Frances Hudgson Burnett
Der kleine Lord
Frances Hudgson Burnett

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Elftes Kapitel.
Die Nebenbuhler

Wenige Tage nach dem großen Diner auf Schloß Dorincourt war jedem Zeitungsleser in England die romanhafte Geschichte, welche sich in der Familie des Grafen zutrug, in allen Einzelheiten bekannt. Es war ein höchst brauchbarer Stoff für die Presse. Der kleine Amerikaner, der urplötzlich nach England gebracht worden war, um keinen geringeren Namen als den eines Lord Fauntleroy zu tragen, und der durch seine Schönheit alle Herren gewann, der alte bärbeißige Graf, der so stolz war auf diesen Erben, die schöne Mutter, der nie vergeben worden, daß Kapitän Errol sie geliebt und zu seiner Frau gemacht hatte einerseits, und dann die seltsame Heirat des verstorbenen Lord Fauntleroy und die seltsame Frau, von der niemand etwas wußte und die plötzlich auf dem Schauplatz erschienen war, um die Rechte eines Lord Fauntleroy für ihren Sohn in Anspruch zu nehmen andrerseits, daraus ließen sich die packendsten Feuilletons und sogar Leitartikel mit Leichtigkeit gestalten. Dann tauchte das Gerücht auf, daß der Graf von Dorincourt mit dieser Wendung der Dinge keineswegs einverstanden und fest entschlossen sei, die Ansprüche jener Frau mit Hilfe des Gesetzes zu vernichten, so daß ein großer Sensationsprozeß zu erwarten stehe.

In der Grafschaft selbst hatte man noch nie eine derartige Aufregung erlebt. An Markttagen standen die Leute stundenlang bei einander und berechneten alle Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten des unerhörten Falls; die Pächtersfrauen luden einander auffällig häufig zum Thee ein und tauschten aus, was jede gehört hatte, und teilten einander ihre eignen Ansichten und die von andern Leuten mit. Ueber den Zorn des Grafen waren haarsträubende Geschichten im Umlaufe, und daß er um keinen Preis den neuen Erben anerkennen werde, wußte jedermann, so gut wie, daß er die Mutter desselben tödlich haßte. Am genauesten unterrichtet war natürlich wieder einmal Mrs. Dibble, und die Frequenz ihres Geschäfts steigerte sich in diesen erregten Tagen abermals bedeutend.

»Schief wird's gehen,« meinte sie, »und wenn Sie mich fragen, so sag' ich, 's ist die Strafe dafür, daß er die herzgute junge Kreatur so schlecht behandelt hat und ihr das Kind genommen – in den ist er jetzt ganz vernarrt und hat sein hoffärtiges Herz an ihn gehängt, und deshalb bringt ihn die Geschichte schier um. Und was ihm auch hart eingeht, aber ganz recht geschieht, die Neue da, sie ist keine feine Dame, wie des kleinen Lords Mama. Ein freches, schwarzäugiges Ding ist's, und Mr. Thomas sagt, was ein feiner Diener ist, wird sich von so einer nie nichts sagen lassen, und an dem Tage, wo die Madame ins Haus kommt, packt er seine Siebensachen. Ach du lieber Gott, und der Jung – so verschieden vom kleinen Lord, wie Tag und Nacht. Was aus der Sache noch kommen wird, das weiß kein Mensch: Gott steh' uns bei – keinen Blutstropfen hätt' ich von mir gegeben, wenn Sie mich mit Nadeln gestochen hätten, so kreideweiß bin ich vor Schreck gewesen, wie die Jane mir's erzählt hat.«

Auch im Schloß selbst trat keine Ruhe ein. In der Bibliothek saßen der Graf und Mr. Havisham in endlosen, aufgeregten Beratungen bei einander; im Dienerschaftssaal waren Mr. Thomas und der Haushofmeister zu allen Tageszeiten in ernstem Gespräche zu treffen, dem die andern andächtig lauschten, und im Stalle waltete Wilkins in sehr gedrückter Stimmung seines Amtes, bürstete den braunen Pony noch viel sorgfältiger als je und versicherte dem Kutscher immer wieder, daß er nie einen jungen Herrn reiten gelehrt habe, dem die edle Kunst so »natürlich« gewesen sei, und daß dies ausnahmsweise einer sei, bei dem sich's lohne, hinterdrein zu reiten.

Inmitten all der Bekümmernis und Not blieb nur ein Herz ruhig und unberührt von Sorge, und das war das kleine Herz Lord Fauntleroys, der nun bald kein Lord mehr sein sollte. Als man ihm die Lage der Dinge erstmals auseinandergesetzt hatte, war er sehr bestürzt und bekümmert gewesen, es zeigte sich jedoch bald, daß diesem Gefühle kein gekränkter Ehrgeiz zu Grunde lag.

Auf einem Stuhle sitzend, die Händchen um die Kniee geschlungen, wie es seine Gewohnheit war, hörte er dem Grafen zu, als dieser ihm von dem unliebsamen Ereignis mitteilte, soviel er für nötig hielt, wobei Cedrik allmählich immer ernsthafter dreinschaute.

»Mir – mir ist ganz wunderlich zu Mut,« sagte er, als der Graf zu Ende war.

Schweigend blickte der alte Mann auf das Kind. Ihm war auch wunderlich zu Mut, so wunderlich, wie nie zuvor im Leben, um so mehr, als er nun das sonst so sonnige, glückliche Kindergesicht ängstlich und erschrocken vor sich sah.

»Werden sie Herzlieb ihr Haus nehmen und – und ihren Wagen?« fragte Cedrik mit etwas unsichrem Stimmchen.

»Nein!« rief der Graf sehr bestimmt und merkwürdig laut. »Ihr können sie nichts nehmen.«

»Ach!« sagte Cedrik sichtlich erleichtert. »Das können sie nicht?«

Dann sah er den Großvater fest an, und es lag ein tiefer Schatten in den braunen Augen.

»Wird dann,« begann er stockend, »wird dann der andre – wird der dann dein Junge sein, so wie ich?«

»Nein!« ertönte es mit so mächtiger Stimme, daß Cedrik zusammenschreckte.

»Nein?« wiederholte er fragend. »Ich – ich hab' gedacht, daß –«

Plötzlich stand er auf.

»Kann ich dein Junge bleiben, auch wenn ich kein Graf werde? Willst du's, daß ich dein Junge bleibe?« Jeder Zug des kleinen Gesichts drückte die höchste Spannung aus.

Wie der alte Graf ihn ansah, von Kopf bis zu Fuß! Wie sich die buschigen Augenbrauen zusammenzogen und wie die feurigen Augen so wunderlich drunter hervorleuchteten!

»Mein Junge!« sprach er, und seine Stimme klang seltsam gebrochen, rauh und heiser, und trotzdem er noch bestimmter und gebieterischer sprach als vorher, wollte sie nicht so ganz fest bleiben – »Ja, mein Junge bleibst du, solange ich lebe, und, bei Gott, mir ist's oft, als wärst du der einzige Junge, den ich je gehabt habe.«

Bis unter die Haarwurzeln war Cedrik von Glut übergössen – nichts als Freude und Herzenserleichterung. Mit sehr entschlossener Miene vergrub er die Händchen in den Tiefen seiner Taschen und sah seinem Großvater ehrlich ins Gesicht.

»Nun, dann, weißt du,« erklärte er, »dann mache ich mir gar nichts daraus, daß ich kein Graf werde – darauf kommt mir's gewiß nicht an. Ich habe nur gedacht – siehst du – ich habe gedacht, daß der, welcher Graf wird, auch dein Junge sein müsse und ich's also nicht mehr sein könne. Deshalb ist mir so – so wunderlich zu Mut gewesen.«

Der Graf legte die Hand auf seine Schulter und zog ihn zu sich heran.

»Nichts, gar nichts sollen sie dir nehmen von dem, was ich für dich behaupten kann,« sagte er, mühsam atmend. »Und ich will es nicht glauben, daß sie dir überhaupt etwas nehmen können. Du bist für die Stellung geschaffen – und du sollst sie ausfüllen trotz alledem. Wie es aber auch kommen mag – das, worüber ich frei verfügen kann, sollst du haben – alles!«

Es war nicht mehr, als ob er zu dem Knaben spräche, es war, als ob er sich selbst gegenüber ein Gelübde ablege.

Wie tief seine Liebe zu dem Enkel und sein Stolz auf ihn bereits Wurzeln geschlagen hatten, davon hatte er vorher eigentlich doch selbst keine Ahnung gehabt, und nie waren ihm die Schönheit und die Frische des Kindes und all' seine glücklichen Gaben so leuchtend vor Augen getreten. Dieser eigenwilligen Natur erschien es als ein Ding der Unmöglichkeit, aufgeben zu sollen, woran er sein Herz gehängt hatte, und er war entschlossen, es sich wenigstens nicht leichten Kaufes entreißen zu lassen.

Wenige Tage, nachdem sie Mr. Havisham aufgesucht hatte, fand sich die Frau, welche die Rechte einer Lady Fauntleroy für sich in Anspruch nahm, im Schlosse ein und zwar in Begleitung ihres Kindes. Sie wurde nicht angenommen. Mylord habe die Sache vollständig seinem Anwalt übertragen und wünsche nicht, in persönlichen Verkehr mit ihr zu treten, lautete der Bescheid, den Mr. Thomas mit Hoheit und Würde erteilte. Den Eindruck, den die Unbekannte auf ihn gemacht, gab er im Dienerschaftssaal rückhaltlos zum besten. Er hoffe, lange genug Livree in vornehmen Häusern getragen zu haben, sagte er, um zu wissen, was eine Dame sei und was nicht, und wenn dies eine Dame sei, so könne er Katze und Maus nicht unterscheiden.

»Die draußen in Court Lodge,« setzte er selbstbewußt hinzu, »Amerikanerin hin oder her, die ist eine vom rechten Schlag – das sieht jeder Gebildete auf den ersten Blick. Ich hab's zu Henry gesagt, als wir den ersten Besuch dort machten.«

Die Frau war fortgefahren – das hübsche, gewöhnliche Gesicht halb zornig, halb furchtsam. Im Verlaufe der verschiedenen Unterredungen, die er mit ihr haben mußte, war Mr. Havisham zu der Ansicht gelangt, daß sie, wohl leidenschaftlich und frech, jedoch lange nicht so klug und ausdauernd und mutig war, als sie glaubte. Es gab Augenblicke, in denen die Lage, in die sie sich gebracht hatte, ihr über den Kopf zu wachsen schien, und offenbar hatte sie sich keine Vorstellung davon gemacht, auf welch ernsten Widerstand ihre Ansprüche stoßen würden.

»Sie ist entschieden aus den niedersten Regionen des Lebens,« bemerkte der Anwalt gegen Mrs. Errol. »Ohne alle Erziehung weder durch die Schule noch durch das Leben, ist sie durchaus nicht gewöhnt, mit Leuten wie wir auf gleichem Fuße zu verkehren, und weiß sich dabei in keiner Weise zu benehmen. Der vergebliche Besuch im Schlosse hat sie vollkommen eingeschüchtert – an Toben und Wüten darüber hat sie es natürlich nicht fehlen lassen, aber eingeschüchtert war sie doch. Der Graf wollte sie nicht empfangen, hat mich aber dann auf meinen Wunsch in die »Dorincourt Arms« – Sie kennen ja den kleinen Gasthof – begleitet, wo sie wohnt. Als sie ihn eintreten sah, wurde sie leichenblaß, einen Augenblick später war sie freilich wieder im besten Zug, in einem Atem zu drohen und zu fordern.«

Allerdings war der Graf damals in seiner allerabweisendsten, vornehmsten Haltung, wie ein alter Riese aus Königsgeschlecht bei ihr eingetreten und hatte unter den weißen Augenbrauen hervor die Person fixiert, ohne sie eines Wortes zu würdigen, wie man sich etwa eine seltsame, aber widerliche Naturerscheinung besieht. Ohne eine Silbe zu äußern, hatte er sie all' ihre Redensarten hervorsprudeln lassen und dann erwidert: »Sie behaupten, die Frau meines ältesten Sohnes zu sein. Wenn Sie dafür vollgültige Beweise vorlegen können, so haben Sie das Recht auf Ihrer Seite. In dem Falle ist Ihr Knabe Lord Fauntleroy. Daß die Sache gründlich geprüft werden wird, dessen dürfen Sie sich versichert halten, und wenn Ihre Ansprüche als berechtigt anerkannt werden müssen, so soll für Sie gesorgt werden. Sehen will ich weder Sie noch den Knaben, solange ich lebe – nach meinem Tode wird das Besitztum unglücklicherweise ihm anheimfallen.«

Damit drehte er ihr den Rücken und schritt stolz und gelassen hinaus, wie er hereingetreten war.

Wenige Tage darauf wurde Mrs. Errol, die in ihrem kleinen Boudoir mit Schreiben beschäftigt war, ein Besuch gemeldet. Das Mädchen, welches die Anmeldung zu bestellen hatte, schien sehr aufgeregt zu sein, und die vor Verwunderung ganz runden Augen des jungen Dinges sahen mit ängstlicher Teilnahme auf ihre Herrin.

»Der Graf selbst ist's, gnädige Frau,« sagte sie zum Tode erschrocken.

Als Mrs. Errol ihr Wohnzimmer betrat, stand ein ungewöhnlich großer, imposanter alter Mann vor dem Kamine auf dem Tigerfell. Das scharfe, kühne Profil, der lange weiße Schnurrbart und ein Ausdruck von Eigenwillen fielen ihr zuerst in die Augen.

»Mrs. Errol, soviel ich weiß?« sagte er.

»Mrs. Errol,« bestätigte sie.

»Ich bin Graf Dorincourt.«

Er hielt einen Augenblick inne – unwillkürlich mußte er ihr in die Augen sehen. Diese Augen glichen so ganz und gar denen, die er täglich mit ihrem kindlich liebeerfüllten Blick auf sich gerichtet sah, daß es eine merkwürdige Empfindung in ihm hervorrief.

»Der Junge sieht Ihnen sehr ähnlich,« sagte er plötzlich.

»Das hat man mir häufig gesagt, Mylord,« erwiderte sie, »aber es macht mir größere Freude, wenn man ihn seinem Vater ähnlich findet.«

Lady Lorridaile hatte recht gehabt, ihre Stimme klang wirklich besonders süß und lieblich, und ihr Benehmen war höchst natürlich und würdig, auch schien sein unerwartetes Erscheinen sie keineswegs aus der Fassung zu bringen.

»Jawohl,« versetzte der Graf, »er sieht auch – meinem Sohne ähnlich.« Er zerrte heftig an den Enden des weißen Bartes. »Wissen Sie, weshalb ich hierher gekommen bin?«

»Mr. Havisham ist bei mir gewesen und hat mir gesagt, daß Ansprüche geltend gemacht werden –«

»Und ich komme, Ihnen zu sagen, daß diese Ansprüche genau untersucht und bestritten werden sollen, falls sich dazu irgend eine Möglichkeit bietet. Ich bin gekommen, Ihnen zu sagen, daß der Junge mit allen Hilfsmitteln des Gesetzes verteidigt werden soll. Seine Rechte –«

»Er soll nichts besitzen, was nicht wirklich und wahrhaftig sein Recht ist,« unterbrach ihn die sanfte Stimme, »selbst wenn irgend ein Gesetz ihm dazu verhelfen könnte.«

»Das kann das Gesetz leider nicht,« sagte der Graf, »sonst würde es geschehen. Dieses erbärmliche Geschöpf und ihr Kind –«

»Vielleicht hat sie ihren Knaben ebenso lieb, wie ich meinen Ceddie, Mylord,« sagte die kleine Mrs. Errol, »und wenn sie die Frau Ihres ältesten Sohnes gewesen ist, so ist jener Lord Fauntleroy, und mein Kind nicht.«

Sie hatte so wenig Angst vor ihm wie Cedrik, sie sah ihn gerade so unerschrocken an, wie jener, und das that dem Manne wohl, der sein lebenlang ein Tyrann gewesen war. Es war ihm so selten begegnet, daß jemand gewagt hatte, ihm gegenüber andrer Meinung zu sein, daß es den Reiz der Neuheit für ihn hatte.

»Ihnen wäre es wohl bedeutend lieber, wenn er nicht Graf Dorincourt zu werden hätte?« fragte er etwas gereizt.

Ein leichtes Rot flog über das liebliche Gesicht.

»Graf Dorincourt zu sein, ist ein hohes, glänzendes Los, Mylord, das weiß ich wohl, allein am meisten liegt mir daran, daß er werden soll, wie sein Vater war – gut und gerecht und allezeit wahr und treu.«

»In schneidendem Gegensatz zu dem, was sein Großvater war.«

»Ich habe bis jetzt nicht das Glück gehabt, seinen Großvater zu kennen,« erwiderte Mrs. Errol, »aber ich weiß, daß mein Kind glaubt –« sie hielt inne, sah den Grafen ruhig an und setzte dann hinzu: »Ich weiß, daß Cedrik Sie lieb hat!«

»Würde er das wohl auch gethan haben,« bemerkte der Graf trocken, »wenn Sie ihm gesagt hätten, weshalb ich Sie nicht im Schlosse empfange?«

»Nein,« erwiderte Mrs. Errol bestimmt, »ich glaube kaum, deshalb wollte ich ja nicht, daß er es erfahren sollte.«

»Nun,« sagte der Graf rauh, »viele Frauen gibt es nicht, die in dem Falle geschwiegen hätten.«

Er begann auf einmal, hastig im Zimmer auf und ab zu gehen, wobei der Bart grausamer als je mißhandelt wurde.

»Ja, er hat mich lieb,« sagte er, »und ich habe ihn lieb. Ich kann nicht sagen, daß mir das oft mit Menschen passiert ist. Ich hab' ihn lieb. Im ersten Augenblick hat er mir gefallen. Ich bin alt und war des Lebens überdrüssig – seit ich ihn habe, weiß ich, wofür ich lebe. Ich bin stolz auf ihn; es hat mir wohl gethan, zu denken, daß er einst das Haupt unsres Hauses sein werde.«

Er blieb vor Mrs. Errol stehen.

»Ich bin unglücklich und elend – – elend!«

Man sah es ihm an. Nicht einmal sein Stolz war im stande, Stimme und Hände vor dem Zittern zu bewahren, und einen Augenblick war es, als ob Thränen in den tiefliegenden Augen ständen. »Vielleicht bin ich deshalb zu Ihnen gekommen, weil ich so elend bin,« fuhr er fort, sie förmlich mit den Augen verschlingend. »Ich habe Sie gehaßt; ich bin eifersüchtig gewesen auf Sie. Diese niederträchtige, jammervolle Geschichte hat alles anders gemacht. Nachdem ich die ekelerregende Person, die sich die Frau meines Bevis nennt, gesehen hatte, war mir's, als müßte es eine Wohlthat für mich sein, Sie zu sehen. Ich bin ein eigensinniger alter Narr gewesen, und ich glaube wohl, daß ich Ihnen übel mitgespielt habe. Sie sind wie der Junge – und der Junge ist das einzige, was ich auf der Welt habe. Ich bin elend, und nur weil Sie ebenso sind wie der Junge, und weil er Sie lieb hat, und ich ihn lieb habe, bin ich zu Ihnen gekommen. Um des Jungen willen, seien Sie nicht hart gegen mich!«

Er sagte das alles in seinem rauhen, herben Tone, schien aber so ganz und gar gebrochen und tief gedrückt, daß Mrs. Errols Herz von Sympathie und Mitleid überströmte. Sie rückte einen Lehnstuhl heran.

»Wenn Sie sich nur setzen wollten,« sagte sie in ihrer einfachen, herzgewinnenden Weise. »Der Kummer hat Sie müde gemacht und Sie brauchen jetzt all Ihre Kraft.«

Daß man so einfach und liebevoll mit ihm sprach und für ihn sorgte, war ihm ebenso neu, wie der erfahrene Widerspruch, auch dies erinnerte ihn an »seinen Jungen«, und er that, wie ihm geheißen. Vielleicht war diese Verzweiflung und diese bittere, abermalige Enttäuschung recht heilsam für ihn. Wenn dies Elend nicht über ihn hereingebrochen wäre, hätte er die kleine Frau noch immer mit Haß und Abneigung betrachtet, während er jetzt in ihrer Nähe Trost fand. Freilich war es nicht allzu schwierig, ihm zu gefallen, nachdem er »die andre« gesehen, aber dies Gesichtchen und diese Stimme waren doch besonders wohlthuend und in ihren Bewegungen und ihrer Sprache lag ein sanfter eigenartiger Reiz, unter dessen unwiderstehlichem Zauber er sich bald weniger gedrückt fühlte und mitteilsam wurde.

»Was auch daraus werden mag,« sagte er, »für den Jungen soll gesorgt sein, jetzt und für die Zukunft.«

Als er sich zum Gehen anschickte, sah er sich im Zimmer um.

»Gefällt Ihnen das Haus?« fragte er.

»O gewiß, außerordentlich,« lautete die aufrichtige Antwort. »Ein gemütliches, heiteres Zimmer,« bemerkte er. »Darf ich wiederkommen und die Sache mit Ihnen durchsprechen?«

»So oft Sie wollen, Mylord!«

Darauf stieg er in seinen Wagen und fuhr davon, Thomas und Henry aber waren vor Erstaunen über diese neue Wendung der Dinge in der That sprachlos.


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