogen; er trat dann durch ein Türchen, das an ein ebensolches der zweiten angepasst war, in diese hinüber und glaubte abermals niederzusteigen, während auch diese hinaufgewunden wurde, und so fort. Der Verfasser weiss dies von jemanden, der da merkte, wie es zuging. Möglicherweise war es im Hekatetempel zu Antiochien ebenso..
Die späteste Gestalt der Venusmysterien, deren noch hin und wiederZ. B. bei Arnob., Adv. gentes V. – Bei Ferreti, Musae lapidariae, p. 240 rühmt sich ein geretteter Geist: nam me sancta Venus sedes non nosse silentum iussit, et in coeli lucida templa tuli(t). Erwähnung geschieht, ist ebenfalls unbekannt. Die wichtigsten Geheimdienste aber bezogen sich auf einige Fremdgötter.
Zweierlei Mysterien schlossen sich an den phrygischen Kultus an. Die eine, ältere, schon in der Blütezeit Griechenlands vorkommende Form ist der Geheimdienst des SabaziosVgl. Pauly, Real-Encyclop., Bd. VI, Art. Sabazius., welcher vielleicht bei den alten Thraciern mit dem Sonnengott, bei den Phrygern mit Atys zusammenfällt, in Griechenland aber meistens als eine Personifikation des Dionysos galt und als solcher auch einen öffentlichen Kultus genoss. Nach asiatischer Art war dabei lärmender Gesang mit Cymbeln und Tamburins und der wilde Sikinnis-Tanz die Hauptsache. Von den geheimen Weihen, wie sie in der griechischen Zeit gefeiert wurden, ist wohl das Äusserliche des Rituals bekannt: Umhängen eines Hirschkalbfelles (Nebris), Trinken oder Besprengen aus Mischkrügen, Reinigungen usw., zum Schluss der altbekannte Ausruf des Mysten, »ich floh das Böse und fand das Gute«, sowie das Herumtragen einer Wanne oder Wiege. Von der geheimen (nach Creuzer kosmogonischen) Lehre aber weiss man nichts und darf sich auch um so weniger einen hohen Begriff davon machen, als das Ende und für die meisten wohl auch das Ziel der Weihen in nächtlicher Ausschweifung der gröbsten Art bestand, was dem ganzen Sabaziosdienst schwere Missachtung zuzog. – Später ist derselbe im Römerreich ziemlich verbreitet, möglicherweise mit einem neuen religiös-philosophischen Inhalt; auch tritt er in eine Art von Verbindung mit dem unten zu besprechenden Mithraskult. Jetzt – wenn nicht schon früher – wurde den Mysten unter symbolischen Sprüchen eine goldene Schlange in das Kleid gesenkt und unten wieder herausgezogen, vorgeblich zum Andenken an die Liebe des Zeus und der DemeterArnob., Adv. gentes V.. Dann wurde man in das Innerste des Heiligtums eingeführt, indem man die Worte sprechen musste: »Aus dem Tamburin habe ich gegessen, aus der Cymbel habe ich getrunken, ein Eingeweihter bin ich nun« – anderer undeutsamer Formeln zu geschweigen. Es lässt sich übrigens vermuten, dass wenigstens im dritten und vierten Jahrhundert diese Sabaziosweihen ausser einer neuen Bedeutung auch eine ehrbarere Haltung möchten angenommen haben. Die christlichen SchriftstellerVgl. unter andern Arnob., Adv. gentes V. – Iul. Firmicus, De errore, pag. 23 seq. u. 34., welche in der goldenen Schlange eine offenbare Entlarvung des Satans sehen, der sich endlich hier mit seinem eigenen Namen nenne, hätten sicher nicht geschwiegen, wenn die Zeremonie noch mit allgemeiner Unzucht geendigt hätte. Zudem müssen sich sehr angesehene Leute daran beteiligt haben; Firmicus (um 340) spricht von solchen, die im Purpurgewand, Gold und Lorbeer im Haare, hinzutreten.
Viel merkwürdiger, leider aber nicht viel genauer bekannt, ist die zweite, neuere Gattung phrygischer Mysterien im Römerreich: die Taurobolien, welche sich direkt an die Gestalten der Grossen Mutter und des Atys anschlossen und eine unmittelbare Verheissung der Unsterblichkeit enthieltenDie Inschriften unter anderm bei Orelli I, cap. IV, 1899 seq.; cap. V, 2319 seq. – Die Hauptschilderung bei Prudentius, Peristeph. X, vs. 1011 s. – Ein Fragment bei Meyer, Anthol. Lat., nr. 605. – Vgl. Marmora Taurinensia, Bd. I..
Seit den Antoninen finden sich Inschriften, wonach der Grossen Mutter und dem Atys ein Taurobolium (Stieropfer) und ein Kriobolium (Widderopfer) dargebracht wurden; der Opferer aber rühmt sich, er sei
IN · AETERNVM · RENATUS
das heisst, auf ewig wiedergeboren. Von der Lehre, die diese Hoffnung vermittelte, weiss man nichts, und von dem Zeremoniell nur Unvollständiges. Der klassische Ort der Weihen befand sich zu Rom am Vatikanischen Berg, von wo aus eine beständige Mitteilung nach den Provinzen könnte stattgefunden haben. Die übliche Zeit war Mitternacht (mesonyctium). Nachdem man unter der Erde eine tiefe Grube gemacht und mit einem vielfach wie ein Sieb durchlöcherten Bretterboden bedeckt hatte, stellte sich darunter der EinzuweihendePrudentius a. a. O. schränkt dies auf den summus sacerdos (der Grossen Mutter?) ein, ohne Zweifel mit Unrecht, da die Inschriften die Eingeweihten neben den Priestern erwähnen. Taurobolus aber war jeder Eingeweihte. Auch Frauen erhielten Weihe und Priestertum. Übrigens treten hier oder für das Priestertum der Grossen Mutter überhaupt ganze Kollegien von Quindecemvirn auf, und zwar in gallischen wie in italischen Inschriften. – Von einem etruskischen Ritus, welcher mit dem Opferblut gewisser Tiere die Unsterblichkeit erzielen wollte und in den »acherontischen Büchern« verzeichnet war, erzählt Arnob., Adv. gentes II, pag. 87., angetan mit Goldschmuck und symbolischer Kleidung; während oben die Opfertiere, Stier und Widder, bisweilen auch noch eine Ziege, geschlachtet wurden, suchte er mit Gesicht, Haaren und Kleid möglichst viel von dem niederrinnenden Blut derselben aufzufangenDieser Akt ist wohl am ehesten unter der Redensart vires excipere verstanden, welche man sonst auf die Testikeln oder auf die Hörner des Stieres bezieht.. Allein mit dieser ekelhaften Feierlichkeit war noch nicht alles getan; man musste nun die blutgetränkten Kleider öffentlich, und zwar dauernd tragen und sich damit der Verehrung wie dem Spotte aussetzen. Es scheint sogar, dass diese Reinigung durch Blut nur für einen Zeitraum von zwanzig Jahren gültig war und dann wiederholt werden musste, ohne Zweifel unbeschadet der obengenannten Ewigkeit. Und dennoch war es eine der verbreitetsten Weihen, und man vollzog sie nicht bloss für die eigene Person, sondern auch für andere, für das Heil des kaiserlichen Hauses, ja für ganze Städte, wenigstens im zweiten und dritten JahrhundertWie sich der Charakter des Taurobolismus im vierten Jahrhundert verändert haben mochte, bleibt dahingestellt.. Wie die Zeremonie modifiziert wurde, wenn ganze Korporationen sie mitmachten, ist gänzlich unbekannt. Es kam vor, dass die Grosse Mutter, wahrscheinlich durch Traumgesichte, solche Weihen anbefahl. So schwer es nun fallen mag, mit diesen rohen Gebräuchen höhere Gedanken zu verbinden, so lag doch in den vires aeternae, dem ewigen Weiheblut (des Stieres), ein Trost für die raffinierte Zeit. Ein Eingeweihter, noch dazu Prokonsul von Afrika und Stadtpräfekt von Rom, danktBei Orelli, a. a. O., 1900. ganz ernstlich den Göttern dafür, dass sie nunmehr seine Seele hüten wollen.
Dass Atys auf den Weihesteinen, zumal den spätern, oft Menotyrannus heisst, beweist seine ursprüngliche Einerleiheit oder spätere Identifikation mit dem kleinasiatischen Men, dem MondgottStrabo XII, 3. u. 8. – Es ist derselbe deus Lunus, welcher zu Carrhae in Mesopotamien jenen weltberühmten Tempel hatte. Hist. Aug., Carac. 6 u. 7., und dient weiter nicht zur Erklärung dieser Mysterien.
Wichtiger und jedenfalls von edlerm Stil waren die Mysterien der Isis, welche auch in der Literatur deutlichere Spuren zurückgelassen haben. Es wurden nämlich für sie Proselyten geworben durch Bücher, welche wesentlich im Interesse dieses Dienstes geschrieben scheinen. So vor allem die Metamorphosen des Apuleius, dann auch der ebenfalls noch im zweiten Jahrhundert abgefassteDie Beweise hiefür in der Biographie Univ., art. Xénophon l'éphésien. – Beiläufig mag auf einen Wink des Ammian. Marcell. (XVI, 12) aufmerksam gemacht werden, welcher die Isismysterien in Gallien noch zu Anfang des vierten Jahrhunderts als bestehend voraussetzt. Ein eingeweihter Alamanne nennt nämlich seinen Sohn Serapio. Roman des Xenophon von Ephesus, von der Liebe der Anthia und des Habrokomes. Hier ist die Isis die Gottheit, welche rettend und schützend über dem von zahllosen Abenteuern bedrängten Paare waltet. Und Isis selber hat sich gebessert; sie gibt nicht, wie früher in so manchen ihrer Tempel, Gelegenheit zur Unzucht, sondern sie bewahrt die Keuschheit des Mädchens, deren Triumph der lobenswerte Inhalt mehrerer dieser spätrömischen Romane ist.
Es soll hier nicht von den alten echten Isisfesten Ägyptens die Rede sein, wobei der zerrissene Osiris gesucht und wieder gefunden wurdeIn Ägypten dauerten auch diese bis tief in das vierte Jahrhundert fort. I. Firmicus, De errore, pag. 3 s. – Lactant., Divin, inst. I, 21., sondern von dem universellen isischen Geheimdienst der römischen Kaiserzeit. Sinn und Gehalt desselben werden um so weniger genau zu ermitteln sein, als selbst der populäre Isisglaube der Römer eine schwankende, abwechselnde Form hatte. Die einzige zusammenhängende Auskunft gibt Apuleius in dem obengenannten letzten Buche der Metamorphosen, allerdings in einem solchen Sinne, dass man ungewiss bleibt, ob aus seinem Lucius mehr der spekulative Philosoph oder der gläubige Myste spricht. Eins aber bleibt ausser allem Zweifel: auch diese an sich sehr bunten Mysterien verhiessen eine selige Unsterblichkeit. Die »Königin Isis«, die sich als Mutter Natur und Grundform alles göttlichen Wesens zu erkennen gibt, verlangt von dem unglücklichen Lucius als Preis seiner Wiederverwandlung aus dem Esel in einen Menschen, er solle nicht vergessen, dass fortan sein ganzes Leben bis zum letzten Atemzuge ihr gehöre. »Du wirst aber glücklich leben, glorreich durch meinen Schutz; und wenn du einst deine Zeit durchlaufen hast und in die Unterwelt gehest, so wirst du auch dort mich finden wie du mich hier siehst, leuchtend über dem Dunkel des Acheron, herrschend über die stygischen Tiefen, und als Bewohner der elysischen Gefilde wirst du zu meiner Gnade beten ohne Unterlass.« Freilich, im gleichen Atemzug verspricht Isis auch schon ein langes Leben auf Erden, wenn Lucius ihr durch emsigen Dienst und durch Kasteiung wohlgefällig sein würde, und nachher verheisst ihm der Oberpriester unmittelbaren Schutz und Sicherheit gegen das gewöhnliche von den Sternen bedingte Menschenschicksal. Es scheint, man fand noch Glauben für solche Vorspiegelungen.
Sehr tief ging wohl die heilige Belehrung nicht, die dem Einzuweihenden, vorgeblich aus hieroglyphischen Büchern, gegeben wurde; das äussere, pomphafte Zeremoniell tritt gar zu sehr in den Vordergrund, als dass ein höheres, geistiges Element, eine Sinnesänderung, auch nur eine dauernde Askese das Gemüt des Mysten hätte ergreifen können. Wurde er wirklich darüber aufgeklärt, dass Isis die Natur und zugleich die Summe alles göttlichen Wesens seiMan vgl. hiemit eine Inschrift im Museo Borbonico von Neapel (Inscr. sacrae, Col. V): te tibi, una quae es omnia, dea Isis, Arrius Balbinas V. C., oder ist dies bloss persönliche, tendenzhaft ausgesprochene Ansicht des Apuleius? – wir wissen, wie gesagt, nur so viel, dass diese Mysterien auch eine der damals beliebten Arten waren, sich durch gewisse Zeremonien und magische Künste gegen Unglücksfälle im irdischen Leben und gegen ein trübes Jenseits oder gegen die gänzliche Zernichtung nach dem Tode zu versichern. Das einzige, was bei diesen Weihen auf eine systematische Behandlung des geistigen Menschen hindeutet, sind die beständigen, gewiss nicht ganz unwillkürlichen Träume, während welcher man den Willen der Isis über alle und jegliche Angelegenheiten vernimmt. Neben eigentlichem Betrug von aussen, der ja dem Schlafenden Träume ins Ohr flüstern kann, ist doch auch eine dauernde, künstlich genährte Nervenaufregung gar wohl denkbar. Die äussern Bräuche dagegen sind entweder halb missverstanden aus Ägypten herübergenommen oder auf eine eigentümlich erregbare Phantasie berechnet. Die Vorbereitungen während der Belehrung waren die in den meisten Mysterien üblichen: Enthaltung von Wein, Fleischspeisen und Wollust für ganze zehn Tage, ein Bad, Besprengungen mit Weihwasser und dergleichen; Freunde und Miteingeweihte bringen Patengeschenke. In der durch Traumgesichte bestimmten Weihenacht verharrt man im Tempel, zuerst in rauhem Linnenkleid, dann wechselt man zwölfmal das Gewand und erhält zuletzt einen geblümten Rock und die mit mystischen Tierfiguren bemalte olympische Stola. Von den Aufzügen und Erscheinungen, die dem Mysten zuteil wurden, darf Lucius nur so viel andeuten, dass er symbolisch sterben und durch die Gnade der Isis wieder aufleben musste (precaria salus). »Ich durchschritt die Pforten des Todes, ich betrat die Schwelle der Proserpina, und nachdem ich durch alle Elemente gefahren, kehrte ich zurück. In der Mitte der Nacht sah ich die Sonne in ihrem hellsten Schein. Vor die untern und die obern Götter trat ich hin und betete sie in der Nähe an.« Dies sind Dinge, über welche man nie ins klare kommen wirdWelches Grauen die Ungeweihten abhielt, vgl. Pausan. X, 32, c. 10.. Soll man für jede einzelne Weihe denjenigen Aufwand optischer und dioramatischer Künste voraussetzen, welcher nach unserem Maßstabe zu einer auch nur äusserlichen Illusion nötig wäre? Wohl besass man, wie bei anderer Gelegenheit erzählt werden wird, hinlängliche Mittel, um die damaligen Menschen an diese oder jene Beschwörung und Geistererscheinung glauben zu machen, allein die Sinnesweise dieser Zeit war doch noch genugsam von dem Werte alles Symbolischen durchdrungen, um auch durch blosse rituell imposante Vorzeigung von Sinnbildern einen tiefen Eindruck auf die Phantasie hervorzubringen. Unsere jetzige Welt dagegen ist dergestalt mit Abneigung und Hohn gegen das Symbolische getränkt, dass wir einen andern Gesichtspunkt kaum verstehen können, und schon bei allen Formalitäten und Zeremonien ungeduldig werden. Dies Gefühl wird dann schon auf die Vergangenheit angewandt. Eher als dass man eine tiefe Wirkung durch Symbole zugäbe, werden die kostspieligen Künste der optischen und mechanischen Täuschung, das heisst der wirklichen Betörung vorausgesetzt werden.
Doch wir kehren in den Isistempel von Korinth zurück. Es ist die Zeit gegen Morgen; Lucius in seinem bunten Kleid, eine brennende Fackel in der Hand, einen Strahlenkranz von Palmblättern um das Haupt, steht auf einer hölzernen Estrade vor dem Bild der Göttin; plötzlich öffnet sich vor seinen Augen ein Vorhang, und die draussen im Schiff des Tempels versammelte Menge erblickt ihn als lebendes Bild der Sonne. Festliche Schmäuse beschliessen die Feier.
Die wahre sacrosancta civitas ist aber dem Isisdiener Rom selbst, wo denn auch Lucius in der Folge beim Tempel der Isis campensis sein Quartier aufschlägt. Im folgenden Jahr wird er im Traume ermahnt, auch des Osiris nicht zu vergessen und sich an einen bestimmten Pastophorus zu wenden, welcher natürlich seinerseits schon von Lucius geträumt haben muss. Nach allerlei Schwierigkeiten, zum Teil pekuniärer Art, empfängt der fromme Dulder auch die Weihen des Osiris; dieser »allergrösste der allerobersten Götter« verspricht ihm sogar ausdrücklich seinen Segen für die von ihm angetretene Advokatenlaufbahn und bezeichnet ihn, wiederum in einem Traumgesicht, zum Mitgliede des Pastophorenkollegiums. Der Verfasser gibt keine nähere Schilderung dieser Weihen. Er war laut seiner eigenen AussageDe magia oratio, opera, ed. Bipont. vol. II, p. 68. in Griechenland in die meisten Mysterien eingeweiht worden; das grösste Gewicht legt er jedoch offenbar auf die des isischen Götterkreises.
Weit die mächtigste Geheimreligion aber, ebenfalls mit dem Anspruch auf Erlösung und Unsterblichkeit, war der MithrasdienstHierüber zahlreiche Schriften von Lajard, Hammer-Purgstall, Seel u. a. Besonders ist zu verweisen auf Creuzer, Symbolik, Bd. I. – Das Mithreum von Neuenheim, von demselben; – Niclas Müller, Mithras; – G. Schwenck, Die Mythologie der Perser, S. 185 ff.; – Stark, Zwei Mithräen in der grossherzogl. Altertümersammlung in Carlsruhe. (Festschrift des Jubiläums von Heidelberg 1865.).
Die älteste arische Religion kennt einen Morgenlichtsgott Mithras, welchem später die Lehre Zoroasters, da sie ihn nicht beseitigen konnte, die Stelle eines Mittlers neben Ormuzd zuwies. Mithras wird der erste der himmlischen Izeds, ein gewaltiger Held und Sieger über die Dämonen, und (mit Beziehung auf den Sonnenuntergang) auch ein Schutzherr des Totenreiches, er richtet die Seelen auf der Brücke Dschinewat. Vor allem aber ist er der Schützer der Erde, des Feldbaues, der Fruchtbarkeit, deren Symbol – der Stier – ihm von uralten Zeiten her angehörte. Zahlreiche Anrufungen auf ihn sind im Zendavesta erhalten.
Man würde aber irre gehen, wenn man die Züge dieses alten Mithras des rechtgläubigen Persiens in dem Mithras des sinkenden Römerreiches unverändert wiederfinden oder voraussetzen wollte. Schon die starke spätere Einwirkung des babylonischen GlaubensHerodot. I, 131. auf den persischen hatte den Mithras zu einem Sonnengott, zum Haupte der planetarischen Welt gemacht. Sodann war diejenige Überlieferung, welche zu den Römern gelangte, eine ketzerische, das heisst sie ging von einer den Magiern feindlichen Religionspartei im Perserreiche aus; endlich erhielt man sie erst aus zweiter Hand und also wahrscheinlich sehr getrübt, nämlich bei Anlass des Vertilgungskrieges, welchen der grosse Pompeius gegen die meist aus Cilicien gebürtigen Seeräuber führtePlutarch., Vita Pomp., c. 24.. Dieselben feierten, heisst es, verschiedene Geheimdienste und brachten auch den des Mithras auf, welcher sich seitdem erhalten hat. Irgendwie hatte sich dies Stück persischen Glaubens in halber assyrischer Umdeutung in Kleinasien festgesetzt. Die ganze Mithrasforschung ist an neugierigen Hypothesen überreich, und wir müssen uns hüten, diesen Vorrat ohne Not zu vermehren; doch gestatte uns der Kenner wenigstens eine Frage: hat etwa der Mithrasdienst erst bei den cilicischen Piraten als martialische Räuberreligion diejenige Fassung angenommen, welche ihn später vorzugsweise zur römischen Kriegerreligion geeignet machte? Sie waren als Sklavenhändler jedenfalls weit herumgekommen und hatten ihren Kultus mit sich geführt.
Zahlreiche Reliefs, bisweilen von sehr grossem Maßstab, in den meisten Antikensammlungen Europas, stellen den rätselhaften Mythus dar, ohne ihn zu erklären. Sie sind in der Regel von geringem Kunstwert und im besten Fall kaum älter als die Antonine. Man sieht eine Höhle, über welcher in der Regel der auffahrende und niederfahrende Sonnenwagen oder auch Sonne und Mond angedeutet sind. In der Höhle kniet ein Jüngling in phrygischer Tracht – es ist Mithras – auf einem Stier, dem er einen Dolch in den Hals stösst. Aus dem Schweif des Stieres spriessen Ähren; ein Hund springt an den Stier heran, eine Schlange leckt sein Blut, ein Skorpion nagt an seinen Hoden. Zu jeder Seite steht ein Fackelträger, der eine mit gehobener, der andere mit gesenkter Fackel. Über Mithras erscheint ein Rabe, bekanntlich der Vogel der Weissagung, vielleicht auch als Vogel der Schlachtfelder zu deuten. Ein Löwe oder Löwenkopf, der bisweilen rechts in der Ecke sichtbar wird, soll noch ein Symbol des Lichtes, der Sonne, sein. Wir übergehen zahlreiche andere Zutaten, die auf den einzelnen Mithrassteinen vorkommenS. die in den Hauptsachen vollständige Übersicht in den Abbildungen zu N. Müllers Mithras..
Was diese Symbole ursprünglich bedeuteten, ist mit ziemlicher Sicherheit nachgewiesenStark, a. a. O., S. 42 f.; es ist zunächst der Sieg des Sonnenhelden über den Stier als Sinnbild des Mondes oder der rascher wechselnden Zeitlichkeit überhaupt, welche sterben muss, damit ein neues Jahr entstehe; die Ähren sind die Jahresfruchtbarkeit, der Hund deutet auf den verzehrenden Sirius, der Skorpion auf den Herbst, das heisst auf das nahende Absterben der Natur; die Fackelträger (die man sonst als Morgenstern und Abendstern erklärte) versinnlichen die Aequinoctien. Auch die Reliefs zu beiden Seiten und über der Höhle, welche auf einigen besonders reichen Exemplaren vorkommen, werden jetzt teilweise als astrale und elementare Vorgänge gedeutet, nachdem man früher vorzugsweise einzelne Momente der geheimen Weihen darin zu erkennen glaubte; manches bleibt noch unerklärt. Dass schon von der alten persischen Zeit her alles zugleich eine höhere Beziehung hatte, versteht sich von selbst.
Allein von da ist ein weiter Weg bis zu demjenigen Sinn, welchen die spätrömische Zeit mit diesen Bildwerken verband. Glücklicherweise geben die Inschriften wenigstens einen deutlichen Wink; sie lauten: dem unbesiegten Gott Mithras, – der unbesiegten Sonne Mithras, – der Sonne, dem unbesiegten Begleiter usf.Vgl. Orelli l. c. I, cap. IV, § 34 und cap. V, § 17. Eine Inschrift, nr. 1912, nennt Mithras den unbegreiflichen Gott, IMDEPRENSIVILIS, was auch die neuern Erklärer sich zu Herzen nehmen mögen.; die letztgenannte Inschrift ist zudem eine der häufigsten auf den MünzenDen eigentlichen Mithras der Höhlenreliefs durfte man freilich nicht zum Münzrevers entweihen; seine Stelle vertritt die gewöhnliche Gestalt des Sonnengottes, mit Strahlenglanz, Globus oder Geissel. Constantins des Grossen, welcher vielleicht sein Leben lang sich nicht völlig von dem Äusserlichen des Mithrasglaubens losmachte. Der Unbesiegte war sicher zugleich der Siegspender und also vorzugsweise der Kriegsgott, eine Eigenschaft, die nach neuern ForschungenSchwenck, a. a. O., S. 201. auch schon im altpersischen Mithras wenigstens sekundär angedeutet sein soll. Endlich ist Mithras der Führer der Seelen, die er aus dem Erdenleben hinaus, in welches sie gefallen, wieder zum Lichte emporleitet, von dem sie ausgegangen sind. Und hieran knüpft sich das Gefühl der spätern römischen Welt; sie hat es nicht bloss aus den Religionen und der Weisheit der Orientalen und der Ägypter, noch weniger erst aus dem Christentum entlehnt, dass das Erdenleben ein blosser Übergang zu einem höhern Leben sei; ihr eigener Schmerz und das Innewerden ihrer Alterung sagen ihr deutlich genug, das irdische Dasein sei lauter Beschwerde und BitterkeitPorphyrius, De antro nympharum, in der Micyllischen Ausgabe des Homer, p. 235.. Der Mithrasdienst wird eine, und vielleicht die bedeutendste der erlösenden Religionen des sinkenden Heidentumes.
Allein der antike Mensch hat das Gefühl des Elends ohne das Gefühl der Sünde; mit der Sündenvergebung durch das Wort ist ihm daher nicht geholfen; er bedarf einer Erlösung von ganz besonderer Art. Um dem rettenden Gott sich anschliessen zu können, muss jeder einzelne sein eigener Erlöser sein durch furchtbare freiwillige Leiden, mit welchem man es hier ernsthafter nahm als in allen andern Mysterien. So entstanden bei den Mithrasweihen jene sogenannten Prüfungen, gegen welche das Taurobolium und die Isisprüfungen als wahres Kinderspiel erscheinen. Die Dinge, um welche es sich hier handelt, waren gewiss nicht bloss ersonnen, um die Unberufenen und die Masse abzuhalten, sie heissen »Züchtigungen« und müssen manchem das Leben gekostet habenDie Stellen bei Creuzer, D. M. v. Neuenheim, S. 24 u. 71.. Es gab achtzig verschiedene Momente der Züchtigung, als da sind: Hungerfasten bis auf fünfzig Tage, Schwimmen in weitem Umkreis, Berührung des Feuers, Liegen im Schnee bis auf zwanzig Tage, Ängstigungen aller Art, zweitägige Geisselung, Liegen auf einem Marterbette, Aushalten in qualvollen Stellungen, auch ein nochmaliges Fasten in der Wüste usw. Sieben verschiedene Stufen der Einweihung werden genannt, nur ist die Reihenfolge nicht ganz sicher, darunter ein Rabengrad, Kriegergrad, Löwengrad; die obersten hiessen Väter. Man weiss nicht, bei welchen dieser Grade die einzelnen Weihen eintraten, welche die christlichen Zeitgenossen geradezu als Sakramente bezeichnen. Beim Löwengrad wusch man die Hände mit Honig und gelobte, sie rein zu halten von aller MissetatPorphyr., De antro, p. 234.. Irgendwo kam auch Brot und ein Becher Wasser vor, selbst ein entsündigendes BadTertullian., De praescript. spricht von einer förmlichen expiatio delictorum, was dahingestellt sein mag. Dann aber lässt er eine symbolische Handlung folgen, welche die Auferstehung bezeichnete, imaginem resurrectionis, und dies ist sicher ein echter Zug. – Mehrere Grade sind genannt in der Inschrift bei Orelli, nr. 2343.; dann suchte man dem »Mithraskrieger« mit einem Schwert einen Kranz auf das Haupt zu werfen, den er mit der Hand wegfangen und an die Schulter drücken musste, weil Mithras selber sein Kranz, seine Krone sei. Im Hinblick auf die vielen Kaiser, Hofleute und Mächtigen der Erde, welche diesen Kultus mitmachten, hat man beharrlich vermutet, es sei mit den Weihen und Züchtigungen nicht so genau genommen worden, und vieles davon möchte zum Symbol, ja zur blossen Redensart eingeschrumpft gewesen sein. Wer konnte zum Beispiel einem Commodus befehlen, sich jenen wunderlichen Qualen zu unterziehen! Und wie gefällig waren nicht die Hierophanten der verschiedenen Mysterien gegen hohe Personen überhaupt! – Allein die Aussagen über die Wirklichkeit jener Züchtigungen lauten viel zu bestimmt, als dass man sie mit Hypothesen beseitigen dürfteDie Stelle Hist. Aug., Commod. 9 liefert keinen Gegenbeweis. Es darf hier erinnert werden an die abschreckende Enthaltsamkeit der manichäischen Electi, der christlichen Anachoreten usw.. Nur eines kann man gerne zugeben: dass der Ritus einer Verehrung, die durch keine gemeinsame Hierarchie gehütet und geleitet war, in den verschiedenen Gegenden des Reiches sich sehr verschieden gestalten mochte. Soweit dem Schreiber dieses bekannt ist, sind diejenigen Mithrassteine, welche eine grosse Anzahl kleiner Reliefdarstellungen zu den Seiten und über der Höhle enthalten, sämtlich am Rhein, in Tirol und in Siebenbürgen gefunden; es sind diejenigen von Heddernheim unweit Frankfurt, von Neuenheim bei Heidelberg, von Osterburken zwischen Neckar und Tauber, von Apuleum unweit Karlsburg, von Sarmizegethusa, ebenfalls in Siebenbürgen, und das höchst bedeutende von Mauls in Tirol, welches sich jetzt zu Wien befindet; hier stellen zwei Reihen kleiner Bilder zu den Seiten des Hauptreliefs Szenen dar, in welchen man früher die Versinnlichung der einzelnen Martern der Aufnahme zu erkennen glaubte: das Qualbette, das Stehen im Schnee und im Wasser, das Sengen am Feuer usw., und die jetzt anders erklärt werden mögen; genug, dass man in diesen Gegenden eine sehr umständliche Bilderschrift für notwendig hielt, aus Gründen, die für uns jetzt völlig dunkel sind. Die vielen in Italien gefundenen Steine dagegen zeigen nichts von dieser Art. Die einzelnen Logen des Ordens (wenn man diese verfänglichen Ausdrücke nicht zu strenge nehmen will) können eben in Aufnahme, Lehre und Kultus sehr von einander abgewichen sein. Sodann stammen jene oben aufgezählten Denkmäler meist erst aus dem dritten Jahrhundert, einer Zeit der Gärung für das Heidentum, welches damals im Gefühl seiner innern Auflösung sich partiell herzustellen, zu steigern bemüht war und stellenweise einen plötzlichen Fanatismus entwickelte. Wer kann nun sagen, ob hier neben den örtlichen Unterschieden nicht auch zeitliche mitwirkten?
Die erwähnten Mithrassteine nördlich von den Alpen und der Donau rühren nach aller Wahrscheinlichkeit und zum Teil erweislich von römischen Kriegern herStark, a. a. O., S. 9 glaubt das Relief von Neuenheim noch in die Zeit der Antonine, das von Osterburken etwa in die Jahre 220–240 versetzen zu sollen. – Die Übersicht der Mithrasdenkmale, wie sie sich nach den Entdeckungen der letzten Jahrzehnte gestaltet hat, S. 27 ff.. Welche Stellung nahm der Eingeweihte im täglichen Lagerverkehr ein? Wie hing diese ganze Andacht mit der kriegerischen und politischen Aufgabe der höhern Offiziere zusammen? Bildete sie ein wirksames Band unter denselben? Hatte sie sittlichen Anteil daran, als das römische Wesen sich in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts noch einmal aufraffte? Alle diese Fragen bleiben unbeantwortet, solange die Mithraslehre nur aus den wenigen Stellen meist christlicher Autoren bekannt ist. Der Fundort der Mithrassteine sind künstliche oder natürliche Höhlen, bisweilen auch Freibauten, oft von wenigen Fuss ins Gevierte, deren Hinterwand das Relief einnahm; ein Raum, der höchstens ein paar Menschen fasst; wenn sich eine Menge einfand, so muss man sich dieselbe draussen stehend denken. Selbst das grosse Heddernheimer Mithreum ist keine 40' lang, und von seinen 25' Breite bleibt der Nebenzellen wegen nur ein 8' breiter Gang übrig. In dem kleinen Neuenheimer Mithreum von 8' ins Gevierte war das Innere überdies verstellt mit Altären und Bildwerken verwandter Gottheiten, wie zum Beispiel Herkules, Juppiter, Victoria, auch fanden sich Geschirre, Lampen u. a. Fragmente vor. Die baulichen Zutaten, reichverzierte Säulen u. dgl. zeigen, dass sich diese Heiligtümer keinesweges dem Blick zu entziehen suchten. Wer hätte sie auch zu entweihen gewagt? Die Soldaten, welche hier Geheimdienste feierten, waren die Herren der WeltEines von den merkwürdigsten Mithreen, über einer Quelle zwischen Felsen, bei St. Andeol unweit Viviers an der untern Rhone, beschreibt unter andern Millin, Voyage dans les dép. du midi II, p. 116 mit Abb..